TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/13 W192 2215637-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.05.2020
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Entscheidungsdatum

13.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W192 2215637-1/25E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2019, Zahl: 1092234902-151615022, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.08.2019 und am 30.09.2019 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise am 05.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 24.10.2015 gab der Beschwerdeführer an, er stamme ursprünglich aus der Provinz Wardak, gehöre der Volksgruppe der Zaid an, bekenne sich zum moslemischen Glauben schiitischer Ausrichtung und verfüge über eine zehnjährige Grundschulbildung sowie Berufserfahrung als Bauer. Der Beschwerdeführer habe seinen Herkunftsstaat drei Monate zuvor zu Fuß Richtung Iran verlassen und sei von dort aus schlepperunterstützt über die Türkei nach Griechenland und in der Folge gemeinsam mit dem Flüchtlingsstrom nach Österreich gereist. Zum Grund seiner Flucht schilderte der Beschwerdeführer, sein Heimatort Wardak beheimate nur Schiiten; vor einigen Monaten seien die Taliban gekommen und hätten viele Leute getötet, in der Folge habe niemand mehr aus der Ortschaft hinaus dürfen; diejenigen, die es versucht hätten, seien erschossen worden. Sie hätten jemanden gefunden, der sie nachts aus der Ortschaft rausgebracht hätte; es gebe dort keine Sicherheit mehr, ihr Leben sei in Gefahr gewesen.

Am 23.05.2017 erfolgte im Rahmen des zugelassenen Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer gab eingangs an, sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen, aus einer näher bezeichneten Ortschaft in der Provinz Maidan Wardak zu stammen, der Volksgruppe der Seyed anzugehören und seit seinem 16. Lebensjahr ohne religiöses Bekenntnis zu sein. Der Beschwerdeführer leide seit seinem 14. Lebensjahr an Magenproblemen, nehme diesbezüglich das Medikament Pantoprazol ein und nehme jährliche Kontrolltermine wahr. Anlässlich seiner Erstbefragung habe er die Wahrheit angegeben; nachdem er Deutsch erlernt hätte, sei ihm jedoch aufgefallen, dass einige näher erläuterte Punkte ungenau bzw. inkorrekt niedergeschrieben worden wären. So sei der Beschwerdeführer etwa nach der Religion seiner Eltern, nicht jedoch nach seiner eigenen, gefragt worden; tatsächlich sei er Schüler, nicht Bauer, gewesen.

Zu seinem Fluchtgrund, welchen er nun ausführlich darlegen wolle, gab er an, dass er Afghanistan zwischen seinem sechzehnten und siebzehnten Lebensjahr wegen seiner Religion verlassen habe. Auf Vorhalt, dass er die Richtigkeit seiner Angaben anlässlich der Erstbefragung nach Rückübersetzung der Niederschrift bestätigt hätte, erklärte der Beschwerdeführer, er habe Probleme mit dem Dolmetscher gehabt, mit welchem er sich nicht richtig habe verständigen können.

Der Beschwerdeführer habe nie Probleme mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt und habe sich im Herkunftsland nie politisch oder religiös betätigt. Der Beschwerdeführer habe in Afghanistan bis zu seiner im Alter von etwa sechzehn oder siebzehn Jahren erfolgten Ausreise in den Iran immer an der gleichen Adresse gelebt; er habe sich ein Jahr lang im Iran aufgehalten, bevor er wieder nach Afghanistan abgeschoben worden wäre; wenige Tage später sei er neuerlich in den Iran gereist, wo er sich im Anschluss rund zwei Jahre lang aufgehalten und als Installateur und Bauarbeiter gearbeitet hätte. Nach diesen zwei Jahren, ein genaues Datum sei ihm nicht erinnerlich, sei er abermals von den iranischen Behörden nach Afghanistan abgeschoben worden. Er sei dann abermals in den Iran gereist und von dort aus über die Türkei und Griechenland nach Österreich gereist; zwei volljährige Brüder und zwei volljährige Schwestern des Beschwerdeführers würden in Kabul leben; seine Mutter und ein weiterer Bruder befänden sich im Iran, eine weitere Schwester wohne in Maidan Wardak.

Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, Hauptgrund sei der Islam, welchen der Beschwerdeführer nicht mögen würde; mit dem sechzehnten/siebzehnten Lebensjahr müsse man Gebete verrichten und fasten, was der Beschwerdeführer nicht möge. Einer seiner Brüder sei sehr religiös gewesen und habe den Beschwerdeführer unter Druck gesetzt, seinen religiösen Verpflichtungen nachzugehen. Anlässlich einer religiösen Zeremonie in seinem Elternhaus sei der Beschwerdeführer vom Schwiegervater seiner Schwester gefragt worden, weshalb er nicht faste; der Beschwerdeführer habe geantwortet, dass er im Islam keine Logik finde, woraufhin es zu einer Auseinandersetzung gekommen wäre, in deren Verlauf der Beschwerdeführer den Propheten beschimpft hätte. Daraufhin sei er vom Schwiegervater der Schwester und dem zuvor erwähnten Bruder geschlagen worden, einige Gäste seien gegangen. Die Mutter des Beschwerdeführers sei schließlich dazwischen gegangen. Einige Zeit später habe der erwähnte Bruder den Beschwerdeführer mit einem Regenschirm geschlagen und gesagt, dass es besser wäre, wenn es den Beschwerdeführer nicht gebe, da er mit der Ehre der Familie gespielt hätte. Die Schwester des Beschwerdeführers hätte nach einiger Zeit berichtet, dass überall von dieser Geschichte gesprochen werde, der Beschwerdeführer in Gefahr sei und weglaufen solle. Der Beschwerdeführer habe daraufhin Angst bekommen, er habe von seiner Mutter 50.000 AFA erhalten und sei in den Iran geflohen.

