TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/18 W117 1231129-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.05.2020
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Entscheidungsdatum

18.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §21 Abs5
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

W117 1231129-3/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Andreas DRUCKENTHANER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Georgien, vertreten durch den Verein ZEIGE, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.02.2017, Zl. 328959306/151195350, nach § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3 und § 57 AsylG idgF, § 9 und § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF, § 52 Abs. 2 Z 2, Abs. 9, § 46 und § 55 Abs. 1a FPG idgF als unbegründet abgewiesen sowie gemäß § 21 Abs. 5 BFA-VG festgestellt, dass die aufenthaltsbeendende Maßnahme zum Zeitpunkt der Erlassung rechtmäßig und seine Abschiebung gemäß § 52 Abs. 9 FPG und § 46 FPG nach Georgien zulässig war.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der am 04.05.2017 in den Herkunftsstaat Georgien abgeschobene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Georgien aus XXXX , gehört der armenischen Volksgruppe an und ist christlichen Glaubens.

Am 08.05.2002 stellte seine Mutter für den vorgeblich noch minderjährigen Beschwerdeführer nach illegaler Einreise unter einer falschen Identität in Österreich erstmals einen Antrag auf Asylerstreckung gemäß § 10 AsylG 1997. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.08.2002 gemäß § 10 iVm § 11 Abs. 1 AsylG 1997 abgewiesen, da auch der Asylantrag seiner Mutter am selben Tag abgewiesen wurde. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 27.03.2007, Zl. 231.129/0/2E-VI/18/02, abgewiesen, weil auch der Berufung seiner Mutter keine Folge gegeben wurde. Mit Beschluss des VwGH vom 15.05.2007 wurde einer dagegen erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt und die Beschwerde letztlich mit Beschluss des VwGH vom 10.12.2009 abgelehnt.

Am 18.01.2010 beantragte der Beschwerdeführer unter anderen Personalien eine Rückkehrhilfe für seine freiwillige Rückkehr.

Am 04.07.2013 beantragte der Beschwerdeführer unter Vorlage eines -als echt erachteten -georgischen Personalausweises erneut internationalen Schutz in Österreich und gab dabei an, im Februar 2010 nach Georgien zurückgekehrt zu sein. Wegen Problemen mit Drogensüchtigen und der Polizei habe er Georgien verlassen müssen. Dieser zweite Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.09.2013 hinsichtlich Asyl und subsidiären Schutz abgewiesen und der Beschwerdeführer nach Georgien ausgewiesen. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass sein Vorbringen zu den Fluchtgründen nicht glaubhaft sei und auch sonst keine Gefahr im Fall seiner Rückkehr nach Georgien habe festgestellt werden können. Mangels in Österreich etablierten Privat- und Familienlebens sei seine Ausweisung gemäß Art. 8 EMRK zulässig. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 30.10.2013, Zl. D14 231129-2/2013/3E, als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis ist am 07.11.2013 in Rechtskraft erwachsen.

Am 27.08.2015 beantragte der Beschwerdeführer zum dritten Mal internationalen Schutz in Österreich. Dies begründete er damit, dass er in einer armenischen Kirche von einem Bekannten erfahren habe, dass seine Eltern in Österreich nach ihm suchen würden und er sie sehnlichst wiedersehen wolle, weshalb er Asyl beantrage. Weiters sei in Georgien sein Leben in Gefahr, weil er von Gefährlichen gesucht werde, schließlich sein halbes Leben in Österreich verbracht habe und bereits sehr gut hier integriert sei. Im Fall der Rückkehr befürchte er von seinen drogensüchtigen Feinden verfolgt zu werden; er fürchte um sein Leben. Er sei geschlagen worden und wolle nicht von diesen Menschen getötet werden. Er habe auch mit der Polizei Probleme und könne eine Inhaftierung nicht ausschließen.

Aus Anlass seiner niederschriftlichen Einvernahme am 14.11.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Beschwerdeführer auf Georgisch an, bis auf Probleme mit den Nieren gesund zu sein und dass er aktuell Ibuprofen 400 mg einnehme. Weitere Angaben vereitelte er durch lautes Schreien und indem er den Raum verließ und ausdrücklich vorbrachte, nicht einvernommen werden zu wollen. Nach mehrfacher erfolgloser Manuduktion über seine Mitwirkungspflicht wurde der Beschwerdeführer schließlich aus der Behörde gewiesen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.02.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 27.08.2015 gemäß § 3 und § 8 AsylG 2005 hinsichtlich Asyl (Spruchpunkt I.) und subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ihm gemäß § 57 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen sowie gemäß § 52 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Georgien zulässig sei (Spruchpunkt III.), ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.). Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer als Person unglaubwürdig sei und mangels Mitwirkung vor der Behörde eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft gemacht habe. Es sei ferner nicht davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr nach Georgien in eine Notlage im Sinne der Art. 2 und 3 EMRK geraten werde. Abgesehen von seinen Eltern und seiner Schwester habe er in Österreich keine Familienangehörigen im Sinne des Art. 8 EMRK. Auch die Asylverfahren seiner Verwandten seien negativ entschieden worden. Es bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis. Ein (schützenswertes) Privatleben habe er in Österreich nicht etabliert. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, dass die Identität des Beschwerdeführers nach der Erteilung eines Heimreisezertifikates feststehe. Seinen Gesundheitszustand habe er nicht durch medizinische Befunde belegt. Infolge der Verwendung von mehreren falschen Identitäten und bereits zwei erfolglosen Asylverfahren werde der Beschwerdeführer auch als Person als unglaubwürdig erachtet, zumal die Verschleierung der Identität ein gewichtiges Indiz für die Unglaubwürdigkeit eines Asylwerbers darstellen könne (VwGH 21.11.2002, 99/20/0549). Ferner habe er am 14.11.2016 nach ausfallenden Äußerungen und Beleidigungen an der Einvernahme trotz entsprechender Manuduktion nicht mitgewirkt und sich unkooperativ sowie am Verfahren desinteressiert gezeigt, woraus erkennbar sei, dass er in Georgien keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Nach bereits zwei negativen rechtskräftigen Asylentscheidungen und mangels neuer Fluchtgründe sei eine asylrelevante Verfolgung nicht anzunehmen, insbesondere da er sich geweigert habe, am gegenständlichen Asylverfahren mitzuwirken.

Zur Situation im Herkunftsland wurde im bekämpften Bescheid wie folgt festgestellt:

"Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 2.11.2016, Parlamentswahlen (relevant für den Abschnitt 2/ Politische Lage)

Am 30.10.2016 fand die zweite Runde der Parlamentswahlen in Georgien statt. Die bislang regierende Partei, "Georgischer Traum", sicherte sich die Verfassungsmehrheit, indem sie 115 der 150 Sitze im Parlament gewann. Die "Vereinigte Nationale Bewegung" (UNM) des Expräsidenten Mikheil Saakashvili errang 27 und die "Allianz der Patrioten Georgiens" (APG) sechs Sitze (RFE/RL 1.11.2016). Mit der APG, die im ersten Wahlgang am 8.10.2016 knapp die Fünf-Prozent-Hürde schaffte, ist erstmals eine pro-russische Partei im Parlament vertreten. In der notwendigen Stichwahl in 50 Wahlkreisen, die nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt werden, gewann der "Georgische Traum" 48 Wahlkreise (Standard 31.10.2016). Die übrigen zwei Sitze gingen jeweils an einen unabhängigen Kandidaten und einen Vertreter der "Partei der Industriellen" (VK 31.10.2016).

