TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/12 W168 2198347-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.02.2020
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Entscheidungsdatum

12.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W168 2198347-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.05.2018, Zahl 1090141804/151464636, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.10.2019, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 30.09.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF und gab hierbei die oben angeführten Personalien an.

2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des Beschwerdeführers führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass sein Vater in Afghanistan bedroht worden und das Essen der Mädchen und Bubenschule vergiftet worden sei. Da zwei Mädchen bereits gestorben seien und es überdies einen Säureangriff auf die Schulmädchen gegeben habe, hätten die Eltern des Beschwerdeführers Angst gehabt diesen weiterhin in diese Schule zu schicken. Zu den familiären Verhältnissen im Herkunftsstaat befragt, gab der BF an, dass seine Eltern sowie zwei Schwestern und ein Bruder in Herat wohnhaft seien. In Österreich befinde sich eine seiner Schwestern, sowie ein Cousin seines Vaters. Der BF habe fünf Jahre die Grundschule besucht und sei vor seiner Ausreise Schüler gewesen.

Am 10.01.2019 wurden den BF betreffend eine Bestätigung vom 08.01.2019, wonach der BF seit Sommer 2017 beim SV XXXX aktiv sei, ein Abschlusszertifikat vom 11.02.2016 über die Teilnahme am Programm "Grundlagen Deutsch" der neuen Mittelschule, ein "Certificate A2 Level" vom 18.09.2017-22.09.2017, eine Bestätigung vom 06.10.2017 über die Erlaubnis der Absolvierung von berufspraktischen Tagen vom 16.10-18.10.2017, eine Schulbesuchsbestätigung vom 23.02.2016 für das Schuljahr 2015/2016, eine Schulbesuchsbestätigung vom 17.02.2017 über das Schuljahr 2016/2017, eine Schulbesuchsbestätigung vom 08.07.2016 über das Schuljahr 2015/2016 sowie eine Bestätigung vom 04.01.2018 über eine durchgeführte Psychotherapie vom September 2016 bis März 2017 übermittelt.

In einer Stellungnahme zum Ländervorhalt wurde seitens des bevollmächtigten Vertreter des BF am 17.01.2018 ausgeführt, dass eine Abschiebung des BF aufgrund der prekären Sicherheitslage in Afghanistan und insbesondere in Kabul nicht zulässig sei. Aufgrund der Tatsache, dass der BF minderjährig, im wehrfähigen Alter sei sowie der Tatsache, dass er bereits längere Zeit in einem westlichen Land gelebt habe, falle er in ein Risikoprofil der erwähnten UNHCR Richtlinie. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass der BF zum Zeitpunkt seiner Antragstellung erst 11 Jahre alt gewesen sei. Bei Minderjährigen unter 16 Jahren würde im Allgemeinen angenommen werden, dass sie noch nicht die geistige Reife besitzen würden, um begründete Furcht vor Verfolgung haben zu können. Losgelöst vom Einzelfall betone der VwGH in ständiger Rechtsprechung die niedrige Schwelle zur Asylrelevanz bei Verfahren von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Hinsichtlich der Intensität könnten Verfolgungshandlungen gegen Minderjährige nicht mit demselben Maßstab beurteilt werden wie Verfolgungshandlungen gegen Erwachsene. Fallbezogen sei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BF angesichts des ihn betreffenden Verfolgungsrisikos keinen entsprechenden Schutz im Herkunftsstaat finden könne.

