TE Bvwg Beschluss 2019/7/25 L524 2217430-1

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Veröffentlicht am 25.07.2019
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Entscheidungsdatum

25.07.2019

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

L524 2217430-1/5E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER LL.B. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX StA. Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2019, Zl. 213977502/181212116, den Beschluss:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Dem Beschwerdeführer, einem türkischen Staatsangehörigen, wurde mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 18.12.2018 mitgeteilt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes beabsichtigt sei. Gleichzeitig wurde ihm die Möglichkeit eingeräumt, hierzu eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.03.2019, Zl. 213977502/181212116, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt II.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG werde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

3. Gegen diesen Bescheid richtet sie die fristgerecht erhobene Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Zurückverweisung an das BFA:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist (§ 28 Abs. 3 dritter Satz VwGVG).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 10.09.2014, Ra 2104/08/0005; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Aus folgenden Gründen muss angenommen werden, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt wurde:

Gemäß § 52 Abs. 5 FPG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen bestimmte Drittstaatsangehörige nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass der weitere Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Bei der Prüfung, ob die Annahme einer solchen Gefährdung gerechtfertigt ist, muss eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden (vgl. VwGH 22.3.2018, Ra 2017/22/0194). Dabei ist auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289). Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ra 2016/21/0109; 31.8.2017, Ra 2017/21/0120).

Solche konkrete Feststellungen werden vom BFA nicht getroffen, sondern es wird bloß auf die Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung abgestellt (Seiten 11 und 12 des angefochtenen Bescheides). Es bedarf konkreter Feststellungen, worin die belangte Behörde eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit erblickt. Es muss eine das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers berücksichtigende Prognosebeurteilung vorgenommen werden, wobei im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten unter Berücksichtigung seiner Art und Schwere eine Gefährdungsprognose zu treffen ist (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289).

Bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommt der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zu und zwar sowohl in Bezug auf Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände (vgl. VwGH 26.04.2018, Ra 2018/21/0052). Das BFA hätte den Beschwerdeführer daher auch persönlich einvernehmen müssen, um auf dieser Basis Feststellungen treffen zu können, die für eine Gefährdungsprognose und die Abwägung nach Art. 8 EMRK notwendig sind.

Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers trifft das BFA keinerlei Feststellungen. Es stellt nur fest, dass es sich bei dem Herkunftsstaat des Beschwerdeführers um einen "relativ sicheren Drittstaat" handle und somit nichts gegen eine Rückkehr in die Türkei spreche. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dabei ist das Refoulementverbot (§ 50 FPG) von Amts wegen zu beachten. In diesem Zusammenhang wäre es daher erforderlich gewesen, Länderberichte zur Lage in der Türkei heranzuziehen und diese dem Beschwerdeführer zur Kenntnis zu bringen. Dies wurde vom BFA unterlassen. In der Beweiswürdigung wird nur ausgeführt, das BFA hätte sich "intensiv" mit dem Länderinformationsblatt zur Türkei auseinandergesetzt. Dies vermag aber konkrete Feststellungen im Bescheid nicht zu ersetzen.

Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln in Bezug auf verschiedene grundlegende Fragen. Damit hat das BFA im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt. Auf Grund der dargestellten Mängel ist es nicht möglich, den maßgeblichen Sachverhalt festzustellen.

Zudem wird darauf hingewiesen, dass der angefochtene Bescheid den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung gem. §§ 58 und 60 AVG nicht gerecht wird. Demnach sind in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen sowie die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies im ersten Schritt die eindeutige, konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche im Fall des Vorliegens wiederstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch der Entscheidung geführt haben (vgl. VwGH 14.09.2016, Ra 2015/08/0145 mwN). So sind etwa hinsichtlich des Einreiseverbots die unter "Feststellungen" getroffenen Ausführungen mit jenen unter dem Titel "Beweiswürdigung" getroffenen Feststellungen nahezu wortident und es werden unter dem Titel "Beweiswürdigung" auch rechtliche Erwägungen getroffen. Dass beweiswürdigende Überlegungen nicht mit Sachverhaltsfeststellung ident sein können, liegt auf der Hand. Auch bei rechtlichen Erwägungen handelt es sich um keine beweiswürdigenden Ausführungen.

Das BFA hat daher im fortgesetzten Verfahren auf Basis der strafgerichtlichen Urteile die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten festzustellen. Dabei ist es erforderlich, sich mit den Inhalten der Strafurteile auseinanderzusetzen. Ein bloßes Aufzählen der Verurteilungen ist keinesfalls ausreichend. Das BFA hat auch darzulegen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Annahme einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt ist. Es bedarf auch konkreter Feststellungen zum Gesamtverhalten des Beschwerdeführers einschließlich der Berücksichtigung eines Wohlverhaltens. Schließlich sind zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers Feststellungen zu treffen. Um diese Feststellungen treffen zu können ist es unerlässlich, den Beschwerdeführer hierzu persönlich einzuvernehmen. Schließlich sind auch konkrete Feststellungen zur Lage in der Türkei zu treffen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens und eine erstmalige Ermittlung und Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen, vor allem weil das Ermittlungsverfahren nicht erst beim Bundesverwaltungsgericht beginnen und zugleich enden soll.

In der Gesamtschau ist der Aufhebung des angefochtenen Bescheides und der Zurückverweisung an die belangte Behörde zur Erlassung eines neuen Bescheides im Vergleich zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesverwaltungsgericht unter dem Aspekt der Raschheit und der Kostenersparnis der Vorzug zu geben. Das behördliche Verfahren erweist sich aus den dargelegten Gründen insgesamt als so mangelhaft, dass von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Zurückverweisung an das BFA ergeht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).

Schlagworte

Begründungsmangel Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Prognose

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L524.2217430.1.00

Im RIS seit

15.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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