Die Wahlbeobachtungsmission der OSZE bewertete gemeinsam mit anderen internationalen Beobachtern die Stichwahl als kompetitiv und in einer Weise administriert, die die Rechte der Kandidaten und Wähler respektierte. Allerdings wurde das Prinzip der Transparenz sowie das Recht auf angemessene Rechtsmittel bei der Untersuchung und Beurteilung von Disputen durch die Wahlkommissionen und Gerichte oft nicht respektiert (OSCE/ODIHR u.a. 30.10.2016). Transparency International - Georgia beurteilte den Wahlgang als ruhig. Obgleich 70 relativ ernsthafte prozedurale Verstöße festgestellt wurden, hatten diese keinen entscheidenden Einfluss auf den Wahlausgang (TI-G 31.10.2016).

Die Opposition warf dem Regierungslager Wahlmanipulationen vor. Unter anderem seien Wähler unter Druck gesetzt und Stimmen gekauft worden (Standard 31.10.2016, vgl. CN 31.10.2016).

Quellen:

- CN - Caucasian Knot (31.10.2016): In Georgia, "UNM" Party claims mass violations at elections, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/37376/, Zugriff 2.11.2016

- Der Standard (31.10.2016): Regierungspartei kann Georgien im Alleingang regieren, http://derstandard.at/2000046738001/Wahlsieg-von-Regierungspartei-in-Georgien-in-zweiter-Runde-bestaetigt, Zugriff 2.11.2016

- OSCE/ODIHR u.a. - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (30.10.2016): International Election Observation Mission, Georgia - Parliamentary Elections, Second Round - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions, http://www.osce.org/odihr/elections/georgia/278146?download=true, Zugriff 2.11.2016

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (1.11.2016): Georgia's Ruling Party Wins Constitutional Majority, http://www.rferl.org/a/georgia-elections-second-round-georgian-dream-super-majority/28085474.html, Zugriff 2.11.2016

- TI-G - Transparency International - Georgia (31.10.2016): Assessment of the 2016 Parliamentary runoff elections, http://www.transparency.ge/en/blog/assessment-2016-parliamentary-runoff-elections, Zugriff 2.11.2016

- Vestnik Kavkaza (31.10.2016): Georgian Dream wins 48 districts out of 50, http://vestnikkavkaza.net/news/Georgian-Dream-wins-48-districts-out-of-50.html, Zugriff 2.11.2016

KI vom 31.5.2016, Hepatitis-C-Programm (relevant für den Abschnitt 23/ Medizinische Versorgung)

Im April 2015 stellte Georgien sein neues Programm zur Eliminierung von Hepatitis C vor, das Menschen mit Hepatitis C und schweren Lebererkrankungen Zugang zu einer neuen kurativen Therapie ermöglicht. Da die neuen, direkt antiviral wirksamen Medikamente für die meisten Betroffenen bislang unbezahlbar sind, will Georgien Diagnose und Therapie für alle verbilligen und entsprechende Kapazitäten aufbauen. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales arbeitet hierfür mit einem Pharmaunternehmen zusammen (WHO 23.7.2015). Zu Beginn des Programms wurden 5.000 Behandlungen kostenfrei zur Verfügung gestellt, insbesondere für Patienten mit kompensierter oder dekompensierter Leberzirrhose, fortgeschrittener Leberfibrose und Hepatitis C-Infektion in Verbindung mit einer Lebertransplantation (SSA 27.4.2015). Geplant sind jährlich 20.000 Gratisbehandlungen (WHO 23.7.2015; vgl. Agenda 7.3.2016). Seit Beginn des Programms im April 2015 erhielten laut Premierminister Giorgi Kvirikashvili 7.000 Personen eine kostenlose Behandlung, wobei 3.000 die Therapie bereits abschlossen (Agenda 7.3.2016).

Der georgische Ombudsmann kritisierte im März 2016 allerdings, dass seinem Vorschlag seitens der Regierung nicht entsprochen wurde, wonach Bewohner der besetzten Landesteile Abchasien und Südossetien, die nur über sog. neutrale Identitätskarten verfügen, ebenfalls in das Programm aufgenommen werden. Laut Ombudsmann gelten gerade diese Bewohner als Vulnerable in Folge der schweren sozialen, wirtschaftlichen und menschenrechtlichen Situation unter der Besatzung (PD 10.3.2016).

Quellen:

Agenda.ge (7.3.2016): PM: 20,000 patients will get free Hepatitis C treatment in 2016, http://agenda.ge/news/53559/eng, Zugriff 31.5.2016

PD - Public Defender of Georgia (10.3.2016): Ministry of Labour, Health and Social Affairs Disregards Public Defender's Proposal, http://www.ombudsman.ge/en/news/ministry-of-labour-health-and-social-affairs-disregards-public-defenders-proposal.page, Zugriff 31.5.2016

SSA - Social Service Agency (27.4.2015): Registration of patients for Hepatitis C Elimination program begins tomorrow, http://ssa.gov.ge/index.php?lang_id=ENG&sec_id=99&info_id=1579, Zugriff 31.5.2016

WHO - Weltgesundheitsorganisation (23.7.2015): Georgien richtet den Blick auf die Eliminierung der Hepatitis C, http://www.euro.who.int/de/countries/georgia/news/news/2015/07/georgia-sets-sights-on-eliminating-hepatitis-c, Zugriff 31.5.2016

Politische Lage

In Georgien leben rund 4,93 Mio. Menschen (Juli 2015) auf 69.700 km² (CIA 29.10.2015).

Georgien (georgisch: Sakartwelo) ist eine demokratische Republik. Das politische System hat sich durch die Verfassungsreform 2013 von einer semi-präsidentiellen zu einer parlamentarischen Demokratie gewandelt, (AA 10.11.2015a, vgl. auch: WZ 21.10.2013).

Staatspräsident ist Giorgi Margwelaschwili (angelobt am 17.11.2013) (RFE/RL 17.11.2013). Regierungschef ist Premierminister Irakli Garibaschwili (seit 18.11.2013). Beide gehören der Partei "Georgischer Traum" an (RFE/RL 18.11.2013).

Georgien besitzt ein Einkammerparlament mit 150 Sitzen, das durch eine Kombination aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht für vier Jahre gewählt wird. Die letzte Parlamentswahl fand am 1.10.2012, die letzte Präsidentschaftswahl am 27.10.2013 statt (IFES 9.3.2015a, IFES 9.3.2015b). Die Parlamentswahlen vom 1.10.2012 gewann das aus sechs Parteien bestehende Wahlbündnis "Georgischer Traum" mit klarer Mehrheit. Internationale Wahlbeobachter von OSZE, Europarat, NATO und Europäischem Parlament bewerteten die Wahlen als wichtigen Schritt hin zur Festigung der Demokratie, auch wenn einzelne Bereiche, wie z.B. die ungleiche Größe der Wahldistrikte, noch verbesserungsbedürftig seien. Die Wahlen seien kompetitiv verlaufen. Kritik fand das polarisierte Wahlumfeld mit harscher Rhetorik und vereinzelten Fällen von Gewalt sowie Fällen von Einschüchterung, überwiegend der Opposition (AA 10.11.2015b, vgl. auch OSCE 21.12.2012). Ursprünglich schafften nur zwei der angetretenen Listen den Sprung ins georgische Parlament: Das Parteienbündis "Bidzina Ivanishvili - Georgische Traum" mit 85 Mandaten und die vormalige Regierungspartei "Vereinte Nationale Bewegung" mit 65 Sitzen (CEC o.D.).