3. Am 09.01.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte der BF aus, dass er aus Herat stamme und der Volksgruppe der Tadschiken, sowie der Religionszugehörigkeit der Sunniten angehöre. Sein Vater habe beschlossen, dass der BF das Land verlassen müsse. Auf Aufforderung des einvernehmenden Referenten des BFA seinen Lebenslauf wiederzugeben, führte der BF aus, dass er im Iran geboren worden sei, seine Familie jedoch nach Afghanistan zurückgekehrt sei, als er fünf Jahre alt gewesen wäre. Er hätte im Herkunftsstaat fünf Jahre die Grundschule besucht. Seine Familienangehörigen und er hätten in einem Mietshaus in Herat gewohnt und seien zusammen ausgereist. Zur Frage, welche Familienangehörigen bzw. Verwandten noch in Afghanistan leben würden, antwortete der BF, dass dort nach wie vor seine Eltern, seine drei Geschwister und seine Tante mütterlicherseits aufhältig seien. Ab und zu stehe er mit diesen in Kontakt. Die Fragen, ob er in seinem Herkunftsland vorbestraft oder inhaftiert sei, Probleme mit den Behörden gehabt habe oder gegen ihn staatliche Fahndungsmaßnahmen eingeleitet worden seien, wurden vom BF verneint. Er sowie seine Familienangehörigen seien auch nicht politisch tätig oder Mitglied einer Partei gewesen und der BF habe in seinem Herkunftsland auch keine Probleme aufgrund seines Religionsbekenntnisses, seiner Volksgruppenzugehörigkeit gehabt. Zudem habe er selbst weder Probleme mit Privatpersonen gehabt noch an bewaffneten oder gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen.

Zum konkreten Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass sein Vater mehrmals bedroht worden sei, da dieser als Sänger tätig und nicht streng gläubig sei. Überdies sei die Sicherheitslage in Afghanistan sehr schlecht, da es immer wieder Anschläge gebe. Bei einer Rückkehr in das Heimatland hätte er keine Zukunftsperspektiven, bzw. würde nicht zur Schule gehen können. Zur Frage, wer die Personen gewesen wären, mit denen der Vater Probleme gehabt habe, erklärte der BF, dass er diese Personen nicht kenne und diese ausschließlich seinen Vater bedroht hätten. Er selbst sei von diesen weder bedroht noch verfolgt worden. Befragt, wie sein Vater bedroht worden sei, gab der BF an, dass dieser telefonisch Drohungen erhalten habe, da die Oberhäupter der Moscheen bereits zuvor schlecht über ihn geredet hätten. In Afghanistan habe der BF auch Fußball gespielt.

Nach familiären Anknüpfungspunkten in Österreich befragt, brachte der BF vor, dass sowohl der Cousin seines Vaters als auch seine Schwester im Bundesgebiet aufhältig seien. Auf Vorhalt, dass mehrere Berichte der Staatsanwaltschaft aufliegen würden, erwiderte der BF, dass ihn ein Junge beschimpft und angegriffen habe. Zur Frage, wie sein soziales Umfeld in Österreich aussehe, führte der BF aus, dass er Schulfreunde habe und in einem Verein Fußball spiele. Er beziehe Leistungen aus der Grundversorgung und gehe keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurde ein Eintrag ins Personenstandsregister im Original sowie als Übersetzung in Vorlage gebracht.

Mit Eingabe vom 28.02.2018 wurde eine aktuelle Schulnachricht des BF sowie weitere, bereits vorgelegte Dokumente übermittelt.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. (Spruchpunkt V.) Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. (Spruchpunkt VI.)

