Entscheidungsdatum
23.03.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W264 2200972-1/12E
W264 2200970-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers BF1 XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch Migrantinnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Steiermark vom 12.6.2018, 1095918508- XXXX /BMI-BFA_STM_RD, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin BF2 XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch Migrantinnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl Regionaldirektion Steiermark vom 12.6.2018, XXXX /BMI-BFA_STM_RD, zu Recht erkannt:
C) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
D) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die beiden Beschwerdeführer BF1 und BF2 (im Folgenden BF1, BF2 oder BF) reisten unrechtmäßig mit Hilfe von Schleppern in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 20.11.2015 jeweils einen den Antrag auf internationalen Schutz.
2. Ad Erstbefragung:
Sie wurden durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu dem Fluchtgrunde erstmals befragt.
2.1. Ad BF1: Auf Seite 3 der den BF1 betreffenden Niederschrift über die Erstbefragung, XXXX , IFA/VZ-Zahl: XXXX , ist zur Frage "verstehen Sie den Dolmetscher?" "ja" angekreuzt und ist Seite 7 der Niederschrift zu entnehmen: "die aufgenommene Niederschrift wurde in einer mir für mich verständlichen Sprache rückübersetzt" und ist "nein" zu der Frage "Gab es Verständigungsprobleme?" angekreuzt.
Der BF1 begründete die Flucht in der Erstbefragung damit, dass es an seinem Wohnort keine Arbeit gebe und er nach Kabul oder Logar pendeln habe müssen. Auf dem Weg dorthin käme es häufig zu Anhaltungen durch IS oder Taliban. Er sei Schiite und befürchte durch Taliban oder IS eine Gefangennahme und Tötung. Daher habe er gemeinsam mit der BF2 die Flucht angetreten.
Festgehalten wird in der Niederschrift über die Erstbefragung auf S. 7 unter "15. Beweismittel": "Griechische, serbische und slowenische Registrierungen".
Anstelle einer Unterschrift trägt die Niederschrift auf jeder Seite einen Fingerabdruck des BF1.
2.2. Ad BF2: Auf Seite 3 der die BF2 betreffenden Niederschrift über die Erstbefragung, XXXX , IFA/VZ-Zahl: XXXX , ist zur Frage "verstehen Sie den Dolmetscher?" "ja" angekreuzt und ist Seite 7 der Niederschrift zu entnehmen: "die aufgenommene Niederschrift wurde in einer mir für mich verständlichen Sprache rückübersetzt" und ist "nein" zu der Frage "Gab es Verständigungsprobleme?" angekreuzt.
Die BF2 begründete die Flucht in der Erstbefragung damit, dass es an in ihrer Gegend für Männer keine Arbeit gebe und Männer daher nach Kabul oder Logar pendeln müssten. Auf dem Weg dorthin sei das Leben der Männer in Gefahr durch Bedrohungen durch IS oder Taliban, etwa durch das Abschneiden des Kopfes.
Festgehalten wird in der Niederschrift über die Erstbefragung auf S. 7 unter "15. Beweismittel": "Griechische, serbische und slowenische Registrierungen".
Die mit der BF2 aufgenommene Niederschrift trägt auf jeder Seite deren Unterschrift.
3. Ad Einvernahme vor dem BFA:
Am 27.3.2018 fand mit den beiden BF jeweils voneinander getrennt vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" oder "belangte Behörde") die niederschriftliche Einvernahme statt.
3.1. Ad BF1: Die Frage ob er den anwesenden Dolmetsch für Dari verstehe wurde vom BF1 bejaht (NS BFA S. 2). Nachdem der BF1 zu seiner Gesundheit vorbrachte, in Österreich anlässlich einer OP an Hals zur Entfernung eines Fremdkörpers von seiner Tuberkuloseinfektion erfahren zu haben (NS BFA S. 3 f.) und dass er bereits im Herkunftsstaat "ein paar Mal die Ärzte besuchte", aber es gäbe "keine guten Ärzte bei uns" (NS BFA S. 4), gab er auf die Frage, ob er bei der Erstbefragung der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht habe und ob die Angaben korrekt protokolliert und ihm rückübersetzt wurden (NS BFA S. 4). Der BF1 gab zur Antwort, er habe die Wahrheit gesagt und es sei alles korrekt protokolliert und rückübersetzt worden, er habe aber das Erstbefragungsprotokoll nicht erhalten (NS BFA S. 4).
