TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/2 W174 2125881-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.2020
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Entscheidungsdatum

02.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W174 2125881-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK, als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.04.2016, Zl. 1093076710/151675670, nach einer mündlichen Verhandlung am 18.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 2.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 3.11.2015 gab er im Wesentlichen an, aus Kunduz zu stammen, dort sechs Jahre lang die Grundschule und drei Jahre die Mittelschule besucht zu haben, der Volksgruppe der Tadschiken und dem sunnitischen Glauben anzugehören sowie ledig und Büroangestellter gewesen zu sein, und zwar von 2011 bis 2013 in Maidan Shahr, Wardak, von 2013 bis 2014 beim XXXX und 2015 beim XXXX als Admin Finance Assistant. In der Heimat würden noch seine Eltern, zwei Brüder und vier Schwestern leben. Die Familie besitze Grund in der Größe von 8 Jerib, die finanzielle Situation sei mittel, der Vater Taxifahrer.

Zu seinem Fluchtgrund brachte er vor, für verschiedene ausländische Firmen tätig gewesen und deshalb von den Taliban bedroht worden zu sein, welche von ihm verlangt hätten, diese Arbeit aufzugeben, sonst würden sie ihn umbringen. Aus Angst um sein Leben sei er geflüchtet. Die Heimat habe er vor ca. 15 Tagen verlassen.

3. Am 5.4.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen, legte eine Bestätigung, einen Firmenausweis und ein zusätzliches Scheiben des schwedischen Unternehmens, für das er seit 2011 in Afghanistan tätig gewesen sei, vor und erklärte, nach Abschluss von 12 Jahren Grundschule sowohl Computer- als auch Englischkurse besucht, ein Diplom in englischer Sprache und ein Officepackage absolviert zu haben. Er habe eine Tazkira, aber keinen Dienstvertrag.

Gearbeitet habe er als stellvertretender Finanzleiter und Büroleiter bzw. IT- und Finanzleiter, dabei sei von Ihm der Dienstplan gemacht worden und er sei für die Kontrolle der An- und Abwesenheit der Mitarbeiter, für die Bestellung von Essen sowie die Kontrolle der Computer bei Virenproblemen zuständig gewesen. Bedient habe er Office- und Virenprogramme. Seine Firma habe Projekte im Bereich Unterricht und Erziehung, im Ingenieur- und Gesundheitswesen durchgeführt. Genaueres wisse er nicht. Bei dieser Firma sei er etwa zwei Jahre lang tätig gewesen, anschließend habe er ein Jahr oder 13 Monate bei einer anderen Firma gerabeitet, bevor er wieder bedroht worden und dann ausgereist sei.

Zu seinem Fluchtgrund befragt erklärte der Beschwerdeführer zunächst, wegen seiner Tätigkeit bei den ausländischen Firmen von den Taliban bedroht worden zu sein. Mehr könne er nicht sagen. Nachgefragt, ob es ein fluchtauslösendes Ereignis gegeben habe, erklärte er, als er anfänglich in Kunduz bei der schwedischen Firma gearbeitet hätte, sei die dortige Sicherheitslage nicht schlecht, jedoch die Taliban in den Distrikten und den Dörfern vermehrt unterwegs gewesen. Nochmals nachgefragt, ob er direkten Kontakt mit den Taliban gehabt hätte, erwiderte er, von den Taliban bedroht worden zu sein. Weitschichtige Verwandte seines Vaters seien Taliban, diese wären seine Gegner. Sein Vater sei informiert worden, dass der Beschwerdeführer sofort seine Arbeit niederlegen solle. Deswegen habe er gleich seine Arbeitsstelle gewechselt und sei dann bei einer anderen ausländischen Firma tätig gewesen. Auch über die zweite Bedrohung hätte er von seinem Vater erfahren. Zuletzt habe sich der Beschwerdeführer ein Zimmer in der Stadt gemietet und sei nur gelegentlich zu seinen Eltern gegangen. Dass die Taliban über seine Arbeit Kenntnis gehabt hätten, erklärte er damit, dass es sich um seine Verwandten gehandelt hätte. Man wisse doch, was man in der Familie tue. Er selbst habe jedoch mit seinen Gegnern nie zu tun gehabt.

