TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/7 W214 2180478-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.04.2020
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Entscheidungsdatum

07.04.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W214 2180478-1/38E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. SOUHRADA-KIRCHMAYER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch RA Mag. Dr. Bernhard ROSENKRANZ, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.12.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Kurden, stellte am XXXX .02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Befragt zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass die Familie seiner Frau Salafisten seien. Durch christliche Freunde sei er auf das Christentum aufmerksam gemacht worden, die Religion habe ihm zugesagt, weil sie gegen Gewalt sei. Der Islam sei in seinen Augen Gewalt und Lüge, er wolle nichts damit zu tun haben. Als die Familie seiner Frau erfahren habe, dass er mit Christen verkehre und sich für das Christentum interessiere, hätten sie ihn dazu gezwungen, sich von seiner Frau zu trennen. Sie hätten auch gedroht, den Beschwerdeführer bei den Behörden anzuzeigen, weshalb er habe flüchten müssen. Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er die Todesstrafe.

Am 15.02.2017 legte der Beschwerdeführer eine Taufurkunde der Cyruskirche vom XXXX vor.

Am XXXX .10.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer zwei Unterstützungsschreiben sowie ein ÖSD Zertifikat A1 vor und wies Scheidungsunterlagen und seinen Personalausweis als Lichtbilder auf seinem Handy vor.

Nach den Fluchtgründen befragt führte der Beschwerdeführer aus, dass er mit 18 Jahren seine nunmehrige Exfrau geheiratet habe, obwohl beide Familien, vor allem die sehr religiöse Familie seiner Frau, gegen die Hochzeit gewesen seien. Dies habe sich auch auf die Ehe ausgewirkt, sodass seine Exfrau und er beschlossen hätten, sich scheiden zu lassen. Die Eltern des Beschwerdeführers hätten dann gemeint, er und seine Exfrau sollten der Ehe wegen der Kinder noch eine Chance geben und so hätten sie abermals geheiratet und seien nach XXXX gezogen, damit sie Ruhe hätten. Mit der Geburt des zweiten Kindes hätten die Einmischungen der Familie seiner Exfrau wieder begonnen, er sei abermals angegriffen und bedroht worden. Seine Exfrau habe sich dann abermals scheiden lassen. Der Beschwerdeführer habe dann beschlossen ins Ausland zu gehen, damit er in Sicherheit sei.

Als er nach Österreich gekommen sei, habe er angefangen sich für das Christentum zu interessieren, da sehr viel Liebe und Bescheidenheit in der Religion sei. Er habe nicht ohne Religion bleiben können. In XXXX habe er zufällig einen kurdischen Iraner getroffen, der ihm gesagt habe, dass er einen Priester kenne, der Farsi spreche und das Christentum erklären könne. Seine Familie wisse von seinem Interesse für das Christentum, sein Vater habe seine Geburtsurkunde zerrissen und gesagt, der Beschwerdeführer sei nicht mehr sein Sohn. Auf die Taufe sei er vier Monate lang vorbereitet worden, es sei ein persisch sprechender Priester gekommen, der viel von der Religion erzählt habe, so habe er angefangen, sich zu interessieren. Die Taufe habe dann am XXXX in XXXX stattgefunden, es gebe ein Video davon. Nach der Taufe habe er das Gefühl, dass sich sein Leben verändert habe, er sei ohne Sünde und voll Liebe. Er praktiziere den Glauben, indem er missioniere und Karten verteile. Er sei auch auf Facebook und Instagram aktiv, einige Leute aus dem Iran hätten nachgefragt und seien interessiert. Er gehe auch mindestens einmal pro Woche in die Kirche der XXXX in XXXX . Der Gottesdienst laufe so ab, dass der Pastor über das heilige Buch rede, dann würden sie zusammen beten, über das Heilige Buch diskutieren, anschließend das Abendbrot begehen und singen.

In den Iran könnte er nicht zurückkehren, da die Familie seiner Exfrau barbarische und aggressive Leute seien, die glauben würden, dass er Schande über die Familie gebracht habe. Selbst sein Vater denke so. Die Familie seiner Exfrau habe ihn, seine Familie und seine zukünftige Frau bedroht. Er wolle das Recht haben, mit seinen Kindern zu leben und diese zu sehen.

