TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/25 W211 2219934-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.03.2020
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Entscheidungsdatum

25.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W211 2219934-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA: staatenlos, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stammt aus Syrien und stellte am XXXX 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer zusammengefasst und soweit wesentlich an, Kurde zu sein und in der Heimat noch über seine Eltern, sechs Brüder und vier Schwestern zu verfügen. Er sei im August 2018 aus seiner Heimat zu Fuß in den Irak ausgereist. In erster Linie sei er wegen des Krieges geflüchtet; er habe auch die Schule nicht beenden können und zu Hause keine Zukunft mehr gehabt. Er hätte auch in den Krieg ziehen sollen, was er nicht gewollt habe.

2. Am XXXX 2019 wurde der Beschwerdeführer durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und gab dabei zusammengefasst an, gesund zu sein. Er habe eine syrische Identitätsbescheinigung, die vom Dorfvorsteher ausgestellt worden sei. Er sei Maktume, damit amtlich nicht registrierte Syrer, und würde keinen Reisepass haben. Er stamme aus einem Dorf im Gebiet Malkya/Hasaka und sei Kurde. Nach der Schule habe er als Pizzakoch gearbeitet. Mit seiner Familie habe der Beschwerdeführer Kontakt. Als Grund für seine Ausreise gab der Beschwerdeführer an, dass in Syrien Krieg herrsche. Außerdem sei er als syrischer Maktume amtlich nicht registriert, er habe seine Schulbildung nicht fortsetzen dürfen. Er sei auch im Wehrdienstalter. Wenn er die Gegend von Qamishli nicht verlassen hätte, wäre er von syrischen Regierungstruppen festgenommen und eingezogen worden. Aus diesen Gründen habe er Syrien verlassen. Er habe keinen Wehrdienst abgeleistet; auch seine Brüder nicht. Der älteste Bruder sei in Syrien geblieben, weil er verheiratet sei und seine Familie dort habe. Er sei auch nie einberufen worden. Die anderen seien jünger als der Beschwerdeführer. In vom Regime kontrollierten Gebieten sei er nicht gewesen. Wenn aber er oder seine Brüder vom syrischen Regime kontrolliert würden, dann müssten sie zum Militär. Ein paar Freunde des Beschwerdeführers seien in Qamishli vom syrischen Militär kontrolliert und dann eingezogen worden; das seien syrische Staatsangehörige und keine Maktumen gewesen.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.). Die Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer als Maktume mit Herkunftsland Syrien staatenlos und Kurde sei. Das Vorbringen betreffend eine Zwangsrekrutierung sei zweifelhaft, da der Beschwerdeführer bisher nicht zum Wehrdienst einberufen worden und nicht registriert sei.

Dem Beschwerdeführer wurde mit Verfahrensanordnung eine Rechtsberatung amtswegig zur Seite gestellt.

4. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde rechtzeitig eine Beschwerde eingebracht, worin zusammengefasst ausgeführt wurde, dass im Falle einer illegalen Ausreise Verfolgung durch die syrischen Behörden drohe und unterlassen worden sei nachzufragen, warum der Beschwerdeführer seinen Wehrdienst nicht leisten wolle. Beigelegte Länderinformation führe aus, dass Maktumen diskriminiert würden. Außerdem wären staatenlose Maktumen zu Beginn des Krieges nicht in die syrische Armee rekrutiert worden, während entsprechende Bestimmungen wegen des Personalmangels der syrischen Armee zunehmend willkürlich ausgelegt würden. Außerdem müssten staatenlose Kurden bei der YPG den Wehrdienst leisten.

5. Am XXXX 2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die kurdische Sprache (Kurmanci) und in Anwesenheit des Beschwerdeführers sowie seiner Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der der Beschwerdeführer soweit wesentlich angab, nach wie vor regelmäßig mit seiner Familie zu telefonieren, wenn es Internet gebe. Syrien habe er verlassen, weil er in Syrien als Maktume keine Rechte habe. Außerdem würden das Regime und die Kurden junge Männer festnehmen und zum Militär rekrutieren wollen. Er wolle aber nicht kämpfen. Er sei auch von den Kurden nicht aufgefordert worden, mitzukämpfen; wenn die Kurden jemanden sehen würden, würden sie ihn mitnehmen. Er wolle sich allgemein nicht am Kampf beteiligen, er wolle nicht mit Gewalt konfrontiert werden. Die Kurden würden das Kurdengebiet verteidigen und schützen, aber auch Menschen zwingen, an den Kämpfen teilzunehmen.

6. Zu den in der Verhandlung aktualisierten Länderberichten langte am XXXX 2019 eine schriftliche Stellungnahme der Vertretung des Beschwerdeführers ein, wonach dem Beschwerdeführer in erster Linie eine Rekrutierung durch das syrische Regime drohen würde. Außerdem drohe dem Beschwerdeführer eine Zwangsrekrutierung durch die YPG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

Der Beschwerdeführer ist staatenloser Maktume aus Syrien, Kurde und sunnitischen Glaubens. Er stellte am XXXX 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Der Beschwerdeführer stammt aus dem Dorf XXXX an der irakischen Grenze. Das Dorf ist ca. drei Stunden von Qamishli entfernt und liegt südlich von Al Malikiya. Es ist kurdisch kontrolliert.

Die Eltern, sechs Brüder und vier Schwestern des Beschwerdeführers leben in XXXX . Der ältere Bruder ist verheiratet und hat seine eigene Familie. Die älteste Schwester ist auch verheiratet und Hausfrau. Die weiteren Geschwister gehen noch zur Schule und betreuen außerdem ca. 50 - 60 Schafe und Ziegen, die der Familie gehören. Die Familie des Beschwerdeführers bewirtschaftet außerdem noch eine Landwirtschaft, die dem Dorfvorsteher gehört. Die Familie erhält für ihre Arbeit 50% des landwirtschaftlichen Ertrags. Im Dorf leben ca. 10% Maktumen. Die Dorfbewohner_innen bewirtschaften alle nach den gleichen Regeln das Farmland; die Maktumen werden dabei wie die restlichen Dorfbewohner_innen behandelt. Der Beschwerdeführer ist mit seiner Familie regelmäßig über Whats App in Kontakt.

Der Beschwerdeführer besuchte in Syrien neun Jahre die Schule. Er arbeitete ca. im Jahr 2016 für ein paar Monate als angestellter Pizzakoch in Al Malikiya, kehrte dann aber wegen der Kriegswirren ins Dorf zurück.