Danach habe er Kunduz verlassen und in Maidan Shahr gearbeitet. Er habe zwar keinen Kontakt zu den Taliban gehabt, es seien seinem Vater auch keine Drohungen mehr gegen ihn zugetragen worden, aber er sei nach der Einnahme von Kunduz davongelaufen. Nochmals nachgefragt, ob es keinen Kontakt mehr gegeben habe, korrigierte sich der Beschwerdeführer dahingehend, dass die Taliban Anfang Oktober 2015 zweimal bei seinem Vater gewesen seien und verlangt hätten, dass der Beschwerdeführer sich ihnen anschließe. Sie hätten gewusst, wo der Beschwerdeführer arbeite und verlangt, dass sein Vater ihn den Taliban ausliefere. Wenn er sich weigere, würden sie seinem Bruder mitnehmen. Deswegen sei der Beschwerdeführer ausgereist, zwei Tage später dann sein Bruder. Ob der Vater persönlich bedroht worden sei, wisse der Beschwerdeführer nicht. Nachgehakt, wie viele Vorfälle es in welchem Zeitraum mit den Gegnern gegeben hätte, gab der Beschwerdeführer an, von 2011 bis zur Ausreise zweimal oder dreimal, er wisse es nicht mehr. Mehr könne er nicht sagen. Bei einer Rückkehr in die Heimat habe er Angst vor dem Tod. Er wolle sich in Europa ein wirtschaftlich besseres Leben aufbauen.

4. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgelegt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen diesen Bescheid wurde rechtzeitig Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer darin im Wesentlichen aus, dass er sich im Jahr 2011 bei der XXXX in Kunduz beworben habe. Es hätte dort wegen der unsicheren Lage wenig qualifizierte Bewerber gegeben, sodass der Beschwerdeführer trotz seiner nicht fundierten Ausbildung genommen worden sei. Mit der Zeit habe er immer mehr gelernt und viele Erfahrungen sammeln können und sei als Administrationskraft und als IT-Assistent angestellt gewesen. Als Administrationskraft sei es auch seine Aufgabe gewesen, Dienstpläne zu erstellen und die Anwesenheiten zu kontrollieren. Wenn er Zeit gehabt habe und es gefordert worden sei, habe er auch einmal das Essen bestellt oder andere Tätigkeiten erledigt, die vielleicht nicht in seinem direkten Aufgabenbereich gelegen wären. Bei der XXXX sei er ca. von Juni 2011 bis juli 2013 beschäftigt gewesen, die Tätigkeitsbereiche der Organisation lägen vor allem in der Bildung, Erziehung, Aufklärung und im Gesundheitswesen. Nachdem sein Vater von weitschichtigen, den Taliban angehörenden Verwandten immer wieder unter Druck gesetzt und bedroht worden sei, damit der Beschwerdeführer seine Arbeitsstelle niederlege, habe er gekündigt und im Sommer 2013 erneut einen Posten bei einer internationalen Organisation, der XXXX , gefunden, wo er für ca. ein Jahr als Administrationskraft beschäftigt gewesen sei. Die Verwandten bei den Taliban hätten erneut herausgefunden, dass der Beschwerdeführer bei einer internationalen Organisation tätig sei und wieder den Vater bedrängt, dass er die Arbeit niederlege. Diesmal hätten sie auch gefordert, dass sich der Beschwerdeführer als Ausgleich den Taliban anschließe und für diese kämpfe. Der Beschwerdeführer und seine Familie hätten schließlich keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als dass er Kunduz verlasse und sich an einem anderen Ort in Afghanistan Arbeit suche. Er sei schließlich im Sommer 2014 in das 12 Stunden von Kunduz entfernte Maidan Shahr gegangen, habe dort ein Zimmer gemietet und erneut bei der XXXX ein Jobangebot erhalten, wobei diesmal sein Aufgabenbereich Administration und Finance Assistant gewesen sei. Im September 2015 hätten die Taliban Kunduz erobert, seien erneut zu seinem Vater gekommen, hätten diesen geschlagen und bedroht. Sie hätten gewusst, wo der Beschwerdeführer arbeite und den Vater aufgefordert, ihn nach Kunduz zurückzuholen und den Taliban zu übergeben. Ca. zwei Wochen später hätten sie den Vater erneut zu Hause aufgesucht, ihn geschlagen und gedroht, dass, wenn der Beschwerdeführer nicht in den nächsten Tagen in Kunduz sein würde, sie stattdessen den kleinen Bruder einziehen würden. Daraufhin sei der Beschwerdeführer aus Afghanistan geflüchtet, sein kleiner Bruder ein paar Tage später.