Zusammenfassend führte das BFA aus, dass der BF angegeben habe, mit Privatpersonen Probleme gehabt zu haben, habe jedoch auf Nachfrage nur bekanntgeben können, dass ihm diese Personen unbekannt seien und seine gesamte Familie von diesen Personen bedroht werde. Eine Bedrohung oder Verfolgung seiner Person habe er nicht vorgebracht, da eine solche nie stattgefunden habe. Der Vater des BF habe aufgrund seines Berufs als Musiker bei diversen Imame einen schlechten Ruf genossen. Laut Aussagen der Schwester des BF sei der Vater jedoch nicht mehr als Musiker in der Öffentlichkeit tätig. Zudem werde festgestellt, dass die Familie des BF weiterhin in Herat in seinem Elternhaus aufhältig sei, seine Mutter arbeite als Schneiderin. Auch wenn der BF bzw. sein Vater in der Vergangenheit öfter umgezogen seien, sei dennoch von der Tatsache auszugehen, dass die Familie des BF nach wie vor im Elternhaus wohne, weswegen eine reale Gefahr von der Behörde ausgeschlossen werden könne. Wie bereits bei seiner Schwester, habe sich auch im Fall des BF ebenso herausgestellt, dass die Vordergründe seiner Flucht auf seine mangelnden Zukunftsperspektiven im Heimatland bzw. die vielfältigen Möglichkeiten in Österreich beschränken würden, weswegen sich seine Gründe als absolut nicht asylrelevant erwiesen hätten. Insgesamt betrachtet sei daher nur anzumerken, dass es dem Vorbringen des BF an Plausibilität und Asylrelevanz mangle. Der BF habe die allgemeine Situation in seinem Heimatdorf dargelegt, ohne eine individuelle Verfolgung oder Bedrohung seiner Person plausibel darzulegen. Dass der BF in seinem Heimatstaat nicht vorbestraft oder inhaftiert worden sei, keine Probleme mit den Behörden gehabt habe, nicht politisch aktiv oder Mitglied einer Partei gewesen sei und auch keine Probleme mit seiner Volksgruppenzugehörigkeit gehabt habe, ergebe sich aus dem Umstand, dass er nach all diesen Punkten gefragt worden sei und alle Probleme verneint habe. Auch aus seinen übrigen Ausführungen seien derartige Verfolgungsszenarien nicht ansatzweise erkennbar gewesen. Aus den sonstigen Umständen habe ebenfalls eine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nicht festgestellt werden können. Für die Behörde stehe daher fest, dass es keine individuelle Verfolgungsgefahr für den BF gegeben habe. Aus den Länderfeststellungen gehe hervor, dass die Sicherheitslage in Herat als vergleichsweise gut eingestuft werde, bzw. es sich aus den Länderinformationen ergeben würde, dass es sich bei der Herkunftsprovinz als eine relativ friedliche Provinz handeln würde. Aufgrund der vorhandenen familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan, die Eltern und Geschwister, bzw. Verwandte in Afghanistan, sowie auch aufgrund der Feststellungen zur gewährleisteten Grundversorgung in Herat und des Umstandes, dass es sich beim BF somit um einen minderjährige Person handelt deren Eltern im Heimatstaat leben und der BF mit diesen auch in Kontakt stehe und von diesen Unterstützungen erhalten könne, dieser mit den kulturellen Gegebenheiten des Heimatlandes vertraut ist, bzw. im Heimatstadt bereits 5 Jahre eine Schulbildung erhalten habe, sei davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würde.

5. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass die Situation der "Rückkehrer" in Afghanistan derzeit besonders schlecht sei. Minderjährige seien bei einer Rückkehr besonderen Gefahren und Problemen ausgesetzt. Die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, habe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in diesem Fall missachtet. Der vom BFA bisher erhobene Sachverhalt sei somit keineswegs als ausreichende Entscheidungsgrundlage anzusehen. Die belangte Behörde sei ihren Ermittlungspflichten nicht im ausreichenden Maße nachgekommen und habe das Verfahren deshalb mit schwerwiegenden Mängeln belastet. Bei gesetzmäßiger Führung des Ermittlungsverfahrens hätte die Behörde das Vorbringen des BF zu entscheidungsrelevanten Tatsachen erhoben und dem BF nach einer mängelfreien Beweiswürdigung die Flüchtlingseigenschaft zuerkennen müssen. Der Beschwerde wurde ein fachärztlicher Befund vom 25.04.2018 mit den Diagnosen "dissoziative Anfälle bei posttraumatischer Belastungsstörung", und einer empfohlenen Medikation, bereits übermittelte Dokumente, eine Bestätigung vom 16.05.2018 über die Berechtigung, eine polytechnische Schule zu besuchen, zwei Jahreszeugnisse der Schwester des BF vom 07.07.2017 sowie vom 16.02.2018 sowie Berichte von EASO zur Vereinheitlichung der europäischen Rechtsprechung und eine gutachterliche Stellungnahme von Friederike Stahlmann angeschlossen.

6. Die gegenständliche Beschwerde und die hierauf Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 13.06.2018, beim BVwG am 07.02.2018 eingelangt, vom BFA vorgelegt.