Bei der Präsidentschaftswahl im Oktober 2013 konnte sich der Kandidat von "Georgischer Traum", Georgi Margwelaschwili, mit klarer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang gegen den Wunschkandidaten des amtierenden Präsidenten Michail Saakaschwili (Vereinte Nationale Bewegung), durchsetzen. Saakaschwili, zuletzt umstritten, durfte nach zwei Amtszeiten laut Verfassung nicht mehr zur Wahl antreten. Diese Wahl brachte den ersten demokratischen Machtwechsel an der georgischen Staatsspitze seit dem Zerfall der Sowjetunion. Der neue Präsident wird in der Ex-Sowjetrepublik künftig nur eine repräsentative Rolle spielen. Eine Verfassungsänderung überträgt die wichtigsten Machtbefugnisse auf das Amt des Regierungschefs (FAZ 27.10.2013).

Nach dem Ausscheiden der Partei "Freie Demokraten" des entlassenen Verteidigungsminister Alasania aus der Regierungskoalition "Georgischer Traum" Anfang November 2014 fehlten der Regierungskoalition einige Sitze auf die einfache Mehrheit im Parlament. Unmittelbar danach wechselten einige Abgeordnete anderer Fraktionen zum Georgischen Traum, was immer noch knapp nicht für die einfache Mehrheit reichte. Daraufhin traten 12 freie Abgeordnete, die vorher bereits immer mit der Regierung gestimmt hatten, formell dem Georgischen Traum bei, sodass diese nun mit 87 Sitzen über vier Sitze mehr verfügt, als vor der Krise. Die neu hinzugekommenen Abgeordneten bilden innerhalb der Regierungskoalition "Georgischer Traum" zwei gleich starke neue Koalitionsparteien. Somit umfasst die Regierungskoalition "Georgischer Traum" nunmehr sieben Koalitionsparteien. Von der Verfassungsmehrheit (113 Sitze) ist die Koalition aber weit entfernt. Die Freien Demokraten befinden sich nun in der Opposition und bilden neben der Partei "Vereinte Nationale Bewegung" von Ex-Präsident Michail Saakaschwili nunmehr die zweite Oppositionspartei. Die neue Sitzverteilung des georgischen Parlaments lautet somit: 87 Sitze für die Regierungskoalition "Georgischer Traum", 51 Sitze für die "Vereinte Nationale Bewegung", acht Sitze für die "Freien Demokraten" sowie vier unabhängige Mandatare (Civil.ge 10.11.2014).

Die Regierungspartei "Georgischer Traum" sicherte sich infolge eines überwältigenden Sieges bei den Gemeinderatswahlen im Sommer 2014 die Kontrolle über die lokalen Selbstverwaltungskörperschaften. Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) berichteten, dass es im Vorwahlkampf angeblich Druck auf oppositionelle Kandidaten gab, ihre Kandidatur zurückzuziehen. Überdies sei es zu Störungen von Versammlungen der Opposition und zu etlichen Vorfällen von Gewalt gegen Wahlaktivisten gekommen. Obschon diese den Behörden bekannt waren, blieb eine amtliche Verfolgung aus. Laut der lokalen Wahlbeobachtungsgruppe ISFED wurden nach den Wahlen in der Hauptstadt Tiflis 155 städtische Angestellte entlassen oder hätten unter Druck gekündigt. Dies erweckte Befürchtungen, es sei aus politischen Motiven geschehen (HRW 29.1.2015).

Eine vergleichsweise große Opposition sowie ein starker Parlamentssprecher haben das Parlament in seinen Gesetzgebungs-, Kontroll-, Budget und Repräsentationsfunktionen erstarken lassen und es wieder in die öffentliche Aufmerksamkeit gerückt. Hingegen fördert die geringe politische Erfahrung eines Großteils der Abgeordneten und gesellschaftlich verbreitete hierarchische Traditionen eine Konzentration der politischen Entscheidungsfindung in den Spitzen von Parteien und Regierung. Zudem ist derzeit aufgrund von Überschneidungen in den jeweiligen Kompetenzen, aber auch persönlich begründeten Verstimmungen, eine gegenseitige Kontrolle von Präsident Margwelaschwili und Premierminister Gharibaschwili erkennbar (AA 15.10.2015).

Am 27. Juni 2014 unterzeichneten die EU und Georgien ein Assoziierungsabkommen. Das Abkommen soll Georgien in den Binnenmarkt integrieren, wobei die Prioritäten in der Zusammenarbeit in Bereichen wie Außen- und Sicherheitspolitik sowie Justiz und Sicherheit liegen. Russland sah sich hierdurch veranlasst, seinen Druck auf die Regierung in Tiflis zu erhöhen. Am 24. November 2014 unterzeichneten Russland und das abtrünnige georgische Gebiet Abchasien eine Vereinbarung über eine "strategische Partnerschaft", mit der Moskau seine militärische und wirtschaftliche Kontrolle in Abchasien erheblich ausweitete. Führende westliche Politiker, darunter die Außenbeauftragte der Europäischen Union Federica Mogherini, kritisierten diesen Schritt als Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität Georgiens. Während die georgische Regierung die vermeintliche Reaktion Russlands auf das Assoziierungsabkommen als "weiteren Schritt zur Annexion" verurteilte, erachtete Georgiens Opposition die Vereinbarung als Beleg für das Scheitern der Bemühungen der Regierung, Russland etwas entgegenzusetzen (EP 5.12.2014).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.11.2015a): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 10.11.2015

- AA - Auswärtiges Amt (10.11.2015b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 10.11.2015

- AA - Auswärtiges Am (15.10.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien

- CEC - Election Administration of Georgia (o.D.): Report on the Elections of the Parliament of Georgia 2012, http://www.cesko.ge/uploads/other/13/13973.pdf, Zugriff 10.11.2015

- CIA - Central Intelligence Agency (7.2014): The World Fact Book - Georgia: People and Society, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/gg.html, Zugriff 10.11.2015

- Civil.ge (14.11.2014): GD Secures Majority in Parliament as 12 MPs Join Ruling Coalition, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=27807, Zugriff 10.11.2015

- EP - Europäisches Parlament (5.12.2014): Assoziierungsabkommen EU-Georgien, http://www.europarl.europa.eu/EPRS/EPRS-AaG-542175-EU-Georgia-Association-Agreement-DE.pdf, Zugriff 10.11.2015

- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (27.10.2013): Georgi Margwelaschwili gewinnt mit klarer Mehrheit, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/praesidentschaftswahl-in-georgien-georgi-margwelaschwili-gewinnt-mit-klarer-mehrheit-12636443.html, Zugriff 10.11.2015

- HRW - Human Rights Watch (29.1.2015): World Report 2015 - Georgia, http://www.ecoi.net/local_link/295489/430521_de.html, Zugriff 10.11.2015

- IFES - International Foundation for Electoral Systems (9.3.2015a): Election Guide, Democracy Assistance & Elections News - Georgia, http://www.electionguide.org/elections/id/2287/, Zugriff 10.11.2015

- IFES - International Foundation for Electoral Systems (9.3.2015b): Election Guide, Democracy Assistance & Elections News - Georgia, http://www.electionguide.org/elections/id/1638/, Zugriff 10.11.2015

- OSCE/ODIHR - Office for Democratic Institutions and Human Rights (21.12.2012): Georgia - Parliamentary Elections 1 October 2012, OSCE/ODIHR Election Observation Mission, Final Report, http://www.osce.org/odihr/98399?download=true, Zugriff 10.11.2015

- RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (17.11.2013): Margvelashvili Sworn In As Georgia's New President, http://www.rferl.org/content/georgia-president-inauguration/25170650.html, Zugriff 10.11.2015

- RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (18.11.2013): Margvelashvili Confirms New Georgian Prime Minister, http://www.rferl.org/content/georgia-government-president-garibashashvili/25171961.html, Zugriff 10.11.2015

- WZ - Wiener Zeitung (21.10.2013): Verfassungsänderung stuft Staatschef zum Staatsoberhaupt herab - Präsidentenwahl in Georgien setzt Ära Saakaschwili ein Ende, http://www.wienerzeitung.at/nachrichten/europa/europastaaten/582007_Praesidentenwahl-in-Georgien-setzt-Aera-Saakaschwili-ein-Ende.html, Zugriff 10.11.2015

Sicherheitslage

Die Lage in Georgien ist - mit Ausnahme der Konfliktgebiete Abchasien und Südossetien - insgesamt ruhig. Beide genannte Gebiete befinden sich nicht unter der Kontrolle der Regierung in Tiflis. In den Gebieten und an ihren Verwaltungsgrenzen sind russische Truppen stationiert (AA 11.11.2015a).