Weiters legte der Beschwerdeführer seine Geburtsurkunde sowie eine Bestätigung des Austrittes aus der islamischen Glaubensgemeinschaft vom 05.10.2017 vor.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.) und setzte eine Frist von zwei Wochen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Die belangte Behörde stellte neben allgemeinen herkunftsbezogenen Länderfeststellungen und der Identität des Beschwerdeführers fest, dass dieser iranischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Kurden und muslimisch-schiitischen Glaubens sei. Er stamme aus der Stadt XXXX , dort habe er nach der zweiten Scheidung von seiner Exfrau bis zur Ausreise gemeinsam mit den Eltern und seinem Bruder gewohnt. Vorher habe er gemeinsam mit seiner Exfrau und seinen Kindern in XXXX und ebenfalls in XXXX gelebt. Er habe seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer und Besitzer eines XXXX bestritten. Der Beschwerdeführer sei geschieden und sorgepflichtig für zwei minderjährige Kinder, diese würden sich derzeit in Griechenland aufhalten. Der Beschwerdeführer sei nach seinen eigenen Angaben völlig gesund. In Österreich gehe der Beschwerdeführer keiner gemeinnützigen Tätigkeit nach, er habe kein nennenswertes soziales Umfeld im Bundesgebiet und keinerlei Kenntnisse der österreichischen Gesellschaft, Geschichte und Kultur. Er sei kein Mitglied einer österreichischen Organisation oder eines Vereines und beherrsche die deutsche Sprache mäßig. Er habe keine familiären oder verwandtschaftlichen Verhältnisse im Bundesgebiet, seine Eltern und sein Bruder würden im Iran leben.

Der Beschwerdeführer sei im Bundesgebiet straffällig geworden und wegen des Besitzes von Suchtmittel angezeigt worden, die Staatsanwaltschaft XXXX sei vom Ermittlungsverfahren zurückgetreten.

Nicht festgestellt habe werden können, dass der Beschwerdeführer begründete Furcht vor Verfolgung i.S.d GFK in der Russischen Föderation [richtig: im Iran] zu gewärtigen habe. Der Beschwerdeführer habe keine Fluchtgründe iSd GFK vorgebracht.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass zur Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers zu erwähnen sei, dass es sich um familiäre Probleme mit der Ex-Schwiegerfamilie handle. Es sei dem Beschwerdeführer möglich, in einer Stadt außer Reichweite der Ex-Schwiegerfamilie zu leben, womit ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Bei der vom Beschwerdeführer vorgebrachten Konversion handle es sich um eine Scheinkonversion, der Beschwerdeführer habe sich nicht nachhaltig dem Christentum zugewandt und werde im Falle einer Rückkehr diesen Glauben auch nicht praktizieren bzw. missionieren. Er laufe daher auch nicht Gefahr, ins Blickfeld der iranischen Behörden zu gelangen. Die Kenntnisse des Beschwerdeführers über das Christentum und die Beweggründe für die Konversion seien äußerst oberflächlich und vage. Das Fluchtvorbringen sei insgesamt nicht glaubhaft, der Beschwerdeführer habe seinen Herkunftsstaat von staatlichen Institutionen gänzlich unverfolgt verlassen und sei mit dem Christentum im Iran nicht in Berührung gekommen. Zusammenfassend vertrete die belangte Behörde die Ansicht, dass die dargetanen Asylgründe nicht ausreichen würden, um eine Verfolgung der Person des Beschwerdeführers iSd asylrechtlichen Bestimmungen anzunehmen.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen gewählten Rechtsvertreter mit Schriftsatz vom 12.12.2017 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und führte aus, dass die belangte Behörde übersehe, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines Religionswechsels von der Familie ausgeschlossen worden und sei, sodass seine Konversion im Iran bekannt sei. Er müsse damit rechnen, dass dieser Umstand auch religiösen Eiferern bekannt werde und er deswegen mit asylrechtlich relevanter Gewalt durch fanatische Muslime bedroht sei, welche mit Straflosigkeit rechnen könnten, wenn sie mit Gewalt gegen einen Christen vorgehen bzw. könne der Beschwerdeführer bei staatlichen Stellen keinen Schutz vor Verfolgung finden, weil der Staat Iran nicht gewillt sei, Christen vor Übergriffen zu schützen. Der Beschwerdeführer werde seinen christlichen Glauben vertiefen. Im Falle einer Rückkehr werde er in asylrechtlich relevanter Weise von staatlichen Organen bzw. iranischen Zivilisten verfolgt werden.

Der Beschwerde beigefügt wurden diverse Länderberichte über die Situation von konvertierten Christen und die Behandlung von abgewiesenen Asylwerbern im Iran.

