Entscheidungsdatum
19.12.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W187 2189922-1/17Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über den Antrag von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vom XXXX auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens auf internationalen Schutz beschlossen:
A)
Gemäß § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG wird die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens verfügt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
I. Verfahrensgang
1. Der zum damaligen Zeitpunkt minderjährige Antragsteller, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
2. Mit Bescheid vom XXXX , XXXX , wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
3. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller fristgerecht vollumfängliche Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
4. Mit Erkenntnis vom XXXX , XXXX , wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 und § 10 Abs 1 Z 3 und § 57 AsylG 2005, iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet ab. Die Revision wurde gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zugelassen.
Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen zusammengefasst aus, das Fluchtvorbringen des Antragstellers, wonach die Taliban ihn hätten rekrutieren wollen, sei vage, oberflächlich und widersprüchlich und insgesamt nicht glaubhaft. Der Antragsteller habe sich bereits hinsichtlich der Frage, ob er persönlich Kontakt zu den Taliban gehabt habe oder nicht, in Widersprüche verstrickt. Den Erhalt des vermeintlichen Drohbriefes habe er nicht nachvollziehbar und detailreich schildern können. Die gesamte Schilderung der Fluchtgeschichte sei oberflächlich und holzschnittartig gewesen. Der Antragsteller habe keine Details nennen können und auf nähere Nachfragen des Öfteren geantwortet, dass er dies nicht wisse. Zudem habe er sein gesamtes Fluchtvorbringen emotionslos geschildert. Sein Fluchtvorbringen sei daher insgesamt nicht glaubhaft. Dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Übergriffen, Zwangsrekrutierung oder Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wäre, sei nicht zu erwarten. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass der Antragsteller in Afghanistan infolge seines Aufenthalts in Europa als "verwestlicht" wahrgenommen und ihm deshalb eine Verfolgung aufgrund einer ihm unterstellen politischen Gesinnung drohen würde. Eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen sei daher vom Antragsteller nicht glaubhaft dargelegt worden. Beim Antragsteller handle es sich um einen gesunden, arbeitsfähigen, jungen Mann ohne spezifische Vulnerabilitäten, bei dem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne. Es sei anzunehmen, dass der Antragsteller im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage sein werde, sich jedenfalls durch Gelegenheitsarbeiten eine Existenzgrundlage zu sichern. Der Antragsteller gehöre zudem keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen sei, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstelle als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen könne. Die Sicherheitslage in der Heimatprovinz des Antragstellers (Nangarhar) sei als unsicher und volatil einzustufen; für den Antragsteller bestehe jedoch eine interne Schutzalternative in Mazar-e Sharif. Auch würden die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die subjektiven Interessen des Antragstellers an einem Verbleib im Inland überwiegen. Die Abschiebung des Antragstellers nach Afghanistan sei zulässig. Die Beschwerde des Antragstellers sei daher abzuweisen gewesen.
5. Mit Schriftsatz vom XXXX , beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am XXXX , stellte XXXX einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 32 Abs 2 VwGVG. Begründend führte er im Wesentlichen zusammengefasst aus, ein Freund habe ihn Ende XXXX zu einem Arzt gebracht. Wie dem beiliegenden fachärztlichen Befundbericht von XXXX , Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, vom XXXX zu entnehmen sei, seien beim Antragsteller diverse psychische Erkrankungen nach der internationalen WHO-Klassifikation ICD-10, nämlich eine schwergradige bzw komplexe posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) und eine anhaltende Persönlichkeitsveränderung bei Extrembelastungen (F62), festgestellt worden. Eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (F20.0) könne nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Der Antragsteller habe unverschuldet erst durch den beiliegenden Befundbericht vom XXXX von seinen Erkrankungen Kenntnis erlangt und diese in seinem Asylverfahren daher nicht vorbringen können. Bei den psychischen Erkrankungen des Antragsstellers handle es sich um neu hervorgekommene Tatsachen, die im Verfahren ohne Verschulden des Antragstellers nicht geltend gemacht werden hätten können und die Richtigkeit des angenommenen Sachverhaltes in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen würden. Beim vorgelegten fachärztlichen Befundbericht handle es sich zwar um ein neu entstandenes Beweismittel; dieses beziehe sich jedoch auf "alte", also nicht ebenfalls erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene, Tatsachen. Bei den vorliegenden psychischen Erkrankungen handle es sich nämlich jeweils um länger dauernde Entwicklungen, welche nicht erst während der kurzen Zeit der Rechtskraft des verfahrensabschließenden Erkenntnisses entstanden sein konnten. Die vorliegende Diagnose bedeute nicht per se den Ausschluss der Selbsterhaltungsfähigkeit, jedoch sei vorab eine genaue Diagnose, die Erarbeitung eines Behandlungsplans und dessen Umsetzung erforderlich. Laut diagnostizierendem Facharzt sei ein verstärkt irrationales Handeln des Antragsstellers zu erwarten. Da die gegenständliche Entscheidung auf dem Vorliegen einer Selbsterhaltungsfähigkeit und einer unbeeinträchtigten Gesundheit des Antragstellers basiere, wäre bei Kenntnis der Erkrankungen in wesentlichen Punkten anders entscheiden worden; zumindest hätte eine günstigere Entscheidung ergehen können. Weiter würden die Feststellungen in der bekämpften Entscheidung von einer hohen Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Antragstellers ausgehen, wobei offen sei, inwieweit diese Unstimmigkeiten auf die Erkrankung des Antragstellers zurückzuführen seien.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Antragsteller, insbesondere durch Einsicht in das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX , und den Antrag vom XXXX auf Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens samt beiliegendem fachärztlichem Befundbericht.
