TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/19 W260 2200959-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.05.2020
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Entscheidungsdatum

19.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W260 2200959-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Nadja LORENZ, Rechtsanwältin in 1070 Wien und dem Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (BAT) vom 19.06.2018, Zl. 1095288406-151807479, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (im Folgenden "Beschwerdeführer") stellte am 18.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes fand am 19.11.2015 statt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer in der Erstbefragung an, dass seine Familie in Afghanistan beschuldigt worden sei, jemanden aus dem Dorf "verschwinden" haben zu lassen und seien folglich mit dem Tod bedroht worden. Sie hätten Afghanistan verlassen, seine Familie sei im Iran geblieben.

2. Nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Altersfeststellung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden "belangte Behörde"), wurde das Geburtsdatum des Beschwerdeführers mit Verfahrensanordnung vom 06.04.2016 mit XXXX festgestellt.

3. Die Einvernahme vor der belangten Behörde fand am 17.05.2018 statt.

Hier gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er aus der Provinz Ghazni, dem Distrikt XXXX und dem Dorf XXXX stamme. Er habe sieben Jahre die Grundschule besucht und sich am Nachmittag im Lebensmittelgeschäft seines Vaters verdingt. Die finanzielle Situation seiner Familie sei zu diesem Zeitpunkt "gut" gewesen. Die Familie hätte dort ein Haus besessen, wo er mitsamt seinen Eltern, vier Schwestern und einem Bruder gelebt hätte. In der Folge sei seine Familie beschuldigt worden, als Spione ein Dorfmitglied verraten zu haben und seien von dessen Familie bedroht worden. Im Zuge der Einvernahme wurde ein Radiobericht vorgespielt, der Beschwerdeführer selbst, oder der Name der Familie des Beschwerdeführers, sei nicht erwähnt worden. Die Bedrohungen unter Verwendung eines Messers gegen ihn persönlich hätten vier bis fünf Mal stattgefunden. Es hätte weiters auch Streitigkeiten wegen dem Geschäft des Vaters gegeben, da sie paschtunische Kunden gehabt hätten. Acht Monate später habe ein Dritter erzählt, dass genanntes Dorfmitglied getötet worden sei, zu diesem Zeitpunkt habe der Beschwerdeführer bereits das Land verlassen.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 19.06.2018 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte III. bis V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe, wonach er wegen der vorgebrachten Entführung eines Dorfmitgliedes durch dessen Familie bedroht worden sei, nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid durch seine bevollmächtigte Vertretung fristgerecht Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, dass die belangte Behörde verkenne, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr der Blutrache zum Opfer fallen würde und ihm asylrelevante Verfolgung drohe. Eine innerstaatliche Fluchtalternative wäre nicht gegeben.

6. Nach Übermittlung der Ladungen an die Verfahrensparteien legt die bisherige Vertretung, der Verein Menschenrechte Österreich die Vollmacht mit Schreiben vom 23.10.2019 nieder.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.11.2019 eine mündliche Verhandlung im Beisein der nunmehrigen anwaltlichen Vertreterin des Beschwerdeführers durch. Das Verhandlungsprotokoll wurde der entschuldigt ferngebliebenen Behörde übermittelt.

8. Der Beschwerdeführer brachte mit Schreiben vom 17.11.2019 eine schriftliche Stellungnahme ein, in welcher das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers zusammengefasst wurde.

9. Die Rechtsvertretung übermittelte in der Folge der belangten Behörde den Lehrvertrag des Beschwerdeführers und informierte die belangte Behörde das Bundesverwaltungsgericht am 07.04.2020 über die Übermittlung eines Merkblattes zur Fristhemmung an den Beschwerdeführer.

10. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte im Rahmen des Parteiengehörs am 24.03.2020 an die Verfahrensparteien aktuelle Länderinformationen zu Afghanistan.

11. Die belangte Behörde übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am 07.04.2020 informativ den ihr zugegangenen aktuellen Lehrvertrag des Beschwerdeführers.

12. Der Beschwerdeführer erstatte durch seine Rechtsvertreterin am 14.05.2020 eine Stellungnahme, in welcher er zusammengefasst ausführte, dass aufgrund der Corona Krise die Situation sich maßgeblich verschlechtern werde und das schlimmste noch bevorstehe, auch da die Bevölkerung sich nicht an die Ausgangsbeschränkungen halte um ihrer Arbeit nachgehen zu können. Weiters wurden Schulnachrichten und ein Arbeitszeugnis des Beschwerdeführers vorgelegt.

Die Rechtsvertreterin wies in der Stellungnahme ausdrücklich darauf hin, dass die Frist zur freiwilligen Ausreise erst nach Beendigung der Lehre zu laufen beginnen habe und erging entsprechender Antrag.