4. Am 19.06.2019 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers und eines Dolmetschers statt.

Ergänzend zu seinen Angaben vor der belangten Behörde führte der Beschwerdeführer aus, dass er zu seiner Mutter und seinem Bruder im Iran telefonisch und über Telegram Kontakt habe. Der Familie gehe es nicht schlecht, früher sei dies nicht so gewesen, er habe viele Probleme gemacht im Iran, so habe er etwa Alkohol getrunken oder sei an Schlägereien beteiligt gewesen. Zweimal habe er auch einen Selbstmordversuch unternommen, es gebe Spuren davon auf seiner Hand und seinem Hals. Durch die Familie seiner Exfrau sei er auch mit dem Messer am Rücken verletzt worden, als es in seinem XXXX zu einem Familienstreit gekommen sei. Die Familie seiner Exfrau habe der Heirat erst zugestimmt, als seine Exfrau zwei Selbstmordversuche unternommen habe. Es seien aber Bedingungen an ihn gestellt worden, unter anderem, dass er eine dreimonatige Ausbildung bei den Basij machen müsste. Ein Schwager namens XXXX habe ihn angeschrieben, dass er diese Ausbildung absolvieren solle. Er habe dem Schwager versprechen müssen, keinen Alkohol mehr zu trinken, das XXXX zuzusperren und Abstand von seinen Freunden zu gewinnen. Dies habe fünf Jahre lang angedauert, er sei immer wieder bedroht worden. Als dann die zweite Scheidung von seiner Exfrau bevorgestanden sei, sei XXXX nach XXXX gekommen und ihn bedroht, er müsse die Morgengabe der Exfrau aushändigen und finanziell für seine Kinder aufkommen. XXXX habe ihn auch mit einem Messer an der Hand verletzt.

In Österreich habe er viele Bekannte, seit einigen Monaten sei er Dolmetscher in der Kirche. Er gehöre der XXXX /der evangelischen Freikirche XXXX an. Er gehe dreimal in der Woche in die Kirche, dort treffe er sich mit Freunden und sie würden die Bibel lesen. Mit dem Pastor treffe er sich zweimal in der Woche, er lerne von ihm Deutsch, und wenn er Fragen habe, erkläre dieser ihm alles über die Bibel. Auf Vorhalt zu den diversen im Akt befindlichen Meldungen und Anzeigen gab der Beschwerdeführer an, einmal sei ein halbes Gramm Marihuana bei ihm gefunden worden. Zum Verdacht der Körperverletzung führte er aus, dass ein anderer Asylwerber um 3 Uhr in der Nacht voll betrunken auf sein Auge geschlagen habe. Anschließend habe sich der andere Asylwerber selbst verletzt, um den Verdacht auf den Beschwerdeführer zu lenken. Das Strafverfahren sei mittlerweile abgeschlossen, der andere Asylwerber habe ihm EUR 80,00 bezahlen müssen. Die Anzeige wegen Körperverletzung aufgrund eines Vorfalls in einem Wettlokal sei zu Unrecht erfolgt, der andere Beteiligte habe ihn geschlagen, nicht umgekehrt. Ein weiteres Mal habe er ein Gramm Marihuana genommen, das in der Asylunterkunft vorgefundene Suchtgift sei jedoch nicht seines gewesen. Es tue ihm leid, er sei nicht drogensüchtig und passe jetzt auf seine Gesundheit auf.

Sein konkreter Fluchtgrund sei gewesen, dass er mit XXXX Probleme gehabt habe. Er habe dessen Fenster und Türen zerschlagen, weil er sich rächen habe wollen, dass XXXX ihn mit einem Messer verletzt habe. Nachbarn von XXXX hätten ihn erkannt. Am letzten oder vorletzten Tag vor der Ausreise sei er mit einem Freund auf einem Motorrad unterwegs gewesen, ein Auto habe versucht, sie abzudrängen. Er habe auch zwei oder drei Schüsse gehört, er gehe davon aus, dass XXXX dahintergestanden habe.

Zum Christentum habe er erst in Österreich gefunden, ein in XXXX lebender Kurde habe seinen Freund und ihn gleich nach ihrer Ankunft in Österreich mit dem Pastor der Freikirche, XXXX , bekannt gemacht. Er habe eine Bibel vom Pastor bekommen, diese aber ganz wenig gelesen. Nach ungefähr einem Monat habe jemand gesagt, dass die Situation für Flüchtlinge schlechter werde und vorgeschlagen, dass er sich taufen lasse, damit er nicht wieder in den Iran zurückmüsse. Er habe viel Stress gehabt, weil er geglaubt habe, im Falle einer Rückkehr von den Basij verfolgt zu werden. Der Pastor habe ihn dann immer mit dem Auto zur Kirche mitgenommen, er habe den ITI-Kurs absolviert. Er habe damals ein schlechtes Gewissen gehabt, dass er sich gegenüber Gott von der falschen Seite gezeigt habe. In der Bibel habe er gelesen, dass Jesus Christus für die Sünden der Menschen sein Leben habe lassen müssen, er habe dann beim Pastor gebeichtet, dass er sich nur habe taufen lassen, weil er sonst in den Iran zurückgeschickt würde. Als Vorbereitung auf eine neuerliche Taufe habe er dann weiter den Kurs absolviert, dort habe er auch über den heiligen Geist und die Dreifaltigkeit gelernt. Das zweite Mal sei er dann am XXXX getauft worden. Die Taufe bedeute für ihn eine neue Geburt, er habe sein altes Ich gehasst und liebe sein jetziges Ich. Er denke weder an materielle Sachen noch als Selbstmord und wolle auch, dass der Iran christlich werde. Er sei früher sehr nachtragend gewesen und habe XXXX gehasst, heute würde er ihm jede Hilfe zukommen lassen, die er verlange. Er habe sein Schicksal und das seiner Familie Gott überlassen. Gott sei für ihn der oberste Primat. Er habe auch versucht, österreichische Freunde vom Christentum zu überzeugen, deren Eltern seien zwar Christen, sie wüssten jedoch nichts über das Christentum. Er sei nicht mehr die Person aus der Vergangenheit, Gott habe ihm sehr viel dabei geholfen.