Vorgelegt wurden folgende Dokumente: Bestätigung und Empfehlungsschreiben der XXXX , Schreiben der XXXX , Ausweis für Tätigkeit bei XXXX im Maidan Shahr

6. Am 18.11.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei brachte der Beschwerdeführer zunächst im Wesentlichen wie bisher vor, in Kunduz - im Distrikt Imam Saheb - geboren, Tadschike, sunnitischer Moslem und ledig zu sein. Zudem habe er auch in Maidan Shahr in der Provinz Wardak gewohnt. Seine Tazkira habe er beim Bundesamt abgegeben und deshalb nicht bei sich.

Seine Eltern und Geschwister seien immer noch in Kunduz aufhältig, ebenso sein jüngerer Bruder, der kurz nach dem Beschwerdeführer in den Iran gegangen und dann von dort abgeschoben worden sei. In Kunduz lebe eine Tante väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits, ebenso wie ein Onkel mütterlicherseits. Der Beschwerdeführer habe insgesamt zwölf Jahre die Schule besucht, sowie weitere Kurse, zum Beispiel einen Computerkurs und auch ein Jahr lang die englische Sprache gelernt und diesbezüglich ein Diplom erhalten. Sein Vater habe als Taxifahrer gearbeitet und die Familie landwirtschaftliche Grundstücke von acht Jerib gehabt. Zurzeit versorge sein Vater die Familie. Der jüngere Bruder könne nicht arbeiten, weil er wegen dem Beschwerdeführer bedroht worden sei, und bleibe zu Hause. Er lerne Englisch und habe die Schule absolviert. Der Beschwerdeführer selbst habe im familieneigenen Haus gelebt und ca. sechs oder sieben Monate lang in Maidan Shahr ein Zimmer gemietet. Ebenso in Kunduz, weil der Heimweg unsicher gewesen wäre. Von Maidan Shahr sei er direkt nach Österreich gereist und nicht nach Hause gegangen. Zuletzt habe der Beschwerdeführer vor ca. einer Woche mit seinem Bruder telefoniert, ca. acht oder neun Tage davor mit seiner Schwester. Mit anderen Personen in der Heimat stehe er nicht in Kontakt.

Afghanistan habe er vermutlich im August 2015 verlassen.

Vorgelegt wurden zwei Schreiben, die von der Dolmetscherin übersetzt wurden:

Erstens ein Brief von der Firma XXXX , gerichtet an den Kommandanten der Provinz Kunduz, im Wesentlichen mit folgenden Inhalt: "sie am 25.08.2015 um 7:30 Uhr in der Früh ins Büro hineingekommen sind und alle Computer der Mitarbeiter mitgenommen und alle Privatdokumente" und zweitens ein Schreiben, bei welchem im Kopf der Sicherheitskommandant der Provinz Kunduz aufscheint und dessen Inhalt sich demselben Thema widmet. Hierzu gab der Beschwerdeführer an, er habe diese beiden Schreiben vor einer Woche von einer namentlich genannten zuständigen Person dieser Firma per E-Mail erhalten. Vorgehalten, er habe zuvor dazu befragt angegeben, keinerlei weitere Kontakte nach Afghanistan zu haben, erwiderte er, dass diese Person momentan in der Türkei lebe. Er hätte mit dieser Person Kontakt aufgenommen und gefragt, ob sie etwas über diesen Fall schicken könne.

