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L9 Sozial- und GesundheitsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch die neuerliche Vorschreibung eines Kostenbeitrags für Therapie und Unterbringung an einen Behinderten im zweiten Rechtsgang nach aufhebendem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs; verfassungswidrige Bewertung der Familienbeihilfe als Einkommensbestandteil; Widerspruch zur Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofs im ersten RechtsgangSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen seines Rechtsvertreters, die mit S 18.000 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) Dem (1967 geborenen) Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 28. November 1988 gemäß dem §24 und dem §22 des Wiener Behindertengesetzes 1986, LGBl. 16, Internatsunterbringung mit Beschäftigungstherapie im Rahmen des Vereines "Wiener Sozialdienste" bewilligt.
Diese Hilfe wird ihm seit 1. Jänner 1989 in der Form gewährt, daß er in einer Wohngemeinschaft des erwähnten Vereines untergebracht ist und tagsüber im Rahmen der vom Verein geführten "humanisierten Werkstätten" beschäftigt wird. Die dem Verein erwachsenden Kosten werden vom Land Wien getragen.
b) Der Beschwerdeführer bezog seit 1. Jänner 1989 eine Waisenpension in der Höhe von zunächst monatlich S 1.256,60 zuzüglich Ausgleichszulage S 647,40. Diese Bezüge steigerten sich in der Folge mehrmals. Ab 1. Jänner 1992 betrug die Waisenpension
S 1.427,50 und die Ausgleichszulage S 2.461,--.
Ab 1. April 1989 erhielt er ferner die (erhöhte) Familienbeihilfe gemäß §8 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) in der Höhe von monatlich S 2.900,--. Auch diese steigerte sich in der Folge; ab 1. Jänner 1992 betrug sie S 3.300,--.
2.a) Der Magistrat der Stadt Wien verpflichtete mit Bescheid vom 18. Juni 1990 den Beschwerdeführer gemäß §43 Abs3 des Wiener Behindertengesetzes 1986, LGBl. 16 (idF vor der Novelle LGBl. 42/1993) - im folgenden kurz: WBHG -, beginnend mit 1. Jänner 1989 ziffernmäßig bestimmte Kostenbeiträge für die Unterbringung im Rahmen des Vereines "Wiener Sozialdienste" zu leisten.
b) §43 Abs3 WBHG steht in folgendem rechtlichen Umfeld:
Als Maßnahmen für einen Behinderten kommen dem §3 Abs1 Z3 und 4 WBHG zufolge unter anderem die Beschäftigungstherapie (nähere Vorschriften enthält der §22) und die Hilfe zur Unterbringung (Näheres bestimmt der §24) in Betracht.
Für bestimmte Maßnahmen ist gemäß §43 ein Kostenbeitrag zu leisten. Diese Bestimmung lautet:
"§43. (1) Zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach §5 Z1 bis 4, der Beschäftigungstherapie nach §22, der Hilfe zur Unterbringung nach §24 und zu den Fahrt- und Beförderungskosten nach §17 haben der Behinderte, dessen Ehegatte (auch der unterhaltspflichtige geschiedene Ehegatte) sowie die Eltern
1. Grades für minderjährige Kinder 1. Grades nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen Kostenbeiträge zu leisten.
(2) Ein Kostenbeitrag ist unbeschadet des Abs3 erst dann zu leisten, wenn und soweit das Gesamteinkommen (§11) des Beitragspflichtigen den vierfachen Richtsatz der Sozialhilfe für einen Alleinunterstützten übersteigt. Diese Einkommensgrenze erhöht sich für jeden Angehörigen, für den der Beitragspflichtige auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung überwiegend sorgt, um den einfachen Richtsatz der Sozialhilfe für einen Mitunterstützten.
(3) Wird im Rahmen einer Maßnahme durch Unterbringung und Verpflegung der Lebensunterhalt des Behinderten sichergestellt, ist ein Kostenbeitrag zu leisten, wenn und soweit das Einkommen des Beitragspflichtigen den eineinhalbfachen Richtsatz der Sozialhilfe für einen Alleinunterstützten zuzüglich der Mietbeihilfe übersteigt. Diese Grenze erhöht sich für jeden Angehörigen, für den der Beitragspflichtige auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung überwiegend sorgt, um den eineinhalbfachen Betrag des Richtsatzes der Sozialhilfe für einen Mitunterstützten. Das Einkommen des Behinderten selbst ist in diesen Fällen bis auf einen Betrag in der Höhe des halben Richtsatzes der Sozialhilfe für einen Alleinunterstützten zur Gänze zum Kostenersatz heranzuziehen.
