TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/6 L521 2166636-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.09.2019
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Entscheidungsdatum

06.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

L521 2166636-3/21E

Schriftliche Ausfertigung des am 21.08.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Mathias Kopf, LL.M. über die Beschwerde des XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH als Mitglieder der ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, 1170 Wien, Wattgasse 48, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.07.2017, Zl. 1076941602-150808935, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 21.08.2019 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten unrechtmäßigen Einreise in das Bundesgebiet am 07.07.2015 nach seiner Betretung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im 3. Bezirk in Wien einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 08.07.2015 legte der Beschwerdeführer dar, den im Spruch genannten Namen zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei am XXXX in Bagdad geboren und habe dort zuletzt auch im Bezirk XXXX gelebt, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung und ledig.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 27.05.2015 legal von Bagdad ausgehend im Luftweg gemeinsam mit seiner Schwester, seinem Schwager und deren gemeinsamen Kindern in die Türkei verlassen zu haben. Nach einem kurzen Aufenthalt sei er schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland gelangt und dort nach erkennungsdienstlicher Behandlung des Landes verwiesen worden. In der Folge sei er mit der Fähre auf das Festland gefahren und anschließend mit verschiedenen Verkehrsmitteln und teilweise schlepperunterstützt nach Österreich verbracht worden. In Wien habe er sich etwas zu essen kaufen wollen und sei dabei von der Polizei aufgegriffen worden.

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er im Restaurant seines Schwagers gearbeitet habe. Am 10.04.2015 sei er von schiitischen Milizen entführt worden, da er als Sunnite einer Minderheit angehören würde. Das irakische Militär habe ihn in der Folge befreit. Da er als Sunnite von schiitischen Milizen verfolgt und unterdrückt werde und sich der islamische Staat in der Nähe von Bagdad befinde, habe er flüchten müssen.

2. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 05.01.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, im Beisein eines geeigneten Dolmetschers in arabischer Sprache niederschriftlich vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter einvernommen.

Eingangs bestätigte der Beschwerdeführer, die arabische Sprache zu verstehen und der Einvernahme in gesundheitlicher Hinsicht folgen zu können. Zur Person befragt legte der Beschwerdeführer insbesondere dar, er sei am XXXX geboren und habe bei der Erstbefragung erschöpfungsbedingt ein unrichtiges Geburtsdatum angegeben. Seinen Reisepass habe er "im Meer verloren", er könne jedoch einen irakischen Personalausweis und einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis in Vorlage bringen.

Im Irak habe er die Schule besucht, diese nach elf Jahren abgebrochen und schon während des Schulbesuchs nachmittags im Restaurant seines Schwagers gearbeitet. Im Irak habe er zuletzt mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem Haus gelebt. Seine fünf Schwestern wären bereits verheiratet gewesen und hätten deshalb nicht mehr im Haushalt mit den Eltern gewohnt. Nunmehr würde sich seine Eltern und sein Bruder ebenso wie zwei seiner Schwestern in Österreich befinden, drei Schwestern lebten noch in Bagdad.

Befragt nach dem Grund für das Verlassen des Heimatstaates gab der Beschwerdeführer an, er sei am 10.04.2015 von einem Freund besucht worden und habe sich mit diesem vor dem Haus unterhalten. Ein Fahrzeug habe davor angehalten und die Insassen hätten ihn um Wasser ersucht. Beim Versuch, die Wasserflasche zu übergeben, sei er entführt und in den Kofferraum des Wagens gesteckt worden. Die Entführer hätten von seinem Vater in der Folge Lösegeld verlangt. Nach drei Tagen habe die irakische Armee das Versteck der Entführer angegriffen und ihn befreit. Er habe daraufhin unter Angstzuständen gelitten und den Irak am 27.05.2015 verlassen.

Auf Nachfrage legte der Beschwerdeführer dar, seine Augen wären verhüllt gewesen. Er sei von Milizen entführt worden, wisse jedoch nicht von welchen Milizen. Von den Entführern sei er in einem Zimmer gemeinsam mit einem anderen Mann namens Omar festgehalten worden. Lösegeld sei keines bezahlt worden. Nach der Befriedigung habe er eine polizeiliche Anzeige erstattet, allerdings erst am 28.04.2015. Nach der Entführung habe er bei seinen Schwestern abwechselnd gewohnt, sich jedoch vor einer weiteren Entführung gefürchtet und deshalb den Irak verlassen.

3. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.07.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wider den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG 2005 erlassen sowie unter einem gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für eine freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte das Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, das Vorbringen des Beschwerdeführers werde im Hinblick auf den Ausreisegrund als nicht glaubhaft erachtet. Der Beschwerdeführer habe insbesondere seine Entführer keiner bestimmten Gruppierung zuordnen können, ferner bestünden Widersprüche zwischen den vorgelegten Urkunden und dem Vorbringen. Darüber hinaus spreche der weitere Aufenthalt im Irak von der Befreiung an bis zur tatsächlichen Ausreise gegen eine aktuelle Bedrohung des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer verfüge in Bagdad nach wie vor über nahe Verwandte, sodass ihm eine Rückkehr möglich und zumutbar wäre.

4. Mit Verfahrensanordnung vom 05.07.2017 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben und der Beschwerdeführer ferner gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG darüber informiert, dass er verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.

5. Gegen den dem Beschwerdeführer am 06.07.2017 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der dem Beschwerdeführer beigegebenen und von ihm bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids sowie Verletzung von Verfahrensvorschriften moniert und beantragt, den angefochtenen Bescheid abzuändern und dem Antrag auf internationalen Schutz Folge zu geben und dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen oder hilfsweise dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 zu erteilen und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt und jedenfalls die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begehrt.

In der Sache bringt der Beschwerdeführer nach neuerlicher Darlegung des aus seiner Sicht maßgeblichen Sachverhaltes vor, das belangte Bundesamt habe es unterlassen, ihn "detailliert zu dem Vorwurf mit den schiitischen Milizen zu befragen". Tatsächlich sei sich der Beschwerdeführer bereits bei der Entführung sicher gewesen, von Milizionären entführt zu werden. Hinsichtlich der Anzeigeerstattung hätte der Beschwerdeführer auf Nachfrage darlegen können, dass er vom irakischen Militär zu einem Checkpoint gebracht worden sei. Da er sich vor den Milizen gefürchtet habe, habe er dort keine Anzeige erstattet, sondern sei untergetaucht und habe sich bei einer Schwester versteckt. Nach zwei Wochen habe er den Mut für eine Anzeige aufgebracht. Die späte Ausreise sei durch die Notwendigkeit zu erklären, dass erst das Geld für die Flucht habe bereitgestellt werden müssen. Der bei der irakischen Polizei unterlaufene Protokollierungsfehler sei dem Beschwerdeführer bekannt und ihm damals im Irak unerheblich erschienen. Er habe auch sein Leben lang versucht zu verbergen, dass er Sunnite sei und als Tarnung die Feste der Schiiten mitgefeiert. Bei einer ordnungsgemäßen Befragung hätte er erzählen können, dass "seine Tarnung aufflog" und er nun wegen seines religiösen Bekenntnisses im Irak verfolgt werde.

