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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen aus Afghanistan; mangelnde Auseinandersetzung mit der Minderjährigkeit und den UNHCR-RichtlinienSpruch
I. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita bis d ZPO wird stattgegeben.
II. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses minderjähriger afghanischer Staatsbürger muslimisch-schiitischen Glaubens und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er stellte nach Einreise ins Bundesgebiet im Alter von ca. 13 Jahren am 13. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er dahin begründete, er sei der Gefahr der Blutrache ausgesetzt, nachdem in der Autowerkstatt seines Vaters ein Lehrling verunfallt und zu Tode gekommen sei, was dessen Familie aber als Mord betrachte. Die Eltern des Beschwerdeführers hätten daraufhin seine Flucht und die seines Bruders organisiert.
2. Mit Bescheid vom 10. Juli 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehr-entscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gleichzeitig wurde eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 17. September 2019 als unbegründet ab und führte im Wesentlichen aus, das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubwürdig. Die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dahin begründet, dass dem Beschwerdeführer als "gerade noch" Minderjährigem eine Rückkehr an seinen Herkunftsort Kabul oder eine Neuansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif zumutbar sei. Er sei jung, gesund und in erwerbsfähigem Alter, zudem verfüge er über Familie in Kabul.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung von Gegenschriften bzw Äußerungen wurde aber Abstand genommen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und gegen den Aus-spruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
2.1. Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
2.2. Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Die im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen Länderberichte enthalten ua Abschnitte zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan (Kabul, Herat, Mazar-e Sharif), zu ethnischen Minderheiten, zur Behandlung von Rückkehrern, zur medizinischen Versorgung, zur Religionsfreiheit sowie zur Konversion bzw Apostasie. Ebenfalls enthalten sind Feststellungen zur Versorgungslage von Kindern und Minderjährigen (Bildungssystem, Kinderarbeit, Gefahr von Misshandlungen etc.). Weitgehend nicht enthalten sind spezifische Ausführungen zur im Speziellen Minderjährige betreffenden Sicherheitslage.
3.2. Bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind aber, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt hervorgehoben, welche Bedeutung den Länderfest-stellungen im Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller zukommt (vgl zB VfGH 13.3.2019, E1480/2018 ua; 25.9.2018, E1463/2018 ua; 11.6.2018, E1815/2018; 11.10.2017, E1803/2017 ua mwN).
3.3. Im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten berücksichtigt das Bundesverwaltungsgericht die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers zwar insofern am Rande, als es in der Beweiswürdigung und in der rechtlichen Beurteilung im Wesentlichen ausführt, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr bzw Neuansiedelung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif zumutbar sei, weil dieser – trotz seiner "gerade noch" vorliegenden Minderjährigkeit – über die notwendige Selbstständigkeit verfüge und er überdies wieder Kontakt zu seiner Familie aufnehmen könne. Daraus zieht das Bundesverwaltungsgericht offenbar den Schluss, dass von einer potenzierten Gefährdungslage bzw einer besonderen altersspezifischen Vulnerabilität des Beschwerdeführers nicht auszugehen sei.
3.4. Mit diesen Ausführungen geht das Bundesverwaltungsgericht zwar auf bestimmte, im Lichte der Art2 und 3 EMRK relevante Aspekte ein, verkennt aber, dass es sich bei dem Beschwerdeführer sehr wohl um eine besonders vulnerable Person handelt (vgl die Definition schutzbedürftiger Personen in Art21 der Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen [Aufnahmerichtlinie], ABl. 2013 L 180, 96). Es wäre daher eine – die Minderjährigkeit berücksichtigende – spezifische Auseinandersetzung damit erforderlich gewesen, welche Rückkehrsituation der Beschwerdeführer in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif tatsächlich vorfinden würde (vgl dazu insbesondere die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018, S 124 f. und 129, wonach "angesichts der gegenwärtigen Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage in Kabul eine interne Schutzalternative in der Stadt grundsätzlich nicht verfügbar ist" und – allgemein – "eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer [erweiterten] Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen […] alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne […] besondere Gefährdungsfaktoren dar."). Eine solche Auseinandersetzung konnte im vorliegenden Fall nicht schon deshalb unterbleiben, weil der minderjährige Beschwerdeführer nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes über die notwendige Selbstständigkeit verfüge und allenfalls wieder Kontakt zu seiner Familie aufnehmen könne (vgl zB VfGH 13.3.2019, E1480/2018 ua; 11.6.2018, E1815/2018).
3.5. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK schon aus diesen Gründen als verfassungswidrig. Soweit sich die Entscheidung auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie auf die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist sie daher mit Willkür belastet und insoweit aufzuheben.
4. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung der Beschwer-de an das Bundesverwaltungsgericht gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt: Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde – soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde an das Bundesverwaltungs-gericht gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten richtet – abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer zweiwöchigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem durch ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Das angefochtene Erkenntnis ist daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E4023.2019Zuletzt aktualisiert am
17.09.2020