Im Zuge der Auflösung der UdSSR erhöhten sich die Spannungen innerhalb Georgiens in den Gebieten Abchasien und Südossetien, als der autonome Status der Provinzen von georgischen Nationalisten in Frage gestellt wurde. Nach der georgischen Unabhängigkeit führten heftige Auseinandersetzungen mit der Zentralregierung 1992 zu Unabhängigkeitserklärungen Südossetiens und Abchasiens, die aber von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wurden. Der Konflikt um Südossetien wurde durch den Waffenstillstand von Sotschi 1992 vorübergehend befriedet; die OSZE erhielt ein Beobachtungsmandat. Seit 1994 galt ein insgesamt eingehaltener, im Moskauer Abkommen festgeschriebener Waffenstillstand, überwacht durch eine Beobachtergruppe der Vereinten Nationen (UNOMIG) in Zusammenarbeit mit einer GUS-Friedenstruppe. In Abchasien und Südossetien waren seither russische Truppen als sogenannte friedenserhaltende Kontingente präsent. Der Einfluss des nördlichen Nachbarlandes wuchs kontinuierlich, unter anderem durch Ausgabe russischer Pässe an die abchasische und südossetische Bevölkerung. Nach zahlreichen blutigen Zwischenfällen und Provokationen aller Seiten eskalierte der Konflikt um Südossetien am 7. August 2008 nach einem Vorstoß georgischer Truppen in die südossetische Hauptstadt Zchinwali zu einem georgisch-russischen Krieg, der nach fünf Tagen durch einen von der EU vermittelten Waffenstillstand beendet wurde. Am 26. August 2008 erkannte Russland Abchasien und Südossetien, einseitig und unter Verletzung des völkerrechtlichen Prinzips der territorialen Integrität Georgiens, als unabhängige Staaten an und schloss wenig später mit diesen Freundschaftsverträge ab, die auch die Stationierung russischer Truppen in den Gebieten vorsehen. Infolge des Krieges wurden nach Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen bis zu 138.000 Personen vorübergehend zu Vertriebenen und Flüchtlingen. Etwa 30.000 Georgier aus Südossetien konnten bis heute nicht in ihre Heimat zurückkehren. Die zivile EU-Beobachtermission EUMM nahm Anfang Oktober 2008 in Georgien ihre Arbeit auf. Das OSZE-Mandat lief Ende 2008 aus, UNOMIG endete im Juni 2009. EUMM ist damit die einzige verbliebene internationale Präsenz zur Stabilisierung in Georgien (AA 11.11.2015b).

Der Rat der Europäischen Union verlängerte im Dezember 2014 das Mandat der EU-Beobachtermission EUMM für weitere zwei Jahre, bis Dezember 2016. Im Einklang mit dem russisch-georgischen Sechs-Punkte-Programm vom August 2008 soll die EUMM auch weiterhin die Stabilisierung und Normalisierung der Lage vor Ort unterstützen (EU-Council 16.12.2014).

Ein wichtiges diplomatisches Instrument zur De-Eskalierung des Konflikts sind die sogenannten "Geneva International Discussions - GID" (Genfer Internationale Gespräche). Diese finden seit 2008 unter Beteiligung der involvierten Konfliktparteien unter dem gemeinsamen Vorsitz von Vertretern der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der OSZE statt. Aus den Genfer Gesprächen resultierte der "Incident Prevention and Response Mechanism (IPRM)" sowie die Involvierung der EUMM, sodass die lokalen Sicherheitsbehörden der Konfliktparteien vor Ort in Kontakt treten können bzw. ihnen die Möglichkeit zum Dialog eröffnet wird. In einer Stellungnahme vom November 2014 beklagten die drei Ko-Vorsitzenden (UNO, EU, OSZE) die zunehmende Einschränkung der Bewegungsfreiheit hinsichtlich der Passierbarkeit der "Administrative Boundary Lines". Überdies betonten diese die Notwendigkeit erneuter Bemühungen seitens der Konfliktparteien humanitäre Probleme anzugehen, insbesondere die Lage der intern Vertriebenen (IDPs), der Flüchtlinge sowie der vermissten Personen (OSCE 6.11.2014).

Im Oktober 2015 äußerten sich die Mitglieder der GID anlässlich der Präsentation ihre Jahresberichtes positiv hinsichtlich der Entwicklung des Gesprächsklimas, das nun sehr viel inhaltorientierter sei, begleitet von der Öffnung von bilateralen Kontakten zwischen den Vertretern der Konfliktparteien (OSCE 22.10.2015).

Es gibt nur wenige Informationen über die Menschenrechtslage in Abchasien und Südossetien und es bleiben viele Missbrauchsvorwürfe bestehen. Insbesondere die facto-Machthaber in Südossetien erlauben lediglich dem Internationalen Roten Kreuz eingeschränkte Tätigkeit in der Region. (USDOS 25.6.2015).

Die Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Navi Pillay, bestätigte 2014 die prekäre Situation während eines Besuches in Georgien. Trotz wiederholter Bemühungen sei dem UNO-Hochkommissariat die Einreise nach Abchasien und Südossetien stets verwehrt worden. Während im begrenzten Ausmaß Übertritte von und nach Abchasien auch für einige UNO-Agenturen möglich seien, besonders in den Bezirk Gali, sei Südossetien zu einem der unerreichbarsten Orte der Erde geworden. Nur das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) habe Zugang. Infolgedessen wisse man nur wenig, was innerhalb Südossetiens vorginge. Pillay besuchte auch das Dorf Khurwaleti an der administrativen Grenze, wo die örtliche Bevölkerung durch einen Stacheldrahtzaun, errichtet von den russischen Truppen, getrennt wurde, unter der gegebenen Situation leidet. Pillay versicherte an die russischen Behörden zu appellieren und sich um den Schutz der Menschenrechte zu kümmern (Civil.ge 22.5.2014, vgl. auch UN 21.5.2014).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (11.11.2015a): Georgien, Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_8108DEE44ECFAF67827A2F89BA2ACDB3/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/GeorgienSicherheit_node.html, Zugriff 11.11.2015

- AA - Auswärtiges Amt (11.11.2015b): Staatsaufbau/Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Georgien/Innenpolitik_node.html, Zugriff 11.11.2015

- Civil.ge (22.5.2014): UN Human Rights Chief Sums Up Georgia Visit, http://www.civil.ge/eng/article.php?id=27255, Zugriff 11.11.2015

- EU-Council - Council of the European Union (16.12.2014): EU Monitoring Mission in Georgia extended for two years (press release ST 16288/14), http://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/?p=7, Zugriff 11.11.2015

- OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (6.11.2014): Geneva International Discussions remain unique and indispensable forum, Co-chairs tell OSCE Permanent Council, http://www.osce.org/cio/126442, Zugriff 11.11.2015

- OSCE - Organization for Security and Co-operation in Europe (22.10.2015): Geneva International Discussions continue to provide unique platform for tackling issues of peace and stability, say Co-Chairs reporting to OSCE Permanent Council, http://www.osce.org/cio/193976, Zugriff 11.11.2015