In einem ergänzenden Vorbringen vom 07.10.2019 wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF vorgebracht, dass der Vater des BF als Musiker tätig sei und eine Verfolgungshandlung gegen den BF aus seiner Familienzugehörigkeit zum Vater resultiere. Der BF und seine Familie seien bereits in der Vergangenheit Opfer von Verfolgungshandlungen gewesen, was die Familie zur Flucht in den Iran bewogen habe und als Indiz für die Verfolgungsgefahr zu werten sei. Wie bereits in der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes sowie in der Beschwerdeergänzung vorgebracht, sei der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl mit schweren Verfahrensmängeln behaftet, welche in die Verfassungssphäre reichen würden. Das BFA habe die Minderjährigkeit des BF an keiner Stelle der Beweiswürdigung ausreichend berücksichtigt und sich mit dem Vorbringen des BF in hinreichender Weise auseinandergesetzt. Auf die Tatsache, dass ein Asylwerber seinen Heimatstaat als unmündiger Minderjähriger verlassen habe, sei in der Entscheidung ebenfalls einzugehen. In Verfahren mit unmündigen Minderjährigen seien das kindliche Alter, die Abhängigkeit und eine allfällige relative Unreife sowie Bildung und kultureller Hintergrund zu berücksichtigen.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.10.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen und seinen Fluchtgründen befragt wurde.

Zu seinen Lebensumständen in Afghanistan befragt, führte der BF aus, dass er in Herat mit seinen Eltern gelebt habe. Dort würden sich weiterhin sein Vater, seine Mutter, zwei Schwestern und ein Bruder aufhalten und dort an einer namentlich konkret vom BF genannten Adresse in einem Mietshaus wohnen. Es bestehe zu diesen Personen drei Mal in der Woche ein telefonischer Kontakt, bzw. würden die Eltern auch über einen Internetzugang verfügen. Zur Frage, wie seine Eltern ihren Lebensunterhalt bestreiten würden, antwortete der BF, dass sein Vater Musiker und seiner Mutter Hausfrau sei. Auf die Frage, wie es den Eltern gehen würde, antworte der Beschwerdeführer, dass es ihnen gut gehen würde, bzw. führe dieser ergänzend aus, dass es ihnen auch finanziell gut, bzw. mittelmäßig gehen würde. Der Vater würde als Sänger für den Lebensunterhalt der Familie sorgen. Eine seiner Schwestern befinde sich ebenfalls in Österreich und lebe in selben Jugendheim wie der BF in einem anderen Zimmer und würde die Schwester fast jeden Tag sehen. Der BF gab ergänzend an, in Herat eine namentlich genannte Grundschule 5 Jahre lang besucht zu haben. Über die Medienberichterstattung habe er von Anschlägen in seiner Heimatstadt erfahren. Auf die Frage, ob sich seit Erhalt des angefochtenen Bescheids irgendeine wesentliche Veränderung ergeben habe, erwiderte der BF, dass er die Sicherheitslage in Österreich schätze.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass er zum Zeitpunkt des Verlassens Afghanistans jung gewesen sei und sein Vater beschlossen habe, dass er das Land verlassen solle. Es sei an seiner Schule zu Vergiftungen gekommen und überdies sei die Sicherheitslage in Afghanistan prekär gewesen. Sein Vater wäre mehrmals telefonisch bedroht worden, da er gegen strenggläubige, radikale Männer eingetreten sei und deswegen bereits in Moscheen schlecht über ihn geredet worden wäre. Der Vater wäre in Afghanistan berühmt. Es würde Leute geben, die ihn feiern würden, bzw. würde es andere geben, die gegen ihn etwas haben würden. Auf Vorhalt, wieso sein Vater, seine Mutter, bzw. weitere Geschwister nach wie vor im Herkunftsstaat leben könnten, jedoch der BF ausgereist wäre, führte der BF aus, dass sich der Vater nicht durchgehend in Herat aufhalte und sich immer wieder verstecken müsse. Er habe Afghanistan bereits verlassen, sei jedoch aus der Türkei in den Herkunftsstaat zurückgeschoben worden. Zum weiteren Vorhalt, dass den Würdigungen des BFA im angefochtenen Bescheid zu entnehmen sei, dass insbesondere in Herat und in Mazar-e Sharif die Sicherheitslage sowie die wirtschaftliche Lage stabil sei und sich Vorfälle in diesen Städten hauptsächlich gegen "high-profile" Personen richten würden, entgegnete der BF, dass er die Länderinformationen gelesen und die Lage in Herat persönlich mitbekommen habe. Weiters zu den angeführten Vergiftungen in der Schule des BF befragt, führte der BF aus, dass sich ein Kollege aus einer andere Klasse etwas zu essen gekauft habe und nach einiger Zeit bewusstlos geworden sei. An einer Mädchenschule sei einem Mädchen Säure ins Gesicht geschüttet worden. Die Frage, ob er die Personen, die vergiftet worden seien, persönlich kenne, wurde vom BF verneint. Weiter hierzu befragt führte der BF aus, dass es sich bei diesen Vorfällen um Geschehnisse handle, die gegen keine bestimmte Person, insbesondere auch nicht persönlich gegen den Beschwerdeführer gerichtet gewesen waren. Befragt zu den Befürchtungen des Beschwerdeführers bei einer allfälligen Rückkehr, führte der BF aus, dass er sich bei einer Rückkehr aufgrund der Sicherheitslage nicht wohl fühlen würde. Die Frage, ob er irgend welche Hinweise habe, dass er bei einer Rückkehr konkret persönlich bedroht werden würde, wurde vom BF verneint. Es sei jedoch möglich, dass Kinder entführt werden würden, wenn der Vater bedroht werde. Bescheinigungsmittel, die ein Element der Fluchterzählung belegen würden, könne der BF nicht in Vorlage bringen.