Das belangte Bundesamt stützte die angefochtene Entscheidung außerdem auf unzureichende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat im Hinblick auf die Aktivitäten schiitischer Milizen und zur Sicherheitslage, wobei in der Beschwerde in der Folge über zehn Seiten Berichte zur Lage im Herkunftsstaat auszugsweise zitiert werden.

6. Die Beschwerdevorlage langte am 04.08.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

7. Zur Vorbereitung der für den 21.08.2019 anberaumten mündlichen Verhandlung wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.05.2019 aktuelle Länderdokumentationsunterlagen zur allgemeinen Lage im Irak zur Wahrung des Parteiengehörs übermittelt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu innerhalb einer Frist schriftlich Stellung zu nehmen. Ferner wurde dem Beschwerdeführer aufgetragen, in Anbetracht seiner zahlreichen im Bundesgebiet aufhältigen Verwandten mitzuteilen, welche dieser Verwandten als Zeugen zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu laden wären.

8. Am 28.05.2019 übermittelte der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung eine Stellungnahme zu den ihm vorgehaltenen Länderdokumentationsunterlagen, ferner gab der Beschwerdeführer die Anschriften seiner Angehörigen im Bundesgebiet bekannt, allerdings ohne einen diesbezüglichen Beweisantrag zu stellen.

9. Mit Note des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.06.2019 wurde der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung aufgefordert, die Benennung von Zeugen umgehend nachzuholen.

10. Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin mit Eingabe vom 27.06.2019 die zeugenschaftliche Einvernahme seines Bruders XXXX .

11. Am 21.08.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung im Beisein des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung, eines Vertreters des belangten Bundesamtes und eines Dolmetschers für die arabische Sprache durchgeführt. Im Verlauf dieser Verhandlung wurde dem Beschwerdeführer einerseits Gelegenheit gegeben, neuerlich seine Ausreisemotivation umfassend darzulegen sowie die aktuelle Lageentwicklung im Irak anhand der dem Beschwerdeführer im Vorfeld übermittelnden Länderdokumentationsunterlagen erörtert. Darüber hinaus wurde der Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , als Zeugen einvernommen.

Im Anschluss an die mündliche Verhandlung wurde das gegenständliche Erkenntnis samt den wesentlichen Entscheidungsgründen mündlich verkündet und seitens des Beschwerdeführers mit Eingabe vom folgenden Tag die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , er ist Staatsangehöriger des Irak und Angehöriger der arabischen Volksgruppe. Er wurde am XXXX in Bagdad geboren und lebte dort bis zur Ausreise in einem Haus seines Vaters an der Palästinastraße. Der Beschwerdeführer ist Moslem und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam, er ist allerdings nicht religiös. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer ist - von einer nicht näher konkretisierten witterungsbedingten Allergie abgesehen - gesund und steht nicht in medizinischer Behandlung.

Der Beschwerdeführer besuchte in Bagdad die Grundschule und anschließend eine weiterführende Schule im Gesamtausmaß von elf Jahren, ohne die Matura abzulegen. Bereits während des Schulbesuchs arbeitete er im Restaurant seines Schwagers als Koch und setzt diese Tätigkeit nach Beendigung des Schulbesuchs bis zur Ausreise fort.

Die Eltern des Beschwerdeführers leben in Bagdad in der Palästinastraße, der Vater des Beschwerdeführers arbeitet in einem Restaurant und seine Mutter führt den Haushalt. Außerdem leben in Bagdad drei Schwestern des Beschwerdeführers, die allesamt verheiratet sind und bei ihren Ehemännern leben. In Bagdad leben schließlich noch die Großmutter mütterlicherseits des Beschwerdeführers und Onkel väterlicherseits sowie mütterlicherseits.

Am 27.05.2015 verließ der Beschwerdeführer den Irak legal im Wege des internationalen Flughafens Bagdad im Luftweg in die Türkei und gelangte in der Folge schlepperunterstützt auf dem Seeweg nach Griechenland und weiter nach Österreich, wo er am 07.07.2015 nach seiner Betretung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im 3. Bezirk in Wien einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

1.2. Der Beschwerdeführer gehört keiner politischen Partei oder politisch aktiven Gruppierung an und hatte in seinem Herkunftsstaat keine Schwierigkeiten aufgrund seiner arabischen Volksgruppenzugehörigkeit und seines sunnitischen Religionsbekenntnisses zu gewärtigen. Der Beschwerdeführer hatte außerdem vor seiner Ausreise keine Schwierigkeiten mit Behörden, Gerichten oder Sicherheitskräften seines Herkunftsstaates zu gewärtigen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer am 10.04.2015 zum Zweck der Erpressung von Lösegeld entführt und vier Tage bis zu seiner Befreiung durch das irakische Militär festgehalten wurden. Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von Kämpfern schiitischer Milizen aus konfessionellen Motiven entführt wurde.

Es kann abseits davon nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat dort einer anderweitigen individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr in seine Herkunftsregion einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer ist im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion auch nicht einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretenden individuellen Gefährdung oder psychischer und/oder physischer Gewalt aufgrund seines Bekenntnisses zum sunnitischen Islam ausgesetzt.

1.3. Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nicht die Todesstrafe. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

1.4. Der Beschwerdeführer ist ein junger, gesunder, arbeits- und anpassungsfähiger Mensch mit grundlegender Ausbildung in der Schule sowie mit im Herkunftsstaat erworbener grundlegender Schulbildung und Berufserfahrung in der Gastronomie. Der Beschwerdeführer verfügt über eine - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherte Existenzgrundlage in seinem Herkunftsstaat, eine Wohnmöglichkeit bei seinen Eltern in Bagdad sowie über familiäre Anknüpfungspunkte in seiner Herkunftsregion. Dem Beschwerdeführer ist darüber hinaus die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zur Sicherstellung seines Auskommens möglich und zumutbar.

Der Beschwerdeführer verfügt über ein irakisches Ausweisdokument im Original (Personalausweis, Staatsbürgerschaftsnachweis).

1.5. Der Beschwerdeführer hält sich seit dem 07.07.2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein, ist seither durchgehend im Bundesgebiet als Asylwerber aufhältig und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

Der Beschwerdeführer bezieht seit der Antragstellung Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber und war in Unterkünften für Asylwerber in den Gemeinden XXXX in Oberösterreich untergebracht. Seit dem 11.03.2016 bezieht der Beschwerdeführer Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber im Bundesland Niederösterreich und lebte in Unterkünften für Asylwerber in den Gemeinden Lanzendorf und Maria-Lanzendorf. Seit dem 12.12.2018 lebt der Beschwerdeführer in Privatquartieren, derzeit in der Stadtgemeine XXXX in einer Wohnung gemeinsam mit seinem Bruder XXXX , und seinem Neffen XXXX .