Der BF gab zu seinen Generalien und zu seinem Fluchtgrund Näheres aus Eigenem und auf Nachfrage an.
Er gab an, die Dolmetsch einwandfrei verstanden zu haben (NS BFA S. 9). Die Niederschrift wurde dem BF1 rückübersetzt und ist am Ende der Niederschrift festgehalten "Mit Ihrer Unterschrift bestätigen Sie, dass Ihre Angaben richtig und vollständig wiedergegeben wurden" und trägt die Niederschrift auf S. 10 sowie jede Einzelseite der Niederschrift bei "Asylwerber" eine Unterschrift.
3.2. Ad BF2: Die Frage ob sie den anwesenden Dolmetsch für Dari verstehe wurde von der BF2 bejaht (NS BFA S. 4). Die BF2 gab an, das Erstbefragungsprotokoll sei ihr nicht rückübersetzt worden, sie wisse auch nicht, was protokolliert worden sei (NS BFA S. 4). Nachdem die BF2 zu ihrer Gesundheit und zu jener ihres Mannes ("sehr krank") vorbrachte (NS BFA S. 3), gab sie auf die Frage nach ihren Fluchtgründen aus Eigenem und auf Nachfrage an.
Die BF2 gab unter anderem an, der Dolmetsch bei der Polizei habe ihr "empfohlen, mich als 35jährige auszugeben" (NS BFA S. 12) und sie gefragt "warum ich überall meinen Fingerabdruck benütze. [...] Er hat gemeint es wäre besser, wenn ich statt meinen Fingerabdruck meinen Namen schreibe" (NS BFA S. 7).
Sie gab an, den von der Dolmetsch in Dari gesprochenen Teil einwandfrei verstanden zu haben (NS BFA S. 19). Die Niederschrift wurde der BF2 rückübersetzt und begehrte sie bloß eine Änderung zu dem Schicksal der Grundstücke der Familie des BF1 und des BF1 und gab sie an, "sonst war alles ok" (NS BFA S. 20). Es ist am Ende der Niederschrift festgehalten "Bestätigen Sie nunmehr durch Ihre Unterschrift die Richtigkeit und Vollständigkeit der Niederschrift und die erfolgte Rückübersetzung" und trägt die Niederschrift auf S. 20 sowie jede Einzelseite der Niederschrift bei "Verfahrenspartei" eine Unterschrift.
4. Den beiden Fremdakten des BFA liegen folgende Dokumente ein:
4.1. Ad BF1:
Zur Integration:
* Deutschkurs-Besuchsbestätigungen
* Bestätigung über Teilnahme an einem Projekt von Jugend am Werk vom 20.3.2018
* Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs vom 1.8.2017
* Urkunde Fußballturnier
Zur Gesundheit:
* Radiologischer Befund der STGKK vom 25.2.2016 über Lendenwirbelsäule und Beckenschiefstand bei Beinlängendifferenz von -0,4 cm
* Befund des Ambulatoriums für Orthopädie u. Orthopädische Chirurgie Dris. XXXX vom 13.7.2016 mit Diagnose chronische Lumbalgie bei Zustand nach alter Deckplattenimpressionsfraktur vor 6 Jahren, Fehlhaltung. Therapie Physiotherapie mit Rumpfstabilisation, Erlernen von drei bis vier Übungen, welche der Patient täglich selbständig durchführen wird; Wiedervorstellung bei Beschwerdepersistenz nach abgeschlossener Physiotherapie
* Therapieplan Dris. XXXX von 6.9.2016 bis 29.9.2016
* Radiologischer Befund Dris. XXXX vom 22.9.2016 mit der Empfehlung weiterführender Abklärung (Serologie?)
