Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. W***** F*****, 2. H***** M*****, 3. G***** P*****, 4. J***** S*****, 5. I***** O*****, 6. Dr. E***** O*****, 7. M***** B*****, 8. Dr. F***** H*****, 9. A***** H*****, 10. E***** L*****, 11. G***** Z*****, 12. H***** D*****, 13. B***** N*****, 14. K***** D*****, 15. M***** S*****, 16. Dr. F***** S*****, 17. C***** P*****, 18. A***** W*****, 19. E***** S*****, 20. C***** D*****, 21. C***** A*****, 22. H***** A*****, 23. S***** S*****, 24. B***** P*****, 25. J***** S*****, 26. Dr. J***** H*****, 27. C***** B*****, 28. M***** P*****, 29. J***** S*****, 30. A***** L*****, alle vertreten durch Dr. Peter Rosenthal, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Ö***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Alfred Hawel, Dr. Ernst Eypeltauer ua, Rechtsanwälte in Linz, wegen 1. Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), 2. Beseitigung (Streitwert 2.000 EUR), 3. Unterlassung (Streitwert 5.000 EUR), über den Rekurs (zu 1.) und die außerordentliche Revision (zu 2.) der klagenden Parteien gegen die Entscheidung des Landesgerichts Ried als Berufungsgericht vom 28. November 2019, GZ 14 R 119/19d-17, mit der das Urteil des Bezirksgerichts Braunau vom 16. September 2019, GZ 6 C 541/19h-12, (zu 1.) im Umfang des Feststellungshauptbegehrens als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen, im Übrigen aber (zu 2.) bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 751,61 EUR (darin 125,27 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.
II. Die außerordentliche Revision wird als jedenfalls unzulässig zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Beklagte ist Alleineigentümerin eines Grundstücks in B*****, über das seit mehr als 60 Jahren ein Gehweg zum Innufer führt. Dieser Weg wurde in dieser Zeit von zahlreichen Bürgern der Stadtgemeinde B***** benützt und von dieser auch betreut. Die Beklagte duldete dies. Nach einer Rodung der Böschung im Jahr 2016 war der Weg kaum mehr begehbar. Der Erstkläger versuchte gemeinsam mit anderen Interessenten, die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands zu erreichen. Im Oktober 2017 teilte die Stadtgemeinde der Beklagten jedoch mit, diese Gehwegverbindung nicht weiter zu behandeln, diese sei als aufgelassen anzusehen. Im November 2018 ließ die Beklagte den Weg durch ein massives Eisengitter sperren.
Die Kläger begehrten bezogen auf diesen Weg 1. die Feststellung eines konkret bezeichneten Wegerechts zugunsten der Stadtgemeinde B***** sowie der Allgemeinheit, in eventu zugunsten der Kläger, 2. die Beseitigung der die Nutzung des Wegs beeinträchtigenden Gegenstände und Einzäunungen sowie 3. die Unterlassung jeglicher die Nutzung einschränkender Maßnahmen. Die Stadtgemeinde B***** bzw die Allgemeinheit, aber auch jeder einzelne Kläger hätte an dem Weg ein Wegerecht ersessen. Die Beklagte bestreite dies und behindere dessen Ausübung durch bauliche Maßnahmen.
Die Beklagte wandte unter anderem ein, dass die Stadtgemeinde auf ein allenfalls ersessenes Wegerecht verzichtet und den Besitzwillen aufgegeben habe. Die Stadtgemeinde und die Beklagte hätten die Benützung des Wegs mittlerweile vertraglich geregelt. Den Klägern mangle es an der Aktivlegitimation, weil sie nicht einmal behaupteten, dass sie den Weg in einer anderen Art und Weise oder zu anderen Zwecken benützt hätten als jeder andere Fußgänger auch.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Mit ihrem Hauptfeststellungsbegehren machten die Kläger ein Wegerecht der Stadtgemeinde und damit ein fremdes Recht geltend; eine solche gewillkürte Prozessstandschaft sei dem österreichischen Recht fremd. Das Eventualbegehren dazu ziele zwar auf die Feststellung des Wegerechts für die Kläger persönlich ab. Die für eine Ersitzung durch die einzelnen Kläger erforderliche (Behauptung der) Rechtsausübung durch jeden einzelnen von ihnen fehle jedoch. Der Weg sei vielmehr jeder Person zugänglich gewesen und wie ein öffentlicher Weg genutzt worden. Für das Feststellungsbegehren fehle außerdem das rechtliche Interesse, weil der mittlerweile abgeschlossene Bahngrundbenützungsvertrag die Benützung des Wegs durch die Allgemeinheit ermögliche.
Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts aus Anlass der Berufung der Kläger im Umfang des Hauptfeststellungsbegehrens als nichtig auf und wies die Klage insoweit wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Im Übrigen gab es der Berufung der Kläger nicht Folge.
Die Kläger machten mit ihrem Haupt- und Eventualfeststellungsbegehren die an sich gleiche Dienstbarkeit jedoch mit jeweils anderen Servitutsberechtigten geltend. Soweit die Kläger dabei die Befugnisse an der Liegenschaft der Beklagten aus dem Recht des Gemeingebrauchs ableiteten, seien diese Ansprüche nicht im Rechtsweg durchsetzbar. Der Einzelne, der in der Ausübung eines Gemeingebrauchs gestört werde, könne Abhilfe nur von der zuständigen Verwaltungsbehörde verlangen, weil sein Anspruch aus einem öffentlichen Recht auf Benützung einer dem Gemeingebrauch gewidmeten Sache abgeleitet werde. Diese Unzulässigkeit des Rechtswegs sei in jeder Lage des Verfahrens auch von Amts wegen wahrzunehmen und bewirke die Nichtigkeit des hievon betroffenen Verfahrens einschließlich allfälliger bereits gefällter Entscheidungen und führe insoweit zur Zurückweisung der Klage.
Grundlage des Eventualfeststellungsbegehrens sei die Ersitzung der Dienstbarkeit durch die einzelnen Kläger. Aus deren Behauptungen gehe aber hervor, dass sie den Weg zum selben Zweck und in gleicher Art und Weise benützten wie andere Gemeindeangehörige und die Allgemeinheit. Die Ersitzung eines Privatrechts sei jedoch ausgeschlossen, wenn sich das ausgeübte Gebrauchsrecht – wie hier – innerhalb der Grenzen dessen bewege, was dem Einzelnen ohnehin bereits gestattet sei oder jedermann zustehe. Im Übrigen hätten die Kläger kein rechtliches Interesse an der Feststellung behauptet, das über die ohnedies mit Leistungsklage geltend gemachte Beseitigung und Unterlassung hinausgehe.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands für jeden einzelnen Kläger 5.000 EUR nicht übersteige und die Revision im Umfang der Bestätigung des Ersturteils daher jedenfalls unzulässig sei.
Gegen die Aufhebung des Ersturteils im Umfang des Hauptfeststellungsbegehrens und die Zurückweisung dieses Teilklagebegehrens richtet sich der Rekurs der Kläger, gegen die Bestätigung der Abweisung der weiteren Klagebegehren deren außerordentliche Revision.
Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist ohne weitere Voraussetzungen zulässig, aber nicht berechtigt. Die außerordentliche Revision ist jedenfalls unzulässig.
I. Zum Rekurs
1. Wenn sich das Berufungsgericht mit dem zur Klagezurückweisung führenden Nichtigkeitsgrund erstmals auseinandergesetzt hat, steht dem Kläger der Vollrekurs nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO zu. Nur wenn – anders als hier – das (behauptete) Prozesshindernis bereits Gegenstand des Verfahrens erster Instanz und der erstgerichtlichen Entscheidung war, unterliegt ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof den Beschränkungen des § 528 Abs 2 ZPO (RIS-Justiz RS0116348).
2. Die Zulässigkeit des Rechtswegs ist eine absolute, in jeder Lage des Verfahrens bis zur Rechtskraft der Entscheidung auch von Amts wegen wahrzunehmende Prozessvoraussetzung (RS0046249 [T4]; RS0046861 [T5]). Die bloß implizite Bejahung der Zulässigkeit des Rechtswegs durch die meritorische Behandlung des Begehrens (durch das Erstgericht) reicht für die Annahme einer Entscheidung mit bindender Wirkung nach § 42 Abs 3 JN nicht aus (RS0046249 [T7]).