Der Beschwerdeführer war im Bundesgebiet nicht legal erwerbstätig, er hat auch gegenwärtig keine Erwerbstätigkeit am regulären Arbeitsmarkt in Aussicht und sich noch nicht um einen Arbeitsplatz bemüht. Er verrichtete im Bundesgebiet auch keine gemeinnützigen Tätigkeiten, absolvierte jedoch am 08.11.2016 einen Werte- und Orientierungskurs.

Der Beschwerdeführer besuchte Deutschkurse auf dem Niveau A1 im Umfang von 150 Einheiten und hat sich für die Integrationsprüfung A1 am 10.08.2019 angemeldet. Der Beschwerdeführer verfügt über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache.

Der Beschwerdeführer ist für keine Person im Bundesgebiet sorgepflichtig. Er unterhält seit etwa Februar 2018 eine Beziehung mit der in der Stadtgemeinde XXXX wohnhaften syrischen Staatsangehörigen XXXX . XXXX ist als subsidiär Schutzberechtigte rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig, ihr Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19.12.2018, W203 2194768-1/11E, rechtskräftig abgewiesen. Der Beschwerdeführer lernte seine Freundin in Wien bei einem arabischen Abend kennen. Er lebt mit ihr nicht im gemeinsamen Haushalt, die persönlichen Kontakte beschränken sich auf zwei oder drei Begegnungen im Monat, die der Beschwerdeführer fallweise mit Besuchen bei seiner in Graz wohlhaften Schwester verbindet. Die Freundin des Beschwerdeführers lehnt eine Übersiedelung nach XXXX ab, da ihr die Stadt nicht gefällt und ihre Kinder (der Beschwerdeführer ist nicht der Vater der Kinder seiner Freundin) in der Stadtgemeinde XXXX die Schule besuchen. Der Beschwerdeführer selbst unternahm ebenfalls keine Anstrengungen, um in die Steiermark übersiedeln zu können. Er strebt derzeit keine Eheschließung mit seiner Freundin an.

1.6. Im Bundesgebiet leben bzw. lebten folgende Angehörige des Beschwerdeführers:

Der Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , lebt mit seinem Sohn XXXX , seit dem 12.12.2018 im gemeinsamen Haushalt in der Stadtgemeine XXXX . Der Beschwerdeführer und sein Bruder teilen sich die monatliche Miete von EUR 400,00, die Wohnung ist von einem Freund angemietet. XXXX stellte am 06.10.2015 für sich und seinen minderjährigen Sohn einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde jeweils mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2017, Zlen. 1090039909-151499308 und 1090040104-151499324 abgewiesen, es wurde kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, es wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei, und schließlich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11.07.2019, G309 2175611-1/14E und 2175613-1/16E, als unbegründet ab, da das Vorbringen zu den angeblich ausreisekausalen Vorfällen als nicht glaubhaft erachtet wurde. XXXX kamen der Ausreiseverpflichtung in der Folge nicht nach, sie halten sich derzeit unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Die Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber wurden eingestellt.

Die Eltern des Beschwerdeführers, XXXX , und XXXX , stellten am 06.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde jeweils mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2017, Zlen. 1090039702-151499278 und 1090039800-151499286 abgewiesen, es wurde kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, es wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei, und schließlich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. XXXX kehrte am 13.12.2017 (unter dem Namen XXXX ), XXXX kehrte am 07.03.2018 (unter dem Namen XXXX ) freiwillig unter Gewährung von Rückkehrhilfe in den Irak zurück und leben derzeit in Bagdad (siehe dazu Punkt 1.1.). Die Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde mit verfahrensleitenden Beschlüssen vom 15.03.2018, G309 2175608-1/8E, bzw. vom 22.01.2019, G309 2175616-1/12E, eingestellt.

Die Schwester des Beschwerdeführers, XXXX wurde gemeinsam mit dem Beschwerdeführer am 07.07.2015 in Wien von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes betreten und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Während des laufenden Asylverfahrens kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen mit ihrem mitgereisten Ehegatten und Schwager des Beschwerdeführers, XXXX , da sich die Schwester des Beschwerdeführers von diesem trennen wollte. In der Folge bedrohte die Schwester des Beschwerdeführers ihre ebenfalls im Bundesgebiet aufhältigen Kinder mit dem Umbringen, weshalb sie mit einem Betretungsverbot und einem Waffenverbot belegt wurde. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom 02.11.2016, XXXX , wurde die Ehe zwischen XXXX einvernehmlich geschieden. Die Schwester des Beschwerdeführers kehrte in der Folge am 08.05.2017 (ohne die gemeinsamen Kinder, die beim Vater verblieben) unter Gewährung von Rückkehrhilfe in den Irak zurück. Ihr Asylverfahren wurde daraufhin seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl am 30.05.2017 eingestellt. Am 26.06.2019 stellte XXXX neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz, über welchen bislang nicht entschieden wurde. Sie lebt seit dem 07.08.2019 in der Stadtgemeinde XXXX mit ihrem neuen Ehemann. Der Beschwerdeführer und XXXX stehen aufgrund der räumlichen Nähe ihrer Quartiere in nahezu täglichem Kontakt.

Ein Cousin des Beschwerdeführers, XXXX , stellte am 06.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.09.2017, Zl. 1090040006-151499332, abgewiesen, es wurde kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, es wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei, und schließlich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit am 03.01.2019 mündlich verkündetem und am 06.02.2019 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis vom 11.07.2019, G309 2175605-1/12E als unbegründet ab, da eine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat nicht vorgebracht wurde. Der derzeitige Aufenthaltsort des XXXX ist nicht bekannt, er leistete der Ausreiserverpflichtung nicht Folge und besteht wider ihn ein aufrechter Festnahmeauftrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Der Schwager des Beschwerdeführers, XXXX (siehe dazu bereits oben), stellte für sich und die mitgereisten Kinder XXXX , und XXXX , am 07.07.2015 nach gemeinsamer Betretung mit dem Beschwerdeführer in Wien durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde jeweils mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.10.2017, Zlen. 1076941101-150808736, 1076941210-150809406 und 1076941308-150809414 abgewiesen, es wurde kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, es wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei, und schließlich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 06.07.2018, G306 2180054-1/9E, G306 2180064-1/9E und G306 2180060-1/9E, als unbegründet ab, da das Vorbringen zu den angeblich ausreisekausalen Vorfällen als nicht glaubhaft erachtet wurde. Eine dagegen erhobene außerordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 19.06.2019, Ra 2018/01/0379 bis 0381-13, zurückgewiesen. XXXX leisteten der Ausreiserverpflichtung nicht Folge. Sie verließen im August 2019 ihre Unterkunft in XXXX , ihr gegenwärtiger Aufenthaltsort ist nicht bekannt.

Eine weitere Schwester des Beschwerdeführers, XXXX stellte gemeinsam mit ihrem mitgereisten Ehemann und den gemeinsamen Kindern am 25.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.07.2017, Zl. 1084353610 - 151186975, wurde Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, ihr jedoch der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte erteilt. Die gegen den abweisenden Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde ist beim Bundesverwaltungsgericht unerledigt anhängig. XXXX lebt mit ihren Kindern in der Stadt XXXX , der Beschwerdeführer besucht sie zwei- bis dreimal im Monat und verbindet diese Besuche mit Besuchen bei seiner Freundin in der Stadtgemeinde XXXX .