- UN - United Nations in Georgia (21.5.2014): Pillay praises Georgia's plan to introduce comprehensive human rights reforms, http://www.ungeorgia.ge/eng/news_center/media_releases?info_id=237, Zugriff 11.11.2015

- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014, Georgia, http://www.ecoi.net/local_link/306368/443643_de.html, Zugriff 11.11.2015

Regionale Problemzone: Abchasien

Die Autonome Republik Abchasien in Nordwest-Georgien gehört völkerrechtlich zu Georgien, steht seit 1993 aber nicht mehr unter der Kontrolle der georgischen Regierung. Die Sicherheitslage in diesem Landesteil ist seitdem prekär. Es kommt zu Zwischenfällen, auch krimineller Natur. In einigen Teilen der Region liegen teils nicht gekennzeichnete Minenfelder. Abchasien ist für den internationalen Reiseverkehr gesperrt. Eine legale Ein- und Ausreise in bzw. aus dem Gebiet heraus ist gemäß dem georgischen "Gesetz über die besetzten Gebiete" über die russisch-georgische Grenze in Abchasien nicht möglich. Ein Zuwiderhandeln in diesem Fall, aber auch wirtschaftliche Aktivitäten, und der Erwerb von Immobilien in Abchasien können von den georgischen Behörden mit Haftstrafen bis zu fünf Jahren geahndet werden (AA 11.11.2015).

Abchasien erstreckt sich auf einer Fläche von rund 8.600 Quadratkilometern. Nach offiziellen Angaben beträgt die Einwohnerzahl 240.000. Beobachter vor Ort rechnen mit maximal 190.000 Einwohnern (NZZ 31.5.2014).

Das Rote Kreuz schätzt die Opferzahl der kriegerischen Auseinandersetzungen der neunziger Jahre auf 10.000 bis 15.000. Andere Quellen führen bis zu 30.000 Tote an. Von den 200.000 geflüchteten ethnischen Georgiern, sind zwischen 40.000 und 60.000 zurückgekehrt, insbesondere in die Region Gali. Laut einer Volkszählung aus dem Jahr 2011 machen Georgier rund 19% der Einwohner Abchasiens aus (FP 26.8.2014).

Viele Abchasen besitzen einen russischen Pass. Nur nach Russland und in die Türkei können sie ohne erheblichen administrativen Aufwand reisen. Die politische, wirtschaftliche und militärische Schutzmacht Russland begleicht laut westlichen NGOs bis zu drei Vierteln des abchasischen Haushalts (NZZ 31.5.2014).

Die Unabhängigkeit von Abchasien wird nur von Russland, Venezuela, Nicaragua und dem Pazifikstaat Nauru anerkannt, nachdem zwei andere pazifische Inselstaaten ihre vormalige Anerkennung zurückgezogen haben (RFE/RL 31.3.2014).

Moskau hat seit 2008 mindestens 465 Mio. US-Dollar in den Erhalt und Ausbau der militärischen Infrastruktur investiert. Laut russischer offizieller Stellen umfasst das in Abchasien stationierte Militär- und Sicherheitspersonal 5.000 Personen. Nach der "Verfassung" von 1999 ist Abchasien eine Präsidialrepublik. Nur ethnische Abchasen können Präsident werden. Die 35 Parlamentssitze werden für fünf Jahre gewählt. Jene über 200.000 ethnischen Georgier, welche im Zuge der Kriegshandlungen 1992-93 flüchteten, sind von den abchasischen Wahlen ausgeschlossen. Im März 2012 wurden "Parlamentswahlen" in Abchasien abgehalten, wobei die mehr als 20.000 ethnischen Georgier, die noch im Bezirk Gali leben, aus dem Wählerregister gestrichen wurden. Die Wahlen markierten einen Wechsel hin zu unabhängigen Kandidaten, die 28 von 35 Parlamentssitzen errangen. Keine der Wahlen in der Separatistenrepublik wurde international anerkannt (FH 28.4.2015).

Nach Massenprotesten und einer deklarativen Absetzung durch das abchasische Parlament trat Ende Mai 2014 Alexander Ankwab als Präsident des Landes zurück. Kritiker warfen Ankwab zunehmend autoritäres Gebaren vor. Er hätte selbstherrlich über die Moskauer Subventionen verfügt und diese statt für die Realwirtschaft für Prestigeprojekte verwendet oder geradewegs in die eigene Tasche abgezweigt. Auch die Aussöhnung zwischen Abchasen und ethnischen Georgiern hätte er vernachlässigt. Kritik musste sich auch Russland gefallen lassen, das allerdings an Ankwab nicht festzuhalten schien. Teile der politischen Opposition forderten, dass das Verhältnis zu Russland neu definiert werden müsse. Denn die Abhängigkeit von Russland berge Gefahren (NZZ 1.6.2014).

Am 24.8.2014 gewann der Oppositionspolitiker und ehemalige KGB-Offizier Raul Chadschimba bereits im ersten Wahlgang die vorgezogenen Präsidentschaftswahl in Abchasien. Chadschimba war Anführer der Protestbewegung, die den amtierenden Präsidenten Alexander Ankwab drei Monate zuvor zu Fall brachte. Größte Herausforderung auch für Chadschimba bleibt die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage (NZZ 24.8.2014). Von den Präsidentschaftswahlen ausgeschlossen blieben schätzungsweise 22.000 ethnische Georgier, die nach Abchasien zurückkehrten. Ihnen wurde das Wahlrecht mit dem Argument entzogen, sie hätten ihre abchasischen Pässe illegal erworben (FP 26.8.2014).

Am 24. November 2014 unterzeichneten Russland und Abchasien in Sotschi ein Abkommen über "Verbündetenbeziehungen und strategische Partnerschaft". Dieses betrachtet künftig einen bewaffneten Angriff auf Abchasien als Angriff auf Russland und vice-versa. Weiters verpflichtet es Russland, sich für die internationale Anerkennung Abchasiens stark zu machen. Obgleich offiziell von gleichwertigen Beziehungen zweier souveräner Staaten gesprochen wird, gibt es in Abchasien kritische Stimmen, wonach Moskau damit zu viel Kontrolle über Abchasien zugestanden wurde. Anlässlich der Unterzeichnung sagte Russlands Präsident Putin eine Verdoppelung der Finanzhilfe für Suchumi zu (RFE/RL 24.11.2014).

Die abchasischen Behörden beschränken weiterhin die Rechte vorwiegend von ethnischen Georgiern. Dazu gehören insbesondere das Wahlrecht, das Eigentumsrecht, das Recht ein Gewerbe zu registrieren sowie das Reiserecht (USDOS 25.6.2015).

Mit Beginn des Schuljahres 2015/16 haben die abchasischen Behörden Georgisch als Unterrichtssprache im Bezirk Gali, der von ethnischen Georgiern bewohnt wird, abgeschafft (GT 3.9.2015). Die Europäische Union zeigte sich darüber besorgt und rief die abchasischen Behörden dazu auf, das universelle Kinderrecht auf Bildung zu schützen, denn es bedeute einen Bruch dieses Rechts, wenn weder Lehrer noch Schüler angemessen der Unterrichtssprache folgen können (EU 22.10.2015).

Die abchasischen Behörden inhaftieren weiterhin viele Personen, die die "Grenze" illegal überquert haben sollen. Russische Grenzwächter entlang der Verwaltungsgrenze zwischen Abchasien und Georgien setzen normalerweise die Regeln der abchasischen Machthaber um. Die Festgenommenen werden an die abchasischen Behörden übergeben, welche die meisten nach fünf Tagen wieder freilassen. Allerdings werden manche auch länger festgehalten. Es gab Berichte über willkürliche Verhaftungen von Georgiern in den abtrünnigen Gebieten. Ihnen wurden die Gründe für die Haft nicht mittgeteilt und sie wurden auch keinem Ankläger vorgeführt. Menschenrechtsgruppen zufolge inhaftieren die de facto-Machthaber willkürlich Georgier, um Gefangenenaustäusche mit Georgien zu verhandeln. Das abchasische Rechtssystem verbietet es Georgiern, die während oder nach dem Krieg 1992-93 geflohen sind, ihr Eigentum einzufordern, was einer Enteignung gleichkommt (USDOS 25.6.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (11.11.2015): Georgien. Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_8108DEE44ECFAF67827A2F89BA2ACDB3/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/GeorgienSicherheit_node.html, Zugriff 11.11.2015

- EU - European Union (22.10.2015): OSCE Permanent Council No 1072 Vienna, 22 October 2015; EU Statement in Response to the Report of the Co-chairs of the Geneva International Discussions [PC.DEL/1400/15], http://eeas.europa.eu/delegations/vienna/documents/eu_osce/permanent_council/2015/pc_1072_eu_reply_geneva_co-chairs.pdf, Zugriff 11.11.2015

- FH - Freedom House (28.4.2015): Freedom of the Press 2015 - Abkhazia, http://www.ecoi.net/local_link/309928/433834_en.html, Zugriff 11.11.2015

- FP - Foreign Policy (26.8.2014): You Can't Go Home Again, http://foreignpolicy.com/2014/08/26/you-cant-go-home-again-4/?wp_login_redirect=0, Zugriff 11.11.2015

- GT - Georgia Today (3.9.2015): Georgian Language Banned from Gali Schools, http://georgiatoday.ge/news/1111/Georgian-Language-Banned-from-Gali-Schools, Zugriff 11.11.2015

- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (1.6.2014): Machtwechsel im isolierten Abchasien, http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/machtwechsel-im-isolierten-abchasien-1.18313552, Zugriff 11.11.2015

- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (25.8.2014): Die Rolle der Schutzmacht Russland - Früherer KGB-Offizier Präsident Abchasiens, http://www.nzz.ch/international/frueherer-kgb-offizier-praesident-abchasiens-1.18369977, Zugriff 11.11.2015

- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (31.5.2014): Frustration über Misswirtschaft - Politische Pattsituation in Abchasien, http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/kritik-an-der-schutzmacht-russlands-politische-pattsituation-in-abchasien-1.18313140, Zugriff 11.11.2015

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.11.2015): Russia Strengthens Grip On Abkhazia With New Pact, http://www.rferl.org/content/georgia-russia-abkhazia/26707329.html, Zugriff 11.11.2015

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (31.3.2014): Tuvalu Retracts Recognition Of Abkhazia, South Ossetia, http://www.rferl.org/content/tuvalu-georgia-retracts-abkhazia-ossetia-recognition/25315720.html, Zugriff 11.11.2015

- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014, Georgia,http://www.ecoi.net/local_link/306368/443643_de.html, Zugriff 11.11.2015

Regionale Problemzone: Südossetien

Südossetien hat ca. 70.000 Einwohner und ist eine hauptsächlich landwirtschaftlich geprägte Gegend, trotzdem müssen praktisch alle benötigten Nahrungsmittel importiert werden. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei 15% und es gibt im gesamten Gebiet kein einziges funktionierendes Industrieunternehmen. Die meisten Mitglieder der Intelligentsia und die jüngere Generation haben die Region Richtung Russland verlassen (RFE/RL 28.1.2014).

Die politische Legitimität nach innen ist schwach. Ungleichheit und Korruption sind gestiegen. Schätzungen besagen, dass seit 2008 27 Milliarden Rubel an Hilfsleistungen verschwunden sind. Die lokale Wirtschaft ist nicht im Stande Arbeitsplätze und eine angemessene Ausbildung bereitzustellen bzw. der Massenarmut Herr zu werden (OD 10.6.2014).

Das Gebiet Südossetien gehört völkerrechtlich zu Georgien, steht seit 1993 aber nicht mehr unter dem Einfluss der georgischen Regierung. Die Lage in Südossetien ist weiterhin prekär und unübersichtlich. Trotz der Bemühungen zur Umsetzung des Waffenstillstandes nach dem Krieg 2008 kommt es insbesondere in der Umgebung der Verwaltungsgrenzen von Südossetien noch zu bewaffneten Zwischenfällen. Es besteht in diesem Gebiet auch weiterhin eine erhöhte Gefahr durch Minen und nicht explodierte Munition, da es während des Krieges von Kampfhandlungen betroffen war. Südossetien ist für den internationalen Reiseverkehr gesperrt. Eine legale Ein- und Ausreise in bzw. aus dem Gebiet heraus (Roki-Tunnel) ist über die russisch-georgische Grenze nicht möglich (AA 11.11.2015).

Im Juni 2014 wurden Parlamentwahlen abgehalten, die von Georgien, der EU und den USA nicht anerkannt wurden. Gewinnerin war die prorussische Partei "Geeintes Ossetien" (Jedinaja Ossetija) mit 43% bzw. 20 der 34 Abgeordnetensitze. Nebst "Geeintes Ossetien", das sich für die Vereinigung mit Nordossetien einsetzt und nach dem Vorbild der Krim einen Anschluss an Russland anstrebt, haben noch die Partei "Einheit des Volkes" (Jedinstwo Naroda), die "Volkspartei" (Norodnaja Partija) und die Partei "Nykhas" die Sieben-Prozent-Hürde übersprungen (CN 9.6.2014, vgl. auch Standard 9.6.2014).

Der Entwurf zum strategischen Abkommens zwischen der Russischen Föderation und Südossetien löste Anfang 2015 kontroverse Diskussionen zwischen der südossetischen Regierung unter Präsident Leonid Tibilov und dem Parlament aus. Insbesondere der Vorsitzende der Mehrheitspartei "Geeintes Ossetien" und Parlamentssprecher Anatoli Bibilov warf der Regierung vor, die Möglichkeit eines Anschlusses Südossetiens an die Russische Föderation aus dem Vertragstext gestrichen zu haben. Bibilov forderte die Abhaltung eines Anschluss-Referendums (RFE/RL 23.1.2015).

Die südossetischen "Behörden" inhaftieren weiterhin viele Personen, die die "Grenze" illegal überquert haben sollen. Russische Grenzwächter übergaben diese regelmäßig an die de facto-Machthaber. Die meisten wurden binnen 5 Tagen entlassen, einige blieben aber wesentlich länger in Haft. Es gab Berichte über willkürliche Verhaftungen von Georgiern in den abtrünnigen Gebieten. Ihnen wurden die Gründe für die Haft nicht mittgeteilt und sie wurden auch keinem Ankläger vorgeführt. Menschenrechtsgruppen zufolge inhaftieren die de facto-Machthaber willkürlich Georgier um Gefangenenaustäusche mit Georgien zu verhandeln. Personen, die in Südossetien inhaftiert waren und später auf georgisches Territorium zurückkehrten, berichteten von Fällen von Misshandlungen und Missbrauch in südossetischen Haftanstalten. Diese beinhalteten Verbrennen mit Zigaretten und Schläge. Menschenrechtsbeobachter schätzen, dass die Hälfte der in Südossetien Inhaftierten irgendeine Form von Missbrauch erlebt. Angesichts des begrenzten Zugangs zu Südossetien sind derartige Berichte schwer zu überprüfen (USDOS 25.6.2015).

Laut dem südossetischen KGB-Grenzschutz gab es 2014 493 Fälle von illegalen Grenzübertritten. Unter den Festgenommenen seien 249 Bürger Südossetiens, 140 georgische, 75 russische sowie 29 Bürger anderer Staaten gewesen. In 228 Fällen wurden Bußgelder verhängt. 139 Bürger Georgiens wurden nach Zahlung einer Geldstrafe des Landes verwiesen (PEC 27.1.2015).