Auf Vorhalt der anlässlich der Erstbefragung gänzlich anderen Darstellung des Fluchtgrundes erklärte der Beschwerdeführer, dass es sich hierbei um den Fluchtgrund seiner Mutter und seines Bruders gehandelt hätte, die sich im Iran aufhielten. Der Beschwerdeführer habe sich zum Zeitpunkt der in der Erstbefragung geschilderten Gründe im Iran aufgehalten. Auf Vorhalt, dass es auch angesichts seines persönlichen Bildungsstandes in keiner Weise nachvollzogen werden könne, dass der Beschwerdeführer auf die Frage nach seinen höchstpersönlichen Ausreisegründen etwaige Gründe naher Angehöriger, von denen er selbst nicht betroffen gewesen wäre, schildern würde, erwiderte der Beschwerdeführer, er habe Probleme mit dem Dolmetscher gehabt. Er habe diesen gefragt, wo er mit seiner Erzählung beginnen solle, worauf dieser erwidert hätte, er solle vom letzten Problem berichten, was der Beschwerdeführer getan hätte, wobei er den Dolmetscher immer wieder darauf hingewiesen hätte, dass es sich dabei um seine Mutter und seinen Bruder, nicht jedoch um ihn persönlich, handeln würde. Konkreter Hauptgrund seiner Ausreise aus Afghanistan sei gewesen, dass er den Propheten Mohammad beschimpft hätte. Er habe den Dolmetscher nicht verstanden, dieser lebe seit längerem in Österreich. Auf die Frage, ob er in einer anderen Großstadt leben und arbeiten hätte können, um sich seinen familiären Problemen zu entziehen, antwortete der Beschwerdeführer, er hätte auch dort Angst gehabt, da der Schwiegervater seiner Schwester schon weit und breit erzählt hätte, dass er ein Ungläubiger sei. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan hätte der Beschwerdeführer Angst vor allen, die er kenne; vor allem vor seiner Familie, da er ein Ungläubiger geworden wäre.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich führte der Beschwerdeführer aus, er besuche ein Jugendcollege, lerne Deutsch und lebe von der Bundesbetreuung. Er habe keine Familienangehörigen in Österreich und führe hier keine Lebensgemeinschaft. Der Beschwerdeführer legte ein Zertifikat über eine sehr gut bestandene Deutschprüfung auf dem Niveau A2, eine Bestätigung über die Verrichtung gemeinnütziger Tätigkeiten im Zeitraum Mai 2016 bis Ende August 2016, Referenzschreiben vom 15.05.2017, vom 17.05.2017 und vom 21.05.2017 sowie einen Sozialbericht vom 19.05.2017 vor.

Im Rahmen einer schriftlichen Stellungnahme vom 07.06.2017 wurde zusammengefasst ausgeführt, der Beschwerdeführer halte nichts von Religion und wolle auch keiner angehören. Schon in seinem Heimatland habe er oft seinen Unmut geäußert und habe deshalb Probleme mit seiner Familie und der Gemeinschaft bekommen. In Afghanistan werde die Abwendung vom Islam, auch Apostasie genannt, als gravierende Straftat angesehen und mit der Todesstrafe geahndet, wozu auf verschiedenes auszugsweise angeführtes Berichtsmaterial verwiesen wurde. Zum Beleg seiner Angaben übermittelte der Beschwerdeführer eine Bestätigung über seinen am 31.05.2017 bei einer österreichischen Behörde gemeldeten Austritt aus dem Islam.

Mit Eingabe vom 18.07.2017 übermittelte der Beschwerdeführer ein Zertifikat über eine gut bestandene Deutschprüfung auf dem Niveau B1.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte die Staatsangehörigkeit, sowie die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur Volksgruppe der Sadat, nicht jedoch dessen präzise Identität fest. Einen für die Außenwelt wahrnehmbaren Abfall vom islamischen Glauben habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen können. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Flucht- und Ausreisegründe im Sinne einer Furcht vor Verfolgung im Zusammenhang mit einer von ihm geäußerten negativen Einstellung zum Islam würden als nicht wahr erachtet. Es könne daher nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund eines für die Außenwelt wahrnehmbaren Abfalls vom islamischen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt sein werde.