* Blutbefund vom 4.10.2016
* HNO-Befund Dris. XXXX vom 10.11.2016 mit Diagnose path. Lymphknotenvergrößerung
* Arztbrief LKH XXXX , Urologie, vom 17.11.2016 (ambulant) wegen massiver Hämaturie; Nierenlager beidseits frei, Sonographie Nieren beidseits ohne Befund, Sonographie Blase: Restharn 0, äußere Genitale Hoden und Nebenhoden beidseits palp. Unauffällig
* Virologisch-serologischer Befund vom 16.11.2016: Antikörper gegen Parasiten bei Referenzbereich 1:10 im Ergebnis NEGATIV; Antikörper gegen Viren; Befundinterpretation: Derzeit kein Hinweis auf eine akute Infektion mit den untersuchten Parametern.
* Arztbrief LKH XXXX , Urologie, vom 24.11.2016 (ambulant): bei letzter Untersuchung ein KM-CT Abdomen/Becken empfohlen, dies wurde vom Patienten bis heute noch nicht durchgeführt, es wurde dem Patienten empfohlen, eine Urethrozystoskopie hier in unserer Ambulanz vorzunehmen, jedoch wünscht der Patient dies nicht
* Ärztl. Befundbericht KH der XXXX GmbH vom 25.1.2017 mit Entlassungsdiagnose Lymphomatat colli sin; Therapieempfehlung: Wunde sauber und trocken halten
* Ambulanzbericht KH der XXXX GmbH vom 2.2.2017 mit Befund ad Hals: Nähte entfernt, bland; Diagnose: Sarkoidose
* Ambulanzbericht KH der XXXX GmbH vom 6.2.2017 mit Vereinbarung einer stationären Aufnahme zur Abklärung einer Tuberkulose; 24.2.2017: Entlassung bei Wohlbefinden
* Aufenthaltsbestätigung des LKH XXXX , Abteilung Lungenkrankheiten, vom 3.3.2017 über stationären Aufenthalt von 16.2. bis 3.3.2017
* Ärztl. Entlassungsbrief des LKH XXXX , Pulmologisches Zentrum, vom 8.3.2017, Diagnosen: Lymphknoten-Tuberkulose. "Nach insgesamt sehr zufriedenstellenden Enduntersuchungsergebnissen konnte der Patient am 3.3.2017 in gutem Allgemeinzustand entlassen werden"
* Ambulanzbericht KH der XXXX GmbH vom 17.8.2017 mit Empfehlung "Medikamente wie von der Pulmo XXXX einnehmen", Diagnose: Lungen TBC
* Humangenetischer Befund der Medizinischen Universität XXXX vom 14.9.2017 wegen "fragliches Klinefelter-Syndrom" [Anm: Form angeborener Chromosomenanomalien im männlichen Geschlecht]
* Humangenetischer Befund der Medizinischen Universität XXXX vom 9.10.2017 wegen "fragliches Klinefelter-Syndrom" [Anm: Form angeborener Chromosomenanomalien im männlichen Geschlecht]
* Humangenetischer Befund der Medizinischen Universität XXXX vom 14.9.2017 wegen "fragliches Klinefelter-Syndrom" mit Interpretation: "Unauffälliger Befund!"
* Schreiben der Medizinischen Universität XXXX vom 14.11.2017 wegen "unerfülltem Kinderwunsch" mit der Diagnose "normalen, dem Geschlecht entsprechenden Chromosomenbefund; kein zusätzliches Risiko für eine geplante zukünftige Schwangerschaft"
* Arztbrief LKH XXXX , Urologie, vom 2.2.2018 worin festgehalten wird, dass der Patient wegen Kinderwunsch über die Möglichkeit einer "TESE bei Azoospermie" aufgeklärt wird [Anm: Hodenbiopsie, testikuläre Spermienextraktion aufgrund keiner Spermien in der Samenflüssigkeit], welche laut Arztbrief in Ermangelung eines Einkommens des BF1 vorerst nicht gewünscht wird
4.2. Ad BF2:
Zur Integration:
* Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs am 18.1.2017
* TBC Vorsorgepass der Betreuungsstelle Ost Traiskirchen mit Stempel "21.11.2015" und Vermerk "Kein Hinweis auf akute TBC"
* Zertifikat Basisbildung für Frauen vom 16.2.2018
* Kursvertrag Frauenbasisbildung vom 3.7.201 bis 15.12.2017
* Bestätigung über Teilnahme an einem Projekt von Jugend am Werk vom 20.3.2018
*
Zur Gesundheit:
* Befund Notfallambulanz Dermatologie des LKH XXXX vom 24.7.2017 wegen multiplen Abszessen mit starkem Juckreiz, Therapieempfehlung: OSPEXIN 1000mg für insges. 8 Tage, bloß Seite 1 von 2 vorgelegt
* Befund Internistischer Befund - Notaufnahme, Abt. Innere Medizin des LKH XXXX vom 25.8.2017, bloß Seite 1 von 2 vorgelegt
* Psychiatrischer Befund von XXXX Transkulturelles Zentrum vom 2.6.2017 mit "Posttraumatische Belastungsstörung, Spannungskopfschmerz"
* Psychiatrischer Befund von XXXX Transkulturelles Zentrum vom 19.1.2018 mit "Verdacht auf Posttraumatische Belastungsstörung, Spannungskopfschmerz"