Im Sommer 2015 warf die georgische Regierung Russland vor, Grenzmarkierungen zwischen Georgien und Südossetien zu verschieben und damit georgisches Gebiet Südossetien einzuverleiben (ZO 12.8.2015). Der EU-Ratspräsident, Donald Tusk, zeigte sich besorgt und bezeichnete das Vorgehen als Provokation (Civil.ge 21.7.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (11.11.2015): Georgien. Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_8108DEE44ECFAF67827A2F89BA2ACDB3/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/GeorgienSicherheit_node.html, Zugriff 11.11.2015

- Civil.ge (21.7.2015): EU's Tusk Hails Tbilisi's 'Responsible Reaction' to Russia's 'Provocations', http://www.civil.ge/eng/article.php?id=28454, Zugriff 11.11.2015

- CN - Caucasian Knot (9.6.2014): Official of South Ossetian CEC confirms victory of "United Ossetia" at parliamentary elections, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/28376/, Zugriff 11.11.2015

- Der Standard (9.6.2014): Prorussische Partei gewinnt Wahl in Südossetien, http://derstandard.at/2000001865997/Parlamentswahl-in-Suedossetien-begonnen, Zugriff 11.11.2015

- OD - OpenDemocracy (10.6.2014): South Ossetia's unwanted independence, https://www.opendemocracy.net/od-russia/stephen-f-jones/south-ossetia%E2%80%99s-unwanted-independence, Zugriff 11.11.2015

- EC - (27.01.2015): 2014 493 , http://cominf.org/en/node/1166504080, Zugriff 11.11.2015

- RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (23.1.2015): 'Integration' With Russia Rives South Ossetia's Political Scene, http://www.rferl.org/content/georgia-russia-integration-south-ossetia-politics/26810121.html, Zugriff 11.11.2015

- USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Reports on Human Rights Practices 2014, Georgia, http://www.ecoi.net/local_link/306368/429751_en.html, Zugriff 11.11.2015

- ZO - Zeit-Online (12.8.2015): Georgien wirft Russland Grenzverschiebung vor, http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-08/kaukasus-konflikt-georgien-russland, Zugriff 11.11.2015

Rechtsschutz/Justizwesen

Georgien unternimmt Anstrengungen, sich bei der Rechtsreform und der Wahrung der Menschen- und Minderheitenrechte den Standards des Europarats anzupassen. 1996 wurde ein Verfassungsgericht eingerichtet, 1997 die Todesstrafe abgeschafft und 2007 die Abschaffung der Todesstrafe in der Verfassung verankert. In den Jahren seit der "Rosenrevolution" 2003/2004 hat Georgien anerkennenswerte Fortschritte bei der Polizeireform, dem erfolgreichen Kampf gegen die "Kleine Korruption" (Korruption im alltäglichen Umgang), der Reform der Steuergesetzgebung und der Verbesserung der Investitionsbedingungen erzielt. Im Rahmen der Justizreform wurde der Instanzenzug neu geregelt und eine radikale Verjüngung der Richterschaft durchgesetzt. Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz bleiben bestehen. Reformen im Justizbereich und Strafvollzug gehören zu den Prioritäten der im Oktober 2012 ins Amt gewählten neuen Regierung und zielen insbesondere auf die Entpolitisierung des Justizsektors, die Sicherstellung der Unabhängigkeit der Richter, des Gerichtswesens und der Strafverfolgungsbehörden sowie die Stärkung der Rechte von Opfern (AA 11.11.2015; vgl. EC 25.3.2015).

Generell machte Georgien einige Fortschritte in der Implementierung der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) sowie der Assoziationsagenda. Merkliche Erfolge wurden in den Bereichen der Menschenrechte, der grundlegende Freiheiten und Prozesses der Visaliberalisierung. Anti-Diskriminierungsgesetze erzielt, und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft fortgesetzt. Allerdings ist der Raum für den Dialog zwischen Zivilgesellschaft und der Regierung, im Unterschied zum Parlament, enger geworden (EC 25.3.2015).

Verfassung und Gesetze garantieren eine unabhängige Justiz, aber die Einflussnahme von außen wie innen bleibt ein Problem. Verfassung und Gesetze garantieren einer Person, der aus Willkürakten, einschließlich Menschenrechtsverletzungen, Schaden entstanden ist, das Recht auf eine Zivilklage. Nach Ausschöpfung des Rechtsweges besteht das Recht beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ihr Recht einzuklagen. Trotz der verfassungsrechtlich verankerten Unabhängigkeit der Justiz und den Anzeichen, dass diese zugenommen hat, bestehen diesbezüglich weiterhin Herausforderungen. Laut der der NGO "Koalition für eine unabhängige und transparente Justiz" stellten der mangelhafte Auswahlprozess beim Obersten Gerichtshof sowie das unklare Prozedere bei möglichen Disziplinarmaßnahmen gegen Richter eine Herausforderung dar (USDOS 25.6.2015).

Nach dem Regierungswechsel 2012 nahm die Staatsanwaltschaft tausende Beschwerden entgegen, die sie in drei Kategorien unterteilte: Verletzung von Eigentumsrechten, Folter und Misshandlungen sowie die missbräuchliche Anwendung von Prozessabsprachen. Daraufhin wurden Dutzende Fälle nach dem Strafgesetz initiiert, welche sich vor allem gegen ehemalige Offizielle richteten. Angesichts fehlender Bestimmungskriterien zur Verfolgung der Straffälle sowie des Eindrucks, dass überwiegend Beamte der vormaligen Regierungspartei "Vereinte Nationale Bewegung" betroffen waren, behauptete die Opposition, dass ihre Aktivisten aus politischen Gründen ins Visier genommen würden. Im Juli 2014 wurde Expräsident Micheil Saakaschwili für mehre Vergehen angeklagt, darunter Veruntreuung und Überschreitung der Amtsgewalt in mehreren Fällen. Über Saakaschwili, der im November 2013 in die USA emigrierte, wurde seitens des Gerichts die Untersuchungshaft in Abwesenheit verhängt. Georgien's internationale Partner, darunter die EU und die USA zeigten sich ob der Strafanzeigen gegen Saakaschwili besorgt. Sie drängten die Behörden, sich strikt an die Verfahrensvorschriften zu halten und zu gewährleisten, dass die Anklage frei von politischen Motiven ist (HRW 29.1.2015, vgl. auch UN-HRC 19.8.2014).

Die Untersuchungen gegen ehemalige Amtsträger wurden fortgesetzt. Bislang wurden 35 Amtsträger der ehemaligen Regierung wegen Straftaten angeklagt. Darüber hinaus gab es Anklagen gegen eine erkleckliche Anzahl von Beamten (EC 25.3.2015).

Im Mai 2013 wurde per Gesetzesänderung die Zusammensetzung des "Hohen Justizrates" neu bestimmt, einer Verfassungsinstitution, die das Justizsystem verwaltet. Die 15 Ratsmitglieder ernennen und entlassen unter anderem Richter und managen Reformen im Justizsystem. Der georgische Präsident verlor seine umfangreichen Rechte hinsichtlich der Ernennung der Mitglieder. Stattdessen werden acht Ratsmitglieder durch die Richterkonferenz, einer Selbstverwaltungskörperschaft aus neun Richtern, gewählt. Das Parlament wählt sechs Mitglieder, die jedoch nicht selbst Abgeordnete sein dürfen. Der Staatspräsident ernennt zwei Räte. Der Präsident des Obersten Gerichtshofes sitzt dem Gremium vor (zuvor war es der Staatspräsident gewesen). Dies wird als ein wesentlicher Schritt zur Befreiung des Hohen Justizrats von politischer Einflussnahme betrachtet (FH 12.6.2014, vgl. auch HCOJ 9.3.2015). Der Menschenrechtskommissar des Europarates Nils Mui?nieks begrüßte 2014, dass der Hohe Justizrat damit gegenüber politischer Einflussnahme weniger verwundbar sei, empfahl aber weitere Verbesserungen in diesem Bereich (CoE-CommHR 12.5.2014).