In der mündlichen Verhandlung wurde auch der Pastor der XXXX , XXXX , als Zeuge einvernommen.

Er gab an, den Beschwerdeführer im XXXX 2016 kennengelernt zu haben. Dieser habe damals schon gesagt, dass er den Islam abgelegt habe und er habe den Beschwerdeführer dann für einige Monate in die Gemeinde gebracht. Nachdem der Beschwerdeführer sein Quartier gewechselt habe, sei er eigenständig in die Gemeinde gekommen. Im Jahr 2017 habe der Beschwerdeführer den Kontakt abgebrochen, er wisse nicht genau, weshalb. Anfang 2018 habe der Beschwerdeführer jedoch wieder angefangen die Kirche zu besuchen. Im Juni oder Juli 2018 habe der Beschwerdeführer begonnen, einen Glaubenskurs in der Kirche zu besuchen, im XXXX habe er den Beschwerdeführer getauft. Der Beschwerdeführer übersetze in der Kirche die Predigt und auch für Gemeindebesucher bei Amtswegen und Arztbesuchen. Er sei auch im Kaffee- und Tee-Team der XXXX und lese manchmal die Schrift im Gottesdienst vor. In diesem Jahr zu Pfingsten habe der Beschwerdeführer auch eine Botschaft im Gottesdienst gebracht. Er glaube, dass der Beschwerdeführer ernsthaft dem christlichen Glauben anhänge, er lerne und diene gerne und zeige ein aufrichtiges Interesse. In der Gemeinde gebe es einige Leute, die, wie der Beschwerdeführer, zunächst von der Cyrusgemeinschaft getauft worden seien, die meisten seien von ihm dann nicht getauft worden, weil sie nicht bereit gewesen seien zu sagen, dass die erste Taufe nicht ihre richtige Taufe gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe bei seiner zweiten Taufe der ganzen Gemeinschaft gesagt, dass die erste Taufe ein Fehler gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe von ihm auch keinen Brief für das Gericht oder eine Taufbestätigung verlangt, was sehr unüblich sei. Gerade die Leute, von denen es ihm vorgekommen sei, dass sie sich nur mit dem Asyl beschäftigen würden, hätten immer Beweise und Bestätigungen haben wollen. Der Zeuge habe sich aus eigenem Entschluss zur Ablegung der Zeugenaussage entschieden.

5. Am 03.07.2019 übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht eine Taufbestätigung der XXXX vom XXXX .2019 sowie eine Stellungnahme zum aktuellen Länderinformationsblatt des BFA, in welcher er zusammengefasst ausführte, dass aufgrund der iranischen Gesetze, unzähliger Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen und Berichten iranischer Flüchtlinge, nicht angenommen werden könne, dass ein zum Christentum übergetretener Gläubiger keine Verfolgung zu befürchten habe, wenn er seinen Glauben im Iran auslebe. Im Falle einer Rückkehr sei es sehr wahrscheinlich, dass er "unter die Lupe" der iranischen Behörden genommen und festgenommen würde. Möglicherweise würde er gefoltert und vielleicht sogar umgebracht werden.

6. Am 22.08.2019 erstattete der Beschwerdeführer durch seinen gewählten Rechtsvertreter abermals eine Stellungnahme. Darin brachte der Rechtsvertreter im Namen des Beschwerdeführers vor, dass es aufgrund der vom Beschwerdeführer herbeigeführten Beschädigungen am Haus der Ex-Schwiegerfamilie mit Sicherheit zu einer Anzeige gegen diesen gekommen sei. Aktuell habe der Beschwerdeführer keinen Kontakt mehr zu seinen Kindern, da seine Exfrau diesen unterbunden habe, nachdem der Beschwerdeführer sich geweigert hatte, ihr Geld zu schicken. Der Beschwerdeführer sei psychisch belastet, nicht belastungsfähig und sehr stark verunsichert. Auch die vielen Selbstverletzungen und der frühere Suchtgiftkonsum hätten den Beschwerdeführer traumatisiert. Im Falle einer Rückkehr in den Iran müsse der Beschwerdeführer befürchten zumindest wegen der Beschädigung angeklagt zu werden, und bestehe nach den beigefügten Länderberichten die Gefahr, dass er zwangsweise in einer psychiatrischen Klinik untergebracht werde und dort viele Jahre bleiben müsse.