* Deutschkurs-Besuchsbestätigungen
* Empfehlungsschreiben der Obfrau des Vereins XXXX vom 7.3.2018
* Empfehlungsschreiben von XXXX und Team der Basisbildung vom 20.3.2018
* Kopien von Farbfotos über das Leben der BF2 in Österreich
5. Mit den nunmehr bekämpften Bescheiden wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung beträgt.
6. Dagegen wurde mit Schriftsatz des Rechtsberaters vom 10.7.2018 das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben und darin Anträge gestellt und näher begründet, womit der jeweilige Bescheid des BFA bekämpft wird.
6.1. Der Beschwerde wurden folgende Beweismittel beigelegt:
* Empfehlungsschreiben von XXXX und Team der Basisbildung für die BF2 vom 25.5.2018
* Kopien von vier Farbfotos (aufgrund der Übertragungsart Telefax nahezu nicht zu erkennen)
* Teilnahmebestätigung Basisbildung für Frauen vom 25.5.2018
* Teilnahmebestätigung für die BF2 "Aufklärungsarbeit/Diskriminierungs- und Antirassismustraining"
7. Die Fremdakte langte beim Bundesverwaltungsgericht am 16.7.2018 ein.
8. Am 29.8.2019 wurde die öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und wurden beide BF darauf hingewiesen, die Wahrheit zu sagen und auf die Folgen einer wahrheitswidrigen Aussage hingewiesen. Die erkennende Richterin forderte beide BF auf, in Ruhe in freier Erzählung nochmals die Gründe, warum das Herkunftsland verlassen und ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß zu erzählen. Sie forderte auf "Lassen Sie nichts weg! Nehmen Sie sich Zeit und erzählen Sie ganz konkret und mit Details. Falsche Angaben beeinträchtigen die Glaubhaftigkeit Ihres Fluchtberichts. Sie haben nun die Möglichkeit von sich aus alles zu erzählen, ohne auf Fragen von mir warten zu müssen." (VP S. 6 und S. 12). Die beiden BF führten jeweils voneinander getrennt zu ihrem Fluchtgrund - unter anderem - auf Nachfrage aus.
9. Die beiden BF legten in der Verhandlung folgende Dokumente vor:
* Arbeitszeitbestätigungen der Gemeinde XXXX für BF1 und BF2 über Gemeinnützige Tätigkeiten
* sieben Empfehlungsschreiben
* Zeitbestätigung des Interkulturellen Beratungs- u. Therapiezentrums XXXX über Termine der BF2 in der Einrichtung (25.10.2018 bis 17.7.2019)
* Psychiatrischer Befund Dris. XXXX , FA für Psychiatrie und Neurologie, mit Diagnose "Verdacht auf Posttraumatische Belastungsstörung, Spannungskopfschmerz"
* Deutschkursbestätigungen für BF2 und für BF1
* Teilnahmebestätigung für die BF2 "Aufklärungsarbeit/Diskriminierungs- und Antirassismustraining"
* Kursbesuchsbestätigung des XXXX vom 12.12.2018 betreffend die BF2
* Bestätigung des Transkulturellen Zentrums XXXX für BF2 über Teilnahme am Projekt "Begleitende Integration"
* Zertifikat Basisbildung für Frauen vom 29.6.2018
* Teilnahmebestätigungen Werte- und Orientierungskurs BF2 und BF1
* Bestätigung über Teilnahme an einem Projekt von Jugend am Werk vom 20.3.2018 für BF1 und BF2
* 5 Farbfotos über das Leben der BF2, unter anderem die BF2 schwimmend in einem Pool mit Schwimmnudel zeigend
10. Die Abfrage im unbedenklichen Strafregister der Republik Österreich am 20.3.2020 ergab, dass die beiden BF in Österreich unbescholten sind.
