TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/26 W168 2227208-1

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Veröffentlicht am 26.02.2020
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Entscheidungsdatum

26.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W168 2227208-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter MMag. Dr. Bernhard MACALKA als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.11.2019, Zl. 1054390402/190991305/BMI-BFA_WIEN_AST_01, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste im März 2015 unberechtigt und schlepperunterstützt in Österreich ein und stellte am 23.03.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei seiner Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Wien am selben Tag gab der BF an, dass sein Vater für eine Hilfsorganisation in Afghanistan tätig gewesen sei, weshalb sie von den Taliban verfolgt und bedroht worden. Da sie in weiterer Folge auch an ihrem neuen Wohnsitz aufgespürt worden seien, hätte sie Afghanistan verlassen müssen.

3. Aus einem gerichtsmedizinischen Gutachten vom 26.05.2015 geht hervor, dass der BF zum Untersuchungszeitpunkt am 08.05.2015 zumindest 17 Jahre alt gewesen ist.

4. Am 24.11.2016 wurde der BF vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) einvernommen. Der BF gab an, dass er gesund sei und keine Medikamente einnehme. Seine Eltern seien im Jahr 2014 in den Iran geflohen und sein Vater verdiene den Lebensunterhalt für die Familie als Hilfsarbeiter. Zuvor habe der BF mit seiner Familie in der Nähe von Mazar e-Sharif gewohnt und der BF sei dort 12 Jahre zur Schule gegangen.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass sein Vater von 2012-2014 bei einer Hilfsorganisation gearbeitet habe. Die Familie habe zudem ein Lebensmittelgeschäft gehabt und sein Vater sei ausgewählt worden, für diese Organisation zu arbeiten. Auf Nachfrage, wie der Name der Hilfsorganisation gewesen sei, entgegnete der BF, dass er damals sehr jung gewesen sei und dafür nicht interessiert habe. Den Namen des Chefs der Organisation oder den genauen Sitz sowie die konkreten Funktionen und die Aufgaben seines Vaters könne er ebenfalls nicht genau benennen. Die Familie des BF sei jedenfalls von den Taliban mehrmals mit der Ermordung bedroht worden, wenn der Vater des BF auch zukünftig seiner Tätigkeit bei einer Hilfsorganisation nachgehe. Da dieser sich jedoch geweigert habe, seine Beschäftigung aufzugeben, sei er weiterhin telefonisch bedroht worden, woraufhin er nach Mazar e-Sharif gegangen sei. Sein Vater sei überdies auch von anderen Dorfbewohnern bedroht worden, die ebenfalls innerhalb der erwähnten Organisation aufsteigen hätten wollen. Auf Aufforderung, konkret von den Bedrohungen zu erzählen, entgegnete der BF, dass sein Vater von den Taliban täglich immer wieder angerufen worden sei. Befragt, wann er zum ersten Mal daran gedacht habe, Afghanistan zu verlassen, erwiderte der BF, dass dies ungefähr im November oder Dezember 2014, also einen Monat vor seiner tatsächlichen Ausreise geschehen sei. Auf Nachfrage, weshalb er daran gedacht habe, Afghanistan zu verlassen, replizierte der BF, dass die Bedrohungen gegen seinen Vater der ursächliche Grund dafür gewesen seien, da in weiterer Folge auch seine gesamte Familie bedroht worden sei. Die Frage, ob er selbst persönlich je konkret bedroht worden sei, wurde vom BF verneint. Im Heimatdorf habe er mit seiner Familie in einem Lehmhaus gewohnt und sein Vater habe vor seinem Eintritt in die Hilfsorganisation ein Lebensmittelgeschäft betrieben. Der BF sei auch nicht aus politischen, religiösen, ethischen Gründen oder seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt worden.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF ein ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A1 vom 11.11.2015, in ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A2 vom 17.12.2015, eine Schulbesuchsbestätigung vom 29.01.2016 für den Lehrberuf Kraftfahrzeugtechnik im Schuljahr 2015/16, eine Vereinbarung vom 25.04.2010 über die Verrichtung einer gemeinnützigen Tätigkeit, eine Urkunde (3. Platz Sportler des Jahres) vom 16.06.2016, eine Besitzurkunde über die erfolgreiche Teilnahme am Projekt "Fahrradtechnik", eine Schulbesuchsbestätigung für den Schuljahr 2015/16 vom 01.07.2016 für den Lehrberuf Kraftfahrzeugtechnik, ein Zertifikat vom 05.09.2016 über den Besuch eines Deutschkurses vom 11.07.2016 bis zum 02.09.2016, eine Bestätigung vom 17.11.2016 über die Teilnahme an Veranstaltungen eines Vereins, eine Bestätigung vom 18.11.2016 über die Teilnahme an einem Bildungsprojekt, eine Bestätigung vom 21.11.2016 über die Verrichtung einer gemeinnützigen Tätigkeit im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit sowie eine Bestätigung vom 23.11.2016 über die Mitgliedschaft in einem Verein in Vorlage gebracht.