1.2. Zur Situation in Syrien wird festgestellt wie folgt:

(a)) Wehrdienst: Für männliche syrische Staatsbürger ist im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von 18 oder 21 Monaten gesetzlich verpflichtend. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit eines freiwilligen Militärdienstes. Frauen können ebenfalls freiwillig Militärdienst leisten (CIA 3.4.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Palästinensische Flüchtlinge mit dauerhaftem Aufenthalt in Syrien unterliegen ebenfalls der Wehrpflicht, dienen jedoch in der Regel in der Palestinian Liberation Army (PLA) unter palästinensischen Offizieren. Diese ist jedoch de facto ein Teil der syrischen Armee (AA 13.11.2018; vgl. FIS 14.12.2018). Auch Binnenvertriebene sind wie andere Syrer zur Ableistung des Wehrdienstes verpflichtet und werden rekrutiert (FIS 14.12.2018).

Gemäß Artikel 15 des Gesetzesdekrets Nr. 30 von 2007 bleibt ein syrischer Mann nach Beendigung des Pflichtwehrdienstes, wenn er sich gegen einen Eintritt in den Militärdienst als Berufssoldat entscheidet, Reservist und kann bis zum Erreichen des 42. Lebensjahres in den aktiven Dienst einberufen werden. Vor dem Ausbruch des Konflikts bestand der Reservedienst im Allgemeinen nur aus mehreren Wochen oder Monaten Ausbildung zur Auffrischung der Fähigkeiten, und die Regierung berief Reservisten nur selten ein. Seit 2011 hat sich das jedoch geändert. Es liegen außerdem einzelne Berichte vor, denen zufolge die Altersgrenze für den Reservedienst erhöht wird, wenn die betreffende Person besondere Qualifikationen hat (das gilt z.B. für Ärzte, Panzerfahrer, Luftwaffenpersonal, Artilleriespezialisten und Ingenieure für Kampfausrüstung). Manche Personen werden wieder zum aktiven Dienst einberufen, andere wiederum nicht, was von vielen verschiedenen Faktoren abhängt. Es ist sehr schwierig zu sagen, ob jemand tatsächlich zum Reservedienst einberufen wird. Männer können ihren Dienst-/Reservedienststatus bei der Militärbehörde überprüfen. Die meisten tun dies jedoch nur auf informellem Weg, um zu vermeiden, sofort rekrutiert zu werden (BFA 8.2017).

Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Wenn bei der medizinischen Untersuchung ein gesundheitliches Problem festgestellt wird, wird man entweder vom Wehrdienst befreit, oder muss diesen durch Tätigkeiten, die nicht mit einer Teilnahme an einer Kampfausbildung bzw. -einsätzen verbunden sind, ableisten. Wenn eine Person physisch tauglich ist, wird sie entsprechend ihrer schulischen bzw. beruflichen Ausbildung eingesetzt. Rekruten müssen eine 45-tägige militärische Grundausbildung absolvieren. Männer mit niedrigem Bildungsstand werden häufig in der Infanterie eingesetzt, während Männer mit einer höheren Bildung oft in prestigeträchtigeren Positionen eingesetzt werden. Gebildetere Personen kommen damit auch mit höherer Wahrscheinlichkeit in Positionen, in denen sie über andere Personen Bericht erstatten oder diese bestrafen müssen (BFA 8.2017).

Die syrische Armee hat durch Verluste, Desertion und Überlaufen zu den Rebellen einen schweren Mangel an Soldaten zu verzeichnen (TIMEP 6.12.2018).

Aktuell ist ein "Herausfiltern" von Militärdienstpflichtigen im Rahmen von Straßenkontrollen oder an einem der zahlreichen Checkpoints weit verbreitet. In der Praxis wurde die Altersgrenze erhöht und auch Männer in ihren späten 40ern und frühen 50ern sind gezwungen Wehr-/Reservedienst zu leisten. Die Altersgrenze hängt laut Experten eher von lokalen Entwicklungen und den Mobilisierungsbemühungen der Regierung ab, als vom allgemeinen Gesetz. Dem Experten zufolge würden jedoch jüngere Männer genauer überwacht, ältere könnten leichter der Rekrutierung entgehen. Generell hat sich das Maß der Willkür in Syrien im Zuge des Konfliktes erhöht (FIS 14.12.2018). Die Behörden ziehen vornehmlich Männer bis 27 ein, während Ältere sich eher auf Ausnahmen berufen können. Dennoch wurden die Altersgrenzen fallweise nach oben angehoben, sodass auch Männer bis zu einem Alter von 55 Jahren eingezogen wurden, bzw. Männer nach Erreichen des 42. Lebensjahres die Armee nicht verlassen können. Ebenso wurden seit Ausbruch des Konflikts aktive Soldaten auch nach Erfüllung der Wehrpflicht nicht aus dem Wehrdienst entlassen (ÖB 7.2019).

Die Militärpolizei verhaftet in Gebieten unter der Kontrolle der Regierung junge Männer, die für den Wehrdienst gesucht werden. Nachdem die meisten fixen Sicherheitsbarrieren innerhalb der Städte aufgelöst wurden, patrouilliert nun die Militärpolizei durch die Straßen. Diese Patrouillen stoppen junge Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln und durchsuchen Wohnungen von gesuchten Personen (SHRC 24.1.2019). Es gab in der Vergangenheit Fälle, in denen Familienmitglieder von Wehrdienstverweigerern oder Deserteuren Vergeltungsmaßnahmen wie Unterdrucksetzung und Inhaftierung ausgesetzt waren (TIMEP 6.12.2018).

Im November 2017 beschloss das syrische Parlament eine Gesetzesnovelle der Artikel 74 und 97 des Militärdienstgesetzes. Die Novelle besagt, dass jene, die das Höchstalter für die Ableistung des Militärdienstes überschritten haben und den Militärdienst nicht abgeleistet haben, aber auch nicht aus etwaigen gesetzlich vorgesehenen Gründen vom Wehrdienst befreit sind, eine Kompensationszahlung von 8.000 USD oder dem Äquivalent in SYP leisten müssen. Diese Zahlung muss innerhalb von drei Monaten nach Erreichen des Alterslimits geleistet werden. Wenn diese Zahlung nicht geleistet wird, ist die Folge eine einjährige Haftstrafe und die Zahlung von 200 USD für jedes Jahr, um welches sich die Zahlung verzögert, wobei der Betrag 2000 USD oder das Äquivalent in SYP nicht übersteigen soll. Jedes begonnene Jahr der Verzögerung wird als ganzes Jahr gerechnet. Außerdem kann basierend auf einem Beschluss des Finanzministers das bewegliche und unbewegliche Vermögen der Person, die sich weigert den Betrag zu bezahlen, konfisziert werden (SANA 8.11.2017; vgl. SLJ 10.11.2017, PAR 15.11.2017).