11. Am 16.8.2019 langte eine Stellungnahme des Rechtsberaters ein, worin unter anderem auf die Verfolgungssituation von Frauen in Afghanistan hingewiesen wurde. Der Schriftsatz scheint jedoch mit den auf Frauen abzielenden Ausführungen nicht auf die gegenständliche BF2 gemünzt zu sein, weil darin von "Beschwerdeführerinnen" die Rede ist ("die Beschwerdeführerinnen, die eindrücklich ihre Unzufriedenheit [...] zum Ausdruck gebracht haben"; "weshalb die Beschwerdeführerinnen im Falle der Rückkehr"; Schriftsatz S. 4), im gegenständlichen Falle es sich aber um bloß eine einzige weibliche Beschwerdeführerin handelt.
12. Am 23.9.2019 langte eine "Fachliche Äußerung" des Interkulturellen Beratungs- u. Therapiezentrums XXXX vom 20.9.2019 betreffend die BF2 ein, wonach diese eine komplexe Posttraumatische Belastungsstörung des Typ F43.1 aufweise und unter Depressionen, Schlafstörungen, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, erhöhter Schreckhaftigkeit und konstanten physischen Erregungszuständen, die körperliche Schmerzen verursachen würde, leide. Die BF habe an Gruppensitzungen von Feber bis Juli 2019 teilgenommen und warte auf einen neuerlichen freien Platz.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Es werden folgende Feststellungen getroffen und dieser Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
1.1. Feststellungen zu den Beschwerdeführern und zu den Fluchtgründen:
1.1.1. Die BF reisten in Umgehung der Grenzkontrollen unrechtmäßig schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein. Die Identität steht mit für das Verfahren ausreichender Sicherheit fest. BF1 und BF2 sind ein kinderloses Ehepaar. Die BF sind nicht glaubwürdig.
1.1.2. Die BF stellten in Österreich im November 2015 den Antrag auf internationalen Schutz.
1.1.3. Die BF sind Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan. Die Herkunftsprovinz der beiden BF ist Logar. Die Volksgruppe der beiden BF kann nicht festgestellt werden.
Die beiden BF wurden in einem von islamischen Werten geprägten familiären Umfeld in einem islamischen Land sozialisiert.
1.1.4. Die BF2 war in Österreich bereits ehrenamtlich tätig. Sowohl BF1 als auch BF2 erwarben vor ihrer unrechtmäßigen Einreise bereits Berufserfahrung.
1.1.5. Die beiden BF gehören der Glaubensgemeinschaft der Schiiten an.
1.1.6. Die beiden BF sprechen Dari und belegten in Österreich Deutschkurse. Es kann nicht festgestellt werden, ob die beiden BF vor der unrechtmäßigen Einreise eine Schulbildung erlangten.
1.1.7. Die beiden BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.1.8. Weder der BF1, noch die BF2 sind lebensbedrohlich krank. Die beiden sind daher erwerbsfähig.
1.1.9. Die beiden BF bestreiten den Lebensunterhalt in Österreich durch die staatliche Grundversorgung.
1.1.10. Die beiden BF verfügen nicht über Familienangehörige im Bundesgebiet.
Die beiden BF verfügen über Familienangehörige außerhalb Österreichs.
1.1.11. Die beiden BF konnten eine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht glaubhaft machen. Zudem droht den beiden BF im Falle einer Verbringung in den Herkunftsstaat Afghanistan kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK). Es kann nicht festgestellt werden, dass die beiden BF einer asylrechtlich relevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt waren bzw. ihnen eine solche Verfolgung bei Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht: Es kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass die beiden BF bei Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen politischen Ansichten von Seiten Dritter bedroht wären.
Der Herkunftsstaat der BF ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit vom Konflikt sowie dessen Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.
1.1.12. Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret die beiden BF aus Gründen des Glaubens verfolgt werden und in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt sind.