Im Übrigen pflegt der Beschwerdeführer normale soziale Kontakte zu Personen aus dem arabischen Kulturkreis und auch zu österreichischen Staatsangehörigen an seinem Wohnort.

1.7. Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet war nie nach § 46a Abs. 1 Z. 1 oder Abs. 1a FPG geduldet. Sein Aufenthalt ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig. Der Beschwerdeführer wurde nicht Opfer von Gewalt im Sinn der §§ 382b oder 382e EO.

1.8. Zur gegenwärtigen Lage im Gouvernement Bagdad werden folgende Feststellungen getroffen:

Das Gouvernement Bagdad ist das mit ca. 4.555 km² flächenmäßig kleinste Gouvernement des Landes und beherbergt die gleichnamige irakische Hauptstadt Bagdad. In Bagdad lebten 2018 offiziell schätzungsweise 8,1 Millionen Menschen. Obwohl Bagdad das kleinste Gouvernement im Irak ist, hat es die höchste Einwohnerzahl von allen Gouvernements. 87% der Bevölkerung des Gouvernements leben in der Stadt Bagdad selbst. Die Hauptstadt ist das wichtigste Wirtschaftszentrum des Landes und beherbergt die stark geschützte grüne Zone.

Die Stadt Bagdad ist in neun Verwaltungsbezirke gegliedert: Adhamiyah, Karkh, Karada, Khadimiyah, Mansour, Sadr City, Al Rashid, Rasafa und 9 Nissan ('new Baghdad'). Die restliche Fläche des Gouvernements beherbergt die Verwaltungsbezirke Al Madain, Taji, Tarmiyah, Mahmudiyah und Abu Ghraib, die den sogenannten "Bagdad Belt" bilden und die Vororte beherbergen.

Gouvernement und Stadt Bagdad weisen eine gemischte Bevölkerung aus Schiiten und Sunniten mit einer geringeren Anzahl christlicher Gemeinschaften auf. Während die meisten Stadtteile in Bagdad in der Vergangenheit von einer Mischung aus Sunniten und Schiiten bewohnt waren, führte die gewaltsame Säuberung im Zuge der konfessionellen Konflikte insbesondere in den Jahren 2006 und 2007 dazu, dass die Stadt viel stärker religiös geteilt und von den Schiiten dominiert zu sein scheint (siehe dazu im Detail unten 1.10 "Lage von sunnitischen Arabern in Bagdad").

Die Einheiten der irakischen Armee in Bagdad unterstehen Führung des Baghdad Operations Command (BOC), das in zwei Gebiete unterteilt ist, das Karkh Area Command und das Rusafa Area Command. Die Special Forces Division (SFD) des Premierministers ist für die Sicherheit in der grünen Zone und den Schutz des Premierministers verantwortlich und kann vom Verteidigungsministerium, dem BOC, dem Joint Operations Command (JOC) sowie dem Premierminister selbst eingesetzt werden. Die SDF wird auch für Sicherungsaufgaben in Bagdad herangezogen, insbesondere während der schiitischen Pilgerreisen.

Dem Karkh Area Command untersteht die 6. irakische Armeedivision mit verschiedenen Brigaden, die in und außerhalb der Stadt stationiert sind. Die dem Rusafa Area Command unterstehende 9. Irakische Armeedivision ist derzeit nicht in Bagdad stationiert. Die Bundespolizei des irakischen Innenministeriums ist in Bagdad durch drei Bundespolizeidivisionen vertreten. Die 1. Federal Police Division sichert die südwestliche, westliche und südöstliche Kanalzone von Bagdad. Die 2. Federal Police Division, die einzige mechanisierte Division der Bundespolizei in Bagdad, wird hauptsächlich zur Terrorismusbekämpfung in Bagdad und den Bagdad-Belts, zur Sicherung von Pilgerwegen und zu Aufgaben in Zusammenhang mit der Strafverfolgung herangezogen. Die 4. Federal Police Division deckte das südliche Bagdad und Gebiete südlich der Hauptstadt ab und betreibt das Gefängnis in Karkh. Ergänzend steht westlich von Bagdad die 3. Brigade der Emergency Response Division (ERD) zur Verfügung. Die Stadt Bagdad und die Vororte werden grundsätzlich von den irakischen Behörden kontrolliert. In der Praxis teilen sich die Behörden jedoch die Verteidigungs- und Strafverfolgungsaufgaben mit den schiitisch dominierten Milizen der Volksmobilisierungseinheiten (al-hashd al-sha'bi, engl.: popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), was zu einer "unvollständigen" oder überlappenden Kontrolle mit diesen Milizen führt. Für die Jahre 2014 und 2015 liegen Berichte vor, wonach Einheiten der PMF an Misshandlungen und Morden an Zivilisten und Sunniten im Zusammenhang mit Operationen gegen den Islamischen Staat in den Bagdad-Belts beteiligt waren.

Seit dem Eintritt der militärischen Niederlage des Islamischen Staates im Dezember 2017 gibt es in Bagdad und anderen Landesteilen weniger Angriffe des Islamischen Staates mit großer Breitenwirkung. Der Islamische Staat verfügt weiterhin über aktive Zellen im nördlichen und westlichen Bagdad-Belt, diese befinden sich jedoch erheblichen Verlusten im Jahr 2017 in einem inaktiven Zustand. Seit dem Jahr 2018 sind Bagdad und die Bagdad-Belts kein prioritäres Operationsgebiet des Islamischen Staates mehr und ist der Islamische Staat nicht mehr für den überwiegenden Teil der Gewalttätigkeiten in der irakischen Hauptstadt verantwortlich. Die Möglichkeit, Anschläge auch im Zentrum der irakischen Hauptstadt zu verüben, dürfte nach wie vor gegeben sein, allerdings befindet sich die verbliebenen Anhänger des Islamischen Staates in einer Phase der Neuaufstellung.

Wenn der Islamische Staat die Verantwortung für Angriffe übernimmt, werden die Opfer entweder als "Abtrünnige" oder "Rafida" (eine abfällige Bezeichnung für schiitische Muslime) oder als bewaffnete Akteure bezeichnet, obwohl die Opfer möglicherweise Zivilisten sind. Der Islamische Staat übertreibt das häufig die Verluste, die seine Anschläge nach sich ziehen.

Die nachstehende Grafik zeigt, dass die Anzahl der zivilen Opfer von Gewaltakten in Bagdad in den Jahren 2017 und 2018 gegenüber den Vorjahren signifikant gesunken ist und wieder das Niveau vor dem Erstarkten des Islamischen Staates erreicht hat (Anmerkung: Die Datenbank Iraq Body Count kommt zu abweichenden Werten, siehe dazu die weitere Grafik).