Wehrdienst, Kurden: Die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG) sind die bewaffneten Einheiten der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) (DZO 13.1.2019). Bis 2014 war der Militärdienst bei der YPG freiwillig (AA 13.11.2018). Seit 2014 gibt es jedoch in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine gesetzliche Verordnung zum verpflichtenden Wehrdienst für Männer von 18 bis 30 Jahren. Der Wehrdienst sollte sechs Monate dauern, dauerte in den letzten Monaten jedoch 12 Monate. Jene, die den Wehrdienst verweigern, müssen zur Strafe 15 Monate Wehrdienst leisten (MOFANL 7.2019).

Mehrfach ist es zu Fällen gekommen, in denen Männer von der YPG rekrutiert werden, die älter als 30 Jahre waren. Dabei handelte es sich um Personen, die PYD-kritisch politisch aktiv waren, und die mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Rekrutierung abgestraft werden sollten (Savelsberg 3.11.2017).

Ausreise/Einreise: Irak: Der Zugang zur syrisch-irakischen Grenze war durch die Präsenz des IS seit 2014 eingeschränkt (Kozak 28.12.2017). Der Peshkhabour-Grenzübergang zwischen Irakisch-Kurdistan und kurdisch kontrollierten Gebieten in Nordsyrien war lange Zeit als einziger Grenzübergang zwischen Irak und Syrien de facto aktiv. Die Situation am Grenzübergang wurde in der Vergangenheit von politischen Auseinandersetzungen zwischen den syrisch-kurdischen Volksverteidigungskräften (YPG) und der Regionalregierung Kurdistan-Iraks (KRG) beeinflusst, was zu regelmäßigen Schließungen und Zugangsbeschränkungen für Syrer und Palästinenser aus Syrien führte (Kozak 28.12.2017).

Berichten zufolge wird die syrische Regierung über Ein- und Ausreise von syrischen Staatsangehörigen über die kurdisch kontrollierten Gebiete Syriens informiert (NRC 30.9.2018).

Kurden, Maktume: Im Jahr 2011, kurz vor Beginn des syrischen Bürgerkriegs, lebten in Syrien zwischen zwei und drei Millionen Kurden. Damit stellten sie etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Die Lebensumstände waren für die Kurden in Syrien lange Zeit noch kritischer als in der Türkei und im Iran. Ein Grund dafür war die brutale Repression aller oppositionellen Bestrebungen durch das Regime. Das Ergebnis waren sehr weitgehende Diskriminierungen. Im Nachgang einer Volkszählung im Jahr 1962 wurde rund 120.000 Kurden die syrische Staatsangehörigkeit aberkannt. Sie und ihre Nachfahren galten den syrischen Behörden seither als geduldete Staatenlose. Die Zahl dieser Ausgebürgerten, die wiederum in registrierte (ajanib) und unregistrierte (maktumin) Staatenlose unterteilt wurden, dürfte 2011 bei über 300.000 gelegen haben. Als im März 2004 im kurdischen Nordosten Unruhen ausbrachen, deren Wellen bis in kurdischen Viertel von Damaskus reichten, wurden sie brutal niedergeschlagen. Die schweren Diskriminierungen, die alle Kurden im Nordosten trafen, blieben bis 2012 bestehen. So durfte in den Schulen und Universitäten nicht in kurdischer Sprache gelehrt werden und kurdische Publikationen waren verboten (SWP 4.1.2019). Die fehlende Präsenz der syrischen Regierung in den kurdischen Gebieten in den Anfangsjahren des Konfliktes verlieh den Kurden mehr Freiheiten, wodurch zum Beispiel die kurdische Sprache an Schulen unterrichtet werden konnte. Die syrische Regierung erkennt die Legitimation der föderalen kurdischen Gebiete jedoch nicht an (MRG 3.2018).

(b)) Hintergrund: Ajanib und Maktumin: 1962 wurden im Zuge der Arabisierung anlässlich einer nationalistisch motivierten Volkszählung zwischen 120'000 bis 150'000 Kurd_innen die syrische Staatsangehörigkeit aberkannt, da sie angeblich illegal aus dem Irak und der Türkei eingewandert seien. Die Nachkommen gelten seither als Staatenlose; es entstanden zwei Gruppen: die als staatenlose Ausländer registrierten Ajanib (Singular: Ajnabi "Ausländer"), und die nicht-registrierten ebenfalls staatenlosen Maktumin ("Verborgene"). Die Angehörigen beider Gruppen haben nur begrenzten Zugang zu Bildung, Arbeit und Gesundheitsversorgung.

Staatenlose Ajanib werden vom syrischen Staat als in Syrien lebende Ausländer_innen (Ajanib) in einem gesonderten Zivilregister geführt und erhalten Identitätsnachweise. Sie verfügen über eine sogenannte "Red Card" (Bitaqa Ajnabi). Vom UK Home Office wurde diese als orangefarbenes Identitätspapier beschrieben. Darauf ist vermerkt, dass sie keine syrische Staatsbürgerschaft haben und dass sie damit nicht reisen dürfen. Staatsbürgerliche Rechte werden ihnen verwehrt, und sie erhalten keine regulären Reisedokumente. Ajanib dürfen staatliche Schulen und Universitäten besuchen und können in staatlichen Krankenhäusern behandelt werden.

Maktumin verfügen in der Regel weder über Geburts-, noch über Heirats- oder Sterbeurkunden. Auf lokaler Ebene kann vom örtlichen Mukthar für Maktumin ein inoffizielles Ausweisdokument (Taaref/Tareef) ausstellen. Für Maktumin gehen die Einschränkungen noch weiter. Sie haben zwar die Möglichkeit, die Grundschule zu besuchen, danach erhalten sie jedoch keine Abschlusszeugnisse. Sie dürfen keine weiterführenden Schulen oder Universitäten besuchen, keine Berufsausbildung absolvieren und keinen Führerschein erwerben, und sie können keine Eheschließungen und Geburten registrieren lassen. Kinder eines Vaters dieser Gruppe werden automatisch selbst zu Maktumin, da die Frage der Staatszugehörigkeit in Syrien alleine vom Status des Vaters abgeleitet wird.

Schätzungen aus dem Jahr 2014 gingen von 300'000 Ajanib und 75'000 Maktumin aus. Rund 70'000 staatenlose Kurd_innen sollen zwischen 2012 und 2014 das Land verlassen haben, ein Großteil davon ist in den Nordirak geflüchtet. UNHCR ging 2016 von schätzungsweise 150'000 Maktumin aus und wies auch darauf hin, dass viele das Land verlassen haben. Ajanib und Maktumin, die in den vom syrischen Regime besetzten Gebieten leben, werden auch heute noch diskriminiert. Diejenigen, die in den von der PYD (Partei Demokratischen Union, Partiya Yekîtiya Demokrat) besetzten Gebieten leben, haben, solange sie sich nicht in Opposition zur PYD stellen, die gleichen Rechte und Möglichkeiten wie die anderen Kurd_innen in dieser Region.