Es kann nicht festgestellt werden, dass etwa jeder Mensch der Religionsgemeinschaft der BF in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
1.1.13. Es kann weder festgestellt werden, dass konkret die beiden BF aufgrund der Tatsache, dass sie sich zuletzt in Europa aufgehalten haben, noch, dass jeder afghanische Staatsangehörige, welcher aus einem Nachbarland Afghanistans und / oder aus Europa nach Afghanistan zurückgekehrt ist, in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
Dem BF1 droht bei Rückkehr nicht eine Verfolgung aufgrund der Rückkehr aus dem westlichen Ausland.
Die BF2 ist im Herkunftsstaat nicht einer Verfolgung allein aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF2 während ihres Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise angenommen hat, welche einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Die BF2 ist nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert.
1.1.14. Die Herkunftsprovinz scheidet als Ort für die Wiederansiedelung der BF im Falle ihrer Rückkehr daher aus.
Die BF können sich in Afghanistan in der innerstaatlichen Fluchtalternative Herat ansiedeln. Laut Länderbericht ist Herat eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Ende Oktober 2017 wurde verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Herat verfügt über einen internationalen Flughafen, sodass Herat von Österreich aus gefahrlos über den Luftweg erreichbar ist.
Daher wäre ihnen aus obigen Gründen eine Rückkehr nach Herat zumutbar.
1.1.16. Die BF können sich in Afghanistan aber auch in der innerstaatlichen Fluchtalternative Mazar-e Sharif (Hauptstadt der Provinz Balkh) ansiedeln. Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri, sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Laut Länderbericht wurden im Dezember 2017 verschiedene Abkommen mit Usbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).
Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017). Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018). Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).
In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017). Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz bloß 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen und ist daher eine gefahrlose Rückkehr von Österreich über den Luftweg möglich.
Daher wäre den BF aus obigen Gründen eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif zumutbar.
1.2. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Bezogen auf die Situation der BF sind folgende Länderfeststellungen als relevant zu werten:
Aus dem Länderbericht der Staatendokumentation vom 13.11.2019 idgF:
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). [...]
Logar
Die Provinz Logar liegt im Zentrum Afghanistans, etwa 65 Kilometer südlich von Kabul (PAJ o.D.lo). Sie grenzt an die Provinzen Kabul im Norden, Nangarhar im Nordosten, Paktya im Süden und Ghazni und Wardak im Westen (NPS o.D.lo). Im Osten hat die Provinz im Distrikt Azra eine ca. acht Kilometer lange, unbewachte Grenze mit Pakistan (Provinz Khyber Pakhtunkhwa) (EASO 1.2016; vgl. UNOCHA 4.2014lo, TN 30.6.2019). Die Provinzhauptstadt von Logar ist Pul-e-Alam (NPS o.D.lo). Die Provinz ist in folgende Distrikte unterteilt: Azra, Baraki Barak, Charkh, Khar War, Khushi, Mohammad Agha und Pul-e-Alam (CSO 2019; vgl. IEC 2018lo, UNOCHA 4.2014lo, NPS o.D.lo).
Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Logar für den Zeitraum 2019-20 auf 426.821 Personen (CSO 2019); sie besteht hauptsächlich aus Tadschiken, Paschtunen und Hazara (NPS o.D.lo; vgl. Pajhwok o.D.lo). Die Provinz ist reich an Chromit; Lagerstätten werden illegal abgebaut und das Erz nach Pakistan geschmuggelt (PAJ 6.10.2015; vgl. VOA 1.2.2017). Die Bodenschätze der Provinz führen oft zu lokalen Rivalitäten um die Einnahmen aus dem Abbau (GSR 31.12.2018).