Auf Nachfrage, was er genau über die Bedrohungen seines Vaters wisse, erklärte der BF, dass er noch jung gewesen sei und sein Vater ihm nicht viel über die genauen Umstände der Bedrohungen erzählt habe. Zur Frage, wie sich seine eigene Situation von anderen gesunden Personen unterscheide, entgegnete der BF, dass er durch den Beruf seines Vaters ein großes Problem habe und deswegen viele Feinde habe.

Zum Ablauf des Verlassens Afghanistans befragt, gab der BF an, dass der Vater entschieden habe, dass er ausreisen müsse. Er selbst hätte für den Schlepper 200,- Euro vom Vater erhalten

Befragt welche Befürchtungen der BF betreffend einer Rückkehr habe, bzw. welche persönlichen Veränderungen er befürchten würde, führte der BF aus, dass er sein Aussehen ändern müsse. Durch den erkennenden Richter darauf hingewiesen, dass der BF eine ganz gewöhnliche Kleidung trage führte dieser aus, dass er auch seinen Akzept und die Sprache (des Heimatlandes) gut beherrschen müssen. Auch hätte er vergessen wie man bete. Dies müsste er wieder lernen, bzw. müsste er sich dort anpassen.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich gab der BF zu Protokoll, dass er von der Grundversorgung lebe und entscheidungsrelevante Unterlagen bereits in Vorlage gebracht habe. Zur Frage, ob es in Österreich oder in der EU Personen gebe, zu denen er ein besonderes Nahe-bzw. Abhängigkeitsverhältnis habe, replizierte der BF, dass der Cousin seines Vaters in XXXX lebe und er zu seiner Schwester ein normales Geschwisterverhältnis pflege. Er besuche die Bundeshandelsakademie in XXXX . In seiner Freizeit würde der BF lesen. Ansonsten würde er Fußball spielen, bzw. Freunde treffen. In Zukunft wolle er arbeiten gehen, etwas lernen, bzw. eine Lehre bzw. Matura absolvieren. Er würde seine Eltern seit 4 Jahren vermissen und denke jeden Tag an diese. Er hätte Alpträume, dass Familienmitglieder getötet würden, bzw. von Anschlägen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom BF eine Schulbesuchsbestätigung vom 17.09.2019 über die Absolvierung der 1BHS einer Bundeshandelsakademie vom 09.09.2019 bis 10.07.2020 in Vorlage gebracht. Seitens des Vertreters wurde insbesondere auch in der Beilage befindliche Internetlinks hingewiesen, die den Vater des BF bei seiner Tätigkeit, bzw. insbesondere auch mit einer weiblichen Künstlerin zeigen würden. Diese Aufnahmen wären über den Sender XXXX - TV ausgestrahlt worden, der eine Reichweite in ganz Afghanistan hätte. Eine asylrelevante Verfolgung würde folglich an der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie des BF anknüpfen. Der BF wäre im Iran geboren und wäre erst im Alter von 2,5 Jahren wieder zurück nach Afghanistan gereist. Im Alter von 11 Jahren wäre er von dort geflüchtet. Die gesamte Pubertät hätte der BF in Europa unter dem Einfluss der österreichischen Wertehaltung verbracht, die diesen persönlich in der Entwicklung westlich prägte. Bei einer Rückkehr würde man diesen eine von der in Afghanistan abweichende Haltung unterstellen, woraus eine asylrelevante Verfolgung resultieren könne. Der BF würde 4 Risikoprofile der UNHCR Richtlinien aus 2018 erfüllen, denen nach Judikatur des VwGH Indizienwirkung zukommen würde. Betreffend des Verfolgungsrisikos für Musiker wäre auf die Auszüge der schriftlichen Stellungnahme zu verweisen. Die Sicherheitslage in Herat wäre zwar vergleichsweise sicher, doch ließe dies keine Rückschlüsse auf die Versorgungslage von Minderjährigen, bzw. besonders vulnerablen Personen zu. Es wäre zudem auf den Erwägungsgrund Nr. 18 der Qualifikationsrichlinie und Art. 24 GRC hinzuweisen, wodurch eine Entscheidung bei Minderjährigen unter besonderer Berücksichtigung des Kindeswohles zu treffen sei. Zudem sei ein ernsthafter Schaden des BF bei einer Rückkehr in Folge eines innerstaatlichen Konflikes im Sinne des Art. 15c der Qualifikationsrichtlinie zu erwarten. Auf die Entscheidung des VwGH vom 06.011.2018 RA2019(01/0106 -12 wäre hinzuweisen, wo §8 AsylG die Qualifikationsrichtlinie , insb. Art 15 fehlerhaft umsetze, bzw. der Status des subsidiär Schutzberechtigten zu eng gefasst wäre. In Richtlinienkonformer Interpretation hätte das Gericht dem BF zumindest den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Zur besonderen Situation von Rückkehren wäre auf die Länderberichte bzw. auf die Ausführungen des GA von Stahlmann zu verweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

? Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA betreffend den BF; insbesondere in die Befragungsprotokolle;

? Befragung des BF im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 08.10.2019;

? Einsicht in das Zentrale Melderegister, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

1. Feststellungen:

1.1. zur Person des Beschwerdeführers:

Der unbegleitete, minderjährige Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, sunnitischer Moslem und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprache Dari. Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan aufgewachsen, bzw. hat bis zur Ausreise aus Afghanistan zusammen mit beiden Eltern und mehreren Geschwistern in der Stadt Herat gelebt. Der Beschwerdeführer hat im Heimatstaat fünf Jahre die Grundschule besucht. Der Beschwerdeführer hält sich seit September 2015 im Bundesgebiet auf. Beim Beschwerdeführer wurden dissoziative Anfällen bei posttraumatischer Belastungsstörung diagnostiziert. Der Beschwerdeführer befindet sich gegenwärtig nicht in einer durchgehenden, bzw. stationären Therapie oder Behandlung. Dem vorliegenden Verwaltungsakt sind keine Informationen zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer gegenwärtig an schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Krankheiten leiden würde, welche einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

1.1. Zu den Beschwerdepunkten:

Es konnte nicht festgestellt werden, bzw. wird es dem Verfahren nicht zugrunde gelegt, dass der Beschwerdeführer Afghanistan aufgrund einer asylrelevanten, ihn konkret und unmittelbar treffenden Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat.

Ebenfalls wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken keine Verfolgung in Afghanistan droht.

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass dem BF aufgrund der Tatsache, dass er in Europa gelebt hat, konkret und individuell eine physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht. Es kann nicht festgestellt werden, dass der minderjährige BF aufgrund seines jungen Alters in Afghanistan einer individuellen Verfolgung ausgesetzt ist.

Es konnte insgesamt nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit persönlich konkret bedroht wäre, konnte nicht festgestellt werden.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung insbesondere in seiner Herkunftsstadt Herat besteht für den Beschwerdeführer aufgrund der allgemeinen Lage keine besonders berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation.