Einbürgerung von Ajanib: Dekret 49, 2011: Wiedereinbürgerung von Ajanib. Mit dem Dekret 49 vom 7. April 2011 hat Präsident Baschar al-Assad entschieden, dass Ajanib die syrisch-arabische Staatsangehörigkeit erhalten können. Maktumin jedoch finden keine Berücksichtigung. Am 26. Juli 2011 verabschiedete die syrische Regierung ein neues Wahlgesetz. Dabei erhielten die gemäß Dekret 49 vom 7. April 2011 eingebürgerten Personen das Wahlrecht.

Statusänderung von Maktumin zu Ajnabi: Gemäß Informationen einer syrischen Kontaktperson der SFH vom 2. Januar 2019 gab es für Maktumin die Möglichkeit, ihren Status in Ajnabi umzuändern, indem sie einen von ihrem jeweiligen Mukthar beglaubigten Nachweis über ihre Herkunft und ihre Identität anhand von Zeugen erbringen und dann einen entsprechenden Antrag auf Ajnabi-Status bei den zuständigen Gerichten stellen konnten. Als registrierte Ajanib konnten sie in der Folge die spätere Einbürgerung vorbereiten. Weitere Informationen zu den Möglichkeiten der Maktumin konnten im Rahmen der vorliegenden Recherche nicht gefunden werden.

Umsetzung der Wiedereinsetzung der Staatsbürgerschaft: In einer Untersuchung im Jahr 2013 stellte UN High Commissioner for Refugees (UNHCR) fest, dass 98 Prozent der staatenlosen Kurd_innen, welche die Wiedereinbürgerung beantragt haben, und anschließend in den Irak geflohen sind, innerhalb von drei Monaten die syrische Staatsbürgerschaft anerkannt erhielten. Bis Mitte 2013 haben 104'000 Personen entsprechend dem Dekret 49 die Staatsbürgerschaft erhalten. Gemäß UNHCR hat die Intensivierung des Konfliktes wie auch die sich verschlechternde Sicherheitssituation die Möglichkeiten der Beantragung der Staatsbürgerschaft eingeschränkt, da sowohl die Bewegungsfreiheit wie auch die staatliche Infrastruktur limitiert waren. Zudem waren viele Betroffene gezwungen zu fliehen, bevor sie die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen, wahrnehmen konnten. Dass der Antrag nur in al-Hasaka gestellt werden konnte, erwies sich für viele als ein zusätzliches Hindernis.

Rekrutierung von staatenlosen Ajanib und Maktumin: Vor dem Ausbruch des Krieges wurden staatenlose Ajanib und Maktumin nicht in die syrische Armee rekrutiert. Kheder Khaddour, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Carnegie Middle East Center in Beirut, meinte 2015 gegenüber dem Danish Immigration Service (DIS) und dem Danish Refugee Council (DRC), dass Ajanib, welche keine Staatsbürgerschaft haben, nicht von der syrischen Armee rekrutiert werden, da sie nicht im staatlichen System registriert seien. Auch eine syrische Kontaktperson der SFH geht davon aus, dass die syrische Armee, sofern sie den Standards folgt, nach wie vor keine staatenlosen Kurden rekrutiert. Dabei unterscheide sie nicht, ob es sich um staatenlose Ajanib oder Maktumin handelt.

Seit den Jahren 2012/2013 musste das syrische Regime im Kampf gegen verschiedene oppositionelle Gruppen schwere Verluste einstecken. Außerdem sind immer mehr Soldaten desertiert, weshalb die syrischen Truppen dingend auf Rekruten angewiesen sind. Wie bereits in einer anderen Recherche der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) festgehalten, werden vom syrischen Regime die offiziellen Bestimmungen bezüglich der Rekrutierung nicht eingehalten, weshalb es in der Praxis trotzdem zur Rekrutierung von Personen kommen kann, die vom Wehrdienst eigentlich freigestellt wären. Erhöhung des wehrdienstpflichtigen Alters, Rekrutierung von Minderjährigen, Verlängerung der Dienstdauer, willkürliche Umsetzung der Freistellungen und Zwangsrekrutierungen sind Maßnahmen des syrischen Regimes, um die Ränge im Militär zu füllen. Nicht nur der Druck, neue Soldaten rekrutieren zu müssen, sondern auch die Strategie der syrischen Regierung, einen großen Teil der Entscheidungsgewalt in militärischen Angelegenheiten den Führern der Truppen in den jeweiligen Regionen zu überlassen, förderten die willkürliche Umsetzung bei den Rekrutierungen.

Rekrutierung durch die YPG: Seit 2014 gilt in den kurdischen Gebieten, die von der PYD (Partei Demokratischen Union, Partiya Yekîtiya Demokrat) und deren bewaffnetem Arm YPG (Volksverteidigungseinheiten, Yekîneyên Parastina Gel) verwaltet und kontrolliert werden, die allgemeine Wehrpflicht. UNHCR legt dar, dass YPG und Asayish, die Sicherheitskräfte der PYD, in den Gebieten, die de facto unter ihrer Kontrolle stehen, Zwangsrekrutierungen vornehmen. Die Weigerung, den YPG beizutreten, kann gemäß UNHCR schwerwiegende Konsequenzen haben, einschließlich Entführung, Inhaftierung und Misshandlung sowie Zwangsrekrutierung. Auch staatenlose Kurden müssen bei der YPG Militärdienst leisten, wenn sie in den von der PYD verwalteten Gebieten leben.

Rekrutierung von eingebürgerten Ajanib: Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) stellte 2015 im Rahmen einer Recherche große Unsicherheit bezüglich Informationen zur Rekrutierung von eingebürgerten Ajanib in den syrischen Militärdienst fest. Rekrutierung von Personen, die nach dem 1. Januar 1993 geboren sind. Eine Kontaktperson der SFH geht gemäß eigenen Recherchen bei eingebürgerten Ajanib davon aus, dass Mitglieder dieser Personengruppe, die vor dem 1. Januar 1993 geboren sind, vom Wehrdienst in der syrischen Armee befreit sind. Personen, die nach dem 1. Januar 1993 geboren sind und sich gemäß dem präsidialen Dekret Nr. 49 einbürgern ließen, sind wehrdienstpflichtig.