13. Am 15.05.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht ebenfalls eine Stellungnahme ein, in welcher der Beschwerdeführer ein Vollmachtsverhältnis zur ehemaligen Vertretung, dem Verein Menschenrechte Österreich, zur Vorlage brachte und brachte in der Stellungnahme zusammengefasst vor, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative in ganz Afghanistan nicht möglich sei. An als Beilagen bezeichneten Beweismitteln ohne nähere Anträge wurden ebenfalls Schulnachrichten und ein Empfehlungsschreiben zur Vorlage gebracht.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

14. Das Bundesverwaltungsgericht holte am 24.03.2020 einen GVS Auszug ein, wonach der Beschwerdeführer bis zum 01.09.2019 Leistungen bezogen hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er ist schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari, die er in Wort und Schrift beherrscht. Er ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren und wuchs dort gemeinsam mit seinen Eltern und seinen fünf Geschwistern auf.

Der Beschwerdeführer besuchte sieben Jahre eine Schule. Der Beschwerdeführer arbeitete zwei Jahre als Verkäufer im Lebensmittelgeschäft seines Vaters.

Der Beschwerdeführer ist mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Der Beschwerdeführer und sein Vater werden nicht verdächtigt für die Taliban zu spionieren oder mit diesen Zusammenzuarbeiten.

Zwischen der Familie des Beschwerdeführers und der Nachbarsfamilie des XXXX besteht keine Blutfehde. Der Vorfall, wonach die Familie des Beschwerdeführers XXXX verraten habe, hat nicht stattgefunden. Der Beschwerdeführer oder dessen Familie wurden nicht bedroht.

1.2.2. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Familie des XXXX .

1.3. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit November 2015 durchgehend in Österreich auf.

Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 18.11.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse auf dem geprüften Niveau A2.

Der Beschwerdeführer bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung und steht in einem aufrechten Lehrverhältnis, welches laut Lehrvertrag vom 24.11.2017 voraussichtlich am 12.11.2020 enden wird.

Der Beschwerdeführer ist in seinem Lehrbetrieb gut integriert und legte hiezu zahlreiche Unterstützungsschreiben vor. Der Beschwerdeführer konnte in Österreich Freundschaften zu anderen Asylwerbern, seinem Unterkunftgeber und Mitgliedern seiner Gemeinde knüpfen. Der Beschwerdeführer verfügt jedoch weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen, wie Ehefrau oder Kinder in Österreich.

Der Beschwerdeführer arbeitet nicht ehrenamtlich.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in die Provinz Ghazni aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers sind derzeit illegal im Iran aufhältig. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu ihnen.

Die Familie des Beschwerdeführers besaß im Zeitpunkt seiner Ausreise ins Bundesgebiet in Afghanistan ein Haus im Eigentum und ein Lebensmittelgeschäft. Die finanzielle Situation der Familie wurde vom Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung als gut bezeichnet.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine Verwandten im Herkunftsstaat.

Der Beschwerdeführer kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selbst erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),

- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

- Auszugsweise Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan von Juni 2018, Seiten 21-25 und 98-109, sowie

- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO).

1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 22.1).

1.5.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung aus. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Es bestehen keine sozialen oder politischen Stammesstrukturen (LIB, Kapitel 17.3).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB Kapitel 17.3).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, dies steht im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - halten an (LIB, Kapitel 17.3).

1.5.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 16).

Schiiten

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 - 19% geschätzt. Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die Jafari-Schiiiten (Zwölfer-Schiiten). 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten, die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen (LIB, Kapitel 16.1).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25-30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB, Kapitel 16.1).

1.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

1.5.8. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

1.5.9. Provinzen und Städte

1.5.9.1. Herkunftsprovinz Ghazni:

Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken. Ghazni hat 1.338.597 Einwohner (LIB, Kapitel 3.10).

Ghazni gehört zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben. In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen, Luftangriffen und Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften. Im Jahr 2018 gab es 653 zivile Opfer (253 Tote und 400 Verletzte) in Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 84% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Luftangriffen und gezielten oder vorsätzlichen Morden (LIB, Kapitel 3.10).

In der Provinz Ghazni reicht eine "bloße Präsenz" in dem Gebiet nicht aus, um ein ernstes Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen. Es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an Einzelelementen erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

1.5.9.2. Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

1.5.10. Situation für Rückkehrer

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).