3.1. Der Rechtsweg ist zulässig, wenn ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch erhoben wird und die Entscheidung darüber nicht durch Gesetz ausdrücklich an eine andere Behörde verwiesen wurde (RS0045438 [T2]; RS0045584 [T32]). Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs sind der Wortlaut des Klagebegehrens und der Klagesachverhalt (die Klagebehauptungen) maßgebend, also die Natur und das Wesen des geltend gemachten Anspruchs. Von ausschlaggebender Bedeutung dafür ist der geltend gemachte Rechtsgrund (RS0045584; RS0005896; RS0045718; RS0045644). Danach ist zu beurteilen, ob ein privatrechtlicher Anspruch im Sinn des § 1 JN erhoben wurde, über den die Zivilgerichte zu entscheiden haben (RS0045584 [T16]; RS0045718 [T13]).
3.2. Privatrechtliche Ansprüche sind dadurch gekennzeichnet, dass sich gleichberechtigte Rechtssubjekte gegenüberstehen, während im öffentlichen Recht ein übergeordnetes Rechtssubjekt einseitige Gestaltungsakte setzen kann, denen das untergeordnete Rechtssubjekt unterworfen ist. Zum öffentlichen Recht gehören aber auch Ansprüche, denen zwar das Charakteristikum der einseitigen Rechtsunterworfenheit fehlt, die aber mit typisch öffentlich-rechtlichen Ansprüchen in so untrennbarem Zusammenhang stehen, dass auch sie dem öffentlichen Recht zugewiesen werden müssen (RS0045438 [T10a]).
3.3. Nach den maßgeblichen Klagebehauptungen und dem eindeutigen Wortlaut des Hauptfeststellungsbegehrens stützen die Kläger dieses ausschließlich auf den behaupteten Gemeingebrauch und leiten dieses nicht etwa aus einem über den Gemeingebrauch hinausgehenden (Privat-)Recht ab (vgl RS0009781; RS0045718 [T21]; RS0009785). Als Gemeingebrauch wird die jedermann unter gleichen Bedingungen ohne besondere behördliche Bewilligung und ohne Zustimmung des über die betroffene Liegenschaft Verfügungsberechtigten zustehende Freiheit verstanden, bestimmte Sachen entsprechend ihrer Zweckbestimmung bzw im Rahmen der Üblichkeit zu verwenden (RS0009781 [T5]; RS0009760). Der Gemeingebrauch ist eine Art öffentlich-rechtliche Dienstbarkeit, die aufgrund ausdrücklicher Widmung durch Gesetz, Verordnung, Erklärung der zuständigen Verwaltungsbehörde oder die „Ersitzung“ durch entsprechend lang dauernde Benützung (RS0009781 [T6]) entsteht und bewirkt, dass der Eigentümer den Gebrauch dieser Sache durch jedermann nicht hindern kann, sofern sich dieser im Rahmen des Gemeingebrauchs hält (RS0009781 [T4]). Der Gemeingebrauch besteht nicht nur am „öffentlichen Gut“, sondern kann auch am Privateigentum begründet werden (8 Ob 20/14w; RS0009757 [T8]).
3.4. Der Gemeingebrauch belastet ein Grundstück zwar in ähnlicher Weise wie eine privatrechtliche Servitut; der Einzelne, der in der Ausübung des Gemeingebrauchs gestört wird, kann aber nach ständiger Rechtsprechung auch dann, wenn die Störung von einem Privaten ausgeht, Abhilfe nur von der zuständigen Verwaltungsbehörde verlangen, weil sein Anspruch aus einem öffentlichen Recht auf Benützung einer dem Gemeingebrauch gewidmeten Sache abgeleitet wird (RS0009811 [T4]; vgl RS0029753 [T1]). Der Rechtsweg zur Geltendmachung von darauf gestützten Feststellungs-, Unterlassungs- und/oder Beseitigungsansprüchen ist ihm jedoch verwehrt (1 Ob 227/19t; RS0012140 [T1]).
4. Im Hinblick auf diese Rechtsprechung ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass keine Kompetenz der Gerichte zur Entscheidung über das ausschließlich auf den behaupteten Gemeingebrauch gestützte Hauptfeststellungsbegehren besteht. Dem Rekurs kommt somit keine Berechtigung zu.