Wie bereits oben beschrieben, werden Freistellungen vom Militärdienst nicht immer respektiert. Die Tilburg Universität machte im Mai 2013 darauf aufmerksam, dass viele Ajanib, die sich ab April 2011 einbürgern ließen, das Land aus Angst vor der Einberufung in den Militärdienst verlassen haben. Es gibt Berichte, wonach auch vor 1993 geborene Männer eingezogen werden, da das syrische Regime auf die Rekrutierung neuer Soldaten angewiesen ist. Auch im Bericht des Danish Immigraton Service und des Danish Refugee Council zeigte sich die Unsicherheit bezüglich Informationen zur Rekrutierung in den Militärdienst von eingebürgerten Ajanib: Nadim Houry von Human Rights Watch ging 2015 davon aus, dass eingebürgerte Kurden wie alle anderen Syrer Nationaldienst leisten müssten. Eine andere Quelle meinte, dass nur Personen, die im wehrdienstfähigen Alter sind, eingezogen würden. Bereits im Dezember 2014 wurde im Bericht des Norwegian Country of Origin Information Centre auf die große Unsicherheit bezüglich Informationen zum Militärdienst von ehemals staatenlosen Kurden festgestellt. Es sei nicht klar, welche Altersklassen wann einberufen werden.

1.3. Der Beschwerdeführer ist staatenloser Kurde, Maktume, der aus dem kurdisch kontrollierten Gebiet nahe der irakischen Grenze stammt. Vom syrischen Regime erhielten weder er noch andere Mitglieder seiner Familie eine Einberufung zum Militärdienst. Weder er noch seine Brüder wurden von der YPG aufgefordert, am aktiven Kampf teilzunehmen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer wegen einer (auch nur unterstellten) oppositionellen politische Gesinnung eine Gefahr seitens des syrischen Regimes oder der Kurden drohen würde.

Außerdem kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Eigenschaft als Maktume eine Gefährdung droht.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Mangels einer im Verfahren vorgenommenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments konnte die Identität der Beschwerdeführerin nicht festgestellt werden.

Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrenslauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur Eigenschaft als Maktume, zur Staatenlosigkeit, zur Herkunft aus Syrien, zur Volksgruppenzugehörigkeit und zum Religionsbekenntnis gründen sich auf die glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens.

Die Feststellungen zur Herkunft aus dem Heimatdorf, zur Lage dieses Dorf und zur Kontrolllage basieren auf den Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens und auf einer Einsicht in eine entsprechende Website zur Kontrolllage in Syrien:

Bild kann nicht dargestellt werden

https://syria.liveuamap.com/, 24.03.2020

Die Feststellungen zu den Familienangehörigen gründen sich auf die Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens (vgl. zB AS 83, 89f und S 5, 7, 10f des Verhandlungsprotokolls).

Nicht festgestellt werden konnte die Angabe des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, dass sein älterer Bruder an einer Knochenkrankheit leide, weshalb er keinen Wehrdienst ableisten hätte können (vgl. S 7 des Verhandlungsprotokolls). Dazu ist zu sagen, dass der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde dieses Faktum nicht erwähnte, sondern auf die Frage angab, warum die Brüder in Syrien geblieben seien, dass sein älterer Bruder verheiratet sei und seine Familie dort habe. Die anderen Brüder seien jünger (AS 89). Später erneut dazu befragt meinte der Beschwerdeführer, dass die Brüder geblieben seien, weil es kein Geld für die Flucht gegeben habe und sie jünger seien. Auf Nachfrage meinte er, dass der ältere Bruder nie einberufen worden sei. Wenn er die Gegend verlassen hätte, hätte er bestimmt zum Militär müssen (AS 91). Damit erwähnte der Beschwerdeführer bis zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht, dass sein ältester Bruder eine Krankheit habe, die eine Rekrutierung zum Militär verhindern würde, weshalb dieses Vorbringen als eine Steigerung angesehen wird und keine diesbezügliche Feststellung nach sich ziehen kann.

Die Feststellungen zum Schulbesuch, zur Arbeit als Pizzakoch und zur Rückkehr ins Dorf beruhen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens.

2.2. Die Feststellungen zu 1.2. fußen auf den folgenden Quellen:

a) Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien vom 13.05.2019, zuletzt aktualisiert am 17.10.2019, und dort auf den folgenden Einzelquellen:

- AA - Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

- BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 13.12.2018

- CIA - Central Intelligence Agency (3.4.2019): The World Factbook: Syria - Military and Security, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/sy.html, Zugriff 6.4.2019

- DZO - Die Zeit Online (13.1.2019): Assad ist der lachende Dritte, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-01/ypg-syrien-russland-baschar-al-assad/komplettansicht, Zugriff 13.3.2019

- FIS - Finnish Immigration Service (14.12.2018): Syria: Fact-Finding Mission to Beirut and Damascus, April 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Syria_Fact-finding+mission+to+Beirut+and+Damascus%2C+April+2018.pdf, Zugriff 1.2.2019

- Haaretz (30.9.2019): Iraq and Syria Open Key Border Crossing Closed Since 2012, https://www.haaretz.com/middle-east-news/syria/iraq-and-syria-open-key-border-crossing-closed-since-2012-1.7920682, Zugriff 14.10.2019

- MRG - Minority Rights Group International (3.2018): Syria - Kurds, https://minorityrights.org/minorities/kurds-5/, Zugriff 26.4.2019

- Kozak, Christopher [Senior Research Analyst, Insitute for the Study of War] (28.12.2017): Auskunft, per E-Mail

- MOFANL - Ministry of Foreign Affairs of the Netherlands - Department for Country of Origin Information Reports (7.2019): Country of Origin Information Report Syria - The security situation, per E-Mail am 27.8.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Damaskus (7.2019): Asylländerbericht Syrien 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014213/SYRI_ÖB+Bericht_2019_07.pdf, Zugriff 19.8.2019

- PAR - Webseite des Parlaments der Arabischen Republik Syrien (15.11.2017): /35/ 2017 /30/ /2007/ http://parliament.gov.sy/arabic/index.php?node=201&nid=18681&RID=-1&Last=10262&First=0&CurrentPage=0&Vld=-1&Mode=&Service=-1&Loc1=&Key1=&SDate=&EDate=&Year=&Country=&Num=&Dep=-1&, Zugriff 7.12.2017

-        SANA - Syrian Arab News Agency (8.11.2017):

http://www.sana.sy/?p=656572, Zugriff 15.1.2019

- Savelsberg, Eva [Vorsitzende des Europäischen Zentrum für Kurdische Studien] (3.11.2017): Informationen per E-Mail

- SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 31.1.2019

- SLJ - Syrian Law Journal [Twitter] (10.11.2017): Kurznachricht vom 10.11.2017 08:37, https://twitter.com/syrian_law/status/929025146429624320, Zugriff 15.1.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.1.2019): Kurden unter Druck: Die Folgen des US-Truppenabzugs für den PKK-Ableger in Syrien, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2019A04_sbg_Albrecht.pdf, Zugriff 27.3.2019

- TIMEP - The Tahrir Institute for Middle East Policy (6.12.2018): TIMEP Brief: Legislative Decree No. 18: Military Service Amnesty, https://timep.org/wp-content/uploads/2018/12/LegislativeDecree18SyriaLawBrief2018-FINAL12-6-18a.pdf, Zugriff 19.2.2019

b) Schweizer Flüchtlingshilfe: Syrien: Rekrutierung von staatenlosen Kurde in die syrische Armee, 21.01.2019: online abrufbar unter https://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/mittlerer-osten-zentralasien/syrien/190121-syr-rekrutierung-staatenlose-kurden.pdf

Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Grund, an der Ausgewogenheit, Richtigkeit und Aktualität der darin enthaltenen Informationen zu zweifeln.