1.5.11. Blutfehde

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu langanhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt, doch soll der Brauch baad, eine stammesübliche Form der Streitbeilegung, in der die Familie des Täters der Familie, der Unrecht geschah, ein Mädchen zur Heirat anbietet, vor allem im ländlichen Raum praktiziert werden, um eine Blutfehde beizulegen. Wenn die Familie, der Unrecht geschah, nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat. (UNHCR, Kapitel III. A. 14)

1.5.12. Pandemie COVID-19

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 19.05.2020, 08:00 Uhr, 1.026 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 599 Todesfälle nach dem EpiG; in Afghanistan wurden zu diesem Zeitpunkt 7.072 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 173 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich.

Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind.

Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf, denen der Beschwerdeführer nicht angehört.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan, seiner Schulausbildung, seiner Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist. So hat die Rechtsvertreterin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 13.11.2019 ausgeführt, dass sie vom Beschwerdeführer eine CD mit Befunden erhalten hat. Der Beschwerdeführer wurde angehalten, etwaige Krankheitsbilder, die sich aus diesen Befunden ergeben würden, samt Relevanz für das gegenständliche Beschwerdeverfahren namens seiner Rechtsvertretung in der noch einzuräumenden Stellungnahmemöglichkeit schriftlich dem Gericht mitzuteilen (vgl. S 6 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 13.11.2019). In den Stellungnahmen tätigte der Beschwerdeführer keine Angaben zu seinem Gesundheitszustand oder zu allfälligen medizinischen Befunden, womit entsprechende Feststellung zu treffen war.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Das Asylverfahren bietet, wie der VwGH in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Mit der Glaubhaftmachung ist demnach die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss - unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

Diese Voraussetzungen zu erfüllen ist dem Beschwerdeführer nicht gelungen.

2.2.2. Der Beschwerdeführer gab als Fluchtgrund an, dass ein Musiker aus seinem Dorf namens XXXX verschwunden wäre. Die Familie von XXXX hätte den Beschwerdeführer und seine Familie beschuldigt, für das Verschwinden von XXXX verantwortlich zu sein. Konkret hätten sie ihnen Verbindungen zu den Taliban bzw. "Spionage" für die Taliban unterstellt. Außerdem hätte es zwischen den beiden Familien schon lange Streitigkeiten gegeben. Die Bedrohungen gegen den Beschwerdeführer persönlich, hätten vier bis fünf Mal stattgefunden. Es hätte weiters auch Streitigkeiten wegen dem Geschäft des Vaters gegeben, da sie paschtunische Kunden gehabt hätten. Acht Monate später hätte ein Dritter erzählt, dass genanntes Dorfmitglied getötet worden wäre. Zu diesem Zeitpunkt hätte der Beschwerdeführer bereits das Land verlassen gehabt.

2.2.2.1. Die belangte Behörde wertete das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine asylrelevante Verfolgungsgefahr als vage und unplausibel.

Im Laufe des Rechtsmittelverfahrens verstärkte sich der Eindruck der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers insofern, da er auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage war, eine derzeitige, ihn selbst betreffende asylrelevante Verfolgungsgefahr in seinem Herkunftsstaat aufzuzeigen.

Dem Beschwerdeführer ist zugute zu halten, dass er das Fluchtvorbringen sowohl in der Erstbefragung, in der Einvernahme bei der belangten Behörde als auch in der Beschwerdeverhandlung am 13.11.2019 im Kern gleichbleibend geschildert hat. Das Vorbringen enthält aber dennoch einige Ungereimtheiten und ist - wie bereits von der belangten Behörde bemängelt - vage und wenig konkret.

In Summe kommt daher auch das Bundesverwaltungsgericht aus nachfolgenden Überlegungen zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan keine asylrelevante Verfolgung erlebt hat oder in Zukunft zu befürchten hat.

2.2.2.1.1. Die belangte Behörde kritisierte - wie bereits erwähnt - in ihrer Beweiswürdigung, dass der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen nur vage und rudimentär dargestellt hat und jegliche Zeitbezüge und Ortsangaben vermissen ließ (vgl. S 74 des Bescheides vom 19.06.2018).

Dieser Behauptung kann nicht entgegengetreten werden, insbesondere, wenn man die Aussagen des Beschwerdeführers in der Einvernahme bei der belangten Behörde betrachtet. Der Beschwerdeführer gab beispielweise auf die Frage, wie oft er bedroht worden sei, an: "Sehr oft. Mindestens 4-5 Mal sind sie zu unserem Geschäft gekommen. Einige Male haben sie mich angehalten als ich unterwegs war. Sie haben mich auch einige Male mit dem Messer bedroht." (vgl. S 7 der Niederschrift vom 17.05.2018). Wann genau der Beschwerdeführer das erste Mal von der Familie von XXXX beschuldigt worden sein soll, XXXX verraten zu haben, konnte er nicht sagen. Ebenso wenig wusste er, wann XXXX verschwunden ist und wann der Beschwerdeführer selbst Afghanistan verlassen hat (vgl. S 7f der Niederschrift vom 17.05.2018).