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Die folgende Grafik veranschaulicht die Entwicklung der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Gouvernement Bagdad und Anzahl der Opfer nach der Datenbank Iraq Body Count, wobei die Darstellung jedwede Art von Gewaltanwendung (insbesondere Bombenanschläge, Selbstmordattentate, Attacken mit Schusswaffen und außergerichtliche Tötungen) umfasst.

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Die Verwaltungsbezirke mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen, die zu zivilen Todesfällen führten, waren im Jahr 2018 Adhamiya mit 78 sicherheitsrelevanten Vorfällen, die zu 94 zivilen Todesfällen führten, gefolgt von Resafa (einschließlich Thawra 1 & 2) mit 77 sicherheitsrelevanten Vorfällen, die zu 161 zivilen Todesfällen führten, gefolgt von und Mada'In mit 63 sicherheitsrelevanten Vorfällen, bei denen 69 Zivilisten ums Leben kamen. Die höchste Rate an Todesfällen pro 100.000 Einwohner) wurden im Vorort Tarmia (35,80) verzeichnet, gefolgt von Mada'in (15,91) und Adhamiya (8,25). Die meisten von der Iraq Body Count im Jahr 2018 im Gouvernement Bagdad erfassten Vorfälle betrafen Schießereien (46,4%), gefolgt von Morden ("executions") (30,6%) und die Verwendung improvisierter Sprengsätze (20,7%).

Dem Experten Michael Knights zufolge ereigneten sich in Bagdad 2018 die wenigsten Terroranschläge von -Jihadisten seit dem Jahr 2003. Anschläge des Islamischen Staates sind in der Stadt selbst "mehr oder weniger verschwunden", in den Bagdad-Belts sind die Anschläge des islamischen Staates zurückgegangen. Derzeit verhält sich der Islamische Staate in Bagdad und den Bagdad-Belts unauffällig und hat 2018 nicht viele Operationen durchgeführt. Wenn Angriffe verübt werden, handelt es sich meistens um Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen. Der Islamische Staat ist wahrscheinlich nicht für den Großteil der Gewalt in Bagdad verantwortlich. Das Institute for the Study of War geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass die derzeit registrierten Gewaltakte in Bagdad im Zusammenhang mit kriminellen und politischen Auseinandersetzungen (unter letztes fallen politische Einschüchterung, gezielte Attentate usw.) und nicht mit dem Islamischen Staat stehen. Auch der Experte Michael Knights geht davon aus, dass meisten Gewalttaten in Bagdad nicht dem Islamischen Staat zuzuschreiben sind. Quellen besagen, dass der Islamische Staat seine Aktivitäten derzeit nur im Bagdad-Belt und in den Randgebieten der angrenzenden Gouvernements entfaltet, anstatt in der Stadt selbst. Der Experte Joel Wing gab an, dass die gewalttätigsten Vorfälle mit improvisierten Sprengsätzen und Schießereien, die er aufzeichnete, Medienberichten zufolge im äußersten Norden und Süden von Bagdad und in geringerem Maße im Westen vorkommen. Das Institute for the Study of War stellte fest, dass die intensiveren Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen im nördlichen und nordwestlichen Teil der Stadt Bagdad (Kadhimiyah, Adahamyah) und im Vorort Tarmia (nördlich von Bagdad) verübt werden. Nur einige Vorfälle ereigneten sich in Bagdad westlich des Tigris - Karadah und Neu-Bagdad / al-Nissan und östlich des Tigris (Rusafa, Karkh, Rasheed und Mansour) sowie in Doura, jedoch in geringerer Intensität.

Das Institute for the Study of War kommt in seiner Analyse zum Ergebnis, dass "überwiegende Mehrheit" der Gewaltakte in Bagdad im Jahr 2018 "politische Gewalt" darstellte, die im Allgemeinen politische Einschüchterungen, bewaffnete Scharmützel und gezielte Morde unter Schiiten vor dem Hintergrund des anhaltenden politischen Wettbewerbs und der Regierungsbildung nach den Wahlen im Mai 2018 umfasste. In ähnlicher Weise erklärt der Experte Michael Knights, dass der Haupttrend bei der Gewalt in Bagdad darin besteht, dass es sich fast ausschließlich um persönliche, gezielte oder kriminelle Gewalt handelt, die in erster Linie den Einsatz von Kleinwaffen, Erpressung, Einschüchterung, improvisierte Sprengsätze oder Granaten, Schießereien, Raubüberfälle und andere Erscheinungsformen organisierter Kriminalität umfasst. Diese Aktivitäten dienen dem Experten zufolge in erster Linie der Einschüchterung und Gewalt gegen Zivilisten, um Geld zu verdienen, Zivilisten zu vertreiben, die als Außenseiter angesehen werden, oder um politische Gegner oder Menschen mit einer anderen ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit zu vertreiben oder ist gegen Personen gerichtet, die aufgrund ihres Lebensstils oder ihrer vorherigen Beteiligung an Verbrechen oder bewaffneten Konflikten exponiert sind. Er erwähnte auch, dass die politischen Spaltungen unter den Schiiten derzeit einen Großteil der Gewalt in den schiitischen Gebieten von Bagdad und Basrah ausmachen.

Die Expertin Geraldine Chatelard hebt hervor, dass Milizen in Bagdad häufig von Sunniten und Minderheiten der Gewalt beschuldigt werden, Morddrohungen, Entführungen, gezielte Attentate oder die Übernahme von Gebäuden von rechtmäßigen Eigentümern verübt zu haben, dies unter Hinweis darauf, dass sogar Schiiten Opfer von Erpressung und Tötung geworden sind. Der Expterte Michael Knights weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Sunniten und Christen in erster Linie befürchten, von schiitischen Milizen in Bagdad erpresst oder entführt zu werden, jedoch Quellen davon berichteten, dass die Zuweisung der Verantwortung für bestimmte Angriffe zu bestimmten Täter in Bagdad schwierig ist und insbesondere Sprengstoff sowohl zu politischen als auch zu kriminellen Zwecken eingesetzt wird, um Ziele anzugreifen und einzuschüchtern. Den PMF-Milizen werden dabei "enge Verbindungen zu kriminellen Banden" zugeschrieben, die Unterscheidung zwischen beiden ist nicht immer klar.

Der Experte Michael Knights vertritt zur Sicherheitslage allgemein die Ansicht, dass in der Stadt Bagdad die Gebiete sicherer sind und weniger Raum für offene Gewalt wie z.B. improvisierte Sprengsätze oder Raubüberfälle bieten, in denen sich die irakischen Streitkräfte auf die Bewachung wichtiger Standorte konzentrieren - etwa die Verwaltungsbezirke Karkh, Doura und Mansour. Dort wo die irakischen Streitkräfte weniger dominant ist und bewaffnete Akteure wie kriminelle Banden und Milizen Revierkämpfe führen und um Einfluss konkrurrieren, ist die Sicherheitslage entsprechend angespannter, wie in Kadhimiyah, Jihad, Bayaa und Karadah. Er vertrat die Ansicht, dass die "schlimmsten Sicherheitsbereiche" in der Stadt Adhamiyah, New Bagdad und Sadr City seien.