7. Am 10.09.2019 fand die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Beisein des Beschwerdeführers und eines Dolmetschers statt. Der Beschwerdeführer wies auf seinem Handy zunächst eine Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs B2 von April bis Juni 2019 vor. Ergänzend befragt gab der Beschwerdeführer an, dass ihm seine Mutter erzählt habe, dass XXXX eine neue Anzeige gegen ihn erstattet habe. Es gebe auch eine Telegram-Familiengruppe, in welche XXXX geschrieben habe, dass er den Beschwerdeführer finden werde, egal wie lange es dauere, und sich zum ihn kümmern werde. Weiters sei er sich sicher, dass mittlerweile auch sein Vater ein großer Feind von ihm geworden sei, er glaube, dass XXXX und sein Vater gemeinsam Anzeige gegen ihn erstattet hätten. Er schulde seiner Exfrau auch noch Teile der Morgengabe (Goldmünzen) und XXXX gebe ihm die Schuld dafür, dass seine Exfrau den Iran verlassen habe. Auch aus diesen Gründen seien Anzeigen gegen ihn erstattet worden.

Psychisch gehe es ihm mittlerweile wieder sehr gut, er gehe jede Woche mindestens zwei Mal in die Kirche, sie hätten auch wieder ITI-Kurse in der Kirche gehabt. Er bete regelmäßig und habe das Gefühl mit dem Heiligen Geist in Kontakt zu sein. Seit er getauft worden sei, fühle er, dass er ihn die ganze Zeit begleite und ihm den richtigen Weg weise. Er habe seinem Vater und XXXX verziehen, was sie ihm angetan hätten und bete nun auch für sie, dass sie eines Tages Jesus Christus kennenlernen. Er habe seinen Weg gefunden und wolle nach dem Plan leben, den Gott für ihn vorgesehen habe.

8. Am 17.09.2019 langte eine weitere Stellungnahme des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein. In dieser führte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers aus, dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung ein übersprudelndes, extrovertiertes Verhalten gezeigt habe und freimütig über sein Befinden und seinen Glauben spreche, weshalb er den Behörden im Iran jedenfalls auffallen werde, wie dies auch schon vor seiner Flucht geschehen sei.

9. Am 20.01.2020 stellte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter den Antrag auf Einvernahme seiner Ehefrau zum Beweis der Glaubhaftigkeit seiner Fluchtgründe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der unter Punkt I. ausgeführte Verfahrensgang wird dem Sachverhalt zugrunde gelegt.

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers und zum Fluchtvorbringen

Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der Volksgruppe der Kurden. Er trägt den im Spruch angeführten Namen und ist am XXXX geboren. Der Beschwerdeführer ist geschieden, hat zwei minderjährige Kinder und war im Iran zuletzt mit seinen Eltern und seinem Bruder in der Stadt XXXX in der Provinz XXXX wohnhaft, wo er auch geboren und aufgewachsen ist. Er hat neun Jahre lang die Schule besucht und anschließend einen XXXX eröffnet. Vor seiner Ausreise hat er als Taxifahrer gearbeitet.

Der Beschwerdeführer reiste im Februar 2016 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX .02.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Seit der Antragstellung befand sich der Beschwerdeführer lediglich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz durchgängig rechtmäßig im Bundesgebiet. Der Beschwerdeführer bezog seit der Antragstellung auf internationalen Schutz Leistungen aus der Grundversorgung des Bundes.

Der Beschwerdeführer übt keine Erwerbstätigkeit aus und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er übt ehrenamtliche Tätigkeiten in der XXXX in XXXX aus. Der Beschwerdeführer verfügt über gute Deutschkenntnisse, er hat die Prüfung ÖSD Zertifikat A1 bestanden und einen B2-Kurs besucht.

Der Beschwerdeführer hatte psychische Probleme; weiters hatte er ein Suchtgiftproblem, er hat sich aber einer Substitutionstherapie unterzogen bzw. setzt diese fort. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig.

Im Herkunftsstaat leben noch die Eltern und der Bruder des Beschwerdeführers sowie die Exschwiegerfamilie des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig telefonisch und über Telegram Kontakt zu seiner Mutter und seinem Bruder. Die Familie des Beschwerdeführers sowie seine Exschwiegerfamilie wissen von der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum.

Die Exfrau und die beiden minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers leben inzwischen auch in Österreich. Der Beschwerdeführer hat österreichische Freunde und einen Bekanntenkreis in der XXXX .