Diese Schlussfolgerung stützte die Behörde auf die gravierend widersprüchlichen Ausführungen des Beschwerdeführers anlässlich seiner Erstbefragung im Vergleich mit seinen im weiteren Verlauf vor dem Bundesamt getätigten Angaben. Dessen Rechtfertigung im Sinne von Verständigungsschwierigkeiten mit dem der Erstbefragung beigezogenen Dolmetscher ginge ins Leere, zumal dem Beschwerdeführer die damals aufgenommene Niederschrift in seine Muttersprache Dari rückübersetzt worden wäre. Hinsichtlich seines Fluchtgrundes habe er im Zuge der Erstbefragung auf die allgemeine Sicherheitslage in seiner von Taliban bedrohten Heimatprovinz verwiesen. Im krassen Widerspruch dazu, habe er vor dem Bundesamt Probleme aufgrund seiner Abneigung gegenüber dem Islam als Auslöser seiner Flucht genannt. Auf Vorhalt der Abweichungen habe der Beschwerdeführer keineswegs nachvollziehbar angegeben, anlässlich seiner Asylantragstellung den Fluchtgrund seiner Mutter und seines Bruders bekannt gegeben zu haben. Auch dessen Ausführungen zu seinen Aufenthaltsorten während der Jahre vor seiner Ausreise nach Europa hätten sich im Verfahrensverlauf insofern als gravierend widersprüchlich erwiesen, als der Beschwerdeführer im Zuge der Erstbefragung davon gesprochen hätte, Afghanistan vor drei Monaten zu Fuß Richtung Iran verlassen zu haben, wo er sich lediglich zur Durchreise aufgehalten hätte; hingegen habe er vor dem Bundesamt mehrjährige Aufenthalte im Iran und zweimalige Abschiebungen nach Afghanistan im Vorfeld seiner Ausreise nach Europa geschildert. Seine Angabe, Afghanistan wegen Problemen in Zusammenhang mit seiner Abneigung dem Islam gegenüber verlassen zu haben, erscheine auch insofern keinesfalls glaubhaft, als er sich im Anschluss für einen mehrjährigen Zeitraum in den Iran, einen ebenso wie sein Heimatland religiös geprägten Staat, begeben hätte. Hinsichtlich des im Bundesgebiet - einige Tage nach seiner Einvernahme vor der Behörde - erfolgten amtlichen Religionsaustritts sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer diesen Schritt lediglich zur Erlangung eines Vorteils im Asylverfahren, nicht hingegen als finalen Ausdruck seiner inneren Überzeugung gesetzt hätte. Die Einrichtungen seines Heimatstaates würden überdies keine Kenntnis über den im Bundesgebiet erfolgten Religionsaustritt des Beschwerdeführers erlangen.

Selbst im Falle der Glaubwürdigkeit seiner Angaben sei in Anbetracht der Einwohnerzahl der Großstädte wie Mazar-e Sharif und Herat keinesfalls nachvollziehbar, dass die Informationen über seinen Abfall vom Islam aufgrund von Erzählungen des Schwiegervaters seiner Schwester dort bekannt geworden wären. Wie einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zum Thema Konversion und Apostasie zu entnehmen sei, würden offizielle Berichte über staatliche Verfolgung in Zusammenhang mit Abfall vom Islam nicht vorliegen, es werde vielmehr ausgeführt, dass staatliche Behörden keine Maßnahmen setzen würden, sofern keine öffentliche Diskussion eingegangen werde und keine sozialen Unruhen ausgelöst würden. Aus einer Anfragebeantwortung ginge weiters hervor, dass es in Afghanistan durchaus Moslems gebe, die im Ramadan nicht fasten und freitags nicht in die Moschee beten gehen würden; Berichte über eine offizielle Strafverfolgung solcher Verhaltensweisen lägen nicht vor.

Eine Abschiebung nach Afghanistan bedeute für den Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention und begründe für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes. Der Beschwerdeführer sei ein junger, arbeitsfähiger Mann, welcher an keinen lebensbedrohenden oder chronischen Erkrankungen leide. Der Beschwerdeführer verfüge über mehrjährige Schulbildung, sei im Iran als Bauarbeiter und Installateur berufstätig und zur selbständigen Bestreitung seines Lebensunterhalts in der Lage gewesen. Es sei diesem zuzumuten, wie auch seine Verwandten, in Afghanistan zu leben, wo der Beschwerdeführer einen Großteil seines Lebens verbracht hätte. Eine Rückkehr in seine unmittelbare Heimatprovinz Maidan Wardak sei dem Beschwerdeführer derzeit aufgrund der in den Länderberichten ersichtlichen volatilen Sicherheitslage nicht zumutbar. Es stehe diesem jedoch eine zumutbare innerstaatliche Schutzalternative in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung. Die Provinz Balkh sei nach wie vor eine der sichersten Provinzen Afghanistans, wenn es auch fallweise zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften komme. Die schweren sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in Afghanistan würden nicht verkannt, dennoch könne den Länderinformationen entnommen werden, dass Rückkehrer verschiedene Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen könnten. Im Falle des Beschwerdeführers sei zudem davon auszugehen, dass dieser nach einer Rückkehr vorübergehende Unterstützung durch seine in Kabul und in Maidan Wardak wohnhaften Angehörigen in Anspruch nehmen könnte.

Gründe für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz lägen nicht vor. Da der Beschwerdeführer über keine engen sozialen Bindungen im Bundesgebiet verfüge und angesichts der kurzen Dauer seines Aufenthaltes keine schützenswerten privaten Anknüpfungspunkte begründet habe, würden keine Hinderungsgründe gegen eine Rückkehrentscheidung vorliegen.

