Entscheidungsdatum
13.05.2020Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
W150 2167598-2/4E
Beschluss
In dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.05.2020, Zl. 1120346409-200380299 erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend Herrn XXXX , geb. XXXX .1999, StA. Afghanistan, hat das Bundesverwaltungsgericht durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter beschlossen:
A)
Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 Asylgesetz 2005 rechtmäßig.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: "BF") reiste spätestens am 23.06.2016 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte, nachdem ihm am 23.06.2016 an der Grenzübergangsstelle Piding die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland verweigert worden war, am 25.06.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Bei der Erstbefragung gab er als Fluchtgrund an, dass sein Vater seit zwei Jahren verschollen sei. Man wüsste nicht, wer ihn mitgenommen hätte bzw. wo er sei. Seine Mutter hätte sich große Sorgen gemacht, dass er, als ältester Sohn, das gleiche Schicksal wie sein Vater teilen würde. Deshalb hätte sie all ihre Besitztümer veräußert, um ihm die Reise nach Europa zu ermöglichen.
3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 20.03.2017 gab er als Fluchtgrund an, dass er nichts von den Problemen seiner Familie gewusst hätte. Vor ca. drei Jahren sei sein Vater spurlos verschwunden. Seine Mutter hätte versucht, ihn zu finden, hätte aber nicht genug Geld und Beziehungen gehabt. Sie hätte ihnen gesagt, dass sie auch in Gefahr seien. Daher hätte sie mit ihnen das Haus und das Geschäft ihres Vaters in XXXX verlassen und sei nach XXXX gezogen. Später hätte er erfahren, dass ihnen ihr Haus und das Geschäft seines Vaters in XXXX Stadt weggenommen worden seien. Seine Mutter hätte nur wenige Ersparnisse gehabt, weshalb sie ihr Hab und Gut verkauft hätte. Die Informationen hätte er nur von seiner Mutter. Er sei noch ca. eineinhalb Jahre nach der Entführung seines Vaters in Afghanistan gewesen. Er wisse nicht, wer diese Leute gewesen seien, die seine Familie bedroht hätten.
4. Mit Schreiben vom 03.04.2017 übermittelte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme, in der er sein Fluchtvorbringen im Wesentlichen bekräftigte und nunmehr vorbrachte, dass sein Vater umgebracht worden sei. Zudem wies er auf die aktuelle Sicherheitslage in XXXX und Kabul hin. Ihm stünde keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.
5. Mit Bescheid des BFA vom 20.07.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Es wurde ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen gewährt.
6. Gegen diesen Bescheid brachte der BF fristgerecht Beschwerde ein.
7. Mit Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 11.01.2018 (015 U 121/2017a), rk mit 16.01.2018, wurde der BF wegen Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach den §§ 27 Abs. 1 Z 1 8. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall sowie 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall und Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 1 Monat verurteilt, wobei der Vollzug der Freiheitsstrafe für die Dauer einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen wurde.
8. Am 12.04.2019 führte das BVwG zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines Rechtsvertreters neuerlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Hierbei bestätigte der Beschwerdeführer im Wesentlichen die Richtigkeit seines bisherigen Vorbringens und legte zwei Kursbesuchsbestätigungen vor. Zudem gab er an, dass er eine Freundin hätte, mit der er jedoch nicht zusammenlebe.
9. Mit Schreiben vom 30.04.2019 übermittelte der Beschwerdeführer eine Stellungnahme an das BVwG, in der er im Wesentlichen erneut auf die Sicherheitslage in Afghanistan hinwies und bekräftigte, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht vorliege. Zudem verwies er auf das Stahlmann Gutachten vom 28.03.2018. Für ihn bestehe auch die Gefahr, zwangsrekrutiert zu werden. Zudem drohe dem Beschwerdeführer Gefahr, da er als verwestlichte Person angesehen werden könne. Außerdem sei eine IFA in Herat und Mazar-e Sharif nicht möglich, da dort Dürre herrsche. Diesbezüglich wurde unter anderem auf die Anfragebeantwortung zu Afghanistan: "Folgen von Dürre in den Städten Herat und Mazar-e Sharif: Landflucht als Folge der Dürre; Auswirkungen der Dürre, (...)" verwiesen. Bei einer Rückkehr würde er in eine ausweglose Situation geraten. Abschließend führte er aus, dass er bereits große Anstrengungen zu seiner Integration unternommen hätte, weshalb die Rückkehrentscheidung jedenfalls auf Dauer für unzulässig zu erklären sei.
10. Mit Schreiben vom 29.07.2019 übermittelte das BFA dem BVwG einen Haftmeldezettel, wonach sich der Beschwerdeführer seit 26.07.2019 wegen des Verdachts des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a (1) 5. Fall SMG in Untersuchungshaft befände. Er wurde aufgrund seiner Haft von der Grundversorgung abgemeldet.
11. Mit Erkenntnis vom 06.09.2019 (W162 2167598-1/34E) wies das BVwG die Beschwerde des BF gegen den oben unter Punkt 5 genannten Bescheid als unbegründet ab.
12. Mit Urteil des Landesgerichtes Graz vom 17.01.2020 (005 HV 90/2019f), rechtskräftig mit 21.01.2020 wurde der BF gemäß § 27 (1) Z 1 2. Fall SMG, §§ 27 (1) Z 1 2. Fall, 27 (2) SMG, § 28a (1) 5. Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt.