Der Beschwerdeführer hat den Iran verlassen, weil die Familie der Exfrau des Beschwerdeführers mit dem Beschwerdeführer als deren Ehemann nicht einverstanden war und es aus diesem Grund zu Bedrohungen und Gewalt gegen den Beschwerdeführer gekommen ist. Der Beschwerdeführer hat im Iran eine Sachbeschädigung am Haus seines Schwagers begangen und die Morgengabe von 1.360 Goldstücken nach der Scheidung nur teilweise zurückgezahlt.

Als maßgeblich wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer ursprünglich muslimisch-schiitischen Glaubens war und zum Christentum konvertiert ist.

In Österreich wurde der Beschwerdeführer zunächst am XXXX von der Cyruskirche getauft. Seit Frühling 2018 besucht der Beschwerdeführer regelmäßig den Gottesdienst der XXXX , ab Sommer 2018 hat er einen Glaubenskurs in der XXXX absolviert. Der Beschwerdeführer besucht regelmäß9g den Gottesdienst. Der Gottesdienst wird in persischer Sprache abgehalten, der Beschwerdeführer übersetzt die Predigten für die österreichischen Besucher dieses Gottesdienstes. In einzelnen Gottesdiensten liest der Beschwerdeführer die Schrift vor. Der Beschwerdeführer wurde am XXXX in der XXXX abermals getauft, da der Beschwerdeführer angegeben hat, dass er bei der ersten Taufe nicht an Jesus Christus geglaubt hat. Weiters erfolgt die Taufe der Cyruskirche nur durch Besprengen, weshalb sie von der XXXX nicht anerkannt wird.

Der Beschwerdeführer hilft im Kaffee- und Tee-Team der XXXX mit. Der Beschwerdeführer versucht andere Personen vom christlichen Glauben zu überzeugen, im Oktober 2017 hat der Beschwerdeführer im Zentrum von XXXX für den christlichen Glauben durch Verteilen von Karten geworben.

Der Beschwerdeführer betet und liest in der Bibel. Am XXXX ist der Beschwerdeführer aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich ausgetreten. Der Beschwerdeführer ist vom christlichen Glauben überzeugt, er hat sich in der Vergangenheit auch auf seinem Facebook-Profil öffentlich zum christlichen Glauben bekannt.

Der Beschwerdeführer hätte das Bedürfnis, den christlichen Glauben auch bei seiner Rückkehr in den Iran innerlich und äußerlich auszuleben.

Der Beschwerdeführer ist von extrovertiertem Wesen, zeigt in seinen Äußerungen keine Zurückhaltung und würde den iranischen Behörden schon aufgrund seines Auftretens auffallen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten, wurde aber mehrmals polizeilich angezeigt:

Am 07.09.2017 wurden beim Beschwerdeführer 1,22 Gramm Cannabiskraut sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft XXXX trat von der Verfolgung am 18.09.2017 zu GZ 51 XXXX gemäß § 35 Abs. 9 SMG zurück. Das Verfahren wurde nach Ablauf der Probezeit am 13.06.2019 gemäß § 38 Abs. 3 SMG endgültig eingestellt.

Am 10.01.2018 trat die Staatsanwaltschaft XXXX neuerlich von der Verfolgung des Beschwerdeführers wegen § 27 Abs. 2 SMG gemäß § 35 Abs. 4 Z 1 SMG zurück.

Am 13.03.2018 wurde der Beschwerdeführer nach einem Streit in einer Asylunterkunft mit einem anderen Asylwerber gemäß § 83 StGB angezeigt. Am 17.05.2018 wurde Anklage gegen den Beschwerdeführer wegen § 83 StGB erhoben. Das Verfahren wurde gemäß §§ 199, 204 StPO in der Hauptverhandlung zu 29 U 150/18a des BG XXXX eingestellt.

Am 21.10.2018 wurde der Beschwerdeführer abermals wegen Körperverletzung nach einer Auseinandersetzung mit einer weiteren Person vor einem Wettlokal gemäß § 83 StGB angezeigt. Das Verfahren wurde am 27.12.2018 von der Staatsanwaltschaft XXXX eingestellt.

Am 08.11.2018 wurde der Beschwerdeführer neuerlich wegen des Besitzes von Suchtgift angezeigt. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft XXXX am 22.11.2018 zu XXXX wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Am 13.03.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen § 27 Abs. 2 SMG angezeigt.

Mit Strafantrag vom 19.08.2019 legte die Staatsanwaltschaft XXXX dem Beschwerdeführer zur Last, zu einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2018 in XXXX die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften gemäß § 27 Abs. 1 Z 1, 1. und 2. Fall und Abs. 2 SMG begangen zu haben. Am 04.11.2019 fand eine Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht XXXX gegen den Beschwerdeführer wegen § 27 Abs. 1 und 2 SMG statt. Die Hauptverhandlung wurde auf unbestimmte Zeit zur Durchführung eines Verfahrens gemäß §§ 35, 37 SMG vertagt. Mit Beschluss des BG XXXX vom 22.01.2020 wurde das Strafverfahren unter der Bedingung, dass sich der Beschwerdeführer der laufenden Substitutionsbehandlung weiterhin unterzieht, gemäß § 37 iVm § 35 SMG vorläufig eingestellt.