Die Autobahn Kabul-Gardez-Khost führt durch die Distrikte Mohammad Agha und Pul-e-Alam (AAN 15.12.2014; vgl. UNOCHA 4.2014lo, MoPW 16.10.2015). Die Provinz ist ein strategischer Knotenpunkt für Taliban-Kämpfer; nicht nur wegen ihrer Nähe zu Kabul, sondern auch, weil sie einen einfachen Zugang zu den Fronten der Aufständischen in den nahegelegenen Provinzen Nangarhar, Paktia, Paktika, Khost, Wardak und Ghazni sowie in Pakistan bietet (AAN 15.12.2014; vgl. AJ 20.1.2019; CEFIP 2009).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Aufständische sind in gewissen Distrikten aktiv und führen terroristische Aktivitäten durch (KP 31.7.2019b; vgl. AJ 20.1.2019). So haben auch die Taliban eine Präsenz in der Provinz (AJ 20.1.2019; vgl. TN 27.4.2018). Operationen zur Befreiung der Distrikte von Talibanaufständischen werden regelmäßig durchführt (AJ 20.1.2019; vgl. KP 31.7.2019b; TN 2.8.2019), unter anderem auch durch den afghanischen Geheimdienst (NDS) (AJ 20.1.2019).
In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Logar in der Verantwortung des 203. ANA Corps, das unter der Leitung von US-Truppen der Task Force Southeast (TF Southeast) steht (USDOD 6.2019; vgl. KP 31.7.2019a).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 143 zivile Opfer (68 Tote und 75 Verletzte) in der Provinz Logar. Dies entspricht einem Rückgang von 3% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von gezielten Tötungen und komplexen Angriffen (UNAMA 24.2.2019).
Die Provinz Logar zählt zu den relativ instabilen Provinzen Afghanistans mit aktiven aufständischen Kämpfern (KP 26.12.2018); die Sicherheitslage soll sich in den vergangenen Monaten verschlechtert haben (KP 31.7.2019b). In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen (z.B. TN 2.8.2019; AA 1.8.2019; KP 31.7.2019b; MENAFN 8.7.2019; XI 8.7.2019), unter anderem auch von Spezialeinheiten des NDS (z.B. KP 2.8.2019; AJ 20.1.2019; PAJ 25.11.2018). Luftangriffe werden durchgeführt (z.B. Sme 28.6.2018; KP 21.7.2019; DN 28.6.2019; FRP 27.5.2019; KP 26.12.2018; PJ 9.7.2019), dabei werden Aufständische getötet (Sme 28.6.2018; vgl. DN 28.6.2019; FRP 27.5.2019; KP 26.12.2018). Zivilisten fallen manchmal auch Luftangriffen zum Opfer (z.B. NYTM 25.7.2019; TN 22.7.2019; TN 16.7.2019; PJ 9.7.2019; PAJ 21.11.2018).
Die Taliban führen in Logar Angriffe auf Kontrollposten der Regierungskräfte durch (KP 31.7.2019a; vgl. CN 28.5.2019; SN 8.8.2018). Auch kommt es zu Anschlägen auf hochrangige Regierungsvertreter durch die Taliban (AN 20.1.2019; vgl. AJ 20.1.2019; (PAJ 18.11.2018) .
Immer wieder kommt es zu temporären Kontrollpunkten der Taliban (AT 16.11.2018; vgl. TN 30.6.2019), wie z.B. auf dem Straßenabschnitt Mohammad Agha; in manchen Fällen, um nach Regierungsmitarbeitern Ausschau zu halten (AT 16.11.2018).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 2.471 konfliktbedingt Binnenvertriebene aus der Provinz Logar, die in den Nachbarprovinzen Kabul und Khost neu siedelten, 168 von ihnen in der Provinz selbst (UNOCHA 28.1.2019). Von UNOCHA wurden für den Zeitraum 1.1.-30.6.2019 840 Binnenvertriebene in Logar erfasst, die in der Provinz selbst verblieben oder nach Kabul umsiedelten (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 217 Binnenertriebene in die Provinz Logar (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 560 konfliktbedingt in die Provinz Logar vertriebene Personen, die aus allesamt aus Logar selbst stammten (UNOCHA 18.8.2019).
Kabul
Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018).
Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018).
Kabul-Stadt - Geographie und Demographie
Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile - auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) - zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus.
Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).
Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den "jüngsten Einwanderern" (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).
Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen: Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man "seine Nachbarn nicht mehr kenne" (AAN 19.3.2019).
Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art "Dorfgesellschaft" entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen; Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana; Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).
Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).
In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).
Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).
Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.3.2019; vgl. TN 26.3.2019, SAS 26.3.2019, TN 23.10.2018,. KP 23.10.2018, KP 9.7.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 7.8.2019; vgl. PAJ 7.7.2019, TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 7.8.2019) und verhaftet (TN 7.8.2019; PAJ 7.7.2019; vgl TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 9.6.2019; vgl. PAJ 28.5.2019).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 35 konfliktbedingt aus dem Distrikt Surubi vertriebene Personen, die alle in der Provinz Logar Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA keine durch gewaltsamen Konflikt aus der Provinz Kabul vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 9.422 Vertriebene, welche in die Provinz Kabul kamen, die meisten davon in den Distrikt Kabul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 2.580 Vertriebene in die Provinz Kabul, alle in den Distrikt Kabul. Sie stammten aus Kapisa, Kunar, Nangarhar wie auch Logar, Ghazni, Baghlan und Wardak (UNOCHA 18.8.2019).
Bis zu zwei Drittel aller Afghanen, die außerhalb ihrer Provinz vertrieben wurden, bewegen sich in Richtung der fünf Regionalhauptstädte (NRC 30.1.2019) und Kabuls Wachstum war besonders umfangreich. Die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul ist nicht bekannt. Die Bewegung in und innerhalb der Stadt fluktuiert und viele kehren regelmäßig in friedlicheren Zeiten in ihr Herkunftsgebiet zurück (Metcalfe et al. 6.2012; vgl. AAN 19.3.2019). Im September 2018 schätzte der afghanische Minister für Flüchtlinge und Repatriierung die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul auf 70.000 bis 80.000 Menschen (TN 21.9.2018).
Herat
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere "temporäre" Distrikte - Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) -, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).
Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).
Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen.
Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).
2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 3.8.2017; Reuters 25.3.2018).
Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).
In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).
Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).
Anmerkung: Weitere Informationen zu Herat - u.a. zur Sicherheitslage - können der Analyse der Staatendokumentation "Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat" vom 13.6.2019 entnommen werden (BFA 13.6.2019).
Ad Herat aus Kapitel 22 "Grundversorgung" aus dem Länderbericht idgF
Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den "bessergestellten" und "sichereren Provinzen" Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (BFA 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015).
Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 4.2019). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer (GOIRA 2015). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).
Mazar-e Sharif (in Balkh)
Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).
Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).
Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. UNAMA verzeichnete für das Jahr 2018 insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz (UNAMA 24.2.2019). Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (UNAMA 30.7.2019).
Im Winter 2018/2019 (UNGASC 28.2.2019) und Frühjahr 2019 wurden ANDSF-Operationen in der Provinz Balkh durchgeführt (UNGASC 14.6.2019). Die ANDSF führen auch weiterhin regelmäig Operationen in der Provinz (RFERL 22.9.2019; vgl KP 29.8.2019, KP 31.8.2019, KP 9.9.2019) unter anderem mit Unterstützung der US-amerikanischen Luftwaffe durch (BAMF 14.1.2019; vgl. KP 9.9.2019). Taliban-Kämpfer griffen Einheiten der ALP, Mitglieder regierungsfreundlicher Milizen und Sicherheitsposten beispielsweise in den Distrikten Chahrbulak (TN 9.1.2019; vgl. TN 10.1.2019), Chemtal (TN 11.9.2018; vgl. TN 6.7.2018), Dawlatabad (PAJ 3.9.2018; vgl. RFE/RL 4.9.2018) und Nahri Shahi (ACCORD 30.4.2019) an.
Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert (TN 22.8.2019; vgl. 10.8.2019). Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (TN 10.8.2019).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 1.218 aus der Provinz Balkh vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst in den Distrikten Nahri Shahi und Kishindeh Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 4.361 konfliktbedingt Vertriebene aus Balkh, die allesamt in der Provinz selbst verblieben (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 15.313 Vertriebene in die Provinz Balkh, darunter 1.218 aus der Provinz selbst, 10.749 aus Faryab und 1.610 aus Sar-e-Pul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 14.301 Vertriebene nach Mazar-e-Sharif und Nahri Shahi, die aus der Provinz Faryab, sowie aus Balkh, Jawzjan, Samangan und Sar-e-Pul stammten (UNOCHA 18.8.2019).
Ad Mazar-e Sharif (in Balkh) aus Kapitel 22 "Grundversorgung" aus dem Länderbericht idgF
Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GOIRA 2015).
Balkh
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar- e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (CSO 2019; vgl. IEC 2018).
Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).
Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den 7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine G