TE Vfgh Erkenntnis 2020/6/26 E810/2020 ua

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Veröffentlicht am 26.06.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend eine afghanische Familie; mangelhafte Darstellung der Sicherheitslage in Kabul

Spruch

I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Den Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird keine Folge gegeben.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 5.211,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer stammen aus der Stadt Kabul, sind Staatsangehörige der Republik Afghanistan, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennen sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind die Eltern der Dritt-, Viert-, Fünft-, Sechst- und Siebtbeschwerdeführer.

2. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30. November 2017 bzw 1. Dezember 2017 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus abgewiesen, ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei; für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24. Oktober 2018 wurde den dagegen gerichteten Beschwerden stattgegeben, die Bescheide aufgehoben und die Sache an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13. Mai 2019 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus neuerlich abgewiesen, ihnen der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt, kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei; für die freiwillige Ausreise wurde eine Frist von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.

3. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundes-verwaltungsgerichtes vom 5. Februar 2020 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23. August 2019 abgewiesen.

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht begründete die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus in Bezug auf den Erstbeschwerdeführer mit der mangelnden Glaubwürdigkeit seines Fluchtvorbringens. Die Zweit-, Viert- und Sechstbeschwerdeführerinnen hätten noch keine "westlichen" Verhaltensweisen verinnerlicht, die einen nachhaltigen Bruch zu den in ihrem Herkunftsstaat vorherrschenden Werten bedeuten, die ihnen eine Rückkehr nach Afghanistan unzumutbar machen würden. Die Zweitbeschwerdeführerin hätte bereits in Afghanistan ein bemerkenswert unabhängiges Leben geführt, über einen Führerschein verfügt und sei tatsächlich Auto gefahren. Auch wenn weitere Entwicklungsschritte zur Selbstständigkeit zu beobachten seien, sei eine Verinnerlichung eines "westlichen Verhaltens" bzw eine "westliche Lebensführung" als wesentlicher Bestandteil der Identität der Zweitbeschwerdeführerin, die eine Rückkehr nach Afghanistan unzumutbar machen, nicht gegeben.

3.2. In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsprovinz Kabul keine Verletzung ihrer verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte aus Art2 und 3 EMRK drohe.

Zwar sei die Sicherheitslage in Kabul angespannt und auch Anschläge mit Symbolcharakter seien dort nicht auszuschließen. Bei der Stadt Kabul handle es sich aber um eine — zwar nicht sehr, aber doch (die EASO Country Guidance Afghanistan Juni 2019, 28 ff. ordneten Kabul in einer fünfteiligen Gefahrenskala der mittleren Stufe zu) — vergleichsweise sichere und über ihren internationalen Flughafen gut erreichbare Stadt, auch wenn es dort vermehrt zu Anschlägen komme. Die afghanische Regierung übe die Kontrolle über Kabul und größere Transitrouten aus. Terroranschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, seien nicht auszuschließen. Dies begründe aber noch keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit der Beschwerdeführer.

Die Existenz der minderjährigen Dritt-, Viert-, Fünft-, Sechst- und Siebtbeschwerdeführer sei bei der Rückkehr im Familienverband durch die Selbsterhaltungsfähigkeit ihrer Eltern und die Absicherung im Familienverband durch die in Afghanistan lebenden Familienangehörigen gesichert.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

6. Nach erfolgter Erhebung der Beschwerde durch einen selbst gewählten Rechtsanwalt brachte ein Rechtsberater für die Beschwerdeführer ferner einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe in vollem Umfang beim Verfassungsgerichtshof ein.

II. Erwägungen

A. Soweit sich die – zulässige – Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung nach Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie begründet:

1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seinen Entscheidungen hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten unterlaufen:

2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur EMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

2.2. Insbesondere bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74).

2.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche konkrete Rückkehrsituation Familien mit minderjährigen Kindern tatsächlich vorfinden werden (vgl VfGH 21.9.2017, E2130/2017 ua; 25.9.2018, E1463/2018 ua). Dabei reicht die Begründung, dass diese auf den Schutz und die Fürsorge ihrer Eltern vertrauen können, nicht aus (VfGH 13.3.2019, E1480/2018 ua). Es bedarf Ermittlungen hinsichtlich der Frage, ob das im Herkunftsstaat bestehende Familiennetzwerk tatsächlich willens und auch in der Lage ist, die Familie zu unterstützen (vgl VfGH 12.3.2019, E2314/2018 ua).

2.4. In seiner rechtlichen Beurteilung begründet das Bundesverwaltungsgericht die Zumutbarkeit der Rückkehr der Familie damit, dass die Situation in Kabul als hinreichend sicher zu bewerten sei. Die Beschwerdeführer kehrten gemeinsam als Familie zurück; die Minderjährigen würden bei ihrer Rückkehr durch den Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sowie durch die in Afghanistan lebenden Familienangehörigen versorgt werden können; es bestünden im konkreten Fall intakte soziale Anknüpfungspunkte und Verwandte in Afghanistan, die eine Gefährdung der minderjährigen Beschwerdeführer in Kabul als relativ gering erscheinen ließen.