Am 16.10.2019 wurden im Kleiderschrank des Beschwerdeführers in der Asylunterkunft 8 Gramm Cannabiskraut sowie ein Crasher sichergestellt. Das Ermittlungsverfahren wurde am 13.12.2019 vorläufig nach § 35 Abs. 9 SMG zurückgelegt.

Es liegt kein Asylausschlussgrund vor.

1.2 Zur hier relevanten Situation im Iran

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran (Stand Juni 2019)

1. Politische Lage

Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution" [auch Oberster Rechtsgelehrter, Oberster Führer oder Revolutionsführer], Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt (AA 15.2.2019a, vgl. BTI 2018, ÖB Teheran 12.2018) und kann diesen theoretisch auch absetzen (ÖB Teheran 12.2018). Das Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel "Revolutionsführer" (GIZ 3.2019a).

Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani, wiedergewählt: Mai 2017). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann (GIZ 3.2019a).

Der Revolutionsführer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inklusive der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich (ÖB Teheran 12.2018). Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel (AA 12.1.2019).

Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Islamische Beratende Versammlung oder Majles, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann (ÖB Teheran 12.2018).

Der Wächterrat (12 Mitglieder, sechs davon vom Obersten Führer ernannte Geistliche, sechs von der Judikative bestimmte Juristen) hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch insgesamt wesentlich mächtiger als ein westliches Verfassungsgericht. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 15.2.2019a, FH 4.2.2019, BTI 2018). Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers (GIZ 3.2019a).

Der Expertenrat wählt und überwacht den Revolutionsführer auf Basis der Verfassung. Die 86 Mitglieder des Expertenrats werden alle acht Jahre vom Volk direkt gewählt. Für die Zulassung der Kandidaten ist der Wächterrat zuständig (WZ 11.1.2017).

Der Schlichtungsrat besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Er hat zum einen die Aufgabe, im Streitfall zwischen verschiedenen Institutionen der Regierung zu vermitteln, zum anderen hat er festzustellen, was die langfristigen "Interessen des Systems" sind. Diese sind unter allen Umständen zu wahren. Der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen (GIZ 3.2019a).

Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a) in geheimen und direkten Wahlen (AA 12.1.2019). Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahe kommen (GIZ 3.2019a, vgl. AA 15.2.2019a). Am 26. Februar 2016 fanden die letzten Wahlen zum Expertenrat und die erste Runde der Parlamentswahlen statt. In den Stichwahlen vom 29. April 2016 wurde über 68 verbliebene Mandate der 290 Sitze des Parlaments abgestimmt. Aus den Wahlen gingen jene Kandidaten gestärkt hervor, die das Wiener Atomabkommen und die Lockerung der Wirtschaftssanktionen nach dem "Implementation Day" am 16. Januar 2016 unterstützen. Zahlreiche Kandidaten waren im Vorfeld durch den Wächterrat von einer Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen worden. Nur 73 .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 9 von 89

Kandidaten schafften die Wiederwahl. Im neuen Parlament sind 17 weibliche Abgeordnete vertreten (AA15.2.2019a).

Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und aussortierten Pool an Kandidaten wählen können (FH 4.2.2019). Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Die Wahlen an sich liefen im Prinzip frei und fair ab, unabhängige Wahlbeobachter waren aber nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert (AA 12.1.2019).

Die Erwartung, dass durch den 2015 erfolgten Abschluss des Atomabkommens (JCPOA) Reformkräfte im Iran gestärkt würden, hat sich in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt. Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen "unislamisches" oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was im ersten Halbjahr 2018 zu einer signifikanten Reduktion der vollstreckten Todesurteile (-60%) führte. Jedoch gab es 2018 mit der Einschränkung des Zugangs zu unabhängigen Anwälten in "politischen" Fällen und der zunehmenden Verfolgung von Umweltaktivisten auch zwei eindeutig negative Entwicklungen (ÖB Teheran 12.2019).

Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt und unterstützen im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems angesiedelten Präsidenten Rohani (AA 12.1.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (15.2.2019a): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/-/202450, Zugriff 30.4.2019

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 30.4.2019

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 30.4.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019

- GIZ - Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (3.2019a): Geschichte und Staat Iran, https://www.liportal.de/iran/geschichte-staat/, Zugriff 30.4.2019

- ÖB - Österreichische Botschaften (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 30.4.2019

- WZ - Wiener Zeitung (11.1.2017): Das politische System des Iran, https://www.wienerzeitung.at/archiv/iran-2017/iran-hintergrund/524691-Das-politische-System-des-Iran.html?em_no_split=1, Zugriff 30.4.2019

2. Sicherheitslage

Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken.