Im Jahr 2011 habe er begonnen zu arbeiten, und zwar im Juni oder Juli beim XXXX . Dort sei er bis Juni oder Juli 2013 geblieben und habe im August oder September bei XXXX begonnen, wo er bis Jänner 2014 geblieben sei. Im Februar oder März 2015 sei er wieder bei der Firma XXXX in der Provinz Wardak beschäftigt gewesen und dort bis zu seiner Ausreise geblieben. Die Empfehlungsschreiben von XXXX in Kunduz und von XXXX sowie eine ID-Karte von seiner Tätigkeit bei XXXX in Maidan Shahr habe er bei der belangten Behörde abgegeben. Anlässlich einer Kündigung bekomme man ein Empfehlungsschreiben, seine letzte Tätigkeit habe er nicht mehr gekündigt, sondern sei einfach gegangen. Nachgefragt erklärte der Beschwerdeführer, bei der Erstbefragung wären seine Dienstorte umgekehrt protokolliert worden. Nochmals vorgehalten, das erkläre nicht seine Angaben in der Beschwerde, ab 2014 in Maidan Shahr beschäftigt gewesen zu sein, erwiderte der Beschwerdeführer, er hätte 2013 in Kunduz bei der schwedischen Firma gearbeitet und dann in Maidan Shahr begonnen. Ein Jahr oder 13 Monate sei er bei XXXX gewesen. Ab Ende 2014 habe er versucht, in Maidan Shahr zu arbeiten. Es sei Jänner oder Februar gewesen, als er seine Tätigkeit in Maidan Shahr begonnen habe. Dort sei er bis August geblieben und habe dann sein Land verlassen.

Auf die Frage der erkennenden Richterin hin, wann und in welcher Form er persönlich durch die Taliban bedroht worden sei, brachte der Beschwerdeführer folgendes vor: Dort, wo ihr Dorf liege, seien meistens die Taliban und würden von Dorfleuten unterstützt. 2012 oder 2013 hätten die Leute seinem Vater gesagt, dass die Taliban über den Beschwerdeführer sprechen würden und er auf ihn aufpassen solle. Zunächst habe der Beschwerdeführer dies nicht ernst genommen. Beim zweiten Mal - Ende 2013 - hätten die Taliban seinem Vater wieder gesagt, dass sie wüssten, wo das Büro seines Sohnes sei und wo er arbeite. Der Beschwerdeführer habe dann seine Tätigkeit gewechselt und begonnen, bei XXXX in Kunduz zu arbeiten. Dort habe er auch ein Zimmer gemietet und sei nicht mehr nach Hause gegangen.

Die Gegend, in der seine Eltern gelebt hätten, sei unsicher gewesen. Der Beschwerdeführer habe sie manchmal besucht, aber nicht oft. Als sich der Beschwerdeführer bereits an seiner neuen Arbeitsstelle befunden habe, hätten sie seinen Vater angerufen und ihn aufgefordert, dem Beschwerdeführer auszurichten, dass er dort nicht mehr tätig sein solle, weil sein Einkommen von Ausländern käme, die gegen den Islam seien. Der Beschwerdeführer solle für die Taliban arbeiten und nicht mehr dort. Nachdem sich die Sicherheitslage verschlechtert hätte, sei der Beschwerdeführer nach Maidan Shahr gegangen, um dort eine Tätigkeit anzunehmen. Er glaube, dies sei im Jänner oder Februar 2015 gewesen.

Die Taliban hätten seinen Vater oft angerufen, bedroht und der Vater habe auch von den Dorfleuten erfahren, dass sie den Beschwerdeführer suchten. Sie hätten erklärt, genau zu wissen, wo er arbeite, nämlich in Maidan Shahr.