Milizen sind auch in bewaffnete Zusammenstöße zwischen ihnen selbst und den regulären Sicherheitskräften verwickelt, die laut Michael Knights im Jahr 2018 im Zentrum der Hauptstadt und in östlich gelegenen Gebieten mehrmals stattfanden. Ein Vorfall zog mediale Aufmerksamkeit nach sich: Am 20. Juni 2018 stoppte die irakische Polizei ein Auto in der Innenstadt von Bagdad, das Angehörigen der von Iran unterstützten Miliz Kataib Hezbollah ("Hisbollah-Brigaden") gehörte. Ein Hisbollah-Konvoi mit fünf Fahrzeugen traf ein und begann auf die Polizei zu schießen, was zu einem Feuergefecht führte, bei dem zwei Offiziere und ein Milizionär verletzt wurden. Die Polizei umzingelte daraufhin das Hauptquartier der Kataib Hezbollah, bis der Schütze der Polizei übergeben wurde. Der Vorfall spiegelt den möglichen Machtkampf zwischen irakischen Sicherheitskräften (Armee, Bundespolizei, örtliche Polizei) und PMF-Milizen wider.

EASO hat die folgenden sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2018 exemplarisch identifiziert:

Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen und Bomben

Bagdad wurde in der Vergangenheit vom Islamischen Staat wegen der Bevölkerungskonzentration bevorzugt angegriffen, da die großen Menschenansammlungen die Möglichkeit geboten haben, mit einem Bombenanschlag eine große Anzahl von Opfern zu treffen. 2018 sind solche Anschläge jedoch zurückgegangen. Noch im Jahr 2017 verfolgte der Experte Michael Knights eine hohe Anzahl von Angriffen mit Hilfe von improvisierten Sprengsätzen auf Märkte und Geschäfte in Bagdad. Die Anzahl der Angriffe dieser Art ging jedoch im weiteren Verlauf des Jahres 2018 zurück. Das Institute for the Study of War stellte fest, dass ein in Bagdad im Jahr 2018 festgestellter charakteristischer Angriff des Islamischen Staates darin bestand, Sprengsätze gegen kleine Personenbusse einzusetzen, die jeweils etwa zehn Personen befördern und die in ganz Bagdad zum Straßenbild gehören. Diese Busse wurden im Islamischen Staat im Jahr 2018 mehrmals mit improvisierten Sprengsätzen angegriffen, was zwar nur minimale Verluste, aber Einschüchterungen der Zivilbevölkerung zur Folge hatte.

Noch im Januar 2018 sprengten sich zwei Selbstmordattentäter auf dem überfüllten Tayran-Markt in Bagdad und töteten dabei mindestens 38 Menschen und verletzten bis zu 90 Menschen. Der Angriff schockierte die Bevölkerung von Bagdad, da er nach einem signifikanten Rückgang solcher Angriffe in Bagdad. Er wurde vom Guardian als der schwerste Angriff auf Bagdad seit der Erklärung des Sieges über den Islamischen Staat beschrieben. Beispiele für andere explosive Angriffe im Jahr 2018 sind die folgenden:

- In Rashidiya explodierte im Januar 2018 eine Bombe, ein Milizionär der PFM wurde getötet und zwei weitere wurden verletzt wurden.

- Am 23. Januar 2018 wurde ein Soldat getötet und zwei weitere verletzt, als eine irakische Militärpatrouille in Tarmiya nördlich von Bagdad von einer Straßenbombe getroffen wurde.

- Am 16. Mai 2018 wurden 5 Menschen getötet und 10 verletzt, als ein Selbstmordattentäter ein schiitisches Begräbnis in Tarmiya angriff.

- Am 23. Mai 2018 verübte der Islamische Staat einen Selbstmordanschlag in der Shula-Region, bei dem Angaben des Islamischen Staates zufolge 33 Menschen getötet und verletzt wurden. Die irakischen Medien berichteten demgegeneüber, dass vier Menschen getötet und 15 verletzt wurden.

- Der Islamische Staat meldete im August 2018 5 Angriffe mit improvisierten Sprengsätzen auf Kleinbusse in Bagdad in den Distrikten Amil, Shula, Turath und Baladiyat. 669 Zwei dieser Angriffe töteten und verletzten 12 schiitische Muslime.

- Im Juni 2018 wurden 17 Menschen bei einer Explosion eines Waffenlagers der Miliz von Muqtada al Sadr getötet und 80 verletzt. Berichten zufolge wurden die Waffen in einer Moschee aufbewahrt, die von Sadr-Anhängern benutzt wurde.

- Eine Explosion auf einem Markt in Sadr City am 14. August 2018 wurde von einer Quelle im Sicherheitsapparat auf kriminelle Gründe zurückgeführt. Dabei wurden drei Menschen getötet und vier verletzt.

- Ein improvisierter Sprengsatz, der auf Schiiten im Bezirk Jihad (West-Bagdad) abzielt, tötete Berichten zufolge im September 2018 vier Menschen in der Nähe eines Einkaufszentrums.

- Am 25. September 2018 wurde in den folgenden Bezirken eine Reihe von Explosionen gemeldet, die zu Opfern führten: Al Jadid (New Bagdad) östlich von Bagdad (1 Tote, 2 Verletzte), al Shaab nördlich von Bagdad (2 Tote) und al-Baayaa westlich von Bagdad (2 Tote) .Der Islamische Staat übernahm am 25. September 2018 die Verantwortung für fünf improvisierte Sprengsätze gegen Shula, Kadhimiyah (Nord-Bagdad), Shaab und Bataween (Rusafa), und den Bezirk Bayaa (Zentral-Bagdad), dabei wurden 3 Zivilisten getötet.

- Am 1. und 2. Oktober 2018 forderten zwei improvisierte Sprengsätze in Shaab und Al Jadid einen Toten und mehrere Verwundete. Dem Islamischen Staat zufolge sei die Zahl der Opfer bei diesen beiden Angriffen viel höher gewesen und habe mehr als 50 Tote und Verwundete betragen.

- Am 7. Oktober 2018 wurden bei einer Reihe von Angriffen auf verschiedene Vororte in Bagdad (Abu Dshir, 17 km südlich von Bagdad, Abu Ghraib, 44 km westlich von Bagdad und im Norden von Bagdad) vier Personen getötet und fünf verletzt.

- Am 4. November 2018 wurden bei einer Serie von fünf improvisiertem Sprengsätzen in verschiedenen Gebieten des Gouvernements 8 Personen getötet und 14 verletzt. Eine andere Quelle berichtete von 7 Toten und 16 Verletzten. Der Islamische Staat behauptete jedoch, es seien bei den von ihm verübten Anschlägen mehr als 50 Opfer zu beklagen gewesen.

Beispiele für bewaffnete Zusammenstöße im Jahr 2018 sind die folgenden:

- Unbekannte bewaffnete Personen eröffneten das Feuer im Stadtteil Jihad im Westen von Bagdad und töteten im Januar 2018 einen lokalen Bürgermeister.