5. Mit Bescheid des BFA vom 25.11.2016 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 25.11.2017 erteilt (Spruchpunkt III.).

In der Begründung zu Spruchpunkt II. stellte die belangte Behörde fest, dass sie aufgrund der allgemeinen schlechten Sicherheitslage in Afghanistan in Verbindung mit der besonderen Situation aufgrund fehlender familiärer/sozialer Kontakte des jugendlichen BF, der zudem keine Berufsausbildung vorweisen könne, womit es durch eine Rückführung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zur Verwirklichung einer realen Gefahr der Verletzung in den Rechten nach Art. 3 EMRK kommen könnte, zumal nicht geklärt werden könne, wie der BF über einen längeren Zeitraum dauernd seinen Lebensunterhalt bestreiten könne.

6. Am 13.10.2017 stellte der BF erneut einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG.

7. Mit Bescheid des BFA vom 21.11.2017, Zl. 1054390402/150300040, wurde dem BF die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 25.11.2019 erteilt.

8. Am 12.09.2019 stellte der BF erneut einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG und führte im Rahmen einer Stellungnahme aus, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert habe und noch immer die reale Gefahr bestehe, dass er im Falle einer Rückkehr in Afghanistan in eine ausweglose Lage geraten könnte. Es sei zu keiner Änderung in den Umständen, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt hätten, gekommen. Im Rahmen des Antrags wurden vom BF eine aktuelle Meldebestätigung, ein Zeugnis zur Integrationsprüfung vom 05.08.2019 über eine bestandene Integrationsprüfung auf dem Niveau B1, ein Dienstvertrag vom 01.02.2019 über eine Tätigkeit als Fensterputzer, ein Jahreslohnzettel 2018 vom 12.05.2019 und ein Zeugnis über die Pflichtabschlussprüfung vom 22.06.2018 in Vorlage gebracht.

9. Aus einem Aktenvermerk vom 30.09.2019 geht hervor, dass sich Anhaltspunkte dafür ergeben würden, dass wegen geänderter Lage die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht mehr vorliegen würden.

10. In einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 21.11.2019 führte der BF aus, dass er keine Medikamente einnehme und gesund sei, bzw. sich nicht in Therapie befinde. Der BF stehe ein bis zweimal pro Woche in Kontakt zu seinen Eltern und seinen Geschwistern, die sich im Iran befinden würden. Er habe in Afghanistan Tanten und Freunde, mit denen er in unregelmäßigen Kontakt stehe. Er sei verheiratet und habe seine Ehefrau in Indien geheiratet. Zur Frage, ob seine Ehefrau noch Angehörige in Afghanistan habe, brachte der BF vor, dass seine Ehefrau familiäre Anknüpfungspunkte bzw. eine Familie in Afghanistan habe, mit der sie nach wie vor im Herkunftsstaat zusammenlebe.