13. Am 10.03.2020 stellte der BF aus der Strafhaft einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er als Fluchtgrund an, er könne nicht nach Afghanistan zurück. Bei seinem ersten Asylantrag habe er nicht erwähnt, dass er homosexuell sei. Seit er hier in Österreich sei, könne er sich frei dafür entscheiden und das sei auch der Grund, wieso er nicht zurück nach Afghanistan könne. Bei einer Rückkehr würde er umgebracht, weil er homosexuell sei. Er könne in Afghanistan nicht frei leben. Die Änderung seines Fluchtgrundes sei ihm immer schon bekannt gewesen, er habe sich nicht getraut, das beim ersten Asylantrag zu sagen.
14. Mit Bescheid des BFA vom 10.02.2020 wurde über den BF die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG verhängt, wobei diese Rechtsfolgen erst nach Entlassung aus der Strafhaft auftreten. Dieser Bescheid wurde vom BF nicht in Beschwerde gezogen.
15. Am 30.04.2020 wurde der BF vor dem BFA zu seinem Folgeantrag einvernommen. Dabei gab er - soweit verfahrensrelevant - folgendes an:
"F: Sind Sie in diesem Verfahren vertreten?
A: Nein
F: Sie wurden zu diesem Antrag auf int. Schutz bereits am 10.03.2020 durch die PI GRAZ erstbefragt. Entsprechen die dabei von Ihnen gemachten Angaben der Wahrheit bzw. möchten Sie dazu noch Korrekturen oder Ergänzungen anführen?
A: Ich habe die Wahrheit gesagt und nichts zu ergänzen. Ich will mich entschuldigen, weil ich gegen das Gesetz verstoßen habe und Marihuana verkauft habe. Das war mein größter Fehler.
.....
F: Sie stellten bereits unter der Zahl: 160886106 in Österreich einen Antrag auf int. Schutz. Dieses Verfahren wurde auch bereits schon rechtskräftig abgeschlossen. Zu diesem Verfahren wurden Sie auch niederschriftlich einvernommen. Können Sie sich noch an diese Einvernahmen erinnern?
A: Ja
F: Stimmen Ihre damaligen Angaben und gelten diese auch für gegenständlichen Antrag auf int. Schutz?
A: Ja, diese Gründe stimmen und auch die Gründe meiner letzten Einvernahme.
F: Möchten Sie noch Korrekturen oder Ergänzungen anführen?
A: Nein, ich möchte nur um eine zweite Chance bitten.
F: Gibt es noch weitere oder andere Gründe, welche Sie in diesem Verfahren geltend machen möchten?
A: Ich kann nicht zurück nach Afghanistan, ich habe Probleme. Sie wissen dies bereits. Ich kann meine Gefühle nicht verstecken.
F: Verstehe ich das richtig? Sie berufen Sich als Antragsgründe nach wie vor auf die Gründe aus Ihrem ersten Asylverfahren sowie auf die von Ihnen im Zuge Ihrer Einvernahme vom 10.03.2020 vorgebrachten Homosexualität.
A: Von den Gründen die ich im ersten Verfahren genannt habe, weiß ich nicht mehr ob diese aktuell sind, aber die Homosexualität ist mein aktueller Grund.
F: Gibt es noch andere Gründe?
A: Nein
F: Seit wann wissen Sie von Ihrer Homosexualität?
A: Seit 1,5 Jahren
F: Können Sie dies konkretisieren?
A: Das war im Dezember 2017.
F: Wie bemerkten Sie dies?
A: Ende 2016 reiste ich ein. Ich war dann bis Ende 2017 in verschiedenen Quartieren. ICH fand dort Freunde und merkte, dass ich homosexuell bin.
F: Wann hatten Sie das erste Mal Gefühle gegenüber einem Mann?
A: Das war 2017
F. Bitte geben Sie dies so genau als möglich an.
A: Ich kann das nicht genau nennen. Es ist schon lange her.
F: Waren Sie inzwischen verliebt in einen Mann?
A: Ja
F: In wen?
A: Ein Junge der hieß XXXX .
F. Wo lernten Sie XXXX kennen?
A. in der Disko.
F: Waren Sie mit XXXX dann auch in einer Beziehung?
A: Ja, wir waren etwa 10 bis 11 Monate zusammen.
F: Wie heißt XXXX mit vollen Namen, wann hat er Geburtstag und wo wohnt er?
A: Er heißt XXXX ist am XXXX geboren und wohnt in XXXX . Die genaue Adresse kenne ich nicht, aber es ist ein bis zwei Haltestellen vom Westbahnhof entfernt.
F: Wann haben Sie XXXX kennengelernt?
A: Das war im letzten Monat 2017 genauer kann ich es nicht angeben.
F: in welcher Disko war das?
A: Das war in Leibnitz im XXXX
F: Wann hatten Sie den ersten Geschlechtsverkehr miteinander?
A: Ich kann mich nicht an die Zeit erinnern. Ich habe mir das Datum nicht aufgeschrieben.
F: wann genau wurden Sie mit XXXX ein Paar/ Hatten Sie einen Jahrestag?
A: Wir haben in der Disco Nummern ausgetauscht und 2 Monate telefonisch Kontakt gehabt und er kam dann nach Graz um mich zu besuchen. Wir haben aber keinen Jahrestag gehabt.
F: Haben Sie noch anderweitig Kontakt in der "Szene" gehabt? Etwa durch Lokal besuche oder Teilnahme an LGBT Veranstaltungen?
A: Nein, ich wollte, dass unsere Beziehung nur zwischen uns bleibt.
F: Hatten Sie seither sexuellen Kontakt mit anderen Männern?
A: Ja, aber nur One night stands. Ich kann auch nichts Genaueres über die Personen sagen.