- Der Islamische Staat ermordete 8 Zivilisten bei einem Angriff auf den Vorort Tarmia im Mai 2018; die Opfer stellten Werbung für die Parlamentswahl auf; der Islamische Staat bezeichnete sie als Mitglieder einer Stammesmiliz.

- Bei einem weiteren, nächtlichen Angriff des Islamischen Staates auf den Vorort Tarmia Anfang Mai 2018 wurden 21 Mitglieder eines lokalen Stammes (18 Männer, 2 Frauen und ein Kind) getötet. Sämtliche Opfer waren Mitglieder des Albu-Faraj-Stammes, der ein überzeugter Gegner des Islamische Staates in der Region ist. Die Mitglieder sind Teil der lokalen sunnitischen Miliz und der PMF, die zur Verteidigung gegen des Islamischen Staat gegründet wurden. Die Angreifer des Islamischen Staates trugen Armeeuniformen und gingen zunächst gegen einen Anwalt vor, von dem bekannt war, dass er Opfern des Islamischen Staates half, und töteten ihn in seinem Haus. Als andere Dorfbewohner kamen, um zu helfen, eröffneten sie das Feuer, töteten und verletzten sie und zogen sich zurück, bevor die Armee eintraf, um sie zu fassen.

In Bagdad gab es mehrere Morde an Persönlichkeiten, die in sozialen Medien bekannt geworden waren, ohne dass die Täter identifiziert und einer bestimmten Gruppierung zugeordnet werden konnten.

- Tara Fares, bekannt aus Instagram, die in den sozialen Medien über persönliche Freiheit berichtet, wurde am 27. September 2018. in Bagdad erschossen, als sie in ihrem Porsche fuhr.

- Im Jahr 2017 wurde Karar Nushi, ein männliches Model, das Morddrohungen wegen seiner langen Haare und seiner engen Kleidung erhalten hatte, in der Palästina-Straße erstochen aufgefunden, wobei sein Körper Anzeichen von Folter zeigte.

- Hammoudi al-Meteiry, ein 15-jähriger und als "König von Instagram" bezeichneter Jugendlicher, der Berichten zufolge wegen seiner Homosexualität von unbekannten Tätern getötet wurde.

Der Islamische Staat gab bekannt, Scheichs und Stammesführer angegriffen zu haben, die die Parlamentswahlen im Mai 2018 unterstützten. Im Mai 2018 behauptete der Islamische Staat, er habe das Haus eines wahlfördernden Stammesführers mit einer Bombe angegriffen zu haben; es ist unklar, ob diese dabei getötet wurde. Folgende weiteren Angriffe wurden dem Islamischen Staat zugeschrieben:

- Am 27. Februar 2018 wurden vier Mitglieder der Sahwa-Bewegung von unbekannten Tätern im Norden Bagdads erschossen. Einer wurde getötet, die anderen drei verwundet.

- Am 1. März 2018 wurde ein ehemaliger Beamter der Sahwa-Bewegung durch eine Bombe in Bagdad getötet.

- Am 29. April 2018 wurde ein Führer der PMF, Qassim Al-Zubaidi, bei einem Attentat in der Innenstadt von Bagdad verletzt. Stunden zuvor wurde ein Wahlkandidat der Rechtsstaat-Koalition nördlich von Bagdad getötet.

- Am 22. Juni 2018 gab der Islamische Staat bekannt, einen Stammesführer in al-Zour in der Nähe von Tarmia nördlich der Hauptstadt getötet zu haben, weil er die Parlamentswahlen unterstützt hatte.

- Am 8. Juli 2018 wurden ein Kommandeur der Stammesmiliz und einer seiner Begleiter bei einem Bombenangriff in Nordbagdad verwundet.

- Am 19. Juli 2018 wurde ein Angehöriger der Sicherheitskräfte bei einem Angriff mit einer auf der Straße platzierten Bombe auf ihn in Tarmia im Norden von Bagdad verwundet.

- Am 2. August 2018 wurde mit einer am Straßenrand platzierten Bombe ein Fahrzeug der Sicherheitskräfte in der Region Sabaa al-Bour nördlich von Bagdad angegriffen. Eine Person wurde getötet, eine andere verletzt.

Im Januar 2018 erklärte der Direktor des Medienbüros des BOC, dass die Sicherheitskräfte in der Hauptstadt Fortschritte in Bezug auf das Sammeln von Informationen über den Islamischen Staat gemacht hätten und dass sich Militäreinsätze im Bagdader Gürtel positiv auf die Sicherheitslage ausgewirkt hätten. Der Direktor kündigte ferner den Bau eines Sicherheitszauns um Bagdad mit Sicherheitstoren an, um Aufständische daran zu hindern, in die Stadt einzusickern.

Dem Institute für the Study of War zufolge hat sich BOC im vergangenen Jahr auf die Bagdad-Belts konzentriert, was zu dem Rückgang der Angriffe in Bagdad beigetragen hat. Im Allgemeinen sei es den Sicherheitskräften gelungen, die Rückkehr weitverbreiteter Gewalt nach Bagdad im Jahr 2018 zu verhindern. Dieser Erfolg zeigt sich in der allgemeinen Abnahme von Gewaltereignissen im vergangenen Jahr. Politische Gewalt stelle nach wie vor die größte Herausforderung dar, dazu komme Destabilisierung angesichts der anhaltenden Blockade der neuen irakischen Regierung unter dem irakischen Premierminister Adel Abdul-Mahdi. Die PMF und andere lokale Sicherheitskräfte in Bagdad würden häufig eher auf politische Akteure reagieren, als auf den institutionellen staatlichen Sicherheitsapparat.

Die Expertin Geraldine Chatelard erklärt, dass die Wirksamkeit des Schutzes der Zivilbevölkerung vor verschiedenen Formen von Gewalt vom politischen Willen der beteiligten Akteure abhängen kann. Schutzbemühungen werden durch die Situation vor Ort untergraben, in der PMF-Milizen auf Befehl ihrer eigenen Kommandos handeln und nicht der irakischen Regierung, weil sie verschiedenen politischen Anwärtern oder iranischen Gönnern gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Die Regierung könne Erscheinungen von "Gesetzlosigkeit und Kriminalität" seitens der Milizen derzeit nicht wirksam begegnen. Der Experte Michael Knights geht davon aus, dass Gesetzesverstöße von Milizen auch derzeit folgenlos bleiben. Landinfo schätzt die Lage in Bagdad so ein, dass Milizen weiterhin Bewegungsfreiheit zukommt und sie über Verbindungen zur Polizei verfügen und an Kontrolle, Verhaftung, Bestrafung bzw. Entführung von Personen ebenso beteiligt sind, wie an anderweitigen an kriminellen Aktivitäten. In den Bagdad-Belts haben die Milizen mehr Handlungsspielraum, dort können sie den Einheimischen das Recht verweigern, in ihre Häuser zurückzukehren. Die PMF-Milizen sind dessen ungeachtet populär und haben sowohl formelle als auch informelle Macht. Sie konzentrieren sich auch auf den Wiederaufbau. In Bagdad wurde etwa ihre Rolle beim Wiederaufbau einer medizinischen Klinik beworben. Manchmal wenden sich die Einheimischen, auch in Bagdad, an die Milizen der Nachbarschaft, anstatt an die Polizei, um Gerechtigkeit zu suchen.