(4) Der die in Abs2 und 3 bezeichneten Einkommensgrenzen übersteigende Teil des Einkommens ist je nach Art und Umfang der Maßnahme unter Bedachtnahnme auf eine zumutbare Belastung des Beitragspflichtigen ganz oder teilweise zum Kostenbeitrag heranzuziehen. Für gleichartige und regelmäßig vorkommende Maßnahmen können durch Verordnung der Landesregierung nähere Vorschriften über die Höhe des Kostenbeitrages erlassen werden.
(5) In besonderen sozialen Härtefällen kann von der Verpflichtung zur Leistung eines Kostenbeitrages ganz oder teilweise abgesehen werden, wenn durch die Leistung des Kostenbeitrages der Erfolg der Maßnahme in Frage gestellt wäre."
Das im §43 erwähnte "Gesamteinkommen" wird im §11 wie folgt definiert:
"§11. (1) Gesamteinkommen ist die Summe aller Einkünfte einer Person nach Abzug des zur Erzielung dieser Einkünfte notwendigen Aufwandes. Als Einkünfte gelten alle Bezüge in Geld oder Geldeswert einschließlich des Unterhaltsanspruches nach Maßgabe des §12 Abs1.
(2) Bei Feststellung des Gesamteinkommens bleiben außer Betracht:
1. die Familienbeihilfen nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376,
2. Bezüge aus Leistungen der Sozialhilfe und der freien Wohlfahrtspflege,
3. Einkünfte, die wegen des besonderen körperlichen Zustandes gewährt werden (Hilflosenzuschüsse, Hilflosenzulagen, Blindenbeihilfen, usw.),
4. Lehrlingsentschädigungen in der Höhe des Richtsatzes der Sozialhilfe, der für den Lehrling nach seinem Familienstand anzuwenden wäre,
5. Sonderzahlungen.
(3) Die Bestimmung des Abs2 Z1 gilt nicht für die Bemessung und Leistung von Kostenbeiträgen (§43) zu Maßnahmen, mit denen die volle Unterbringung und Verpflegung der Behinderten verbunden ist."
c) Gegen den in der vorstehenden lita zitierten Bescheid vom 18. Juni 1990 erhob der Beschwerdeführer Berufung, die die Wiener Landesregierung mit Bescheid vom 13. August 1991 abwies.
Dagegen brachte der Einschreiter Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ein. Dieser hob mit Erkenntnis vom 9. Juni 1992, B1129/91 (= VfSlg. 13052/1992) diesen (ersten) Berufungsbescheid auf, weil die Behörde das Ermittlungsverfahren in einem wesentlichen Punkt unterlassen und damit den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt hatte.
Der Verfassungsgerichtshof führte in diesem Zusammenhang aus:
"Hier hat die Behörde (die Wiener Landesregierung) das Ermittlungsverfahren in einem wesentlichen Punkt unterlassen:
Sie hat bei Feststellung des vom Beschwerdeführer bezogenen Gesamteinkommens, das der Bemessung des Kostenbeitrages zugrundegelegt wurde, auch die Familienbeihilfe hinzugerechnet. Dies ist aber nach §43 Abs3 iVm §11 Abs3 BehindertenG nur dann zulässig, wenn 'im Rahmen dieser Maßnahme durch Unterbringung und Verpflegung der Lebensunterhalt des Behinderten sichergestellt' wird. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen eine die Heranziehung der Familienbeihilfe für Sozialhilfemaßnahmen, durch die der Lebensunterhalt (einschließlich Unterbringung und Verpflegung) vollends gesichert ist, vorsehende Bestimmung keine verfassungsrechtlichen Bedenken; die Intention des Bundesgesetzgebers, der §12a FLAG erlassen hat, schließt eine solche Heranziehung nicht aus; die Familienbeihilfe ist als Betreuungshilfe gedacht, die ausschließlich für jene Person, für die sie bezahlt wird, zu verwenden ist (vgl. OGH 10.7.1991 Zl. 1 Ob 565/91). Dieser Verwendungszweck wird durch eine sozialhilferechtliche Kostenbeitragsregelung jedenfalls dann nicht unterlaufen, wenn sie den geschilderten Inhalt hat.