3. Gegen diesen, dem Beschwerdeführer am 13.02.2019 zugestellten, Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 04.03.2019 fristgerecht Beschwerde ein. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe Afghanistan aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen müssen - er fürchte in Afghanistan Verfolgung aufgrund seines Abfalls vom Islam, seiner islamkritischen Äußerungen und der damit einhergehenden Verletzung der Familienehre. Der afghanische Staat sei nicht in der Lage, den Beschwerdeführer effektiv vor einer solchen Verfolgung zu schützen, zumal ein Abfall vom Islam auch von staatlicher Seite massiv sanktioniert werde und von einer Schutzfähigkeit der afghanischen Behörden generell nicht auszugehen sei. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe einerseits aufgrund des verbreiteten familiären Netzwerks, andererseits aufgrund der Unzumutbarkeit wegen der aktuell prekären Sicherheits- und humanitären Lage in Zusammenschau mit den besonderen Merkmalen des Beschwerdeführers als Apostat und Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, in ganz Afghanistan nicht. Die Behörde habe die Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren verletzt, indem sie den Beschwerdeführer nicht näher zu seiner religiösen Einstellung und den Gründen seiner Abwendung vom Islam befragt hätte; der Beschwerdeführer lehne den islamischen Glauben aus Überzeugung ab und wolle sein Leben frei von religiösen Zwängen führen. Die im angefochtenen Bescheid zitierten Länderberichte erwiesen sich als unvollständig und würden sich nicht ausreichend mit dem konkreten Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers befassen, zumal Berichte zur Verfolgung durch Angehörige bei Verletzung der Familienehre zur Gänze fehlen würden und sich die Länderfeststellungen zur aktuellen Sicherheits- und Versorgungslage, insbesondere auch in den als IFA herangezogenen Großstädten Mazar-e Sharif und Herat, als unvollständig erwiesen. Zu Apostasie werde ergänzend auf eine Anfragebeantwortung durch ACCORD vom 01.06.2017, eine Stellungnahme der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte vom 27.02.2008 und relevante Auszüge aus den aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 sowie einem durch Friederike Stahlmann verfassten Gutachten vom 28.03.2018 verwiesen, welche die Verfolgung von Apostaten und die Unmöglichkeit der öffentlichen Auslebung einer areligiösen Einstellung in Afghanistan belegen würden. Zum Umstand, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Herat vom familiären Netzwerk aufgespürt werden könnte, wurde auf relevante Passagen eines Berichts von EASO aus Dezember 2017 verwiesen. Aus weiters angeführten Berichten ergebe sich, dass sich Afghanistan in einem landesweiten innerstaatlichen Konflikt mit jederzeit in jenem Landesteil möglichen Kampfhandlungen und Handlungen willkürlicher Gewalt befinde. Diese für jede in Afghanistan befindliche Person durch Angriffe und Anschläge regierungsfeindlicher Gruppen wesentlich beeinträchtigte Sicherheitslage wirke sich auf die ohnedies unzureichende Versorgungslage aus, welche durch eine hohe Anzahl an Binnenvertriebenen eine zusätzliche Belastung erfahre. Mehr als 80% der Binnenvertriebenen seien auf Nahrungsmittel- und humanitäre Hilfe angewiesen. Binnenvertriebene und Rückkehrer könnten das notwendige Geld zur Bezahlung der Miete meist nicht erwirtschaften und seien daher der Gefahr der Obdachlosigkeit preisgegeben, zudem bestehe ein stark eingeschränkter Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Wirtschaft. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelte als arbeitslos oder unterbeschäftigt, zudem weise Thomas Ruttig in einem Bericht vom 09.05.2018 auf eine bei 54,5 % liegende Armutsrate in Afghanistan hin. Zur Versorgungslage in Herat und Mazar-e Sharif, insbesondere im Hinblick auf die aktuell herrschende Dürre, wurde auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 12.10.2018 verwiesen. Rückkehrer und Binnenvertriebene könnten es sich meist nicht leisten, sich an jenen Orten mit Zugang zu lebensnotwendigen Gütern wie Wasser niederzulassen und zählten daher zu den von der Dürre am stärksten gefährdeten Personengruppen. Die Kluft zwischen Wohnbedarf und Wohnangebot werde von Jahr zu Jahr größer, die Möglichkeiten, als Tagelöhner Geld zu verdienen, seien äußerst beschränkt. In den aktualisierten UNHCR-Richtlinien aus August 2018 werde darauf verwiesen, dass gerade Zivilisten, die in städtischen Gebieten ihren tagtäglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten nachgingen, Gefahr liefen, Opfer von Gewalt zu werden. Weiters weise UNHCR auf die hohe Anzahl von Binnenvertriebenen hin, die zu zunehmender Konkurrenz um Ressourcen führe sowie auf die Rekorddürre in Herat und Balkh, infolge derer die Landwirtschaft zusammenbreche. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder Herat bestehe daher für den Beschwerdeführer auch vor diesem Hintergrund nicht. Insoweit die Behörde die vermeintliche Unglaubwürdigkeit des vom Beschwerdeführer dargelegten Fluchtgrundes auf Widersprüche zwischen der Erstbefragung und weiteren Einvernahme vor dem Bundesamt stütze, werde auf Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs verwiesen, demzufolge es unzulässig sei, eine Entscheidung vorrangig auf Widersprüche im Fluchtvorbringen zwischen Erstbefragung und Einvernahme zu stützen. Wie die widersprüchliche Darstellung des Fluchtgrundes zustande gekommen sei, habe der Beschwerdeführer bereits aufgeklärt. Auf entsprechende Anweisung des Dolmetschers habe der Beschwerdeführer sich im Zuge der Erstbefragung auf die Schilderung der Ereignisse, die zeitlich mit seiner dritten Flucht aus Afghanistan korreliert hätten, nämlich die Ereignisse, welche seinen Bruder und seine Mutter zum Verlassen des Landes veranlasst hätten, beschränkt. Der Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt der Erstbefragung von der Flucht erschöpft und eingeschüchtert gewesen, aus diesem Grund sei es zu Missverständnissen gekommen, die er jedoch bereits im Zuge seiner Einvernahme aufgeklärt hätte. Sein eigentliches Fluchtvorbringen habe er vor dem Bundesamt sehr detailliert, nachvollziehbar und lebensnah geschildert. Im Iran habe der Beschwerdeführer illegal und anonym gelebt, sein Abfall vom Islam und sein "unreligiöses" Leben sei dort niemandem aufgefallen. Aufgrund des höheren Stellenwerts sozialer Netzwerke in Afghanistan wäre es ihm dort nicht möglich, seine gegenüber dem Islam ablehnende Haltung zu verbergen. Zum Vorwurf seines erst rund eineinhalb Jahre nach Einreise erfolgten Austritts aus der islamischen Glaubensgemeinschaft, sei festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer nicht bewusst gewesen wäre, dass es so etwas wie einen offiziellen Austritt aus einer Glaubensgemeinschaft überhaupt gebe und von dieser Möglichkeit erst erfahren hätte, als er mit den österreichischen Behörden über seinen Abfall vom Islam gesprochen hätte. Da die Verfolgung des Beschwerdeführers von ebendieser ausginge, wäre dem Beschwerdeführer eine Unterstützung durch Angehörige seiner Familie im Falle einer Rückkehr nicht möglich. Dem Beschwerdeführer drohe Verfolgung iSd GFK aufgrund seiner religiösen Einstellung durch seine eigene Familie sowie durch die einfache Bevölkerung, die von traditionell-islamischen Vorstellungen geprägt sei; das BVwG habe in mehreren näher angeführten Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen bereits Asyl gewährt. Hätte die Behörde ihre Ermittlungspflicht in angemessener Weise wahrgenommen, hätte sie dem Beschwerdeführer jedoch zumindest den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Zudem sei die Behörde zu Unrecht zum Schluss gelangt, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei. Der Beschwerdeführer halte sich seit rund dreieinhalb Jahren in Österreich auf und sei bereits sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert. Er habe die Pflichtschule erfolgreich abgeschlossen und verfüge über Deutschkenntnisse auf Niveau B1. Außerdem habe er bereits viele enge Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern aufgebaut und genieße es, hier frei von religiösen Zwängen leben zu können.