Die Vertretung des Beschwerdeführers legte der Stellungnahme vom XXXX .2019 eine ACCORD Anfragebeantwortung vom 09.08.2019 bei ("Präsenz und Aktivitäten des syrischen Regimes im kurdisch kontrollierten Nordsyrien"): Dass das syrische Regime auch in kurdisch kontrollierten Gebieten eine Präsenz hat, so in Qamishli und in der Stadt Hasaka, wird nicht bestritten, wenngleich darauf hingewiesen werden muss, dass der Beschwerdeführer nicht aus einem dieser Gebiete stammt. Die in der AB relevierte Information ist daher für den gegenständlichen Fall nicht ausreichend relevant - wie auch gleich im Folgenden näher ausgeführt wird - und wird daher nicht in die Feststellungen aufgenommen.

2.3. Der Beschwerdeführer bringt als fluchtauslösende Vorbringen einerseits die Kriegswirren, Diskriminierung wegen seiner Eigenschaft als Maktume, aber auch Befürchtungen wegen einer Rekrutierung zum Militär vor. Die Feststellungen dazu, dass der Beschwerdeführer Maktume ist, beruht auf seinen diesbezüglich nicht strittigen Angaben im Laufe des Verfahrens. Dass weder er noch seine Brüder vom syrischen Militär einberufen wurden, gab er selbst im Laufe des Verfahrens so an (AS 89, S 6f des Verhandlungsprotokolls). Ebenso gründen sich die Feststellungen dazu, dass weder er noch seine Brüder von den Kurden aufgefordert wurden, am Kampf teilzunehmen, auf seinen diesbezüglichen Angaben im Laufe des Verfahrens (S. 7 des Verhandlungsprotokolls).

Zu den einzelnen Befürchtungen:

Rekrutierung zum syrischen Militär: Eine Gefährdung des Beschwerdeführers, als Maktume zum syrischen Militär einberufen bzw. zwangsweise rekrutiert zu werden, kann nicht festgestellt werden. Während es zwar aus den Länderberichten hervorgeht, dass das syrische Militär auch willkürlich seine eigenen Rekrutierungsregeln nicht immer befolgt, muss dennoch in erster Linie anerkannt werden, dass der Beschwerdeführer als staatenloser Kurde - Maktume - grundsätzlich nicht vom syrischen Militär einberufen wird.

Darüber hinaus liegt der Herkunftsort des Beschwerdeführers in kurdisch kontrolliertem Gebiet nahe der irakischen Grenze. Die Wahrscheinlichkeit, dort von syrischen Kräften in willkürlicher Übertretung ihrer eigenen Regeln zum Wehrdienst zwangsweise rekrutiert zu werden, muss als gering angesehen werden. Wenn der Beschwerdeführer als Beispiel dieser Gefahr die zwangsweise Mitnahme von Freunden in Qamishli nennt, so ist dazu auszuführen, dass es eben in Qamishli eine Präsenz des Regimes gibt, der Beschwerdeführer aber nicht aus Qamishli stammt, und dass es sich bei diesen Freunden um syrische Staatsangehörige handelte (vgl. AS 93 und S. 9 des Verhandlungsprotokolls) - was eben der Beschwerdeführer nicht ist. Hinweise auf eine Präsenz des syrischen Regimes in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers wurden nicht vorgebracht und haben sich auch aus sonstigen Quellen im Verfahren nicht ergeben.

Kein Bruder des Beschwerdeführers leistete den Wehrdienst beim syrischen Militär ab oder wurde durch dieses zwangsweise rekrutiert. Dass gerade gesundheitliche Gründe des älteren Bruders dagegensprechen würden, konnte - wie oben besprochen - nicht festgestellt werden; außerdem hätten sich solche dem syrischen Militär gegenüber auch erst nach einer Musterung offenbart. Dass sich der nunmehr 19jährige Bruder vor einer Einziehung verstecken würde, bleibt unsubstantiiert.

Schließlich ist anzuführen, dass die Nähe des Herkunftsortes des Beschwerdeführers zur irakischen Grenze grundsätzlich auch eine (rein theoretische) Wiedereinreise in kurdisch kontrolliertes Gebiet über den Irak denkbar macht, wenn auch aus den Länderinformationen ablesbar ist, dass es beim Grenzübergang zwischen Irak-Kurdistan und Syrien-Kurdistan wegen der politischen Auseinandersetzungen der beiden kurdischen Regime zu Zugangsbeschränkungen kommen kann.

Im Ergebnis müssen die entsprechende konkrete Situation des Beschwerdeführers als Maktume aus kurdisch kontrolliertem Gebiet und die relevante Länderinformation den Schluss zulassen, dass zwar eine zwangsweise Rekrutierung des Beschwerdeführers zur syrischen Armee nicht gänzlich unmöglich, aber dennoch nicht sehr wahrscheinlich ist.

Damit kann bereits eine Gefährdung des Beschwerdeführers, überhaupt durch das syrische Regime rekrutiert zu werden, nicht angenommen werden, weshalb sich daraus auch keine Gefahr einer auch nur durch das syrische Regime unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung wegen einer allfälligen zukünftigen Weigerung einer solchen Rekrutierung ergibt.

Rekrutierung zur YPG/zu den Kurden: Dass die kurdischen Einheiten auch staatenlose Kurden zum Kampf rekrutieren, geht aus der Länderinformation hervor.

Bemerkenswert ist aber in diesem Zusammenhang, dass die kurdischen Einheiten offenbar in der Herkunftsregion des Beschwerdeführers bisher keine Rekrutierungen vorgenommen haben:

Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll:

" [...] R: Wurden Sie von den Kurden aufgefordert, mitzukämpfen?