5. Die in diesem Zwischenstreit über die Zulässigkeit des Rechtswegs unterlegenen Kläger haben der Beklagten die Kosten der Rekursbeantwortung nach den §§ 41 und 50 ZPO zu ersetzen. Bemessungsgrundlage dafür ist (nur) der Streitwert des davon betroffenen Hauptfeststellungsbegehrens.
II. Zur Revision
1. Gemäß § 502 Abs 2 ZPO ist die Revision jedenfalls unzulässig, wenn der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat (Entscheidungsgegenstand), an Geld oder Geldeswert insgesamt 5.000 EUR nicht übersteigt. Wenn der Entscheidungsgegenstand – wie hier – nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht, hat das Berufungsgericht über den Wert des Entscheidungsgegenstands abzusprechen (§ 500 Abs 2 Z 1 ZPO).
2. Bilden mehrere Ansprüche den Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts, hat eine einheitliche Bewertung aufgrund Zusammenrechnung nur dann zu erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN erfüllt sind (RS0053096; RS0042741). Im Fall einer Parteienhäufung sind gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammenzurechnen, wenn sie von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien erhoben werden, die Streitgenossen nach § 11 Abs 1 ZPO sind (RS0035483). Das Gesetz verlangt somit das Vorliegen einer materiellen Streitgenossenschaft entweder auf Kläger- oder Beklagtenseite. Es muss entweder eine Rechtsgemeinschaft hinsichtlich des Streitgegenstands bestehen oder eine Parteienmehrheit, die aus demselben tatsächlichen Grund berechtigt oder verpflichtet ist. Bei bloß formeller Streitgenossenschaft nach § 11 Z 2 ZPO kommt es hingegen selbst dann nicht zu einer Zusammenrechnung der Streitwerte, wenn die geltend gemachten Forderungen in einem tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang stehen (5 Ob 60/20i; RS0035450 [T8]; RS0035528 [T9]).
3. Eine Berechtigung oder Verpflichtung aus demselben tatsächlichen oder rechtlichen Grund iSd § 11 Z 1 ZPO setzt einen einheitlichen rechtserzeugenden Tatbestand voraus, ohne dass für einen Streitgenossen noch weitere rechtserzeugende Tatsachen für die Ableitung des Anspruchs hinzutreten oder von vornherein verschiedene rechtserzeugende Tatsachen vorliegen (RS0035450; RS0035411; RS0035528 [T1]). Das trifft beim Klagegrund der Ersitzung nicht zu (RS0035450 [T3]), weil die Ersitzung für jeden Kläger durch ein gesondertes Verhalten herbeigeführt und von jedem Beklagten auch nur durch ein gesondertes Verhalten abgewehrt werden kann (3 Ob 518/93).
4. Die aus der Ersitzung einer jeweils eigenen Dienstbarkeit abgeleiteten Ansprüche der einzelnen Kläger sind demnach nicht zusammenzurechnen. Diese waren nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO gesondert zu bewerten. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands für jeden einzelnen Kläger 5.000 EUR nicht übersteige. Dabei orientierte es sich an der „Gesamtbewertung“ in der Klage mit insgesamt 12.000 EUR. Bei Aufteilung dieses Streitwerts auf insgesamt 30 Kläger überstiegen die Ansprüche der einzelnen Kläger den Betrag von 5.000 EUR nicht (§ 500 Abs 2 Z 1 lit a ZPO). Diese Bewertung ist für den Obersten Gerichtshof grundsätzlich bindend, es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende gesetzliche Bewertungsvorschriften verletzt oder den ihm vom Gesetzgeber eingeräumten Ermessensspielraum überschritten (RS0042515; RS0042385; RS0042437; RS0042450). Eine solche Ausnahme ist hier aber nicht gegeben.
5. Ausgehend von dem – mangels offenkundiger Unterbewertung bindenden – Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision gemäß § 502 Abs 2 ZPO absolut unzulässig.
Textnummer
E129070European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0050OB00046.20F.0721.000Im RIS seit
15.09.2020Zuletzt aktualisiert am
04.12.2020