Nach Angaben des Beschwerdeführers ist die wirtschaftliche Situation der Familie gut, bzw. mittelmäßig und diese lebt in einem Mietshaus an einer konkret durch den BF bekannten Adresse in Herat. Der Beschwerdeführer steht mit seiner Familie in ständigen Kontakt. Bei einer Rückkehr des minderjährigen Beschwerdeführers in den Familienverband in Herat besteht auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr dass dieser grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen könnte und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten würde. Die Anordnung zur Außerlandesbringung des Beschwerdeführers stellt keinen unzulässigen Eingriff in besonders durch Art. 3 EMRK geschützte Rechte dar.

Wesentliche Gründe, die gegen eine Rückkehr des minderjährigen Beschwerdeführers zu seinen Eltern und seiner Familie nach Herat, Afghanistan sprechen sind dem vorliegenden Verwaltungsakt insgesamt nicht zu entnehmen.

Der minderjährige Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Der Beschwerdeführer besuchte in Österreich die Neue Mittelschule, besucht derzeit eine Bundeshandelsakademie und nahm an berufspraktischen Tagen teil; er hat in Österreich Deutschkurse absolviert.

Der minderjährige Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Das Bestehen von besonderen Gründen, die für ein Verbleiben der minderjährigen beschwerdeführenden Partei im Bundesgebiet sprechen, bzw. das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann in casu nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Schwester Mahsa, geb. am 29.01.2002, die gemeinsam mit den Beschwerdeführer nach Österreich gekommen ist und einen Antrag auf Asyl in Österreich gestellt hat, bzw. eines Cousins. Das Vorliegen eines besonders zur berücksichtigenden Nahe- bzw. Abhängigkeitsverhältnisses zu diesem Cousin oder zu der sich im Bundesgebiet befindlichen Schwester hat der Beschwerdeführer im Verfahren insgesamt nicht dargelegt. Ein sonstiges besonders zu berücksichtigendes Nahe- bzw. Abhängigkeitsverhältnisses zu Personen im Bundesgebiet ist begründet ebenso nicht dargelegt worden. Eine Anordnung zur Außerlandesbringung des Beschwerdeführers stellt keinen unzulässigen Eingriff in besonders durch Art. 8 EMKR geschützte Rechte dar.

Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor.

Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann auch unter Berücksichtigung sämtlicher integrativer Schritte des Beschwerdeführers in casu nicht festgestellt werden.

Das Bestehen von besonderen Gründen, die für ein Verbleiben des BF im Bundesgebiet sprechen, sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.

1.3. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

Das BVwG trifft, unter Berücksichtigung der aktuellsten Länderinformationen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers Afghanistan, insbesondere unter besonderer Berücksichtigung der Sicherheits - als auch der Versorgungslage in Herat und zur Situation von Minderjährigen in Afghanistan folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat mit ua. gekürzten Auszug aus dem Länderinformationsblatt unter Berücksichtigung der aktuellsten Länderberichte zu Afghanistan. (Zusammengefasst und gekürzt durch das BVwG)

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019). Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Anmerkung der Staatendokumentation: Zur besseren Ortung der oben beschriebenen Vorfälle folgt eine kartografische Darstellung der Staatendokumentation mit der Einteilung der Stadt Kabul in Polizeidistrikte:

* Quellen:

- 1 TV NEWS (30.5.2019): At least six killed in suicide blast near military academy in

* Kabul, http://www.1tvnews.af/en/news/afghanistan/38366-breaking-blast-rocks-

* kabul, Zugriff 3.6.2019, ua.

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter

Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer; 1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und

Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen

Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

* Anschläge in Kabul-Stadt

* Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in KabulStadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

* Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

* Überflutungen und Dürre

* Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan,

* Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

* Friedensgespräche

* Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US- Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition

* von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

* Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

* Verschiebung der Präsidentschaftswahl

* Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen,, welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

* Quellen:

- AJ - Al Jazeera (21.3.2019): Blasts in Afghan capital Kabul kill six during new year festival, https://www.aljazeera.com/news/2019/03/blasts-afghan-capital-kabul-kill-6- year-festival-190321064823472.html. Zugriff 26.3.2019

- AJ - Al Jazeera (8.3.2019): Death toll rises to 11 in attack on Shia gathering in Kabul, https://www.aljazeera.com/news/2019/03/death-toll-rises-11-afghan-capital-attack-

* shia-gathering-190308102222870.html. Zugriff 26.3.2019, ua.