Der Beschwerde beiliegend wurden ein Zertifikat über den "energie-führerschein", eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Lernprogramm im Bereich Wirtschaft sowie ein Zeugnis über die im Jänner 2019 bestandene Pflichtschulabschlussprüfung übermittelt.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.03.2019 wurde die Beschwerde gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen und die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt.

In der Entscheidungsbegründung wurde insbesondere festgestellt, dass die vom Beschwerdeführer als fluchtkausal geltend gemachte Bedrohung aufgrund eines Abfalls vom islamischen Glauben nicht glaubhaft sei und der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr keine Verfolgung durch die afghanische Gesellschaft oder die dortigen Behörden aufgrund einer in der Vergangenheit bekannt gewordenen kritischen bzw. ablehnenden Haltung gegenüber dem Islam zu befürchten hätte.

Dieses Ergebnis wurde beweiswürdigend im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 23.05.2017 massiv widersprüchlich gegenüber seinen niederschriftlichen Ausführungen im Rahmen seiner polizeilichen Erstbefragung am 24.10.2015 gestaltet und den später als fluchtkausal geltend gemachten Grund im Sinne einer im Heimatstaat bekannt gewordenen Abwendung vom islamischen Glauben im Zuge der Erstbefragung gänzlich unerwähnt lassen hätte. Der Beschwerdeführer sei im Verfahren von der Behörde ausdrücklich auf den Umstand, dass er bei der Erstbefragung den fluchtauslösenden Grund in gravierend abweichender Form geschildert hatte, hingewiesen worden; hierzu habe der Beschwerdeführer in keiner Weise nachvollziehbar entgegnet, anlässlich der Erstbefragung nicht seinen persönlichen Fluchtgrund, sondern jenen seiner Mutter und seines Bruders geschildert zu haben, welche zuletzt in den Iran ausgereist wären. In Übereinstimmung mit den Erwägungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sei ein derartiger Erklärungsansatz in keiner Weise als glaubhaft anzusehen, zumal es als vollkommen unverständlich erachtet werden müsse, dass ein Antragsteller im Zuge seines ersten Behördenkontaktes im Land, in dem er um Asyl ansuchen möchte, auf die Frage nach seinem Fluchtgrund nicht seine persönlichen Ausreisegründe, sondern jene von nahen Angehörigen, von welchen er selbst in keiner Weise betroffen gewesen wäre, ins Treffen führen würde, hingegen seine persönlichen Fluchtgründe respektive Rückehrbefürchtungen vollkommen unerwähnt lassen sollte. Überdies ließe auch die nähere Formulierung des anlässlich der Erstbefragung zu Protokoll gegebenen Fluchtgrundes keinen Zweifel offen, dass der Beschwerdeführer jene Vorfälle (auch) auf seine eigene Person bezogen hätte, und sich nicht auf Ereignisse bezog, welche seinen Verwandten wiederfahren wären, als er selbst sich bereits im Ausland aufgehalten hätte (vgl. AS 31: "Und wir haben jemanden gefunden, der uns in der Nacht aus der Ortschaft brachte. [...] Unser Leben war in Gefahr."). Es werde demnach angenommen, dass der Beschwerdeführer den Entschluss zum Verlassen seines Heimatstaates - wie von ihm ursprünglich angegeben - aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage in seiner Heimatregion gefasst habe und es sich bei der später vorgebrachten Furcht vor Verfolgung aufgrund eines im Herkunftsstaat bekannt gewordenen Abfalls vom islamischen Glauben lediglich um einen wahrheitswidrigen, nachträglich konstruierten, Sachverhalt handle, mit welchem der (zum Zeitpunkt der erstmaligen Erstattung jenes Vorbringens bereits mehrjährig im Bundesgebiet aufhältig gewesene) Beschwerdeführer den Versuch unternommen hätte, seinem Antrag nachträglich ein potentiell asylrelevantes Vorbringen zugrunde zu legen.