Dem angefochtenen Bescheid zufolge wurde der Kostenbeitrag 'für die Unterbringung im Rahmen des Vereines Wiener Sozialdienste' vorgeschrieben. Die Behörde hat sich nun im Bescheid nicht damit auseinandergesetzt (sie hat auch in dieser Hinsicht keinerlei Ermittlungsverfahren durchgeführt), ob durch diese Maßnahme dem Beschwerdeführer der Lebensunterhalt (der nicht bloß Unterkunft und Verpflegung, sondern auch andere Bedürfnisse, etwa Kleidung und weitere Anliegen umfassen kann) vollends gesichert wird. Der Beschwerdeführer 'pendelt' nämlich zur Beschäftigungstherapie tagsüber aus, sodaß nicht von vornherein feststeht, daß das erwähnte Ziel durch die Unterbringung in der Wohngemeinschaft zu erreichen ist."
d) Im zweiten Rechtsgang erließ die Wiener Landesregierung den (Ersatz-)Bescheid vom 15. Juli 1994. Sie bestätigte neuerlich den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, daß dessen Spruch wie folgt zu lauten hat:
"Herr ...(der Beschwerdeführer), vertreten durch ..., ist verpflichtet, einen Kostenbeitrag für die Unterbringung im Rahmen des Vereines Wiener Sozialdienste ab 1.1.1989 in der Höhe von mtl. S 113,--, ab 1.4.1989 in der Höhe von mtl. S 3.013,--, ab 1.1.1990 in der Höhe von mtl. S 3.233,50, ab 1.3.1990 in der Höhe von mtl. S 3.194,--, ab 1.7.1990 in der Höhe von mtl. S 3.246,--, ab 1.1.1991 in der Höhe von mtl. S 3.088,--, ab 1.2.1991 in der Höhe von mtl. S 4.546,50, ab 1.3.1991 in der Höhe von mtl. S 4.611,90 und vom 1.1.1992 bis 30.6.1992 in der Höhe von mtl. S 5.011,50 zu leisten.
Die bis zur Rechtskraft dieses Bescheides fälligen und noch nicht bezahlten Kostenbeiträge sind binnen 14 Tagen an die Magistratsabteilung 6 ... zu entrichten."
Die Wiener Landesregierung berechnete diese Kostenbeiträge derart, daß sie vom Einkommen des Beschwerdeführers (s.o. I.1.b) gemäß §43 Abs3 letzter Satz WBHG einen Betrag in der Höhe des halben Richtsatzes der Sozialhilfe für einen Alleinunterstützten abzog.
Die Behörde vertritt im Ersatzbescheid folgenden Rechtsstandpunkt:
"Wie sich insbesondere aus §12 des Wiener Sozialhilfegesetzes, LGBl. Nr. 11/1973, ergibt, ist der Begriff des 'Lebensunterhaltes' sehr vielschichtig, und umfaßt insbesondere Unterkunft, Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Beheizung, Beleuchtung, Kochfeuerung und andere persönliche Bedürfnisse.
Bei einer systematischen Betrachtungsweise des Wiener Behindertengesetzes und des Wiener Sozialhilfegesetzes fällt nun auf, daß der Landesgesetzgeber sowohl im §43 Abs3, als auch im §11 Abs3 WBHG nicht von der 'Sicherstellung des Lebensunterhaltes' schlechthin spricht, sondern ausdrücklich nur zwei Aspekte des Lebensunterhaltes anführt, nämlich die Unterbringung und die Verpflegung.
Ein weiteres Indiz dafür, daß mit der Unterbringung des Behinderten nicht alle Aspekte des Lebensunterhaltes abgedeckt werden müssen, ergibt sich aus einem Vergleich des §43 Abs3 WBHG in der Fassung vor dem 1.7.1993 und danach:
Vor dem 1.7.1993 hatte dem Behinderten ein Betrag in der Höhe des halben Richtsatzes der Sozialhilfe für einen Alleinunterstützten zu verbleiben, ab dem 1.7.1993 ein Betrag in der Höhe von 40 v. H. des Pflegegeldes der Stufe 3, wenn dem Behinderten keine Bekleidung gewährt wird.
Aus der ausdrücklichen Anführung der Bekleidung im §43 Abs3 des Wiener Behindertengesetzes in der neuen Fassung ergibt sich nun eindeutig, daß der Lebensunterhalt des Behinderten durch die Unterbringung nicht im vollem Umfang des §12 WBHG sichergestellt werden muß.