Befragt, ob der bei der Antragstellung im Jahr 2015 genannte Fluchtgrund nach wie vor bestehe, führte der BF aus, dass er im Falle der Rückkehr auch von den Taliban bedroht werden würde und daher nicht in seinen Herkunftsstaat zurückkehren könne. Auf Vorhalt, dass ihm aufgrund seiner damaligen Minderjährigkeit und fehlender Ausbildung subsidiärer Schutz gewährt worden sei und sich die Situation nunmehr maßgeblich geändert habe, da er nunmehr volljährig sei und eine Ausbildung absolviert habe, erwiderte der BF, dass er in Zukunft eine Lehre als Elektrotechniker absolvieren wolle. Auch in den Städten Mazar e-Sharif und Herat sei die Sicherheitslage nach wie vor instabil.

Der BF führte aus, dass er ungefähr 1500,- Euro netto als Fensterputzer pro Monat verdienen würde und er seiner nunmehrigen Ehefrau einen Teil seines Einkommens überweisen würde. Er könne sich jedoch ungefähr 500,- Euro pro Monat ersparen. Er habe seine Ehefrau in Indien geheiratet und für diese ein paar Sachen gekauft und das würde in Indien auch Geld kosten.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF ein Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung, vom 22.06.2018, eine Kopie eines "Marriage Certificates" vom 06.03.2019, eine Kopie eines indischen Visums, eine Kopie eines Reisepasses, eine absolvierte Integrationsprüfung, ein Dienstvertrag über die Tätigkeit als Fensterputzer vom 01.02.2019, ein Zeugnis zur Integrationsprüfung, ein Mietvertrag, ein Zeugnis über die Pflichtabschluss-Prüfung, eine Strafregisterbescheinigung, ein Antrag auf Ausstellung eines Daueraufenthalt-EU, ein Empfehlungsschreiben und mehrere Lohnzettel in Vorlage gebracht.

11. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 22.11.2019, Zl. 1054390402/190991305, wurde dem BF der Antrag vom 12.09.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde abgewiesen. (Spruchpunkt I.) Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass dem BF der mit Bescheid vom 25.11.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt wurde und die ihm mit Bescheid vom 21.11.2017 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde ihm gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen. (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt IV.) und gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen wird (Spruchpunkt V.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt wird, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt VI.). Weiters wurde festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiär Schutzberechtigten zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt nicht vorliegen würden. Der BF sei eine volljährige, gesunde und arbeitsfähige Person und habe eine entsprechend gute Schulausbildung. Er gehe einer geregelten Arbeit nach und könne sich seinen Lebensunterhalt gut selbst verdienen. Die Zuerkennung des subsidiären Schutzes sei dem BF nur aufgrund seiner damaligen Hilfsbedürftigkeit zuerkannt worden, da er nicht fähig gewesen sei, seinen Lebensunterhalt selbstständig zu finanzieren. Der BF habe sich während seines Aufenthaltes in Österreich weiterbilden können und werde ihm das bei der Arbeitssuche in Afghanistan sehr hilfreich sein. Der BF sei im Herkunftsland keiner persönlichen Gefahr ausgesetzt. In Afghanistan habe der BF weitere Familienangehörige, zumal seine Ehefrau und weitere Verwandte dort leben. Der BF sei im Herkunftsland keiner persönlichen Gefahr ausgesetzt. In Afghanistan habe der BF weitere Familienangehörige, zumal seine Ehefrau und weitere Verwandte eben dort leben würden und der BF stehe in regelmäßigen Kontakt mit seiner Ehefrau. Der BF sei in der relativ sicheren Stadt Mazar e-Sharif aufgewachsen und habe daher eine entsprechende Ortskenntnis.