1. Feststellungen
Mit zwischenzeitlich rechtskräftigem Erkenntnis vom XXXX , XXXX , wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Antragstellers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX als unbegründet ab.
Diesem Erkenntnis liegt insbesondere die Feststellung zugrunde, dass der Antragsteller gesund und arbeitsfähig ist.
Durch den fachärztlichen Befundbericht von XXXX , Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, vom XXXX erlangte der Antragsteller Kenntnis von der Tatsache, dass er an psychischen Erkrankungen nach der internationalen WHO-Klassifikation ICD-10, nämlich an einer schwergradigen bzw komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) und einer anhaltenden Persönlichkeitsveränderung bei Extrembelastungen (F62), leide. Gemäß diesem Befundbericht kann eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (F20.0) nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht der Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens ein.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen, nachvollziehbaren und widerspruchsfreien Akteninhalt.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1 Anzuwendendes Recht
Gegenständlich sind die Verfahrensbestimmungen des AVG, des BFA-VG, des VwGVG und jene im AsylG 2005 enthaltenen sowie die materiellen Bestimmungen des AsylG 2005 in der geltenden Fassung samt jenen Normen, auf welche das AsylG 2005 verweist, anzuwenden.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl I 10/2013 idgF, entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl I 33/2013, geregelt (§ 1 leg cit). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
3.2 Zu Spruchpunkt A) - Stattgabe des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens
3.2.1 Gemäß § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.
Gemäß Abs 2 leg cit ist der Antrag auf Wiederaufnahme binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.
Gemäß Abs 3 leg cit kann die Wiederaufnahme des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Abs 1 leg cit auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs 1 Z 1 stattfinden.
Aus den Gesetzesmaterialien zu § 32 VwGVG (ErläutRV 2009 BlgNR 24. GP) ergibt sich, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens weitgehend den §§ 69 und 70 AVG mit den entsprechenden Anpassungen aufgrund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs 1 VwGVG sind daher denjenigen des § 69 Abs 1 AVG nachgebildet, weshalb auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann (VwGH 28.6.2016, Ra 2015/10/0136).
Der vorliegende Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zielt darauf ab, das mit Erkenntnis vom XXXX , XXXX , rechtskräftig abgeschlossene vorangegangene Verfahren auf internationalen Schutz des Antragstellers aufgrund neuer Tatsachen bzw Beweismittel im Sinne des § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG wieder aufzunehmen.
Dieser Tatbestand bezieht sich auf solche Tatsachen oder Beweismittel, die zum Zeitpunkt der Entscheidung zwar bereits bestanden haben, jedoch ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten ("nova reperta"). Tatsachen, die erst nach Abschluss des Verfahrens entstanden sind ("nova causa superveniens" oder "nova producta"), stellen, weil sie von der Rechtskraft der Entscheidung nicht umfasst sind, keinen Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens dar (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 28).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - das heißt nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (vgl VwGH 18.1.2017, Ra 2016/18/0197 mwN).
Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel müssen ohne Verschulden der Partei im Verfahren nicht geltend gemacht worden sein. Hatte der Wiederaufnahmswerber die Möglichkeit, im abgeschlossenen Verfahren die Beweisaufnahme zu beantragen, etwa die Vernehmung eines Zeugen, auch wenn er die Adresse nicht kennt, kommt eine Wiederaufnahme nicht in Frage (Reisner in Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², VwGVG § 32 Rz 21; VwGH 18.1.2017, Ra 2016/18/0197). Bei der Beurteilung des Verschuldens ist das Maß dafür ein solcher Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten aufgewendet werden kann. Konnte die Partei eine Tatsache (oder ein Beweismittel) bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit schon im Verwaltungsverfahren geltend machen, unterließ sie es aber, liegt ein ihr zuzurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (VwGH 10.10.2001, 98/03/0259). Auf den Grad des Verschuldens kommt es nicht an; auch leichte Fahrlässigkeit genügt (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 37).
Die Wiederaufnahme eines Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (vgl VwGH 22.12.2005, 2004/07/0209).
Die neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel müssen entweder allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens die Eignung aufweisen, eine im Hauptinhalt des Spruches anders lautende Entscheidung herbeizuführen. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beurteilen ist. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund ungeachtet des Erfordernisses einer Neuheit also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche die Behörde (hier: Bundesverwaltungsgericht) entweder den den Gegenstand des Wiederaufnahmeantrags bildenden Bescheid (hier: Erkenntnis) oder zumindest die zum Ergebnis dieses Bescheides (hier: Erkenntnisses) führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl VwGH 23.5.2013, 2013/07/0066).