Insoweit der Beschwerdeführer zur Erklärung der gravierend widersprüchlichen Ausführungen zu seinem Fluchtgrund auf Verständigungsschwierigkeiten mit dem der Erstbefragung beigezogenen Dolmetscher verwies, sei festzuhalten, dass der Beschwerdeführer die Richtigkeit der Niederschrift der in seiner Muttersprache Dari abgehaltenen Erstbefragung durch seine Unterschrift infolge deren Rückübersetzung bestätigt und keinerlei Verständigungsschwierigkeiten vorgebracht hätte. Es lägen auch keine Hinweise dafür vor, dass der volljährige und gesunde Beschwerdeführer im Verlauf der Erstbefragung wegen des Vorliegens etwaiger Beeinträchtigungen nicht in der Lage gewesen sein sollte, Angaben über eine erlebte Bedrohungssituation zu tätigen. Im gegenständlichen Verfahren sei die Erstbefragung des damals zwanzigjährigen Beschwerdeführers erst rund zweieinhalb Wochen nach der Einreise und Antragstellung des Beschwerdeführers abgehalten worden, sodass allfällige Schwierigkeiten in der Einvernahmesituation auch nicht auf ein minderjähriges Alter oder eine besondere psychische Belastung unmittelbar nach der Einreise zurückgeführt werden könnten. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides habe die divergierenden Angaben zum Fluchtgrund anlässlich der Erstbefragung daher zu Recht als tragendes Argument gegen die Glaubwürdigkeit des im weiteren Verfahrensverlauf dargelegten Fluchtvorbringens gewertet.

In Übereinstimmung mit dem Bundesamt werde es nicht als glaubhaft erachtet, dass sich der Beschwerdeführer aufgrund einer in seinem Heimatort in der Provinz Maidan Wardak bekannt gewordenen ablehnenden Haltung gegenüber dem Islam zu einer Flucht aus dem Herkunftsstaat veranlasst gesehen hätte; folglich werde angesichts der persönlichen Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers auch ein zum Entscheidungszeitpunkt aus nachhaltiger innerer Überzeugung erfolgter Abfall vom islamischen Glauben als nicht glaubhaft erachtet; soweit der Beschwerdeführer im Verfahren eine Bestätigung über seinen gegenüber einer österreichischen Behörde erklärten Austritt aus der islamischen Religionsgemeinschaft in Vorlage gebracht hätte, habe die Behörde zutreffend darauf verwiesen, dass der Umstand, dass der Beschwerdeführer diesen Schritt erst zu einem Zeitpunkt gesetzt hätte, als er sich bereits rund eineinhalb Jahre im Bundesgebiet befunden habe und wenige Tage zuvor seine Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gehabt hätte, ebenfalls darauf hindeutet, dass der Beschwerdeführer seine Abwendung vom islamischen Glauben lediglich zum Zwecke seines Verfahrens auf internationalen Schutz, nicht jedoch aus tatsächlicher Überzeugung bekundet habe. Das Bundesamt habe in diesem Zusammenhang weiters zutreffend darauf verwiesen, dass die afghanischen Behörden keine Kenntnis von jenem Schritt des Beschwerdeführers erlangen werden, sodass eine Gefährdungslage aufgrund des gegenüber österreichischen Behörden erklärten Religionsaustritts nicht zu prognostizieren sei. Die belangte Behörde habe ferner zutreffend darauf hingewiesen, dass mit dem vorgebrachten Fluchtgrund einer Ablehnung des Islams nicht in Einklang zu bringen sei, dass der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge von Afghanistan zweimal in den Iran ausgereist sei und sich dort insgesamt rund drei Jahre aufgehalten haben will, zumal es sich beim Iran um einen vergleichbar religiös geprägten Staat handle. Letztlich habe der Bescheid unter Berufung auf eine näher zitierte Anfragebeantwortung vom 25.10.2018 darauf verwiesen, dass das bloße Nicht-Praktizieren islamischer Bräuche (Besuch der Moschee, Fasten während des Ramadan, regelmäßiges Beten) nicht notgedrungen negative Auswirkungen für die betreffende Person haben müssen, sofern eine Abwendung vom Islam nicht verkündet werde.

5. Mit Erkenntnis vom 26.06.2019, Zahl E 1592/2019-6, hat der Verfassungsgerichtshof einer gegen das dargestellte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes eingebrachten Beschwerde stattgegeben, ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer durch das Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden sei und das Erkenntnis aufgehoben werde.

Begründend hielt der Verfassungsgerichtshof im Wesentlichen fest, für die Beurteilung, ob es sich beim Glaubensabfall des Beschwerdeführers lediglich um eine Scheinapostasie handle, komme der Frage der inneren (Glaubens-)Überzeugung des Beschwerdeführers maßgebliche Bedeutung zu (vgl VfSlg 19.837/2013; VfGH 13.3.2019, E3767/2018; 26.2.2018, E 3296/2017). Für diese Beurteilung sei insbesondere - wenn auch nicht im gleichen Maß wie bei behaupteter Konversion - der persönliche Eindruck des Beschwerdeführers erheblich. Einen solchen Eindruck vermöge vor dem Hintergrund des hier vorliegenden Falles, in dem ausschließlich auf einen Widerspruch zwischen der Ersteinvernahme vom 24. Oktober 2015 und der späteren Einvernahme vom 23. Mai 2017 abgestellt worden sei, aber nur eine Einvernahme in einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu vermitteln. Im vorliegenden Fall, in dem die Entscheidung über das Vorliegen eines Asylgrundes wesentlich von der Glaubwürdigkeit des Asylwerbers in Bezug auf seine innere Einstellung, nämlich hier seiner religiösen Überzeugung, abhänge, für deren Beurteilung der persönliche Eindruck maßgeblich sei, verlange Art. 47 Abs. 2 GRC, dass sich das erkennende Gericht selbst unmittelbar in einer mündlichen Verhandlung diesen Eindruck verschaffe (vgl. in diesem Zusammenhang EGMR 29.10.1991, Fall Helmers, Appl 11.826/85, Rz 37 zum Gebot der öffentlichen mündlichen Verhandlung im Rechtsmittelverfahren; weiters mwN VfSlg 19.632/2012). Indem das erkennende Gericht im vorliegenden Fall die mündliche Verhandlung unterlassen habe, unterstelle es § 21 Abs. 7 BFA-VG einen mit Art. 47 Abs. 2 GRC nicht zu vereinbarenden Inhalt und verletze damit den Beschwerdeführer in seinem durch diese Bestimmung verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht.