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (25.3.2019): Briefing Notes Afghanistan, liegen im Archiv der Staatendokumentation auf IFRCRCS - International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies

* (17.3.2019): Emergency Appeal Afghanistan: Drought and Flash Floods,

* https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-drought-and-flash-floods

- NYT - The New York Times (7.3.2019): U.S. Peace Talks With Taliban Trip Over a

* Big Question: What Is Terrorism?,

* https://www.nytimes.com/2019/03/07/world/asia/taliban-peace-talks-afghanistan.html.

* Zugriff 26.3.2019, ua.

High-profile Angriffe:

Nahe der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif in der afghanischen Nordprovinz Balkh, sind bei einem Angriff der Taliban auf eine Militärbasis mindestens 140 Soldaten getötet und mehr als 160 verwundet worden (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: al-Jazeera 29.4.2017, Reuters 23.4.2017). Balkh gehört zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans; dort ist die Kommandozentrale für den gesamten Norden des Landes (FAZ 21.4.2017). Dies war afghanischen Regierungskreisen zufolge, der bislang folgenschwerste Angriff auf einen Militärstützpunkt. Laut dem Sprecher der Taliban war der Angriff die Vergeltung für die Tötung mehrerer ranghoher Rebellenführer. Vier der Angreifer seien in die Armee eingeschleust worden. Sie hätten dort einige Zeit ihren Dienst verrichtet. Das wurde aber von der afghanischen Armee nicht bestätigt (Reuters 23.4.2017).

Dies ist der zweite Angriff auf eine Militäreinrichtung innerhalb weniger Monate, nach dem Angriff auf ein Militärkrankenhaus in Kabul Anfang März, zu dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat bekannt hatte. Damals kamen mindestens 49 Menschen ums Leben und 76 weitere wurden verletzt (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: BBC 8.5.2017, NYT 7.5.2017, Dawn 7.5.2017, SIGAR 30.4.2017, FAZ 8.3.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Angaben, welche Gebiete von den Aufständischen in Afghanistan kontrolliert werden, sind unterschiedlich: Schätzungen der BBC zufolge, wird bis zu ein Drittel des Landes von den Taliban kontrolliert (BBC 9.5.2017). Einer US-amerikanischen Quelle zufolge stehen 59,7% der Distrikte unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Sicherkräfte (Stand: 20.2.2017); was eine Steigerung von 2,5% gegenüber dem letzten Quartal wäre; jedoch einen Rückgang von 11% gegenüber dem Vergleichswert des Jahres 2016. Die Anzahl der Distrikte, die unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen sind, hat sich in diesem Quartal um 4 Distrikte vermehrt: es sind dies 45 Distrikte in 15 Provinzen (SIGAR 30.4.2017). Die ANDSF konnten die Taliban davon abhalten Provinzhauptstädte einzunehmen oder zu halten; die Aufständischen haben die Kontrolle über gewisse ländliche Gebiete behalten. (SIGAR 30.4.2017).

Taliban

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive Ende April 2017 eröffnet; seitdem kommt es zu verstärkten Gefechtshandlungen in Nordafghanistan (BBC 7.5.2017). Bisher haben die Taliban ihre alljährliche Kampfsaison durch die Frühjahrsoffensive eingeläutet; allerdings haben dieses Jahr die Taliban-Aufständischen auch in den Wintermonaten weitergekämpft (BBC 28.4.2017).

Helmand

Die Taliban haben den Druck auf die Provinz Helmand erhöht; heftige Gefechte fanden Ende Jänner und Anfang Februar im Distrikt Sangin statt (UN GASC 3.3.2017): 10 der 14 Distrikte in Helmand werden entweder von den Taliban kontrolliert oder sind umstritten. In die Provinz Helmand wurde bereits eine Anzahl US-amerikanischer Soldaten entsendet (al-Jazeera 29.4.2017; vgl. auch: Khaama Press 11.4.201

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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