Latente Spannungen im Land haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten bisweilen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018 (EDA 11.6.2019).

Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 22. September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte. Am 7. Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen (EDA 11.6.2019, vgl. AA 11.6.2019b). In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht (AA 11.6.2019b). Im ganzen Land, besonders außerhalb von Teheran, kann es immer wieder zu politisch motivierten Kundgebungen mit einem hohen Aufgebot an Sicherheitskräften kommen (BMEIA 11.6.2019).

In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen.

Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region (AA 20.6.2018b). Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen (EDA 11.6.2019).

In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK im September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen (AA 11.6.2019b). Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. (EDA 11.6.2019). Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind (ÖB Teheran 12.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (11.6.2019b): Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/iran-node/iransicherheit/202396, Zugriff 11.6.2019

- BMeiA - Bundesminsterium für europäische und internationale Angelegenheiten (11.6.2019): Reiseinformation Iran, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/iran/ , Zugriff 11.6.2019

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (11.6.2019): Reisehinweise Iran, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/iran/reisehinweise-fuerdeniran.html, Zugriff 11.6.2019

- ÖB - Österreichische Botschaften (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 11.6.2019

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden (ÖB Teheran 12.2018). Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den sogenannten Chef der Judikative. Dieser ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer ("Iranian Bar Association"; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt. Die Liste der Verteidiger in politischen Verfahren ist auf 20 Anwälte beschränkt worden, die z. T. dem Regime nahe stehen (AA 12.1.2019). Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen (FH 4.2.2019)

Obwohl das Beschwerderecht rechtlich garantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen (BTI 2018).

Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und, dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen (US DOS 13.3.2019). Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet (HRW 17.1.2019). Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft (AI 22.2.2018, vgl. HRW 17.1.2019).

In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden (AA 9.12.2015, vgl. US DOS 29.5.2018).

In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die "Sondergerichte für die Geistlichkeit" sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt (AA 9.12.2015, vgl. BTI 2018).

Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:

- Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";

- Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;

- Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;

- Spionage für fremde Mächte;

- Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;

- Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen (AA 9.12.2015).

Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten (AI 22.2.2018).

Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt (ÖB Teheran 12.2018, vgl. AA 12.1.2019). Nach Art. 278 iStGB können in bestimmten Fällen des Diebstahls Amputationen von Gliedmaßen - auch für Ersttäter - vom Gericht angeordnet werden (AA 12.1.2019). Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen ("Qisas"), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes ("Diya") kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten (ÖB Teheran 12.2018).

Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon sieben Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat (AA 12.1.2019).

Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten, ihre Familien werden nicht oder sehr spät informiert. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist (AA 12.1.2019).

Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen (AA 12.1.2019).

Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter - insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren - nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen (AA 12.1.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (9.12.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1115973/4598_1450445204_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2015-09-12-2015.pdf, Zugriff 24.5.2019

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der

Islamischen Republik Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457257/4598_1548938794_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-iran-stand-november-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 24.5.2019

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425078.html, Zugriff 24.5.2019

- BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 Country Report - Iran, http://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2018/pdf/BTI_2018_Iran.pdf, Zugriff 24.5.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2006369.html, Zugriff 31.5.2019

- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002197.html, Zugriff 24.5.2019

- ÖB Teheran (12.2018): Asylländerbericht Iran, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007543/Asyll%C3%A4nderbericht+2018.pdf, Zugriff 24.5.2019

- US DOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2018 Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004255.html, Zugriff 24.5.2019

- US DOS - US Department of State (29.5.2018): 2017 Report on International Religious Freedom - Iran, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436871.html, Zugriff 24.5.2019

4. Sicherheitsbehörden

Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert (US DOS 13.3.2019). Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen und Kinder an (AA 12.1.2019). Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen (ÖB Teheran 12.2018).

Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer (AA 12.1.2019). Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden (FH 4.2.2019). Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv (DW 18.2.2016). Heute gehören Khamenei und den Revolutionsgarden rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus (Menawatch 10.1.2018). Längst ist aus den Revolutionsgarden eine bedeutender Machtfaktor geworden - gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der wiedergewählte Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum. Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben. Nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen - überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert (Tagesspiegel 8.6.2017, vgl. BTI 2018).

Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst (Vezarat-e Etela'at) mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Basij und der Justiz. Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem "Hohen Rat für den Cyberspace" beschäftigt sich die iranische Cyberpolice mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste (AA 12.1.2019).

Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und im Falle von Protesten oder Aufständen. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2018). Der Oberste Führer hat höchste Autorität unter allen Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Missbräuche der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter diszipliniert. Eine nennenswerte Ausnahme stellt der Fall des früheren Teheraner Staatsanwaltes dar, der im November 2017 für seine mutmaßliche Verantwortung für Folter und Todesfälle unter Demonstranten im Jahr 2009, zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde (US DOS 13.3.2019).

Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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