Eine Wiederaufnahme setzt nicht die Gewissheit darüber voraus, dass die Entscheidung im wieder aufzunehmenden Verfahren anders gelautet hätte. Für die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens genügt es, wenn mit entsprechender Wahrscheinlichkeit zutrifft, dass die "nova reperta" nach der Rechtslage, die im Zeitpunkt der Erlassung des rechtskräftigen Bescheides (hier: Erkenntnisses) maßgeblich war, zu einem anderen Verfahrensergebnis geführt hätten. Ob tatsächlich eine andere Entscheidung ergehen hätte müssen, ist erst im wieder aufgenommenen Verfahren zu entscheiden (Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 45).
3.2.2 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Feststellungen, dass der Antragsteller durch den fachärztlichen Befundbericht vom XXXX von seinen psychischen Erkrankungen erfahren hat. Der Antrag auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens langte am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein. Der Antragsteller hat seinen Wiederaufnahmeantrag daher binnen der zweiwöchigen Frist ab Kenntniserlangung vom Wiederaufnahmegrund gemäß § 32 Abs 2 VwGVG beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht. Der Antrag ist daher rechtzeitig und zulässig.
Dem vom Antragsteller vorgelegten fachärztlichen Befundbericht ist zu entnehmen, dass der Antragsteller an psychischen Erkrankungen nach der internationalen WHO-Klassifikation ICD-10, nämlich an einer schwergradigen bzw komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1) und einer anhaltenden Persönlichkeitsveränderung bei Extrembelastungen (F62), leidet. Eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis (F20.0) kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Dieser fachärztliche Befundbericht ist mit XXXX datiert, wurde also zu einem Zeitpunkt ausgestellt, zu dem das Verfahren, dessen Wiederaufnahme begehrt wird, bereits abgeschlossen war. Gemäß der oben zitierten Judikatur können jedoch auch neu entstandene Beweismittel zur Wiederaufnahme eines Verfahrens führen, sofern sie sich auf "alte" - das heißt nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen.
Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt, da durch den fachärztlichen Befundbericht vom XXXX eine bereits im Zeitpunkt der Entscheidung vorgelegene psychische Erkrankung beim Antragsteller diagnostiziert wird.
Ein Verschulden des Antragstellers an der unterlassenen Geltendmachung seiner Erkrankung im Verfahren liegt nicht vor. Der Antragsteller konnte nicht wissen, dass er an einer psychischen Erkrankung leidet; eine solche wurde ihm erst mit dem vorliegenden Befundbericht diagnostiziert. Er hatte daher keine Möglichkeit, seine Erkrankung im abgeschlossenen Verfahren vorzubringen bzw. ärztliche Unterlagen vorzulegen.
Erforderlich ist weiter, dass die neuen Tatsachen (Erkrankungen des Antragstellers) und Beweismittel (fachärztlicher Befundbericht vom XXXX ) objektiv die abstrakte Eignung besitzen, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das Bundesverwaltungsgericht den Gegenstand des den Gegenstand des Wiederaufnahmeantrags bildenden Erkenntnisses oder zumindest die zum Ergebnis dieses Erkenntnisses führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat.
Im vorliegenden Fall ging das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidungsfindung davon aus, dass der Antragsteller gesund ist. Eine allfällige Erkrankung des Antragstellers konnte nicht in die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts mit Erkenntnis vom XXXX miteinbezogen werden.
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der auf die Entscheidungen des EGMR Bezug nimmt, hat ein Fremder im Allgemeinen kein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (VfGH 6.3.2008, B 2400/07 mwN).
Auch der Verwaltungsgerichtshof hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EGMR bereits ausgesprochen, dass die nach der oben zitierten geforderten außergewöhnlichen Umstände, die zu einer Verletzung von Art 3 EMRK führen können, vorliegen, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl VwGH 30.6.2017, Ra 2017/18/0086).
In Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung sind die vorliegenden Erkrankungen beim Antragsteller je nach Schweregrad sohin durchaus zumindest abstrakt geeignet, eine anders lautende Entscheidung - etwa die Gewährung von subsidiärem Schutz - herbeizuführen. Beim vorgelegten fachärztlichen Befundbericht handelt es sich daher durchaus um ein Beweismittel, dessen Berücksichtigung - nach Durchführung weiterer Ermittlungsschritte - geeignet ist, zu einem anderen Verfahrensergebnis zu führen.
Die Voraussetzungen des § 32 Abs 1 Z 2 VwGVG sind somit erfüllt und dem gegenständlichen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens war stattzugeben.
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage als geklärt anzusehen ist und es sich bei der Einordnung, ob die Eignung eines vorgebrachten Wiederaufnahmegrundes vorliegt, um eine Rechtsfrage handelt (vgl VwGH 19.4.2007, 2004/09/0159; Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 32 VwGVG Anm 9), konnte gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
3.2 Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
non refoulement nova reperta psychische Erkrankung PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) Voraussetzungen Wiederaufnahme WiederaufnahmeantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W187.2189922.1.01Im RIS seit
16.09.2020Zuletzt aktualisiert am
16.09.2020