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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1993 §19;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Zeizinger, Dr. Rigler, Dr. Handstanger und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des T, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 15. September 1997, Zl. SD 398/97, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen polnischen Staatsangehörigen, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer, der sich seit Juli 1990 im Bundesgebiet befinde, wurde vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 14. Mai 1996 wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls (§§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4, 130 erster Fall StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten rechtskräftig verurteilt. Dieser Verurteilung sei zugrundegelegen, daß der Beschwerdeführer im Zeitaum von November 1995 bis Jänner 1996 in Wien und an anderen Orten Österreichs gewerbsmäßig in diversen Fachmärkten Gegenstände im Wert von S 70.000,-- gestohlen habe. Da der Beschwerdeführer außerdem schon am 24. März 1993 vom Bezirksgericht Hernals wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sei, könne somit kein Zweifel bestehen, daß die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z. 1 FrG vorlägen, zumal der Beschwerdeführer nicht nur mehrmals wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handungen verurteilt, sondern in einem Fall auch das in der genannten Gesetzesstelle normierte Strafausmaß überschritten worden sei.
Das den Verurteilungen zugrundeliegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers sowie die dadurch bewirkte Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung rechtfertigten auch die im § 18 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme. In einem solchen Fall sei gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, wenn dem nicht die Bestimmungen der §§ 19 und 20 FrG entgegenstünden.
Diesbezüglich sei im Hinblick darauf, daß sich die Ehegattin des Beschwerdeführers in Östereich aufhalte sowie aufgrund seiner aufrechten Beschäftigung von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dessen ungeachtet sei aber die gegen ihn gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten. Immerhin habe sich der Beschwerdeführer auch nicht von einer bereits erfolgten Verurteilung wegen des versuchten Diebstahls davon abhalten lassen, neuerlich straffällig zu werden. Umso schwerwiegender sei die Tatsache, daß der Beschwerdeführer mehrmals in fremdes Eigentum eingegriffen habe. Vor allem der Umstand, daß er die strafbaren Handlungen in der Absicht begangen habe, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen, lasse für den Beschwerdeführer eine positive Zukunftsprognose nicht zu. Angesichts der den vorliegenden Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten des Beschwerdeführers und der darin zum Ausdruck kommenden krassen Mißachtung fremden Eigentums sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, zum Schutz der Rechte anderer sowie zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer als dringend geboten zu erachten.
Im Lichte dieser Beurteilung habe auch die gemäß § 20 Abs. 1 FrG vorzunehmende Interessenabwägung zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausgehen müssen. Die im Hinblick auf die Dauer seines inländischen Aufenthaltes und seine familiären Bindungen gegebenen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers würden insoweit an Gewicht gemindert, als die für das Ausmaß seiner Integration wesentliche soziale Komponente durch die in Rede stehenden, auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Verurteilungen deutlich beeinträchtigt sei. Diesen - solcherart verminderten - privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessen sei die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, daß die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Angehörigen keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Das Aufenthaltsverbot erweise sich demnach auch im Grunde des § 20 Abs. 1 FrG als zulässig.
Was die Gültigkeitsdauer dieser Maßnahme betreffe, so erscheine die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung auch nach Auffassung der belangten Behörde gerechtfertigt. In Anbetracht des aufgezeigten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, hilfsweise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. In der Beschwerde bleiben die Feststellungen der belangten Behörde, daß der Beschwerdeführer am 14. Mai 1996 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls (§§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4, 130 erster Fall StGB) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten und am 24. März 1993 vom Bezirksgericht Hernals wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls zu einer Geldstrafe rechskräftig verurteilt worden sei, unbestritten. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hegt der Gerichtshof gegen die Auffassung der Behörde, daß im Beschwerdefall der Tatbestand des § 18 Abs. 2 Z. 1 dritter und vierter Fall FrG verwirklicht worden sei, keine Bedenken.