Das umso mehr, wenn man die Höhe des Freibetrages vor dem 1.7.1993 (S 2.264,--) mit dem Freibetrag nach dem 1.7.1993, wenn keine Bekleidung gewährt wird (S 2.160,--), vergleicht.
Daraus kann man eindeutig ersehen, daß nach dem Willen des Landesgesetzgebers auch der dem Behinderten vor dem 1.7.1993 zu verbleibende Freibetrag in der Höhe des halben Richtsatzes der Sozialhilfe für einen Alleinunterstützten dazu gedacht war, damit eben jene Bedürfnisse, wie etwa für Bekleidung und andere kleinere Ausgaben des täglichen Lebens, abzudecken, die durch die Unterbringung nicht sichergestellt sind."
Ausgehend von dieser Auslegung des Gesetzes (s.o. I.2.b) fährt die Behörde in der Begründung des Ersatzbescheides fort:
"Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens stellte sich nun heraus, daß Herr ...(der Beschwerdeführer) in der Zeit vom 2.1.1989 bis zum 30.6.1992 lediglich die Kosten für Bekleidung und für die Abdeckung kleinerer persönlicher Bedürfnisse, wie Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellem Leben, aus dem eigenen Einkommen bestreiten mußte. Der Verein Wiener Sozialdienste kam im Rahmen der Unterbringung in der Wohngemeinschaft und in der Trainingswohnung bis zum 30.6.1992 für folgende Aufwendungen auf: Wohnung, Essen, Reinigung (Wohnung und Wäsche), Hygieneartikel und Reinigungsmittel, Heizung, Strom, Möbel, Vorhänge, Bettzeug, Handtücher und Geschirr. Seit 15.2.1988 besuchte Herr ...(der Beschwerdeführer) überdies eine Beschäftigungstherapieeinrichtung im Rahmen der Humanisierten Arbeitsstätte in Wien 8., Pfeilgasse 3A.
Er erhielt dafür vom Verein Humanisierte Arbeitsstätte ein Taschengeld von maximal S 380,-- im Monat, zusätzlich eine monatliche Prämie von rund S 100,-- die Fahrtkostenrückvergütung und ein Mittagessen. Im Rahmen der Beschäftigungstherapie hatte er keinen finanziellen Beitrag zu leisten.
Zusammenfassend kann daher gesagt werden, daß die Unterbringung des Behinderten in der Wohngemeinschaft und in der Trainingswohnung vom 2.1.1989 bis zum 30.6.1992 sehr wohl als eine Maßnahme im Sinne des §43 Abs3 WBHG angesehen werden kann, mit der die volle Unterbringung und Verpflegung des Behinderten verbunden war."
3. Gegen den Ersatzbescheid vom 15. Juli 1994 wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
Der Beschwerdeführer macht primär geltend, daß die Behörde dem §43 Abs3 iVm §11 Abs3 WBHG einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt und sich damit in Widerspruch zu dem im ersten Rechtsgang erflossenen Erkenntnis gesetzt habe.
4. Die Wiener Landesregierung erstattete eine Gegenschrift, in der sie ihre im bekämpften Bescheid vertretene Rechtsmeinung verteidigt und begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.a) Der Verfassungsgerichtshof hat in dem im ersten Rechtsgang erflossenen Erkenntnis VfSlg. 13052/1992 (s.o. I.2.c) die (mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 28. November 1994, B205/94 wiederholte) Meinung vertreten, daß gegen eine Bestimmung, welche die Heranziehung der Familienbeihilfe für Sozialhilfemaßnahmen, durch die der Lebensunterhalt (einschließlich Unterbringung und Verpflegung) vollends gesichert ist, vorsieht, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden.
Im Fall des Beschwerdeführers habe sich die Behörde nun nicht damit auseinandergesetzt (sie habe in dieser Hinsicht auch keinerlei Ermittlungsverfahren durchgeführt), ob dem Beschwerdeführer der Lebensunterhalt (der nicht bloß Unterkunft und Verpflegung, sondern auch andere Bedürfnisse, etwa Kleidung und weitere Anliegen umfassen könne) vollends gesichert ist.
b) In dem daraufhin im zweiten Rechtsgang durchgeführten Ermittlungsverfahren hat die Behörde zwar die im ersten Rechtsgang unterlassenen Feststellungen getroffen. Sie kam zum Ergebnis, daß mit der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Wohngemeinschaft und in der Trainingswohnung die volle Unterbringung und Verpflegung verbunden gewesen seien; der Beschwerdeführer habe lediglich die Kosten für Bekleidung und für die Abdeckung kleinerer persönlicher Bedürfnisse (wie Pflege der Beziehungen zur Umwelt und die Teilnahme am kulturellen Leben) aus dem eigenen Einkommen bestreiten müssen.