2.2.2.1.2. Auch in der Beschwerdeverhandlung setzte sich dieses vage Aussageverhalten fort:

Der Beschwerdeführer gab an, dass die Verwandten von XXXX mehrere Male ins Geschäft seiner Familie gekommen wären und sie bedroht hätten (vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 13.11.2019). Aufgefordert, möglichst genau zu schildern, wie oft und wann er persönlich bedroht worden sei, sagte der Beschwerdeführer aus, dass er sich nicht so genau daran erinnern könne. Er könne nicht sagen, wann das zweite Mal gewesen sei und wie es gewesen sei. Aber das erste Mal seien "sie" in das Geschäft hereingekommen und haben nach seinem Vater gefragt. Er habe ihnen gesagt, dass sein Vater in Ghazni sei. Sie hätten nach XXXX gefragt und behauptet, dass der Beschwerdeführer etwas damit zu tun hätte. Sie hätten ihn geschlagen und gesagt: "Wir sehen uns noch" (vgl. S 16f der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 13.11.2019).

Der Beschwerdeführer konnte mit diesen Angaben zu Anzahl, Zeitpunkt und Ablauf der Bedrohungen nicht glaubhaft machen, dass er die geschilderten Vorfälle tatsächlich erlebt hat. Zudem ist die behauptete Aussage von Familienmitgliedern des XXXX ("Wir sehen uns noch") aus beweiswürdigender Sicht nicht als ersthafte Bedrohung einzustufen.

In diesem Zusammenhang gilt es auch auszuführen, dass der Beschwerdeführer in der Einvernahme bei der belangten Behörde angegeben hat, dass er von der Familie von XXXX mit dem Messer bedroht worden wäre (vgl. S 6 und 7 der Niederschrift vom 17.05.2018).

In der Beschwerdeverhandlung ist von einer Bedrohung mit einem Messer aber keine Rede mehr. Der Beschwerdeführer schilderte an mehreren Stellen, dass er und seine Familienmitglieder von Familienmitgliedern von XXXX geschlagen worden wären (vgl. S 15, 17 und 19 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 13.11.2019).

Diese Widersprüche betreffend die Art und Weise der Bedrohung sind dem Beschwerdeführer zur Last zu legen und im Ergebnis an der Glaubwürdigkeit seiner Aussage berechtigt zu zweifeln.

Der Beschwerdeführer brachte sowohl in der Einvernahme bei der belangten Behörde, als auch in der Beschwerdeverhandlung vor, dass er bzw. seine Familie von der Familie von XXXX deshalb verdächtigt worden wäre, etwas mit dem Verschwinden von XXXX zu tun gehabt zu haben, weil es zwischen den Familien bereits seit längerer Zeit Probleme gegeben hätte. Es hätte Streitigkeiten wegen des Geschäftes der Familie des Beschwerdeführers gegeben (vgl. S 7 der Niederschrift vom 17.05.2018).

In der Beschwerdeverhandlung behauptete der Beschwerdeführer, dass bereits die Großväter Probleme gehabt hätten. Es hätte Grundstücksstreitigkeiten gegeben. XXXX Vater wäre eine mächtige Person und hätte nicht gewollt, dass der Vater des Beschwerdeführers ein Geschäft eröffne. Es hätte ihm auch nicht gepasst, dass die Familie des Beschwerdeführers viele paschtunische Kunden gehabt hätte (vgl. S 16 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 13.11.2019).

Dieses Vorbringen zeigt, dass der angebliche Konflikt zwischen den beiden Familien bereits seit Generationen besteht, es allerdings offensichtlich immer bei Bedrohungen bzw. gegenseitigen Anfeindungen geblieben ist.

Selbst nach dem Verschwinden von XXXX sollen dessen Verwandte zwar - wie vom Beschwerdeführer behauptet - mehrmals verbale Bedrohungen gegen die Familie des Beschwerdeführers ausgesprochen haben und den Beschwerdeführer und seine Familie auch geschlagen haben.

Obwohl es aber angeblich vier bis fünf Vorfälle gegeben hat und dem Beschwerdeführer auch mit Entführung gedroht worden sein soll (vgl. S 17 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 13.11.2019), ist allerdings nichts "Wesentliches" passiert bzw. haben die Verwandten von XXXX ihre Drohungen nicht wahrgemacht. Es blieb bei bloßen Bedrohungen.