1.2. Entgegen der Beschwerde teilt der Gerichtshof auch die Beurteilung der belangten Behörde, daß das diesen Verurteilungen zugrundeliegende Fehlverhalten die Annahme rechtfertige, der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich würde die öffentliche Ordnung gefährden und somit den Tatbestand des § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG erfüllen, hat doch der Beschwerdeführer nach den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid eine Reihe von Eingriffen in fremdes Vermögen gesetzt. Dazu kommt, daß auch die - dem Beschwerdeführer zur Last liegende - Begehung eines Diebstahls in der das Delikt als Verbrechen qualifizierenden Form der Gewerbsmäßigkeit, daß heißt mit der Absicht, sich durch wiederkehrende Diebstähle eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, eine nachhaltige Gefährdung der öffentlichen Interessen (Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Rechte Dritter) darstellt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Juli 1995, Zl. 95/18/1141). Von einem "einmaligen Fehlverhalten" des Beschwerdeführers, wie die Beschwerde meint, kann daher vorliegend keine Rede sein. Weder die vom Landesgericht für Strafsachen Wien verfügte "bedingte Strafnachsicht" noch die Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer Geldstrafe im Jahr 1993 können - entgegen der Beschwerde - an dieser Beurteilung etwas ändern, hatte doch die belangte Behörde auf dem Boden der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ihre Beurteilung eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und somit unabhängig von der Erwägungen, die für die angesprochenen gerichtlichen Entscheidungen ausschlaggebend gewesen sein mögen, zu treffen (vgl. in diesem Sinne etwa das hg. Erkenntnis vom 13. November 1997, Zl. 97/18/0071). Die Verhängung des Aufenthaltsverbotes stellt daher - entgegen der Beschwerde - auch keine im Lichte des Art. 83 Abs. 2 B-VG problematische "Infragestellung gerichtlicher Entscheidungskompetenz" dar. Weiters ist das Aufenthaltsverbot auch nicht - wie der Beschwerdeführer vermeint - auf seine "nochmalige Bestrafung" gerichtet, stellt doch ein Aufenthaltsverbot keine Strafe, sondern eine administrativ-rechtliche Maßnahme dar (vgl. aus der hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 9. November 1995, Zl. 95/18/1329).
Dem Vorbringen, der Beschwerdeführer wäre "lediglich als Beobachter bzw. Mitwisser" bei der Begehung der angesprochenen Eigentumseingriffe "anwesend" gewesen, steht entgegen, daß durch das rechtskräftige Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien die volle Verantwortung des Beschwerdeführers für die Tat klargestellt ist.
Dem Einwand, die Annahme nach § 18 Abs. 1 Z. 1 FrG sei im Fall des Beschwerdeführers wegen des seit der letzten Tatbegehung bzw. seiner Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien verstrichenen Zeitraums nicht mehr gerechtfertigt, ist entgegenzuhalten, daß dieser Zeitraum viel zu kurz ist, um einen Wegfall oder eine (wesentliche) Minderung der vom Beschwerdeführer - dem, wie erwähnt, auch gewerbsmäßiger Diebstahl zur Last liegt - ausgehenden Gefahr annehmen zu können.
Der von der Beschwerde gegen die Beurteilung der Behörde nach § 18 Abs. 1 FrG ins Treffen geführte "Durchsetzungsaufschub", der dem Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen gewährt wurde, vermag an diesem Ergebnis ebenfalls nichts zu ändern, handelt es sich nach § 22 Abs. 1 FrG doch um eine auf höchstens drei Monate befristete Maßnahme, die - wie sich schon dem Wortlaut dieser Bestimmung entnehmen läßt - dem Fremden die Regelung seiner persönlichen Verhältnisse vor dem Verlassen Österreichs ermöglichen soll (vgl. in diesem Sinne auch den Besonderen Teil der Erläuterungen der Regierungsvorlage 692 Blg. NR. 18. GP., S. 39).