6. Nach erfolgter Anberaumung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung legte der (damalige) gewillkürte Vertreter des Beschwerdeführers zum Nachweis der Apostasie des Beschwerdeführers mit Eingabe vom 14.08.2019 eine Bestätigung eines Präsidiumsmitgliedes der "Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich" vom 12.08.2019 über die seit 01.07.2019 bestehende Mitgliedschaft des Beschwerdeführers, ein als "Gutachten zur religiösen Einstellung" des Beschwerdeführers betiteltes Schreiben eines ao. Universitäts-Professors für Religionswissenschaften sowie zwei schriftliche Stellungnahmen zur Person des Beschwerdeführers von Personen aus dessen privatem Umfeld vor und beantragte zugleich, die Einvernahme des erwähnten Präsidiumsmitgliedes der Atheistischen Religionsgesellschaft sowie der Verfasserin einer der letztgenannten Stellungnahmen als Zeugen.

7. Am 27.08.2019 fand im fortgesetzten Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer, dessen nunmehriger rechtsfreundlicher Vertreter, die beiden namhaft gemachten Zeugen, eine Vertreterin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie Vertrauenspersonen des Beschwerdeführers teilgenommen haben.

Der Beschwerdeführer schilderte zunächst seine bisherigen Integrationsschritte im Bundesgebiet und brachte ein Zeugnis über eine absolvierte Integrationsprüfung auf dem Niveau B2 in Vorlage. Der Beschwerdeführer habe im Bundesgebiet ein Jugendcollege besucht, die Pflichtschulabschlussprüfung absolviert und die deutsche Sprache erlernt. Er habe näher dargestellte Kontakte in der österreichischen Gesellschaft geknüpft. Der Beschwerdeführer nehme an wöchentlichen Treffen einer Vereinigung von Atheisten in Österreich teil.

Anschließend wurde der Beschwerdeführer über sein Verhältnis zur Religion im Vorfeld seiner Ausreise aus Afghanistan und den für ihn fluchtauslösenden Vorfällen befragt. Sodann wurden der Vorsitzende der "Atheistischen Religionsgesellschaft Österreich" sowie eine Bekannte des Beschwerdeführers als Zeugen für dessen religiöse Haltung befragt.

Am 30.09.2019 wurde die mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht fortgesetzt. Es erfolgte eine nähere Befragung des Beschwerdeführers zu dessen innerer Haltung zu Fragen der Religion und des Atheismus sowie seinen aktuellen Befürchtungen für den Fall einer Rückkehr nach Afghanistan.

Ins Verfahren eingeführt wurden ergänzend zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation der Bericht des EASO, Country Guidance Afghanistan aus Juni 2019 unter besonderem Verweis auf die auf den Seiten 68 ff enthaltenen Ausführungen zu Personen, welche dem Vorwurf der Blasphemie und/oder Apostasie ausgesetzt seien, sowie die Anfragebeantwortung von ACCORD vom 01.06.2017 (a-10159), welche u.a. die Situation von vom Islam abgefallenen Personen und Personen, die Kritik am Islam äußern und sich nicht an dessen Regeln hielten, behandelt.

Am 14.10.2019 langte eine schriftliche Stellungnahme des gewillkürten Vertreters des Beschwerdeführers ein, in welcher zusammengefasst ausgeführt wurde, die ins Verfahren eingeführten Länderberichte würden die dem Beschwerdeführer in Afghanistan drohende asylrelevante Verfolgung bestätigen; der Beschwerdeführer habe in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass er sich in Afghanistan sowohl gegen den Islam geäußert (Blasphemie) als auch gezeigt hätte, dass er nicht gläubig sei (Apostasie). Der Beschwerdeführer stehe öffentlich dazu, vom Islam abgefallen zu sein und habe an der Veröffentlichung seiner Kurzbiografie im in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Buch mit einem näher bezeichneten Titel mitgewirkt. Der Beschwerdeführer kritisiere den Islam aus näher angeführten Gründen, habe schon in Afghanistan seine Meinung bezüglich des Islam geäußert und an religiösen Riten nicht teilgenommen. Da den Familien- und Stammesmitgliedern bekannt sei, dass der Beschwerdeführer vom Islam abgefallen sei, könnte er sich im gesamten Staatsgebiet nicht dauerhaft verstecken. Dieser sei gefährdet, Opfer eines Mordes durch eigene Familien-/Stammesmitglieder zu werden, da er durch sein Verhalten und seine Äußerungen die Ehre der Familie und des Stammes verletzt hätte. Aus politischen und religiösen Gründen wäre der afghanische Staat nicht willig, den Beschwerdeführer zu schützen, sondern würde diesen selbst verfolgen. Dem Beschwerdeführer sei es laut Judikatur des EGMR nicht zumutbar, seine politische und religiöse Einstellung in Afghanistan zu verbergen, um nicht verfolgt zu werden. Seine kritische Haltung habe er während seines Aufenthaltes in Österreich verfestigt, wo er in seinem aufgebauten sozialen Umfeld leben, einer Arbeit nachgehen und sich für andere Menschen einsetzen wolle.