12. Der BF erhob mittels seines nunmehrigen Rechtsvertreters gegen den oben genannten Bescheid fristgerecht die gegenständliche Beschwerde, in der ausgeführt wurde, dass der BF nun verheiratet sei, doch diese Änderung nicht so wesentlich und endgültig sei, dass der BF nicht ernsthaft Gefahr laufe, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Die Ehefrau und die Familienangehörigen des BF würden zwar in Afghanistan leben, doch würden diese den BF bei einer Rückkehr nicht unterstützen, da der Vater seiner Ehefrau nur Gelegenheitsjobs ausübe. Durch Überweisungen des BF in Höhe von 300-400 Euro monatlich werde ersichtlich, dass die Familie seiner Frau ihn bei Rückkehr nicht unterstützen könnte. Seit der letzten Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten sei auch keine wesentliche und nachhaltige Änderung der Lage in Afghanistan eingetreten. Neben ausgezeichneten Deutschkenntnissen und einem Pflichtschulabschluss habe sich der BF zu einer Fachkraft in einem speziellen Nischenbetrieb entwickelt. Beantragt wurde die Einvernahme des Arbeitsgebers des BF sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Der Beschwerde wurden ein Schreiben des Arbeitgebers vom 20.12.2019, ein Zeugnis über die Pflichtabschluss-Prüfung, ein Dienstvertrag vom 01.02.2019, ein Jahreslohnzettel 2018, ein Lohnzettel vom November 2019, eine Besitzurkunde einer Berufsschule über die Teilnahme an einem Projekt, eine Kursbesuchsbestätigung eines Jugendcolleges vom 01.08.2016 bis zum 01.09.2017, ein Zertifikat vom 05.09.2016 über die Absolvierung eines Deutschkurses vom 11.07.2016 bis 02.09.2016, zwei Schulbesuchsbestätigungen einer Berufsschule für den Lehrberuf Kraftfahrzeugtechnik vom 01.07.2016 sowie vom 29.01.2016 im Schuljahr 2015/16, eine Teilnahmebestätigung über die Teilnahme an einem Werte-und Orientierungskurs, ein Zeugnis zur Integrationsprüfung über eine absolvierte Prüfung auf dem Niveau B1, ein Zertifikat auf dem Niveau A1 vom 11.11.2015, ein Zertifikat auf dem Niveau A2 vom 17.12.2015, ein Mietvertrag, ein Meldezettel, eine Bestätigung vom 21.11.2016 über die Erbringung gemeinnütziger Tätigkeiten im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, eine Bestätigung vom 23.11.2016 über die Mitgliedschaft in einem Verein und eine Bestätigung vom 17.11.2016 über die regelmäßige Teilnahme an Vereinsveranstaltungen und ein Prüfungsprotokoll angeschlossen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF

Der BF ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen. Seine Muttersprache ist Paschtu.

Der BF stammt aus der Stadt Mazar e-Sharif, Afghanistan. Der BF hat im Herkunftsstaat 12 Jahre die Grundschule besucht.

In der Heimatstadt Mazar e-Sharif lebt die nunmehrige Ehefrau des BF bei ihren Familienangehörigen, die der BF am 06.03.2019 während eines Aufenthalts in Indien geheiratet hat und welche der BF mit regelmäßigen Überweisungen unterstützt. Die Eltern und die Geschwister des BF sind im Iran wohnhaft, der BF steht mit diesen regelmäßig in telefonischen Kontakt.

Konkret der BF ist auf Grund der Tatsache, dass sich der BF in Europa aufgehalten hat und damit einhergehend von manchen Personen in Afghanistan als "westlicher" orientiert angesehen werden könnte der BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan keiner psychischen und/oder physischen asylrelevanten Gewalt ausgesetzt bzw. hat er (oder jeder derartige "Rückkehrer") eine solche im Falle seiner Rückkehr nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten.

1.2. Zu den Lebensumständen in Österreich

Der BF war nach unberechtigter Einreise in das Bundesgebiet zunächst ab März 2015 als Asylwerber und dann seit November 2016 als subsidiär Schutzberechtigter mit einer bis November 2017 befristeten Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet aufhältig, die einmal verlängert und zuletzt bis zum 25.11.2019 erteilt wurde.

In Österreich hat der BF keine familiären Anknüpfungspunkte oder sonstige Verwandte.

Der BF ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten und selbsterhaltungsfähig.

Der BF hat in Österreich den Pflichtschulabschluss nachgeholt, eine Berufsschule für Kraftfahrzeugtechnik sowie mehrere Deutschkurse besucht und Prüfungen auf dem Niveau A1, A2 sowie B1 absolviert. Er ist seit 01.02.2019 als Fensterputzer tätig und verdient monatlich 1500,- Euro netto. Überdies hat er gemeinnützige Tätigkeiten verrichtet, ist Mitglied in einem Verein und hat im Bundesgebiet einige Kurse und Veranstaltungen besucht.