P: Nein, sobald sie jemanden sehen, der kämpfen kann, nehmen sie ihn mit. Viele Freunde von mir wurden so mitgenommen.

R: Gab es dort, wo Sie gelebt haben, keine Kurden?

P: Unser Dorf ist ein sehr kleines Dorf. Bei uns gibt es keinen Stützpunkt von den Kurden. Sie kamen sporadisch zu uns und wenn sie jemanden gesehen haben, der waffenfähig war, haben sie ihn mitgenommen.

R: Erklären Sie mir das genauer.

P: Unser Dorf hat nicht einmal einen Supermarkt. Für den Einkauf ist meine Mutter nach Qamishli gefahren.

R: Warum nicht nach Al Malikiya?

P: Qamishli ist größer und hat größere Auswahlmöglichkeiten und es gibt dort auch Ärzte.

R: Ihre Heimatregion ist schon seit einigen Jahren kurdisch kontrolliert. Sie sind nun 21 Jahre alt. Warum haben die Kurden Sie nicht in den letzten drei Jahren mitgenommen?

P: Ich habe mein Dorf nicht verlassen, deswegen hatten die Kurden keinen Zugang zu mir. Mein Vater hat dann einen Weg gefunden und Geld aufgetrieben, damit ich flüchten konnte.

R: Wieso sollen die Kurden in einem von ihnen kontrollierten Gebiet keinen Zugang zu Ihnen haben?

P: Sie sind nicht zu uns gekommen. Sie haben unser Haus nicht besucht.

R: Erzählen Sie mir davon, wie Kurden von Zeit zu Zeit gekommen sind und Leute aus dem Dorf mitgenommen haben; genau und möglichst detailliert.

P: Die kurdischen Soldaten sind mit einem Auto zur Kontrolle um das Dorf gefahren und sie haben, wenn sie junge Leute auf der Straße gesehen haben, diese mitgenommen. Sie haben aber keine Häuser durchsucht.

R: Wann war das?

P: Ca. vor zwei Jahren.

R: Und seither?

P: Unser Dorf ist sehr klein, deshalb sind sie nicht öfters gekommen.

R: Sie haben eine Rekrutierung bei den Kurden vor dem BFA gar nicht angesprochen, wieso nicht?

P: Ich habe das auch erwähnt, aber der Dolmetscher hat es nicht so übersetzt. Ich habe es so gesagt, wie heute auch. [...]"

Es muss auffallen, dass der Beschwerdeführer bei seiner Schilderung über die Kontrolllage durch die Kurden und deren Rekrutierungskampagnen oberflächlich, vage und außerdem nicht nachvollziehbar bleibt. Warum die kurdischen Einheiten für Zwangsrekrutierungen vor zwei Jahren das letzte Mal bei einer Fahrt durchs Dorf zwar junge Männer mitgenommen, aber niemals eine gewöhnliche Rekrutierungskampagne im Dorf gemacht haben sollen, ist wenig nachvollziehbar. Darüber hinaus muss anerkannt werden, dass die gesamte Familie des Beschwerdeführers bis jetzt offenbar nicht von den Kurden für eine Rekrutierung kontaktiert wurde, so auch nicht der ältere Bruder, wobei - wie bereits oben erklärt - keine Feststellung dazu erfolgen konnte, dass dieser wegen einer Krankheit nicht wehrdienstfähig sei. Außerdem meinte der Beschwerdeführer selbst, einige Monate ca. im Jahr 2016 in Al Malikiya als Pizzakoch gearbeitet zu haben, wobei er auch von dort von keinen Kontakten mit der PYD/YPG berichtet.

Damit scheint die ganze Familie keinen Kontakt mit dem bewaffneten Arm des kurdischen Regimes gehabt zu haben, und dies bis August 2018 und offenbar auch darüber hinaus, da der Beschwerdeführer mit seiner Familie in Kontakt steht und von keinen Problemen der Familie mit der YPG berichtet hat.

Schließlich darf nicht ganz vergessen werden, dass der Beschwerdeführer selbst überhaupt erst in der Beschwerdeverhandlung eine Befürchtung dahingehend äußerte, von den Kurden zwangsweise rekrutiert zu werden. Bis dahin betraf seine Sorge immer nur das syrische Regime (vgl. AS 87). Dass es sich bei dieser späten Erwähnung einer entsprechenden Sorge um einen Dolmetsch-Fehler bei der Einvernahme bei der belangten Behörde gehandelt haben soll, kann nicht geglaubt werden: Der Beschwerdeführer bestätigte im EV-Protokoll vom XXXX .2019 den kurdisch sprechenden Dolmetscher gut verstanden zu haben und machte dort keine Korrekturen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht erklärt der Beschwerdeführer schließlich selbst (vgl. S 8 des Protokolls) diesbezüglich eine Ergänzung des Vorbringens erstatten zu wollen. Damit ergibt sich aber für die erkennende Richterin der Eindruck, dass die Sorge um eine Rekrutierung durch die Kurden nicht tatsächlicher Auslöser für den Ausreisewunsch oder den Fluchtgedanken gewesen ist.

Dieser Eindruck wird insbesondere dadurch verstärkt, dass der Beschwerdeführer zwar im Laufe des Verfahrens angibt, grundsätzlich nicht an Kampfhandlungen teilnehmen zu wollen, aber zum kurdischen Vorgehen folgendes meinte: Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll:

" [...] R: Warum wollen Sie nicht bei den Kurden kämpfen?

P: Ich kann weder jemanden töten, noch will ich getötet werden. Ich bin zum Töten nicht fähig.

R: Was lehnen Sie am Kampf der Kurden ab?

P: Ich möchte mich allgemein nicht an einem Krieg beteiligen. Ich möchte mein Leben in Frieden leben und nicht mit Gewalt konfrontiert werden.

[...]

RV: Wissen Sie, ob die Mitglieder der YPG Menschenrechteverletzungen begehen?

P: Nein.

D: Ich habe den Eindruck die P versteht nicht, was Menschenrechtsverletzung heißt.

RV: Wissen Sie, ob Mitglieder die YPG im Krieg Verbrechen begehen, wie z.B Zivilisten töten?

P: Mir ist bewusst, dass die YPG Kurdengebiete verteidigen und beschützen, aber durch ihre Zwangsrekrutierung werden Männer und Frauen gezwungen sich an den Kämpfen zu beteiligen, wodurch auch unschuldige Menschen ums Leben kommen. Viele Eltern verlieren im Krieg ihr Leben und Kinder werden zu Waisen. Das ist etwas, was ich nicht akzeptieren kann.

RV: Wissen Sie, ob die Miliz auch auf Zivilisten schießt oder nur auf eine andere Kriegspartei?