Vorgehalten, er habe während seiner Einvernahme im April 2016 angegeben, zu der Zeit, als er in Maidan Shahr tätig gewesen wäre, keinen Kontakt zu den Taliban gehabt zu haben und dass auch seinem Vater zu diesem Zeitpunkt keine Drohungen mehr zugetragen worden seien, gab der Beschwerdeführer an, sie hätten nicht direkt seinen Vater bedroht, sondern ihn selbst. 2015 sei Kunduz von den Taliban angegriffen und beherrscht worden. Dann seien die Taliban zu Ihnen nach Hause gekommen und mit seinem Vater sehr schlecht umgegangen. Sie hätten dann gesagt, sie würden nach zwei bis drei Tagen wiederkommen und er solle seinen Sohn hierherbringen. Einige Tage später wären die Taliban zurückgekehrt und hätten erklärt, wenn der Beschwerdeführer nicht komme, würden sie den anderen Sohn nehmen. Daraufhin habe sein Vater den Beschwerdeführer angerufen und ihm mitgeteilt, dass die Lage sehr schlecht sei und ihn aufgefordert, zu entscheiden, ob er komme oder der Vater unter Druck bleibe. Deshalb habe der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen.

Er selbst sei nie direkt von den Taliban bedroht worden und habe sie nie direkt gesehen. Sonst hätten sie ihn mitgenommen und er wisse nicht, was mit ihm passiert wäre. Sein Vater wäre insgesamt ungefähr sechs bis sieben Mal bedroht worden. Zudem hätten die Taliban ihre landwirtschaftlichen Grundstücke genommen und die Eltern hätten nicht mehr dort arbeiten dürfen.

Auf Vorhalt hin, der Beschwerdeführer habe anlässlich der Niederschrift im Jahr 2016 dazu erklärt, dass die Taliban von 2011 bis zur Ausreise zwei oder dreimal seinen Vater aufgesucht hätten, erwiderte der Beschwerdeführer, er hätte damals nur jene Ereignisse angegeben, als die Taliban zu seinem Vater nach Hause gekommen seien.

Nachgefragt, wieso der Beschwerdeführer anlässlich seiner Einvernahme vor der Behörde niemals davon gesprochen habe, dass sein Vater anlässlich der Besuche der Taliban von diesen auch geschlagen worden sei, meinte der Beschwerdeführer, er hätte gesagt, dass sie mit seinem Vater sehr schlecht umgegangen seien. Dies habe er damit gemeint.

Er glaube, zwei oder drei Tage nach der Eroberung von Kunduz hätten sie seinen Vater wieder aufgesucht und seien dreimal zu ihm gekommen. Auf Nachfrage hin erklärte der Beschwerdeführer, sie wären zweimal nach Hause gekommen, das zweite Mal hätten sie gesagt, wenn der Beschwerdeführer nicht käme, würden sie seinen Bruder mitnehmen. Daraufhin habe er Afghanistan verlassen. Beim dritten Mal sei auch der Bruder nicht mehr da gewesen.

Vorgehalten, der Beschwerdeführer habe jetzt angegeben, Afghanistan ca. im August 2015 verlassen zu haben, in der Beschwerde jedoch vorgebracht, im September 2015 nach der Eroberung von Kunduz ausgereist zu sein und bei der Erstbefragung im November 2015 wiederum, er hätte Afghanistan ca. 15 Tage davor verlassen, erklärte der Beschwerdeführer, im August ausgereist zu sein. Bei der Erstbefragung sei er sehr müde gewesen.