F: Wieso haben Sie nicht bereits zuvor einen neuen Asylantrag gestellt?
A: Erstens war ich mir nicht bewusst, dass ich das Angeben musste, auch wollte ich nicht, dass meine Familie dies erfährt.
F: Haben Sie zurzeit einen Partner?
A: Ja, ich habe jemanden. Wir wollen auch heiraten.
ANM: AW legt eine handschriftliche Bestätigung vor laut derer Herr XXXX geboren am XXXX bestätigt, mit ihm eine Partnerschaft einzugehen und für alle kosten aufkommen würde, sofern Sie sich in Deutschland aufhalten würden. (Beilage 1)
ANM: Der AW wurde nach Übergabe der handschriftlichen Notiz aufgefordert den Amen sowie das Geburtsdatum seines Partners aufzuschreiben. Er schrieb den Namen mit " XXXX nieder. Das Geburtsdatum konnte er nicht wiedergeben.
F: Wann haben Sie Ihren jetzigen Partner kennengelernt?
A: das war vor ca. 5 Monaten.
F: Seit wann sind Sie ein paar?
A: Das war 2 Wochen nachdem wir uns kennengelernt hatten.
F: Hatten Sie sexuellen Kontakt.
A: Ja
F: Haben Sie regelmäßig sexuellen Kontakt?
A: Ja, immer, wenn wir das wollten.
F: Wieso gaben Sie vorhin an nur one nights stand seit XXXX gehabt zu haben, jetzt wiederum einen Partner zu haben, mit welchem Sie regelmäßig sexuellen Kontakt haben?
A: das muss ein Missverständnis gewesen sein. Ich dachte sei fragen die Vergangenheit und nicht aktuell.
F: Wie sieht der aktuelle Kontakt zu Ihrem Partner aus?
A: Wir haben seit 2 Wochen keinen Kontakt, weil ich im Abschiebezentrum bin.
F: Wie lange muss Ihr Partner noch Zeit in der JA verbüßen?
A: Wir waren im gleichen Abteil und der muss mindestens noch bis August seine Haftstrafe (zu 2/3) verbüßen.
F: Wieso haben Sei sich nie an einen Menschenrechtsverein oder etwa an einen LGBT Verein gewandt, um sich beistand zu holen?
A: Ich kenne diese nicht. Mir war dies nicht bewusst.
F: Wieso haben Sie sich nicht informiert?
A: Mir war es nicht bewusst. Ich kenne dies Organisationen nicht.
F: Sie gaben im Zuge Ihrer Erstbefragung an, dass Ihnen Ihre Homosexualität immer schon bekannt war, Sie sich aber nicht getraut haben, diese kundzutun, nun geben Sie Widersprüchlich an, dass Sie erst im Dezember 2017 Ihre Homosexualität bemerkt hätten. Was wollen Sie dahingehend angeben?
A: Stimmt ich habe diese Gefühle immer schon gehabt, aber diese Gefühle waren nicht 100%. Deiss wurden Sie erst, als ich mit einem Mann in einer Beziehung war.
F: Was würde mit Ihnen passieren, wenn Sie jetzt in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?
A: Afghanistan ist ein traditionelles Land. Es ist ein islamisches Land. Es gibt dort keinen Platz für homosexuelle Dort. Man wird dort nicht akzeptiert, als homosexueller.
F: Haben Sie seit der erstmaligen Antragstellung das österr. Bundesgebiet wieder verlassen?
A: Nein
F: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, gegenständlichen Antrag zu stellen, vollständig geschildert?
A: Ja
F: Hat sich seit der letzten Entscheidung zu Ihrem Vorverfahren etwas an Ihrem hier von Ihnen geführten Privatleben verändert?
A: Nein
F: Sie wissen seit Dezember 2017 von ihrer Homosexualität, Sitzen seit Juli 2019 in der JA, warum stellen Sie erst im März 2020 einen neuerlichen Asylantrag?
A: Das war mir nicht bewusst. Ich wusste nicht, dass ich noch einen Antrag stellen kann.
..."
16. Am 04.05.2020 stellte der BF, unterstützt durch den Verein Menschenrechte Österreich, der ihm zur Rückkehrberatung zur Seite gestellt worden war, einen schriftlichen Antrag auf freiwillige Rückkehrhilfe und erklärte, dass er beabsichtige, freiwillig nach Afghanistan zurückzukehren. Er wolle mit der erwarteten finanziellen Unterstützung in Afghanistan einen Handy-Laden eröffnen. Eine vorübergehende Unterkunft dort benötige er nicht, auch keine Unterstützung bei der Weiterreise dort. Er habe keine Bedenken bezüglich seiner Rückkehr und erwarte keine Herausforderungen bezüglich seiner Reintegration.
17. Am 07.05.2020 wurde der BF nochmals vor dem BFA zu seinem Folgeantrag einvernommen. Dabei gab er - soweit verfahrensrelevant - folgendes an:
"LA: Haben Sie in Ihrer letzten EV am 30.04.2020 die Wahrheit gesagt?
VP: Ja ich habe die Wahrheit gesagt.
F: Hat sich seit dem30.04.2020 etwas an Ihrem Gesundheitszustand verändert?
A: Nein
F: Hat sich seit dem 30.04.2020 etwas an Ihrem Antragsgrund verändert?
A: Nein.
F: Hat sich seit dem 30.04.2020 etwas an Ihrem Privat- und Familienleben verändert?
A: Nein, aber ich würde gerne meinen Partner heiraten.