Der BF befindet sich - nicht nur auf Grund seines nunmehrig fortgeschrittenen Lebensalters - aktuell persönlich nicht mehr in der gleichen (gleich vulnerablen) Lage wie zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes als Minderjähriger im November 2016.

Auch bezogen zum Zeitpunkt der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung, die kurz nach Eintritt der Volljährigkeit des BF gewährt wurde, sind wesentliche und nachhaltige Veränderungen in der persönlichen Situation des BF eingetreten. So hat der BF im Jahre 2019 in Indien seine nunmehr wieder in Afghanistan, in Mazrar - e Shrif, aufhältige Ehefrau geehelicht und verfügt damit auch über familiäre Anknüpfungspunkte im Heimatstaat. Zudem hat der BF nunmehr ein Arbeitsverhältnis als Fensterputzer aufgenommen.

Es handelt sich bei dem Beschwerdeführer nunmehr nunmehr um einen jungen gesunden Mann der seinen eigenen Angaben nach durchgehend selbsterhaltungsfähig ist.

Das BFA hat insgesamt zu Recht erkannt, dass sich in einer Gesamtsicht nachhaltig und wesentlich die persönliche Situation des BF verglichen mit dem Zeitpunkt der Zuerkennung, bzw. auch verglichen mit dem Zeitpunkt der Verlängerung wesentlich und nachhaltig geändert hat.

In Zusammenschau mit den aktuellen Länderfeststellungen, die aufgrund der aktuellen Sicherheits- als auch Versorgungslage in Herat und insbesondere Mazar - e Sharif, die Stadt in der sich die nunmehrige Ehefrau des BF mit ihrer Familie aufhält und in der der sich der BF vor seiner Ausreise aufgehalten hat, dort für 12 Jahre die Schule besucht hat und auch aufgewachsen ist, aufzeigen, ist diesen eine Rückkehr dorthin möglich und auch zumutbar.

Bei dem Beschwerdeführer handelt es sich aufgrund der aufgezeigten eingetretenen nachhaltigen und wesentlichen persönlichen Veränderungen in seiner persönlichen Situation, sowie unter Berücksichtigung der aktuellen Länderfeststellungen zu Afghanistan nunmehr nicht mehr um eine Person, die eines subsidiären Schutzes in Österreich weiterhin bedarf.

Der Beschwerdeführer erfüllt insgesamt nicht die Voraussetzungen gem. §57 AsylG. Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor.

Das Vorliegen einer besonders berücksichtigungswürdigen Integration ist durch den Beschwerdeführer insgesamt nicht aufgezeigt worden.

Die Ausweisung des gesunden Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet stellt keinen unzulässigen Eingriff in besonders durch Art. 3 oder 8 EMRK geschützte Rechte dar.

1.3. Zur Rückkehrsituation:

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Dem BF steht eine zumutbare innerstaatliche Rückkehr in seiner Heimatstadt Mazar-e Sharif zur Verfügung. Der BF hat bis zu seiner Ausreise in der Stadt Mazar-e Sharif gelebt, ist mit den örtlichen Verhältnissen vertraut und mittlerweile ist dort auch seine Ehefrau aufhältig. Der BF kann Mazar-e Sharif Stadt von Österreich aus auf Grund der vorhandenen internationalen Flughäfen sicher mit dem Flugzeug erreichen.

Der BF ist gesund, mobil, anpassungsfähig, befindet sich im erwerbsfähigen Alter und ist auch erwerbsfähig.

Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und der Sprache seines Herkunftsstaates vertraut und verfügt über Kenntnisse in Paschtu sowie Farsi in Wort und Schrift.

Der BF liefe im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht maßgeblich Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er ist in der Lage, in Mazar-e Sharif eine einfache Unterkunft zu finden bzw. am Erwerbsleben teilzunehmen.

Im Übrigen hat der BF die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.