Hätte die Familie von XXXX dem Beschwerdeführer tatsächlich nach dem Leben getrachtet, weil sie ihn für das Verschwinden von XXXX verantwortlich gemacht haben, dann würde es aus beweiswürdigender und lebensnaher Sicht nicht nur bei so zahlreichen Drohungen geblieben sei. Dies insbesondere auch deshalb, weil die Familie von XXXX angeblich sehr reich und mächtig ist und sie daher die Möglichkeiten gehabt hätte, "Feinde problemlos aus dem Weg zu räumen" (vgl. S 18 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 13.11.2019).

Der Beschwerdeführer gab weiters in der Beschwerdeverhandlung erstmals an, dass sein Vater ein sehr religiöser Mensch wäre. Der Vater hätte XXXX , der ein Musiker gewesen wäre, mehrere Mal aufgefordert, mit dem Musizieren aufzuhören. Deswegen hätte es Probleme gegeben (vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 13.11.2019).

Diese Angaben werden als gesteigertes Vorbringen und ebenfalls als unglaubwürdig gewertet.

Der Beschwerdeführer sagte in der Beschwerdeverhandlung aus, dass XXXX ein Künstler gewesen wäre. Befragt wie bekannt - landesweit oder in der Provinz - dieser gewesen wäre, antwortete der Beschwerdeführer, dass XXXX vielleicht nicht in ganz Afghanistan, aber in ihrem Ort bekannt gewesen wäre (vgl. S 19 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 13.11.2019). Diese Angaben widersprechen dem Vorbringen in der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 17.11.2019. Darin zitierte der Beschwerdeführer bzw. seine Vertreterin Länderberichte, wonach XXXX ein angesehener Musiker in Afghanistan gewesen wäre. Er hätte Afghanistan in einem jährlichen Songcontest vertreten und hätte auch Auftritte im Ausland absolviert. Die Berichte würden auch bestätigen, dass XXXX von den Taliban entführt und getötet worden wäre. Die Berichte würden auch das Vorbringen des Beschwerdeführers bestätigen und wäre aufgrund der Prominenz von XXXX davon auszugehen, dass die Familie von XXXX über entsprechenden Einfluss und ausreichende finanzielle Mittel verfüge, um den Beschwerdeführer auch landesweit aufspüren zu können und den Tod von XXXX zu rächen. Diese Ansicht teilt der erkennende Richter nicht.

Das mangelnde Wissen des Beschwerdeführers über den Bekanntheitsgrad von XXXX in der Beschwerdeverhandlung zeigt vielmehr, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht der Wahrheit entspricht. Er hat von der tragischen Entführung und Tötung von XXXX offenbar aus den Medien erfahren und rund um diesen Medienbericht eine eigene Fluchtgeschichte kreiert. Dies wird auch durch den Umstand bestätigt, dass der Beschwerdeführer im von ihm vorgelegten Video von Radio XXXX , in dem von der Entführung von XXXX berichtet wird, nicht erwähnt oder namentlich genannt wird (vgl. S 6 der Niederschrift vom 17.05.2018).

Der Beschwerdeführer konnte einen persönlichen Bezug zu diesem Künstler bzw. der Entführung und Ermordung dieses Künstlers nicht glaubhaft machen.

2.2.3. Aus einer Gesamtschau der oben angeführten Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren ergibt sich, dass eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus asylrelevanten Gründen in seinem Herkunftsstaat nicht glaubhaft gemacht werden konnte und nicht maßgeblich wahrscheinlich ist.

Es konnte weder eine konkret gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete asylrelevante Verfolgung festgestellt werden, noch sind im Verfahren sonst Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen bei einer Rückkehr für wahrscheinlich erscheinen lassen.

2.3. Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich, insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen Deutschkenntnissen, seinem Lehrberuf, seinen fehlenden familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich, stützen sich auf die Aktenlage, auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegten und von der belangten Behörde nachgereichten Unterlagen.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.4. Zu den Feststellungen zur Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

2.4.1. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Ghazni ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten.

Die Feststellungen zum Aufenthaltsort, zu den Eigentums- und Vermögensverhältnissen, sowie zur finanziellen Situation der Familie des Beschwerdeführers im Zeitpunkt seiner Ausreise ergeben sich aus seinen Ausführungen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Die Feststellung zum regelmäßigen Kontakt zu seinen Verwandten ergibt sich aus seinen Ausführungen in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Die Feststellungen zur Rückkehrhilfe ergeben sich aus den Länderberichten.

Die Feststellung zur Anpassungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich daraus, dass er in Österreich einem Lehrberuf nachgeht, er sich

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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