Beiliegend übermittelt wurde ein durch eine karitative Organisation ausgestelltes Referenzschreiben, in welchem dem Beschwerdeführer eine Beschäftigung in Aussicht gestellt wird.

Am 11.12.2019 brachte der gewillkürte Vertreter des Beschwerdeführers eine Stellungahme zu dem ihm zuvor im Rahmen des Parteiengehörs übermitteltem aktualisierten Länderberichtsmaterial ein. In dieser wurde zusammengefasst ausgeführt, dass seine Abkehr vom Islam in Afghanistan als Verbrechen betrachtet werde, das mit der Todesstrafe geahndet werde. Apostaten drohe insbesondere auch eine große Gefahr durch ihre Familie, ihren Gemeinschaften oder von regierungsfeindlichen Kräften. Der Beschwerdeführer habe im gesamten Verfahren glaubhaft gemacht, dass er vom Islam abgefallen sei und diese Weltanschauung verinnerlicht hätte. Dieser spreche weiterhin sehr offen über seine Weltanschauung und diskutiere über religiöse und weltanschauliche Einstellungen. Seine Ablehnung vom Islam bringe er stark zum Ausdruck. Er kritisiere den Islam und andere Religionen. Dieser würde aufgrund von Blasphemie und Apostasie in Afghanistan aus politischen und religiösen Gründen verfolgt werden; dieser wäre nicht in der Lage, seine Weltanschauung in Afghanistan dauerhaft zu verbergen.

Mit Schriftsatz vom 06.05.2020 brachte der Beschwerdeführer vor, dass ihm im Herkunftsstaat wegen unzureichender Vorbeugungs- und Behandlungsmöglichkeiten gegen das Coronavirus eine Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Weiters belegte er, dass er mit 28.04.2020 das freie Gewerbe "Botendienst" angemeldet hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Sayyid (auch: Seyed, Sadat) an und stammt ursprünglich aus der Provinz Maidan Wardak, wo er zuletzt gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Geschwistern ein Haus bewohnt hat. Der Beschwerdeführer, welcher Dari auf muttersprachlichem Niveau beherrscht, hat im Herkunftsstaat zehn Jahre lang die Schule besucht und während eines Aufenthalts im Iran, dessen exakter Zeitraum sich nicht zweifelsfrei feststellen lässt, als Bauarbeiter sowie als Installateur gearbeitet und derart seinen Lebensunterhalt eigenständig bestreiten können. Der Beschwerdeführer hat seinen Herkunftsstaat respektive den Iran im Herbst 2015 illegal und schlepperunterstützt verlassen und ist über die Türkei nach Griechenland gelangt, wo er sich dem Migrationsstrom angeschlossen hat, über die sogenannte "Balkanroute" illegal nach Österreich gelangt ist und am 05.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Die Mutter und ein Bruder des Beschwerdeführers halten sich gegenwärtig im Iran auf, zwei weitere Brüder sowie eine Schwester leben in Kabul, eine weitere Schwester ist in der Provinz Maidan Wardak ansässig.

Der Beschwerdeführer entstammt einer schiitisch-muslimischen Familie und wurde als schiitischer Moslem erzogen. Er ist seit Juli 2019 Mitglied der religiösen Bekenntnisgemeinschaft "Atheistischen Religionsgemeinschaft in Österreich (ARG)" und trat am 31.05.2017 aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich aus.

Der Beschwerdeführer hat den Herkunftsstaat verlassen, um in Europa bessere Lebensbedingungen vorzufinden. Die als fluchtkausal geltend gemachte Bedrohung aufgrund eines Abfalls vom islamischen Glauben ist nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer hätte im Falle seiner Rückkehr keine Verfolgung durch die afghanische Gesellschaft oder die dortigen Behörden aufgrund einer in der Vergangenheit bekannt gewordenen kritischen bzw. ablehnenden Haltung gegenüber dem Islam zu befürchten. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vom islamischen Glauben abgefallen ist und er dies im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aktiv nach außen zur Schau tragen wird.

Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Es wird zugrunde gelegt, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz in Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung außerhalb seiner Heimatprovinz, insbesondere in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat besteht für den Beschwerdeführer als alleinstehenden leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine konkrete Gefahr, einen Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit zu erleiden und liefe der Beschwerdeführer auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen, befindet sich nicht in regelmäßiger medizinischer Behandlung und gehört aufgrund seiner Gesundheit und seines jungen Alters nicht zur Risikogruppe eines schweren Verlaufs einer Corona-Infektion.

Der unbescholtene Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung im Oktober 2015 durchgehend auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts in seinem Asylverfahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig und hat seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung bestritten. Er hat sich Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 angeeignet und im Jänner 2019 die Prüfung über den Pflichtschulabschluss absolviert. Er half seit März 2019 in einer karitativen Organisation mit, welche ihm in einem Schreiben aus September 2019 eine (nicht näher definierte) Beschäftigung in Aussicht gestellt hat. Zwischen Mai 2016 und August 2016 war er gemeinnützig in einem Kulturbetrieb tätigt, zudem hat er Freundschaften und Bekanntschaften im Bundesgebiet geknüpft.

Mit 28.04.2020 hat es das freie Gewebe "Botendienst" angemeldet.

Der ledige und kinderlose Beschwerdeführer hat im Bundesgebiet keine Familienangehörigen oder sonstige Personen, zu denen ein enges Naheverhältnis vorliegt.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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