2.1. Die Beschwerde bekämpft weiters die von der Behörde nach §§ 19 und 20 Abs. 1 FrG vorgenommene Beurteilung. Der Beschwerdeführer halte sich seit 1990 durchgehend gemeinsam mit seiner Ehefrau in Österreich auf und sei - abgesehen von den beiden genannten Verurteilungen - unbescholten. Seit 1991 sei der Beschwerdeführer "durchgehend ordnungsgemäß beschäftigt", er habe in Österreich eine "Ausbildung als Stationsgehilfe" erfolgreich abgeschlossen und übe die Tätigkeit gegenwärtig ebenso wie seine Nebentätigkeit als Hausbesorger zur vollständigen Zufriedenheit seiner Arbeitgeber wie auch der betreuten Spitalspatienten und Hausbewohner aus. Die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau, der sonstige Lebenswandel und die "von einer unabhängigen Gerichtsinstanz festgestellte, mangelnde Gefährlichkeit" des Beschwerdeführers "in Bezug auf öffentliche Rechtsgüter" lasse die Interessenabwägung nach § 20 Abs. 1 FrG eindeutig zu seinen Gunsten ausgehen. Das Aufenthaltsverbot würde auch in das wohlerworbene Grundrecht des Beschwerdeführers nach Art. 8 MRK auf einen weiteren Aufenthalt in Österreich eingreifen. Ein gegen den Beschwerdeführer erlassenes Aufenthaltsverbot stünde auch einer Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung seiner Ehefrau entgegen, die daher aufgrund des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers gezwungen wäre, ihren langjährigen Lebensmittelpunkt in Österreich praktisch völlig aufzugeben.
2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Der Gerichtshof teilt die Auffassung der belangten Behörde, daß das Aufenthaltsverbot gegen den Beschwerdeführer im Grunde des § 19 FrG dringend geboten ist, ist doch durch das vom Beschwerdeführer mehrfach gegen fremdes Vermögen gesetzte Fehlverhalten, das zudem zum überwiegenden Teil gewerbsmäßig erfolgte (vgl. Punkt II.1.2.), das mit Art. 8 Abs. 2 MRK (Schutz der öffentlichen Ordnung, Verhinderung von strafbaren Handlungen, Schutz der Rechte anderer) berücksichtigte öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität in einem Maß beeinträchtigt worden, das das Aufenthaltsverbot auch unter Bedachtnahme auf die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich notwendig macht.
Wenn auch die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau als durchaus beachtlich zu werten sind, wiegen diese aber im Lichte des § 20 Abs. 1 FrG jedenfalls nicht weniger schwer als das besagte vom Beschwerdeführer nachhaltig beeinträchtigte öffentliche Interesse bzw. die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Verhängung des Aufenthaltsverbotes. Die privaten Interessen des Beschwerdeführers sind - wie die Behörde zutreffend ausführt - insoferne in ihrem Gewicht gemindert, als die für das Ausmaß der Integration des Beschwerdeführers wesentliche soziale Komponente durch sein genanntes gravierendes Fehlverhalten deutlich beeinträchtigt ist.
Mit seiner Behauptung zu der von einem Gericht festgestellten mangelnden Gefährlichkeit ist der Beschwerdeführer auf die Auführungen unter Punkt II.1.2. zu verweisen, denen zufolge dieses Vorbringen nicht zielführend ist.
Was das Interesse am Aufenthalt seiner Ehefrau betrifft, so kann auch dieses das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. November 1997, Zl. 97/18/0529) nicht aufwiegen. Aufgrund des Vorbringens ist auch nicht erkennbar, weswegen seine Ehefrau ihr Aufenthaltsverbot verlieren würde. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht in der Lage, diesem Argument weiter nachzugehen. Überdies tut die Beschwerde auch nicht dar, daß die Ehefrau des Beschwerdeführers wegen eines unüberwindbaren Hindernisses diesen im Ausland nicht besuchen bzw. nicht dorthin begleiten könnte.
Schließlich können - entgegen der Beschwerde - die §§ 19 und 20 Abs. 1 FrG auf dem Boden der Rechtsprechung des EGMR nicht so verstanden werden, daß der diesen Regelungen zugrundeliegende Art. 8 MRK ein "wohlerworbenes Grundrecht auf Aufenthalt" einräumen würde (vgl. in diesem Sinne die Ausführungen im MRK-Kommentar von Frowein/Peukert, 2. Auflage, 1996, S. 357, RZ 26, sowie die Darstellung von Wildhaber im Internationalen Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention (hg. von Golsong u.a.) zu Art. 8 MRK, RZ 416, sowie die dort jeweils zitierte Rechtsprechung; siehe auch das Urteil des EGMR vom 19. Februar 1996 im Fall Gül gegen die Schweiz).
3. Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt, daß die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 FrG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
4. Bei diesem Ergebnis erübrigte sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Gerichtsentscheidung
EGMR 1996/02/19 Fall GülEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997180559.X00Im RIS seit
20.11.2000