V: Ihnen wird nun mitgeteilt, dass beabsichtigt ist Ihren Antrag auf int. Schutz wegen entschiedener Sache gem. § 68 AVG zurückzuweisen ein Einreiseverbot gegen Sie zu erlassen und im gegenständlichen Fall den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid aufzuheben.
F: Möchten Sie dazu Stellung nehmen?
A: Sie lassen mir nicht mal die Wahl mich frei zu bewegen und von hier wegzugehen, aber sie schicken mich direkt in den Tod.
Frage an die RB:
Die Rechtsberatung hat keine Fragen.
LA: Ich beende jetzt die Einvernahme. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint oder wollen Sie noch etwas hinzufügen?
VP: Ich habe mich entschieden, ich reise freiwillig aus. Ich habe die Geduld und die Kraft nicht mehr um das auszuhalten."
18. Im Anschluss an diese Einvernahme erließ das BFA gegenüber dem BF durch mündliche Verkündung folgenden Bescheid gemäß § 12 a Abs. 2 AsylG BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, iVm § 22 Absatz 10 AsylG und § 62 Absatz 2 AVG:
"Der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, wird gemäß § 12a Absatz 2 AsylG aufgehoben."
Das BFA begründete diesen Bescheid wie folgt:
"Verfahrensgang
Sie haben am 25.06.2016 einen - ersten - Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wobei Sie angaben, den Namen XXXX zu führen, Staatsangehöriger von Afghanistan und am XXXX 1999 geboren zu sein.
Dieser Antrag, den Sie danach befragt begründeten, dass Ihr Vater vor ca. 3 Jahren spurlos verschwunden sei. Ihre Mutter, so gaben Sie vor dem BFA an, hätte dann versucht den Verbleib Ihres Vaters zu eruieren, mangels ausreichender finanzieller Möglichkeiten oder Beziehungen sei Ihr dies nicht gelungen.
Dann Sei Ihre Mutter mit Ihnen und einigen Ihren Geschwister laut Ihrer Aussage in ein Mietshaus in XXXX gezogen und von dort aus hätten Sie Afghanistan in Richtung Europa alleine verlassen, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Steiermark, vom 20.07.2019, IFA-Zl. 1120346409 - 160886106, gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF abgewiesen, da diesem Vorbringen kein Glauben geschenkt wurde. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF wurde Ihr Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG wurde Ihnen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG 2005 idgF wurde gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Ziffer 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass Ihre Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG betrug die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
Sie haben fristgerecht gegen diesen Bescheid Beschwerde erhoben. Mit Erkenntnis vom 06.09.2019, GZ: W162 2167598-1/34E, wurde Ihre Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bescheid erwuchs am 16.09.2019 in II. Instanz in Rechtskraft.
Am 10.03.2020 stellten Sie einen zweiten - gegenständlichen - Antrag auf internationalen Schutz.
Anlässlich der niederschriftlichen Befragung am 10.03.2020 vor der PI Graz, gaben Sie zusammenfassend an, einen neuerlichen Asylantrag zu stellen, da Sie Homosexuell seien, weshalb Sie auch nicht nach Afghanistan zurückkönnten. Der Fluchtgrund wäre Ihnen immer schon bewusst gewesen. Sie hätten Sich aber nicht getraut diesen beim ersten Asylantrag zu sagen.
Am 13.03.2020 wurde Ihnen die Ladung für die Einvernahme am 18.03.2020 zu eigenen Handen ausgefolgt.
Mit 17.03.2020 wurde die Einvernahme am 18.03.2020 storniert.
Am 27.04.2020 wurde Ihnen die Ladung für die Einvernahme am 30.04.2020 zu eigenen Handen ausgefolgt.
Am 30.04.2020 wurden Sie beim BFA, Erstaufnahmestelle West, einvernommen. Die wesentlichen Passagen dieser Einvernahme gestalten sich dabei wie folgt:
. . .
F: Welche ist Ihre Muttersprache und welche Sprachen sprechen Sie sonst noch?
A: Meine Muttersprache ist Paschtu, ich spreche aber auch gut Dari und Deutsch. Ich bin damit einverstanden, dass die Einvernahme in der Sprache Paschtu, welche ich ausreichend beherrsche, durchgeführt wird.
F: Verstehen Sie den anwesenden Dolmetscher?
A: ja
F: Liegen Befangenheitsgründe oder sonstigen Einwände gegen die anwesenden Personen oder der Art und Weise der Einvernahme vor?
A: Nein
F: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?
A: Ja
F: Leiden Sie an irgendwelchen Krankheiten oder benötigen Sie Medikamente?
A: Nein
Sie werden aufgefordert, sämtliche in Ihrem Besitz befindlichen und auch während der Dauer dieses Verfahrens zukünftig in Ihrem Besitz befindlichen medizinischen Unterlagen umgehend und unaufgefordert dieser Behörde zu übermitteln.
F: Haben Sie dies verstanden?
A: Ja
F: Sind Sie damit einverstanden, dass ho. Behörde Einsicht in bereits vorliegende und künftig erhobene ärztliche Befunde nehmen kann, sowie dass die Sie behandelnden Ärzte, als auch behördlich bestellte ärztliche Gutachter wechselseitig Informationen zu den Ihre Person betreffenden erhobenen ärztlichen Befunde austauschen können? Sind Sie weiters mit der Weitergabe Ihrer medizinischen Daten an die Sicherheitsbehörde und die für die Grundversorgung zuständigen Stellen einverstanden? Sie werden darauf hingewiesen, dass ein Widerruf Ihrer Zustimmung jederzeit möglich ist.