Auf Nachfrage des Behördenvertreters erklärte der Beschwerdeführer, die Taliban hätten zu dem Zeitpunkt dem Vater gedroht, seinen Bruder mitzunehmen, als sie Kunduz angegriffen hätten. Er glaube, dies sei im August 2015 gewesen. Zwei bis drei Tage nachdem die Taliban das erste Mal seinen Vater bedroht hätten, habe der Beschwerdeführer Afghanistan verlassen. Nachgefragt, wie es sein könne, dass er bei seiner Einvernahme bei der Behörde angegeben habe, dass die Taliban Anfang Oktober 2015 seinem Vater mit der Mitnahme des Bruders gedroht hätten, erwiderte der Beschwerdeführer, als die Taliban in Kunduz gewesen seien, seien sie zwei bis drei Tage später zu Ihnen nach Hause gekommen. Vorher hätten sie telefoniert und gedroht. Die Leute hätten seinem Vater von den Drohungen der Taliban berichtet. Dass er Anfang Oktober 2015 gesagt hätte, erklärte er damit, dass er vielleicht die Frage nicht verstanden und falsch geantwortet habe.

Weiters nachgefragt, warum der betreffende Bruder nun bei der Familie in Kunduz lebe, gab der Beschwerdeführer an, dass sie diesen einmal für 9 bis 10 Tage mitgenommen hätten. Die Dorfältesten seien alle gemeinsam mit dem Vater zu den Taliban gegangen, hätten geholfen und gesagt, dass dieser Bruder nicht bei einer ausländischen Firma gearbeitet hätte. Der Vater habe bestätigt, dass der andere Sohn (der Beschwerdeführer) das Land verlassen habe und der zweite Sohn der einzige sei, der ihm helfe. Daraufhin hätten die Taliban seinen Bruder nach Hause gelassen.

Zur aktuellen Sitauation in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer an, eine weiße Kartezu haben und da gebe es keine Möglichkeit, eine Ausbildung zu machen. Dreimal habe er privat Deutschkurse besucht, diese habe er von einer Familie, die in unterstützt habe und von seiner Exfreundin. Manchmal arbeite er freiwillig beim Roten Kreuz, manchmal bei " XXXX ".

Hierzu wurden folgende Integrationsunterlagen vorgelegt und als Kopie zum Akt genommen:

Schreiben von XXXX , Unterlagen des Roten Kreuzes, Schreiben vom 15.11.2019, Pressemitteilung einer landwirtschaftlichen Fachschule, Schreiben vom 12.11.2019 samt Fotos von der Ex-Freundin des Beschwerdeführers mit der er noch immer im Kontakt steht und die ihm damals den Deutschkurs bezahlt hat, Fotos einer weiteren Familie, die dem Beschwerdeführer ebenfalls einen Deutschkurs bezahlt und bei der er gewohnt hat, bevor er zu seiner Ex-Freundin gezogen ist, drei Deutschkursbestätigungen.

Der Beschwerdeführer habe viele Freunde in Österreich und bei einer Familie gelebt. Manchmal habe er die Kirche und dort einige Feste und andere Programme besucht, um zu schauen und die Kultur kennen zu lernen. Mit einer bekannten Lehrerin sei er manchmal in die Schule gegangen und habe dort andere Lehrerinnen kennengelernt.

Er hätte andere Ideen als die Afghanen, wenn er seine Meinung dort äußere, bekäme er viele Probleme. In seiner Familie verdiene nur sein Vater, mit dem er momentan auch Probleme hätte und zu dem er derzeit nicht in Kontakt stehe. Sein Onkel väterlicherseits lebe in Kanada, der Onkel mütterlicherseits gehöre eigentlich nicht in ihre Familie und könne ihn nicht unterstützen. Zu weiteren Personen hätte er keinen Kontakt.

Im Rahmen der Verhandlung wurde auf das vorab mit der Ladung übermittelte Informationsmaterial hingewiesen, das überarbeitete aktuelle Länderinformationsmaterial übergeben und eine Stellungnahmefrist bis zum 9.12.2019 gewährt.

7. Am 19.11.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme des Bundesamtes ein, der die Kopien der im Akt verbliebenen Dokumente angefügt waren (Tazkira, Ausweis der XXXX , Schreiben der XXXX vom 26.11.2015 und Schreiben von XXXX ).