2.5. Zur Sicherheitslage in der Stadt Kabul werden in den angefochtenen Erkenntnissen auszugsweise folgende Passagen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation vom 29. Juni 2018, Stand: 19. Oktober 2018, zitiert:

"Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) – dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. […]

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl – Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) – 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl SIGAR 30.4.2019). […]

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl USDOD 12.2018). […] Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019)."

2.6. Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Situation in Kabul ausgeführt, dass Gefährdungsquellen wie insbesondere Anschläge "in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen [sind], weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Kabul nach wie vor als ausreichend sicher zu bewerten ist." Diese Feststellungen widersprechen den Feststellungen von UNHCR zu Kabul, wonach gerade "Zivilisten, die in Kabul tagtäglich ihren wirtschaftlichen oder sozialen Aktivitäten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer der allgegenwärtigen in der Stadt bestehenden Gefahr zu werden. Zu solchen Aktivitäten zählen etwa der Weg zur Arbeit und zurück, die Fahrt in Krankenhäuser und Kliniken, der Weg zur Schule; den Lebensunterhalt betreffende Aktivitäten, die auf den Straßen der Stadt stattfinden, wie Straßenverkäufe; sowie der Weg zum Markt, in die Moschee oder an andere Orte, an denen viele Menschen zusammentreffen" (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 30.8.2018).

2.7. Auch geht entgegen der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes aus den im angefochtenen Erkenntnis abgedruckten Länderfeststellungen nicht hervor, dass die Lage in Kabul in reinen Wohn- und Arbeitsvierteln jedenfalls ausreichend sicher ist.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat somit die angefochtene Entscheidung mit Willkür belastet: Die Darstellung der Sicherheitslage, die das Bundesverwaltungsgericht veranlasst hat, die Stadt Kabul als hinreichend sicher zu betrachten, findet keine Deckung in den aus den Länderberichten gewonnenen Feststellungen. Zudem verweist das Bundesverwaltungsgericht bei der Prüfung der konkreten Rückkehrsituation, insbesondere der minderjährigen Dritt-, Viert-, Fünft-, Sechst- und Siebtbeschwerdeführer lediglich auf die Rückkehr im Familienkreis und die vor Ort lebenden Familienmitglieder, ohne hinreichend konkrete Feststellungen dazu zu treffen, ob die in Kabul lebenden Familienangehörigen tatsächlich willens und in der Lage sind, die siebenköpfige Familie zu unterstützen. Soweit sich die Entscheidung auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw die Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist sie daher aufzuheben.

B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

2. Die vorliegende Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären die gerügten Rechtsverletzungen aber im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

3. Demgemäß wurde beschlossen, von der Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten richtet, abzusehen.

C. Zum Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe (in vollem Umfang):

1. Zufolge §64 Abs3 ZPO treten, soweit die Verfahrenshilfe bewilligt wird, die Befreiungen nach §64 Abs1 ZPO mit jenem Tag ein, an dem sie beantragt worden sind; ein weiteres Zurückwirken der Befreiungswirkung ist hingegen nicht vorgesehen.

2. Der Antrag wurde zu einem Zeitpunkt eingebracht, zu dem sämtliche für die Einleitung des vorliegenden Verfahrens notwendigen Verfahrensschritte, die von einem Rechtsanwalt vorgenommen werden müssen (vgl §17 Abs2 VfGG), bereits gesetzt waren und auch die Eingabengebühr gemäß §17a VfGG entrichtet war. Eine Befreiung von der Entrichtung dieser Gebühr (respektive eine Erstattung derselben) kann nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht mehr nachträglich, also nach Entstehen der Gebührenschuld, beantragt werden (vgl §17a Z3 VfGG sowie zB VfGH 17.4.2002, B1147/01; 28.2.2012, B825/11). Gleiches gilt für die mit der Einbringung verbundenen Kosten für die (frei gewählte) anwaltliche Vertretung, die ebenfalls (deutlich) vor dem Tag der Beantragung der Bewilligung der Verfahrenshilfe entstanden sind.

3. Für die Vertretung im weiteren Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof – insbesondere für eine allfällige mündliche Verhandlung – besteht kein absoluter, sondern lediglich relativer Anwaltszwang (vgl §17 Abs2 VfGG).

4. In Anbetracht des fortgeschrittenen Verfahrensstadiums und des Umstandes, dass auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werden konnte (vgl unten III.4), erweist sich die Gewährung von Verfahrenshilfe und insbesondere die Beigebung eines Rechtsanwaltes für das weitere Verfahren weder als erforderlich noch als zweckmäßig.

5. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist daher nicht stattzugeben (vgl VfSlg 18.749/2009, 19.521/2011, 20.082/2016).

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, gegen die erlassene Rückkehrentscheidung und den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wird, in dem durch ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

3. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist keine Folge zu geben.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind die Umsatzsteuer in Höhe von € 588,60 und der Ersatz der entrichteten Eingabengebühren in Höhe von € 1.680,00 enthalten. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag zuzusprechen.

Schlagworte

Asylrecht / Vulnerabilität, Kinder, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E810.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.09.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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