Michael Knights zufolge gibt es eine große Konzentration von Sicherheitskräften, einschließlich der in Bagdad stationierten Armee, die seiner Ansicht nach angemessen und aktiv geführt werden und über adäquate Beratung und nachrichtendienstliche Unterstützung verfügen. Die Androhung bzw. Zufügung von Gewalt in Bagdad erfolge derzeit eher "persönlich und gezielt" und weniger "situativ" (Anwesenheit am falschen Ort / zum falschen Zeitpunkt). Das Institute for the Study of War erklärte, dass Milizen in Bagdad in einem gewaltsamen Wettbewerb um territoriale Präsenz und Territorium, Bevölkerung und politischen Einfluss stehen. Viele ihrer politischen Machthaber wurden im Mai 2018 in das irakische Parlament bzw. die Regierung gewählt.

Checkpoints in Bagdad werden dazu verwendet, um sicherzustellen, dass Autobomben und Selbstmordattentäter nicht in die Stadt eindringen. Dem Experten Fanar Haddad zufolge betreiben PMF-Milizen keine regulären Checkpoints in der Stadt Bagdad, richten solche bei Zwischenfällen aber ad hoc ein. In den Bagdad-Belts gibt es demgegenüber sichtbare PMF-Präsenz und PMF-Kontrollpunkte Eine ähnliche Ansicht vertrat ein im Irak ansässiger Sicherheitsanalytiker, der erklärte, dass sich die von PMF-Milizen betriebenen Kontrollpunkte hauptsächlich am Stadtrand von Bagdad befinden und nicht in der Stadt selbst, wobei an Kontrollpunkten im Osten der Stadt PMF-Elemente gemeldet wurden. Es sei für die PMF-Milizen möglich, temporäre Kontrollpunkte einzurichten, um auf bestimmte Probleme in den Stadtteilen von Bagdad zu reagieren. Im Januar 2018 teilte der Mediendirektor der BOC der Zeitung Asharq Al-Awsat mit, dass 281 Kontrollpunkte in Bagdad aufgehoben wurden, mindestens 600 Hauptstraßen und Ausgänge und ihre Vororte wiedereröffnet und am 10. Dezember 2018 Tausende Betonblöcke entfernt wurden. Im Jahr 2018 wurde außerdem die befestigte Internationale Zone (grüne Zone) in der Innenstadt für die Öffentlichkeit geöffnet. Dies ist die erste Wiedereröffnung nach Jahren. Im Jahr 2015 hatte die Regierung die grüne Zone für ein paar Tage geöffnet, aber nach Widerstand von US-Beamten wieder geschlossen.

1.9. Zur aktuellen Lage im Irak werden schließlich folgende (allgemeinen) Feststellungen unter Heranziehung der abgekürzt zitierten und gegenüber dem Beschwerdeführer offengelegten Quellen getroffen:

1. Aktuelle Ereignisse

19.08.2018: Die irakische Zentralregierung und die kurdische Regionalregierung einigten sich mittels eines Abkommens darauf gemeinsame Checkpoints an der Straße von Erbil nach Kirkuk einzurichten um die Straße öffnen zu können.

20.08.2018: Die Türkei und der Irak unterzeichneten ein Energieabkommen, in dem festgehalten wurde, dass die Türkei dem Irak Elektrizität liefern werde und bei der Entwicklung der lokalen Infrastruktur Unterstützung leisten wird.

20.10.2018/21.10.2018: Die irakischen Streitkräfte setzen ihre Militäroperationen gegen den IS fort. So töteten Sicherheitskräfte am 20.10.18 vier Extremisten in ihrem Versteck in Hit, drei Extremisten in Kirkuk und zwei Extremisten in der Provinz Diyala. Mindestens 23 Menschen wurden bei jüngsten sicherheitsrelevanten Vorfällen getötet. So kamen am 21.10.18 mindestens vier irakische Polizisten bei zwei Bombenexplosionen ums Leben, die von den Kämpfern des IS in den Regionen al-Shoura und Makhmour verübt wurden. Ebenfalls am 21.10.18 wurde eine turkmenische Familie von unbekannten bewaffneten Männern im Distrikt Hawija, rund 55 Kilometer südwestlich von Kirkuk, getötet. Auch in Jalawla, Provinz Diyala, töteten Unbekannte eine Familie.

25.11.2018: Am 25.11.18 verkündete das Gesundheitsministerium, dass bei starken Regenfällen mindestens 21 Menschen ums Leben gekommen und etwa 180 Personen verletzt worden seien. Laut der UN-Mission im Irak (UNAMI) sind in Salah ad-Din etwa 10.000 und in Ninewa etwa 15.000 Menschen in Folge der Fluten auf Unterstützung angewiesen. Am stärksten betroffen seien der Distrikt Shirqat (Provinz Salah ad-Din) und die Vertriebenenlager Qayyarah und Jedda (Provinz Ninewa). Flutschäden wurden auch in einigen südlichen Provinzen gemeldet. Häuser und Viehbestände seien hier zerstört sowie Brücken und Dörfer überschwemmt worden. UNAMI beteiligt sich an einer Notfallunterstützungsmission.

03.12.2018: Die Demokratische Partei Kurdistans (DPK) nominiert Nechviran Barzani als Präsidentschaftskandidaten für die autonome Region Kurdistan. Sein Nachfolger für das Amt des Ministerpräsidenten soll Masrur Barzani (Sohn des langjährigen Präsidenten Massud Barsani) werden.

04.12.2018: Laut Medienberichten unterbrachen Parlamentsabgeordnete am 04.12.18 eine Parlamentssitzung, die zu einer Regierungsbildung nach der Wahl im Mai 2018 führen sollte. Die Posten u.a. für das Innen- und Verteidigungsministerium bleiben unbesetzt. Dem Stillstand liegt eine Spaltung zwischen den zwei schiitischen Hauptblöcken von Moqtada Sadr und dem Milizenführer Hadi al-Amiri zugrunde.

07.12.2018: Massive Regenfälle haben in weiten Teilen des Landes zu Zerstörungen und Beschädigungen von Infrastruktur sowie Wohnhäusern geführt. Besonders betroffen sind intern Vertriebene in den Provinzen Salah ad-Din und Ninewa (Mosul, Nimrud, Sinjar Gebirge). Lokalen Medien zufolge wurden etwa 80 Familien aus dem Dorf Zanazel (Provinz Ninewa) evakuiert. Das Krisenkoordinierungszentrum des kurdischen Innenministeriums (Joint Crisis Coordination Centre) meldete am 07.12.18, dass im Vertriebenenlager Dibaga 2 in der Provinz Erbil etwa 700 intern Vertriebene auf Notfallhilfe angewiesen seien.

2. Politische Lage

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.02.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005). Am 002.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 02.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018) Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018). Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018). Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.02.2018).

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 09.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

Im Irak leben ca. 36 Millionen Einwohner, wobei di

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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