A: Ja
F: Es wurde Ihnen das Info- und Belehrungsblatt zum Ermittlungsverfahren (Wahrheits- und Mitwirkungspflicht, vertrauliche Behandlung, Konsequenzen von Falschaussagen, Rechtsberater, Ablauf der Niederschrift, Meldepflichten, etc.) in einer verständlichen Sprache bereits im Zuge der Erstbefragung zur Kenntnis gebracht und mit Ihnen gemeinsam erläutert. Haben Sie den Inhalt verstanden und sind Ihnen die damit verbundenen Rechte und Pflichten bewusst?
A: Ja
F: Sind Sie in diesem Verfahren vertreten?
A: Nein
F: Sie wurden zu diesem Antrag auf int. Schutz bereits am 10.03.2020 durch die PI GRAZ erstbefragt. Entsprechen die dabei von Ihnen gemachten Angaben der Wahrheit bzw. möchten Sie dazu noch Korrekturen oder Ergänzungen anführen?
A: Ich habe die Wahrheit gesagt und nichts zu ergänzen. Ich will mich entschuldigen, weil ich gegen das Gesetz verstoßen habe und Marihuana verkauft habe. Das war mein größter Fehler.
F: Haben Sie in Österreich, im Bereich der Europäischen Union, in Norwegen, Island, Liechtenstein oder der Schweiz, Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht?
A: Ja, mein Onkel und mein Bruder leben in London.
F. Sind Sie von diesen Personen abhängig?
A: Ja, sofern ich Unterstützung benötige, habe ich dies auch erhalten. Als ich aber Drogenabhängig wurde, habe ich um keine Unterstützung mehr geben. Jetzt habe ich nichts mehr mit den Drogen zu tun.
F: Wann wurden Sie da letzte Mal unterstützt?
A: Das war vor meiner Festnahme. Wann genau das war kann ich nicht angeben. Sie haben mir immer wieder mal Geld in der Höhe von 100 bis 150 Euro per Western Union überwiesen.
F: Gibt es noch andere Personen hier in Österreich, von denen Sie abhängig wären oder zu denen ein besonders enges Verhältnis besteht?
A: Nein.
F: Haben Sie Dokumente, die Ihre Identität bestätigen?
A: Ich hatte Dokumente, habe diese aber auf der Flucht zwischen der Türkei und Griechenland verloren.
F: Sie stellten bereits unter der Zahl: 160886106 in Österreich einen Antrag auf int. Schutz. Dieses Verfahren wurde auch bereits schon rechtskräftig abgeschlossen. Zu diesem Verfahren wurden Sie auch niederschriftlich einvernommen. Können Sie sich noch an diese Einvernahmen erinnern?
A: Ja
F: Stimmen Ihre damaligen Angaben und gelten diese auch für gegenständlichen Antrag auf int. Schutz?
A: Ja, diese Gründe stimmen und auch die Gründe meiner letzten Einvernahme.
F: Möchten Sie noch Korrekturen oder Ergänzungen anführen?
A: Nein, ich möchte nur um eine zweite Chance bitten.
F: Gibt es noch weitere oder andere Gründe, welche Sie in diesem Verfahren geltend machen möchten?
A: Ich kann nicht zurück nach Afghanistan, ich habe Probleme. Sie wissen dies bereits. Ich kann meine Gefühle nicht verstecken.
F: Verstehe ich das richtig? Sie berufen Sich als Antragsgründe nach wie vor auf die Gründe aus Ihrem ersten Asylverfahren sowie auf die von Ihnen im Zuge Ihrer Einvernahme vom 10.03.2020 vorgebrachten Homosexualität.
A: Von den Gründen die ich im ersten Verfahren genannt habe, weiß ich nicht mehr ob diese aktuell sind, aber die Homosexualität ist mein aktueller Grund.
F: Gibt es noch andere Gründe?
A: Nein
F: Seit wann wissen Sie von Ihrer Homosexualität?
A: Seit 1,5 Jahren
F: Können Sie dies konkretisieren?
A: Das war im Dezember 2017.
F: Wie bemerkten Sie dies?
A: Ende 2016 reiste ich ein. Ich war dann bis Ende 2017 in verschiedenen Quartieren. ICH fand dort Freunde und merkte, dass ich homosexuell bin.
F: Wann hatten Sie das erste Mal Gefühle gegenüber einem Mann?
A: Das war 2017
F. Bitte geben Sie dies so genau als möglich an.
A: Ich kann das nicht genau nennen. Es ist schon lange her.
F: Waren Sie inzwischen verliebt in einen Mann?
A: Ja
F: In wen?
A: Ein Junge der hieß XXXX .
F. Wo lernten Sie XXXX kennen?
A. in der Disko.
F: Waren Sie mit XXXX dann auch in einer Beziehung?
A: Ja, wir waren etwa 10 bis 11 Monate zusammen.
F: Wie heißt XXXX mit vollen Namen, wann hat er Geburtstag und wo wohnt er?
A: Er heißt XXXX ist am XXXX geboren und wohnt in XXXX . Die genaue Adresse kenne ich nicht, aber es ist ein bis zwei Haltestellen vom Westbahnhof entfernt.
F: Wann haben Sie XXXX kennengelernt?
A: Das war im letzten Monat 2017 genauer kann ich es nicht angeben.
F: in welcher Disko war das?
A: Das war in Leibnitz im XXXX
F: Wann hatten Sie den ersten Geschlechtsverkehr miteinander?
A: Ich kann mich nicht an die Zeit erinnern. Ich habe mir das Datum nicht aufgeschrieben.
F: wann genau wurden Sie mit XXXX ein Paar/ Hatten Sie einen Jahrestag?