Die Behörde kam aber dennoch zum Ergebnis, daß auch die Familienbeihilfe als Einkommensbestandteil anzusehen sei, weil nach dem Gesetz nur die Unterbringung und Verpflegung gesichert sein müsse, nicht aber auch sonstige Aspekte des Lebensunterhaltes.
c) Mit dieser Meinung setzt sich die Behörde im Ersatzbescheid in Widerspruch zur Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes, die dieser im ersten Rechtsgang mit Erkenntnis VfSlg. 13052/1992 geäußert hat. Wenngleich eine Wortinterpretation die von der Behörde vertretene Meinung nicht ausschließt, verbietet sie sich bei Beachtung des Grundsatzes, daß Gesetze im Zweifel verfassungskonform zu interpretieren sind. Aus dem zitierten Erkenntnis ergibt sich, daß §43 Abs3 iVm §11 Abs3 WBHG dann verfassungswidrig wäre, wenn diese sozialhilferechtliche Kostenbeitragsregelung den von der Behörde angenommenen Inhalt hätte, weil dann nämlich die Intention des §12a FLAG (wonach die Familienbeihilfe eben nicht als eigenes Einkommen des Kindes gilt und dessen Unterhaltsanspruch nicht mindert) unterlaufen und damit das Berücksichtigungsgebot (vgl. VfSlg. 8831/1980, S 426; 10292/1984, S 762 ff.; 10306/1984, S 817 f.) mißachtet würde.
Die Formulierung der erwähnten Regelung des WBHG erlaubt aber eine andere - verfassungskonforme - Auslegung:
§43 Abs3 WBHG regelt den Fall, daß "im Rahmen einer Maßnahme durch Unterbringung und Verpflegung der Lebensunterhalt des Behinderten sichergestellt wird". Das bedeutet, daß es sich zum einen um eine solche "Maßnahme" i.S. des §43 Abs1 handeln muß, die mit der Unterbringung und Verpflegung des Behinderten verbunden ist; zum anderen, daß diese Maßnahme dessen Lebensunterhalt (s. §12 des Wiener Sozialhilfegesetzes, LGBl. 11/1973) vollends sicherstellt.
Der Umstand, daß der letzte Satz des §43 Abs3 WBHG in der hier maßgebenden (Stamm-)Fassung in der Folge durch die Novelle LGBl. 42/1993 geändert wurde, ändert an dieser Auslegung nichts, zumal bisher der Inhalt und die Verfassungsmäßigkeit des §43 Abs3 WBHG nF vom Verfassungsgerichtshof nicht erörtert wurden.
d) Die Wiener Landesregierung hat sohin gegen §87 Abs2 VerfGG verstoßen, aus dem sich die Verpflichtung der Behörde ergibt, bei unveränderter Rechtslage dem Ersatzbescheid die vom Verfassungsgerichtshof im ersten Rechtsgang geäußerte Rechtsanschauung zugrundezulegen.
Ein Verstoß gegen §87 Abs2 VerfGG bedeutet nicht nur die Verletzung einer einfachgesetzlichen Bestimmung. Wenn die Behörde bei der Erlassung des Ersatzbescheides von der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes abgeht, ohne hiezu durch eine seither eingetretene Änderung der Rechtslage befugt zu sein, begeht sie eine Verletzung desselben verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes wie mit dem Bescheid, dessen Aufhebung zur Erlassung des Ersatzbescheides führte (VfSlg. 6043/1969, 6869/1972, 8397/1978, 8571/1979, 10220/1984, 11052/1986, 13375/1993).
Aus all dem folgt, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Ersatzbescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt wurde.
Der Bescheid war sohin aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000 enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
Behinderte, Familienlastenausgleich, Kompetenz Bund - Länder, Bindung (der Verwaltungsbehörden an VfGH), VfGH / Prüfungsmaßstab, Auslegung verfassungskonforme, ErsatzbescheidEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1996:B1867.1994Dokumentnummer
JFT_10039774_94B01867_00