Auch wenn der BF dort über kein familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan verfügen würde, kann er aber als alleinstehender, junger und im Wesentlichen gesunder Mann der in Afghanistan aufgewachsen ist und dort auch die Schule besucht hat in Mazar - e Sharif oder Herat auf Grund der vor Ort herrschenden Versorgungs- und Sicherheitslage, Fuß fassen und ein Leben ohne unbillige Härten führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

In casu verfügt der BF jedoch insbesondere nunmehr über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner im letzten Jahr in Indien geheirateten Frau und deren Familie, die sich insbesondere in Mazar - e Sharif, der Stadt in der auch der BF seinen eigenen Angaben nach aufgewachsen ist und gelebt hat und dem BF damit besonders bekannt ist, aufhalten.

Außergewöhnliche Gründe, die eine zumutbare Rückkehr des Beschwerdeführers ausschließen könnten, wurden begründet insgesamt nicht aufgezeigt, bzw. konnten insgesamt nicht festgestellt werden.

1.4. Die belangte Behörde hat ein insgesamt mängelfreies, ordnungsgemäßes und das Vorbringen des BF vollinhaltlich und abschließend erfassendes Ermittlungsverfahren durchgeführt. In der Begründung des angefochtenen Bescheides wurden die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage nachvollziehbar, sowie konkret auf den Einzelfall bezogen rechtskonform vorgenommen. Die gegenständlich angefochtene Entscheidung wurde insgesamt rechtskonform, nachvollziehbar und zutreffend getroffen.

Auch der Beschwerde vermag das Bundesverwaltungsgericht keine neuen bzw. substantiiert begründeten Sachverhaltselemente zu entnehmen, die geeignet wären, die von der belangten Behörde getroffene Entscheidung in Frage zu stellen.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich vollinhaltlich auf das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren stützend, sowie die Würdigungen des BFA übernehmend die gegenständliche Entscheidung treffen. Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG konnte im gegenständlichen Verfahren die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist.

1.5. Zum Herkunftsstaat:

Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem dem Bescheid des BFA zugrunde gelegten Länderinformationsblatt. (Zusammengefasst und gekürzt durch das BVwG)

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

Quellen:1 TV NEWS (30.5.2019): At least six killed in suicide blast near military academy in Kabul, http://www.1tvnews.af/en/news/afghanistan/38366-breaking-blast-rocks-kabul, Zugriff 3.6.2019 AAN - Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan's 2018 Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga, https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/, Zugriff 22.5.2019 AJ - Al Jazeera (30.5.2019): Suicide bomber targets Afghan military training centre in Kabul, https://www.aljazeera.com/news/2019/05/suicide-bomber-targets-afghan-military-training-centre-kabul-190530082719388.html, Zugriff 3.6.2019 BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.6.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail, BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail, BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.2.2019): Kabul Police Districts Map, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?, https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Wie-viel-Macht-hat-der-Praesident-4422023.html, Zugriff 3.6.2019, ua.

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015).

Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o.D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z. T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018). Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o.D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am 4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezb-e Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Quellen: AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/1434081.html, Zugriff 4.6.2018 AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1253781/4598_1478857553_3-deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-19-10-2016.pdf, Zugriff 23.4.2018 AAN - Afghanistan Analysts Network (6.5.2018): Afghanistan's Paradoxical Political Party System: A new AAN report, https://www.afghanistan-analysts.org/publication/aan-papers/outside-inside-afghanistans-paradoxical-political-party-system-2001-16/, Zugriff 28.5.2018 AAN - Afghanistan Analysts Network (12.4.2018): Afghanistan Election Conundrum (6): Another new date for elections, https://www.afghanistan-analysts.org/afghanistan-election-conundrum-6-another-new-date-for-elections/, Zugriff 16.4.2018, AAN - Afghanistan Analysts Network (25.11.2017): A Matter of Regisration: Factional tensions in Hezb-e Islami, https://www.afghanistan-analysts.org/a-matter-of-registration-factional-tensions-in-hezb-e-islami/, Zugriff 16.4.2018, ua.

1. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b). Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster: Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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