In der Stellungnahme wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sei, gleichlautende Angaben hinsichtlich der Erstbefragung vom 3.11.2015, der Einvernahme vor dem Bundesamt vom 5.4.2016 und der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 28.4.2016 zu tätigen. Selbst unter der Annahme der Glaubhaftigkeit des angeführten Vorbringens der Rache seitens der Taliban sei festzuhalten, dass weder aus dem Vorbringen noch aus den vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Informationen zur aktuellen Lage in Afghanistan konkrete Anhaltspunkte dahingehend ersichtlich seien, dass die staatlichen Institutionen Afghanistans im Hinblick auf eine mögliche Verfolgung durch einzelne Talibankämpfer im gesamten Staatsgebiet weder schutzfähig noch schutzwillig wären.

8. Seitens des Beschwerdeführers wurde weder weitere Stellungnahmen noch sonstige Unterlagen übermittelt

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:

1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken sowie dem sunnitischen Glauben an und stammt aus dem Distrikt Imam Saheb in der Provinz Kunduz.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, in Afghanistan wegen einer Tätigkeit für ausländische Organisationen von Verfolgung durch die Taliban bedroht zu sein.

Weitere Verfolgungsgründe wurden von dem Beschwerdeführer im gesamten Verfahren nicht substantiiert vorgebracht bzw. liegen keine diesbezüglichen Hinweise vor.

Der Beschwerdeführer ist alleinstehend, volljährig, jung, gesund und arbeitsfähig. Er wuchs in Afghanistan gemeinsam mit Eltern und Geschwistern im familieneigenen Haus auf, beherrscht eine Landessprache (Dari) auf muttersprachlichem Niveau, wurde in Afghanistan sozialisiert und ist in Kenntnis der dortigen Gepflogenheiten. Er besuchte in der Heimat zwölf Jahre die Schule sowie Computer- und Englischkurse, erwarb ein Englischdiplom und ein Officepackage und war in Afghanistan mehrere jahre berufstätig. In Kunduz leben noch seine Eltern und Geschwister sowie ein Onkel mütterlicherseits und je eine Tante väterlicher- und mütterlicherseits. Der Vater des Beschwerdeführers ist Taxifahrer und versorgt die Familie.

Der Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet weder Familie noch Verwandte noch eine aktuelle Partnerschaft. Er war hier niemals erwerbstätig bzw. erwirtschaftete nie ein eigenes Einkommen.

Der Beschwerdeführer konnte eine Bestätigung über seine Mitarbeit im Verein XXXX , eine Teilnahmebestätigung an einer Veranstaltung des Österreichischen Jugendrotkreuzes von 2016, eine Bestätigung bzw. Unterstützungserklärung vom November 2019 über sein Engagement beim Österreichischen Jugendrotkreuz, die Teilnahmebestätigung an einer Veranstaltung bei einer Fachschule, eine Unterstützungserklärung der Eltern seiner Exfreundin, ein Deutschkursteilnahmezertifikat von Innes (Kursstufe B1/1), sowie zwei Teilnahmebestätigungen einer Volkshochschule an Deutschkursen (A1+ und A2+) vorlegen. Er hat österreichische Freunde.

2. Zur Lage im Herkunftsland:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 13.11.2019:

"[...]

4. Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

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Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

Jahr

Tote

Verletzte

Insgesamt

2009

2.412

3.557

5.969

2010

2.794

4.368

7.162

2011

3.133

4.709

7.842

2012

2.769

4.821

7.590

2013

2.969

5.669

8.638

2014

3.701

6.834

10.535

2015

3.565

7.470

11.035

2016

3.527

7.925

11.452

2017

3.440

7.019

10.459

2018

3.804

7.189

10.993

2019*

2.563*

5.676*

8.239*

Insgesamt

32114

59561

91675

* 2019: Erste drei Quartale 2019 (1.1.-30.9.2019)

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wa

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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