Der georgische Ombudsmann sowie NGOs verurteilten Verfahrensverletzungen inklusive die Verletzung der Unschuldsvermutung sowie die Einschüchterungen während der Einvernahme, wobei sie sich wegen der verlängerten Untersuchungshaft besorgt zeigten (EC 25.3.2015).

Seit 2004 hat die Regierung die Ausgaben für die Justiz erhöht, was zu substantiellen Verbesserungen bei Gehältern, Infrastruktur und Personalausstattung führte. Trotz umgesetzter Reformen und einem Bekenntnis zum Modell der Europäischen Menschenrechtskonvention ist die Justiz bei Kriminalfällen weiterhin dem Einfluss der Staatsanwaltschaft und der Exekutive ausgesetzt, speziell wenn politische Interessen berührt werden. Waren früher Freisprüche in Kriminalfällen in Georgien sehr selten, was die große Lastigkeit der Justiz zugunsten der Staatsanwaltschaft demonstrierte, scheint sich eine Trendwende eingestellt zu haben. Seit 2013 gab es mehr Freisprüche in Fällen, die von der Staatsanwaltschaft eingeleitet wurden, als in früheren Jahren (FH 12.6.2014).

Der Menschenrechtskommissar des Europarates begrüßte 2014 die Reformen, welche auf die Liberalisierung der Strafjustiz, die Reduzierung der Anwendung der Untersuchungshaft und die Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz abzielten. Allerdings seien weitere Anstrengungen nötig, das bestehende Ungleichgewicht zwischen Verteidigung und Strafverfolgungsbehörden anzugehen und hierbei die "Gleichheit der Waffen" in Gesetzgebung und Praxis zu stärken. Obgleich der Meinungsgleichklang zwischen Richtern und Staatsanwälten abgenommen habe, sei eine fortlaufende Wachsamkeit von Nöten, die Unabhängigkeit der Justiz zu wahren und zu stärken. Letztendlich sei auch die Effizienz und die Professionalität des Büros des Generalstaatsanwaltes als Schlüsselinstitution des Justizsystems zu stärken (CoE-CommHR 12.5.2014).

Transparency International Georgia (TIG) stellt aus seiner vierjährigen Beobachtung der Gerichte einige positive Entwicklungen fest: Die Erfolgsquote der Staatsanwaltschaft sank von 85% zu Beginn auf 53% am Ende der Beobachtungsperiode. Hinsichtlich der Offenheit und Transparenz von Prozessen gab es laut TIG merkbare Verbesserungen. Gerichtsverhandlungen dürfen nun akustisch und visuell aufgezeichnet und übertragen werden. Sie sind für die Medien zugänglich. Schlussendlich begännen Verhandlungen pünktlicher, d.h. zum tatsächlich angesetzten Termin. Nichtsdestoweniger wurden auch bedenkliche Trends ausgemacht, insbesondere wenn es sich um für die Öffentlichkeit wichtige Fälle handelte. Die Richter hätten hierbei nicht nur im Sinne der Staatsanwaltschaft entschieden, sondern auch die Verfahrensregeln zugunsten letzterer gebrochen. Am Beispiel des Stadtgerichtes von Tiflis zeigte sich auch, dass die Gerichte im Allgemeinen infolge einer zu geringen Anzahl an Richtern schwer das gestiegene Ausmaß an Fällen bewältigen können (TI-G 4.12.2014, vgl. auch OSCE 9.12.2014).

Im August 2014 äußerten sich die OSZE und der Europarat gemeinsam zur Strafprozessordnung in Georgien. Trotz Übereinstimmung mit internationalen Standards bestehe der Bedarf, einerseits das Risiko exzessiver Prozessabsprachen (plea-bargaining) sowie Ungleichgewichte bei den Verurteilungen zu reduzieren. Andererseits sollten die Rechte der Beschuldigten in der vorprozessualen Phase, während des Gerichtsprozesses sowie bei Prozessen in Abwesenheit gestärkt werden. Letztere sollten abgeschafft oder auf ein Minimum reduziert werden (OSCE/CoE 22.8.2014). Die Verwaltungshaft wurde 2014 von drei Monate auf 15 Tage verkürzt (HRW 29.1.2015).

Das System der Prozessabsprachen wurde insbesondere von der Hohen Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Navi Pillay, kritisiert. Nebst der extrem hohen Zahl an Straffällen, die durch Prozessabsprachen gelöst werden, führe dieses System dazu, dass Unschuldige keine andere Option hätten außer der Bezahlung der seitens der Staatsanwaltschaft geforderten exorbitant hohen Strafen. Dies auch, weil die Richter in diesen Fällen nur minimal involviert seien. Den Betroffenen drohe von vornherein die Bestrafung, wenn deren Fall vor Gericht käme. Das System der Prozessabsprachen stelle somit eine Form der behördlich sanktionierten Erpressung dar, die dazu führe, dass Menschen ihr Heim oder ihr Geschäft verlören (UN 21.5.2014).

Der Sonderbeauftragte der Europäischen Union Thomas Hammarberg, verfasste im Sommer 2014 seinen abschließenden Bericht zur Justizreform in Georgien. Hammarberg stellte zwar eine Zunahme der Unabhängigkeit und Transparenz der Justiz sowie eine Verbesserung der Gerichtsurteile in ihrer Substanz fest, doch bliebe der Fortschritt im Gerichtswesen fragil. Deshalb gelte es die Regeln zur Richterernennung weiter zu verbessern. Die mangelnde Rechenschaftspflicht seitens der Staatsanwaltschaft bleibe ein Problem. Nach der Trennung des Büros der Staatsanwaltschaft vom Justizministerium mangle es an der Aufsicht über Leistungen der Staatsanwaltschaft, sodass die Beschädigung des Ansehens des gesamten Justizsystems drohe. Die Aufsicht über die Rechtsvollzugsorgane sei ein generelles Problem. Es bestünde in diesem Zusammenhang der Bedarf nach einem unabhängigen und effektiven Beschwerdesystem. Denn die gegenwärtige Beschwerdepraxis trüge zu Misstrauen in das System bei. Hinsichtlich der Beschwerden gegen den Staat wie beispielsweise im Falle von "unfreiwilliger" Verstaatlichung privater Immobilien (ca. 700 Fälle) oder Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit sollte der Staat trotz finanzieller Bürden eine Strategie zur adäquaten Entschädigung aller Opfer schaffen (TH 9.7.2014).

Quellen:

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- CoE-CommHR - Council of Europe - Commissioner for Human Rights (12.5.2014): Report by Nils Mui?nieks Commissioner for Human Rights of the Council of Europe following his visit to Georgia from 20 to 25 January 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1400594411_com-instranetgeorgia.pdf, Zugriff 11.11.2015

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Sicherheitsbehörden

Das georgische Innenministerium hat die primäre Verantwortung für die Polizei. Während die Sicherheitsbehörden generell als effektiv angesehen werden, gibt es Berichte über Fälle von Amtsmissbrauch, die straflos geblieben sind, obgleich die Regierung Schritte unternommen hat, um die Verantwortlichkeit zu stärken. Das Büro des Ombudsmanns hat Fälle dokumentiert, bei denen die Anwendung von Polizeigewalt die erlaubte Grenze überschritt. Laut Innenministerium hat dessen Generalinspektionsdienst 2014 2.796 Di

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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