A: Wir haben in der Disco Nummern ausgetauscht und 2 Monate telefonisch Kontakt gehabt und er kam dann nach Graz um mich zu besuchen. Wir haben aber keinen Jahrestag gehabt.
F: Haben Sie noch anderweitig Kontakt in der "Szene" gehabt? Etwa durch Lokal besuche oder Teilnahme an LGBT Veranstaltungen?
A: Nein, ich wollte, dass unsere Beziehung nur zwischen uns bleibt.
F: Hatten Sie seither sexuellen Kontakt mit anderen Männern?
A: Ja, aber nur One night stands. Ich kann auch nichts Genaueres über die Personen sagen.
F: Wieso haben Sie nicht bereits zuvor einen neuen Asylantrag gestellt?
A: Erstens war ich mir nicht bewusst, dass ich das Angeben musste, auch wollte ich nicht, dass meine Familie dies erfährt.
F: Haben Sie zurzeit einen Partner?
A: Ja, ich habe jemanden. Wir wollen auch heiraten.
ANM: AW legt eine handschriftliche Bestätigung vor laut derer XXXX geboren am XXXX 1958 bestätigt, mit ihm eine Partnerschaft einzugehen und für alle kosten aufkommen würde, sofern Sie sich in Deutschland aufhalten würden. (Beilage 1)
ANM: Der AW wurde nach Übergabe der handschriftlichen Notiz aufgefordert den Amen sowie das Geburtsdatum seines Partners aufzuschreiben. Er schrieb den Namen mit " XXXX nieder. Das Geburtsdatum konnte er nicht wiedergeben.
F: Wann haben Sie Ihren jetzigen Partner kennengelernt?
A: das war vor ca. 5 Monaten.
F: Seit wann sind Sie ein paar?
A: Das war 2 Wochen nachdem wir uns kennengelernt hatten.
F: Hatten Sie sexuellen Kontakt.
A: Ja
F: Haben Sie regelmäßig sexuellen Kontakt?
A: Ja, immer, wenn wir das wollten.
F: Wieso gaben Sie vorhin an nur one nights stand seit XXXX gehabt zu haben, jetzt wiederum einen Partner zu haben, mit welchem Sie regelmäßig sexuellen Kontakt haben?
A: das muss ein Missverständnis gewesen sein. Ich dachte sei fragen die Vergangenheit und nicht aktuell.
F: Wie sieht der aktuelle Kontakt zu Ihrem Partner aus?
A: Wir haben seit 2 Wochen keinen Kontakt, weil ich im Abschiebezentrum bin.
F: Wie lange muss Ihr Partner noch Zeit in der JA verbüßen?
A: Wir waren im gleichen Abteil und der muss mindestens noch bis August seine Haftstrafe (zu 2/3) verbüßen.
F: Wieso haben Sei sich nie an einen Menschenrechtsverein oder etwa an einen LGBT Verein gewandt, um sich beistand zu holen?
A: Ich kenne diese nicht. Mir war dies nicht bewusst.
F: Wieso haben Sie sich nicht informiert?
A: Mir war es nicht bewusst. Ich kenne dies Organisationen nicht.
F: Sie gaben im Zuge Ihrer Erstbefragung an, dass Ihnen Ihre Homosexualität immer schon bekannt war, Sie sich aber nicht getraut haben, diese kundzutun, nun geben Sie Widersprüchlich an, dass Sie erst im Dezember 2017 Ihre Homosexualität bemerkt hätten. Was wollen Sie dahingehend angeben?
A: Stimmt ich habe diese Gefühle immer schon gehabt, aber diese Gefühle waren nicht 100%. Deiss wurden Sie erst, als ich mit einem Mann in einer Beziehung war.
F: Was würde mit Ihnen passieren, wenn Sie jetzt in Ihren Herkunftsstaat zurückkehren müssten?
A: Afghanistan ist ein traditionelles Land. Es ist ein islamisches Land. Es gibt dort keinen Platz für homosexuelle Dort. Man wird dort nicht akzeptiert, als homosexueller.
F: Haben Sie seit der erstmaligen Antragstellung das österr. Bundesgebiet wieder verlassen?
A: Nein
F: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, gegenständlichen Antrag zu stellen, vollständig geschildert?
A: Ja
F: Hat sich seit der letzten Entscheidung zu Ihrem Vorverfahren etwas an Ihrem hier von Ihnen geführten Privatleben verändert?
A: Nein
F: Sie wissen seit Dezember 2017 von ihrer Homosexualität, Sitzen seit Juli 2019 in der JA, warum stellen Sie erst im März 2020 einen neuerlichen Asylantrag?
A: Das war mir nicht bewusst. Ich wusste nicht, dass ich noch einen Antrag stellen kann.
V: Ihnen wird nun mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, Ihren Antrag auf int. Schutz wegen entschiedener Sache gem. § 68 AVG zurückzuweisen und eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 FPG iVm einem Einreiseverbot gem. § 53 FPG zu erlassen. Ebenso ist beabsichtigt, im gegenständlichen Fall den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid aufzuheben.
F: Möchten Sie dazu Stellung nehmen?
A: Ich habe alle meine Probleme genannt.
F: Sie werden über die Möglichkeit informiert, dass Sie Einsicht in die Quellen der Berichte zum Staat Afghanistan nehmen können, aus welchen sich das Amtswissen des BFA zur dortigen Lage ableitet.
Möchten Sie Einsicht nehmen?
A: Nein
Anmerkung: Die VAO gem. § 29 Abs. 3 Z. 4 und 6 AsylG und § 52a BFA-VG wird vom Dolmetsch übersetzt und dem Antragsteller ausgefolgt.