P: YPG tötet keine Leute, die keine Waffe tragen. [...]"

Während der Beschwerdeführer daher sehr wohl die zwangsweise Rekrutierung durch die YPG kritisierte, und dass Menschen bei Kampfhandlungen ums Leben kommen, meinte er weiter, dass die YPG Kurdengebiete verteidige und beschütze. Seines Wissens nach töte die YPG keine Menschen, die keine Waffen tragen. Damit lässt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers eine zwar ambivalente, aber keine grundsätzlich YPG-feindliche Haltung ablesen.

Im Ergebnis muss insbesondere aus der konkreten Situation des Beschwerdeführers angenommen werden, dass die Wahrscheinlichkeit, dass er von der YPG zum Kampf aufgefordert wird, er sich dann auch tatsächlich weigert und deswegen unverhältnismäßig bestraft wird, nicht ausreichend hoch ist. Zu dieser Einschätzung führen die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer mit seiner ganzen Familie in kurdisch kontrolliertem Gebiet in einem Dorf gelebt hat, 2016 aber auch einige Monate in Al Malikiya war; die ganze Familie, damit auch der ältere Bruder, keinerlei entsprechenden Kontakt mit der YPG gehabt hat und sie auch nicht aufgefordert wurde, einen Beitrag zu leisten; die Schilderungen des Beschwerdeführers über angebliche Zwangsrekrutierungen in seinem Dorf vage und oberflächlich bleiben, und es darüber hinaus nicht nachvollziehbar ist, warum die YPG nicht auch zB regelmäßig Rekrutierungskampagnen durchführt, bevor sie dazu übergehen sollte, junge Menschen schlicht von der Straße weg mitzunehmen. Außerdem bleibt auch nicht unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer erst sehr spät im Verfahren überhaupt eine Sorge wegen der Rekrutierung durch die Kurden vorbrachte und aus seinen Angaben zum Vorgehen der kurdischen Miliz auch nicht ausreichend deutlich hervorgeht, dass der Beschwerdeführer eine Einberufung und Rekrutierung durch die Kurden auch tatsächlich verweigern würde; dazu scheint seine Haltung zur Miliz zu ambivalent.

Schließlich kann auch aus den den Beschwerdeführer selbst und auch seine Familie betreffenden Feststellungen nicht abgeleitet werden, dass diesem als Maktume eine besondere Gefahr im Falle einer Rückkehr drohen würde. Während jedenfalls nicht verkannt wird, dass Maktumen gerade durch das syrische Regime diskriminiert wurden und zB auch keinen Landbesitz erwerben konnten, so geht aus den Länderinformationen auch hervor, dass die Kurden den Maktumen die gleichen Rechte, wie anderen Kurdinnen und Kurden im Gebiet der PYD, einräumen, solange sie sich nicht in Opposition zur PYD stellen. Darüber hinaus geht aus den Angaben des Beschwerdeführers auch hervor, dass seine Familie Erträge aus landwirtschaftlicher Arbeit generieren kann, und sie dabei auch gegenüber anderen Dorfbewohner_innen nicht diskriminiert wird. Diskriminierende Eingriffe in das Leben und die Sicherheit des Beschwerdeführers wegen seiner Eigenschaft als Maktume, die die hier geforderte Eingriffshöhe erreichen würden, können daher nicht festgestellt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A)

Rechtsgrundlagen:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch die Gefahr einer wegen "Wehrdienstverweigerung" (allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen) drohenden Bestrafung dann zur Asylgewährung führen, wenn das Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen - wie etwa bei der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Ist Letzteres der Fall, so kann dies aber auch auf der - generellen - Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen, womit unabhängig von einer der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion im konkreten Fall wirklich zugrunde liegenden religiösen oder politischen Überzeugung der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund gegeben wäre (vgl. VwGH 14.12.2004, 2001/20/0692).

3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:

3.2.1. Wenn der Beschwerdeführer befürchtet, vom syrischen Regime zum Wehrdienst rekrutiert zu werden und im Falle einer Verweigerung durch dieses einer oppositionellen politischen Gesinnung bezichtigt und deswegen verfolgt zu werden, so fehlt es dieser Verfolgungsbefürchtung an der notwendigen Wahrscheinlichkeit: Das syrische Regime rekrutiert eigentlich keine staatenlosen Kurden; und selbst wenn es dies willkürlich aus Gründen einer dringenden Aufstockung dennoch tun würde, so muss anerkannt werden, dass sich der Heimatort des Beschwerdeführers in kurdisch kontrolliertem Gebiet nahe der irakischen Grenze und weit entfernt von Truppen des syrischen Regimes befindet. Ebenso kann die Möglichkeit einer Einreise aus dem Irak über den Landweg nicht mit der nötigen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Ein Kontakt zum syrischen Regime ist daher bereits nicht sehr wahrscheinlich.

Weiter kann von einer wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers durch die kurdische Miliz wegen einer Weigerung, bei dieser mitzukämpfen, und einer dem Beschwerdeführer dadurch unterstellen oppositionellen Gesinnung, nicht ausgegangen werden; sie lässt sich den konkreten und individuellen Umständen des Beschwerdeführers nicht entnehmen. So hatte der Beschwerdeführer nie Kontakt mit der kurdischen Miliz; es wurde auch die Familie des Beschwerdeführers noch nie darauf angesprochen zu kooperieren, und lässt sich auch seinen eigenen Angaben nicht ausreichend nachvollziehbar entnehmen, dass der Beschwerdeführer eine allfällige Aufforderung zur Mitarbeit tatsächlich ablehnen würde. Er steht der kurdischen Miliz nicht deutlich widerständig gegenüber.

Schließlich ergaben sich aus dem Verfahren auch keine Hinweise auf eine aktuelle und maßgeblich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr des Beschwerdeführers wegen seiner Eigenschaft als Maktume.

3.2.2. In Bezug auf die allgemein prekäre Sicherheitslage in Syrien wurde dem Beschwerdeführer jedoch zu Recht bereits subsidiärer Schutz in Österreich erteilt.

3.2.3. Sonstige asylrelevante Gründe für eine mögliche Verfolgung wurden nicht vorgebracht und ergeben sich auch für das Bundesverwaltungsgericht nicht aus der Akten- und Berichtslage. Mangels Bestehens einer aktuellen maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr aus einem der Gründe, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählt sind, kann daher der Beschwerde zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides nicht stattgegeben werden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben unter 3. dargestellte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im Übrigen war eine auf die Umstände des Einzelfalls bezogene Prüfung vorzunehmen.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Desertion Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit mündliche Verhandlung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung Wehrdienstverweigerung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W211.2219934.1.00

Im RIS seit

15.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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