Anm.: Ihnen wird nun zur Kenntnis gebracht, dass Sie nach einer Frist von mindestens 24 Stunden im Zuge einer niederschriftlichen Befragung im Beisein eines Rechtsberaters die Möglichkeit haben, zu diesem Sachverhalt Stellung zu beziehen. Von diesem Termin werden Sie schriftlich in Kenntnis gesetzt.
F: Wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt, Ihre Angaben vollständig und so ausführlich wie Sie es wollten zu machen?
A: Ja
F: Wollen Sie noch etwas angeben, was Ihnen besonders wichtig erscheint?
A: Wenn mein Leben für sie nicht wichtig ist, bedanke ich mich für die drei Jahre Schutz hier. Wenn mein Leben nicht wichtig ist für Sie bin ich bereit freiwillig zurückzukehren.
F: Wollen Sie freiwillig ausreisen?
A: Ja, ich will freiwillig zurückkehren. Ich will nicht mehr im Gefängnis bleiben oder in Schubhaft.
ABNM: AW wird darauf hingewiesen, dass er sich betreffend eine freiwillige Rückkehr an die Rechtsberatung wenden soll.
Anmerkung: Die gesamte Niederschrift wird wortwörtlich rückübersetzt. Nach erfolgter Rückübersetzung:
F: Haben Sie den Dolmetscher während der gesamten Befragung einwandfrei verstanden?
A: Ja
F: Hat Ihnen der Dolmetscher alles rückübersetzt?
A: Ja
F: Haben Sie nun nach Rückübersetzung Einwendungen gegen die Niederschrift selbst, wurde alles richtig und vollständig protokolliert?
A: Keine Einwände
F: Wünschen Sie die Ausfolgung einer schriftlichen Ausfertigung?
A: Ja (Anm.: dem ASt. wird eine schriftliche Ausfertigung dieser Niederschrift ausgefolgt)
Anmerkung: Die Verfahrenspartei wird über den weiteren Verlauf des Verfahrens aufgeklärt.
fortgesetzt wird.
F: Bestätigen Sie nunmehr durch Ihre Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift und die erfolgte Rückübersetzung!
A: Ich bestätige mit meiner Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Niederschrift.
. . .
Mit 04.05.2020 langte beim BFA Ihr Antrag zur unterstützten freiwilligen Rückkehr ein.
Mit 06.05.2020 wurden Ihnen eine Ladung zur Einvernahme am 07.05.2020 zu eigenen Handen ausgefolgt.
Am 07.05.2020 wurden Sie erneut einvernommen. Die wesentlichen Passagen dieser Einvernahme gestalten sich dabei wie folgt:
. . .
F: Sind Ihnen die Belehrungen aus den letzten Einvernahmen noch bekannt?
A: Ja
F: Welche ist Ihre Muttersprache und welche Sprachen sprechen Sie sonst noch?
A: Meine Muttersprache ist Paschtu und ich spreche auch gut Dari und Deutsch.
F: Verstehen Sie den anwesenden Dolmetscher?
A: Ja
F: Liegen Befangenheitsgründe oder sonstigen Einwände gegen die anwesenden Personen oder Art und Weise der Einvernahme vor?
A: Nein
F: Fühlen Sie sich psychisch und physisch in der Lage, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten?
A: Ja, es passt alles.
Ein Rechtsberatungsgespräch fand am 07.05.2019 von 12:20 bis 12:40 statt.
LA: Haben Sie in Ihrer letzten EV am 30.04.2020 die Wahrheit gesagt?
VP: Ja ich habe die Wahrheit gesagt.
F: Hat sich seit dem30.04.2020 etwas an Ihrem Gesundheitszustand verändert?
A: Nein
F: Hat sich seit dem 30.04.2020 etwas an Ihrem Antragsgrund verändert?
A: Nein.
F: Hat sich seit dem 30.04.2020 etwas an Ihrem Privat- und Familienleben verändert?
A: Nein, aber ich würde gerne meinen Partner heiraten.
V: Ihnen wird nun mitgeteilt, dass beabsichtigt ist Ihren Antrag auf int. Schutz wegen entschiedener Sache gem. § 68 AVG zurückzuweisen ein Einreiseverbot gegen Sie zu erlassen und im gegenständlichen Fall den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid aufzuheben.
F: Möchten Sie dazu Stellung nehmen?
A: Sie lassen mir nicht mal die Wahl mich frei zu bewegen und von hier wegzugehen, aber sie schicken mich direkt in den Tod.
Frage an die RB:
Die Rechtsberatung hat keine Fragen.
LA: Ich beende jetzt die Einvernahme. Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Ihnen wichtig erscheint oder wollen Sie noch etwas hinzufügen?
VP: Ich habe mich entschieden, ich reise freiwillig aus. Ich habe die Geduld und die Kraft nicht mehr um das auszuhalten.
Die Niederschrift wurde mir rückübersetzt. Der Inhalt ist richtig und ich bestätige dies mit meiner Unterschrift. Ich bestätige auch mit meiner Unterschrift, dass ich eine Kopie der Niederschrift erhalten habe.
. . .
B) Beweismittel
Sie brachten folgende Beweismittel in Vorlage:
keine
Von der Behörde wurden zur Entscheidung weiters herangezogen:
der Akteninhalt Ihres Vorverfahrens, IFA-Zl. 1120346409
Erstbefragung durch die Exekutive
Einvernahmen vor dem Bundesamt
Länderfeststellungen zu Afghanistan
C) Feststellungen
Die Behörde gelangt daher zu folgenden Feststellungen:
zu Ihrer Person:
Ihre Identität steht fest.
Sie sind Staatsangehöriger von Afghanistan.
Sie sind volljährig.
Sie leiden an keinen schweren, lebensbedrohenden Krankheiten und sind nicht immungeschwächt.
zu Ihrem Vorverfahren:
Sie haben am 25.06.2016 einen - ersten - Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wobei Sie angaben, den Namen XXXX zu führen, Staatsangehöriger von Afghanistan und am XXXX 1999 geboren zu sein. Dieser Antrag, den Sie danach befragt begründeten, dass Ihr Vater vor ca. 3 Jahren spurlos verschwunden sei. Ihre Mutter, so gaben Sie vor dem BFA an, hätte dann versucht den Verbleib Ihres Vaters zu eruieren, mangels ausreichender finanzieller Möglichkeiten oder Beziehungen sei Ihr dies nicht gelungen.
Dann Sei Ihre Mutter mit Ihnen und einigen Ihren Geschwister laut Ihrer Aussage in ein Mietshaus in XXXX gezogen und von dort aus hätten Sie Afghanistan in Richtung Europa alleine verlassen, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Steiermark, vom 20.07.2019, IFA-Zl. 1120346409 - 160886106, gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF abgewiesen, da diesem Vorbringen kein Glauben geschenkt wurde. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF wurde Ihr Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG wurde Ihnen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 3 AsylG 2005 idgF wurde gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Ziffer 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass Ihre Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG betrug die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Sie haben fristgerecht gegen diesen Bescheid Beschwerde erhoben. Mit Erkenntnis vom 06.09.2019, GZ: W162 2167598-1/34E, wurde Ihre Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Der Bescheid erwuchs am 16.09.2019 in II. Instanz in Rechtskraft.
zu den Gründen für Ihre Anträge auf internationalen Schutz sowie zur voraussichtlichen Entscheidung im nunmehrigen Verfahren:
Als Grund Ihres Erstantrages führten Sie zusammenfassend an, dass Sie aus Afghanistan geflohen wären, da Ihr Vater vor ca. 3 Jahren spurlos verschwunden sei. Ihre Mutter, so gaben Sie vor dem BFA an, hätte dann versucht den Verbleib Ihres Vaters zu eruieren, mangels ausreichender finanzieller Möglichkeiten oder Beziehungen sei Ihr dies nicht gelungen.
Dann Sei Ihre Mutter mit Ihnen und einigen Ihrer Geschwister laut Ihrer Aussage in ein Mietshaus in XXXX gezogen und von dort aus hätten Sie Afghanistan in Richtung Europa alleine verlassen.
Im Zuge des gegenständlichen Folgeantrages ergab sich kein neuer objektiver Sachverhalt.
Ihr neuer Antrag auf internationalen Schutz wird daher voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein.
zur Gefährdungssituation bei einer Abschiebung:
Unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände konnte nicht festgestellt werden, dass Ihre Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für Sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:
Die Ihre Person treffende allgemeine maßgebliche Lage im Herkunftsstaat hat sich seit Rechtskraft des ersten Asylverfahrens (16.09.2019) nicht geändert:
Politische Lage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).
Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).
Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).
In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).
Parlament und Parlamentswahlen
Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).
Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).
Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).
Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).
Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).
Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).
Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).
Politische Parteien
Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).
Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).
Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).
Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).
Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).
Friedens- und Versöhnungsprozess
Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).
Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).
Quellen:
AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (2.9.2019): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2015806/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Afghanistan_%28Stand_Juli_2019%29%2C_02.09.2019.pdf, Zugriff 11.9.2019
AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (15.4.2019): Afghanistan: Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/afghanistan-node/-/204718, Zugriff 7.6.2019
AAN - Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan's 2018 Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga, https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/, Zugriff 7.6.2019
AAN - Afghanistan Analysts Network (6.5.2018): Afghanistan's Paradoxical Political Party System: A new AAN report, https://www.afghanistan-analysts.org/publication/aan-papers/outside-inside-afghanistans-paradoxical-political-party-system-2001-16/, Zugriff 11.6.2019
AAN - Afghanistan Analysts Network (13.2.2015): The President's CEO Decree: Managing rather thean executive powers (now with full translation of the document), https://www.afghanistan-analysts.org/the-presidents-ceo-decree-managing-rather-then-executive-powers/, Zugriff 7.6.2019
AM - Asia Maior (2015): Afghanistan 2015: the national unity government at work: reforms, war, and the search for stability, https://www.asiamaior.org/the-journal/asia-maior-vol-xxvi-2015/afghanistan-2015-the-national-unity-government-at-work-reforms-war-and-the-search-for-stability.html, Zugriff 7.6.2019
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Bundesrepublik Deutschland, Gruppe 62 - Informationszentrum Asyl und Migration (6.5.2019): Briefing Notes 06. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010670/Deutschland___Bundesamt_f%C3%Bcr_Migration_und_Fl%C3%Bcchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_06.05.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 17.7.2019
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Casolino, Ugo Timoteo (2011): "Post-war constitutions" in Afghanistan ed Iraq, Ricerca elaborata e discussa nell'ambito del Dottorato di ricerca in Sistema Giuridico Romanistico - Unificazione del Diritto - Università degli studi di Tor Vergata - Roma, Facoltà di Giurisprudenza, http://eprints.bice.rm.cnr.it/3858/1/TESI-TIM_Definitiva.x.SOLAR._2011.pdf, Zugriff 7.6.2019
CIA - Central Intelligence Agency (24.5.2019): The World