TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/29 W204 2162672-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.04.2020
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Entscheidungsdatum

29.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
COVID-19-VwBG §5
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W204 2162672-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX A XXXX , geb. am XXXX .1996, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Dr. Herbert POCHIESER, Rechtsanwalt in 1070 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.06.2017, Zl. 1073079008 - 150650156/BMI-BFA_STM_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt IV. zu lauten hat:

"Gemäß § 55 Absatz 1 und 2 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung, frühestens jedoch ab dem 01.05.2020 beziehungsweise ab dem vom Bundeskanzler gemäß § 5 Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes, BGBl I. Nr. 16/2020, im Verordnungsweg festgelegten abweichenden Datum."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 10.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am 12.06.2015 wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion niederschriftlich erstbefragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, die Taliban hätten ihm den Schulbesuch untersagt und ihn durch einen Säureangriff am Kopf verletzt.

I.3. In einem vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 17.07.2015 wurde auf Grundlage einer am selben Tag durchgeführten multifaktoriellen Untersuchung zur Altersdiagnose festgehalten, dass der BF zum Zeitpunkt der Antragstellung ein Mindestalter von 18,5 Jahren aufwies.

I.4. Am 01.06.2017 wurde der BF von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin des BFA in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, dass ihm die Taliban den Schulbesuch verboten hätten. Nachdem er zwei Mal von den Taliban bedroht worden sei, hätten sie ihn beim Verlassen des Schulgebäudes mit Säure attackiert, wovon er eine Wunde am Hinterkopf davongetragen habe.

I.5. Mit Bescheid vom 01.06.2017, dem BF am 09.06.2017 durch Hinterlegung zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die Behörde aus, dass es dem BF nicht gelungen sei, seine Aussage glaubhaft zu machen, weswegen ihm der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden könne. Aus dem Vorbringen des BF und der allgemeinen Situation lasse sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine unmenschliche Behandlung oder eine im gesamten Herkunftsstaat vorliegende extreme Gefährdungslage erkennen. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr des BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen werde, weswegen eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

I.6. Mit Verfahrensanordnung vom 06.06.2017 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.7. Am 21.06.2017 erhob der BF durch seinen (damaligen) Vertreter Beschwerde in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften und beantragte, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, dem BF Asyl zuzuerkennen, in eventu ihm subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu die gegen den BF gefällte Rückkehrentscheidung aufzuheben, in eventu die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung aufzuheben, in eventu einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, in eventu den Bescheid zu beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, das BFA habe es unterlassen, auf das individuelle Vorbringen des BF einzugehen, und die Gesamtbeurteilung anhand aller verfügbarer herkunftsstaatspezifischer Informationen verabsäumt. Eine weitere inhaltliche Begründung folge "so bald wie möglich" in einer Beschwerdeergänzung.

I.8. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 22.06.2017 vorgelegt.

I.9. Am 27.06.2017 brachte der BF durch seinen (damaligen) Vertreter eine Beschwerdeergänzung ein, in der auf die bisherigen Angaben des BF verwiesen wurde. Aus diesen ergebe sich entgegen der Ansicht des BFA, dass dem BF in seiner Heimat eine asylrelevante Verfolgung drohe. Zudem habe sich die Sicherheitslage seit Ende 2014 massiv verschlechtert, weswegen ihm auch eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht offenstehe. Für die in Kabul lebende Schwester des BF stelle schon die finanzielle Unterstützung der Mutter eine große Bürde dar. Es sei ihr nicht zuzumuten, auch noch den BF finanziell zu unterstützen. Zudem habe er keinen Kontakt zu Schwester und Mutter. Der BF verfüge nur über fünf beziehungsweise sechs Jahre Schulbildung und keine Fachausbildung, die es ihm erleichtern würde, sich ein sicheres Einkommen zu erwirtschaften, was ebenfalls gegen eine innerstaatliche Fluchtalternative spreche.

I.10. Am 19.07.2019 brachte der im Spruch genannte Vertreter des BF eine Stellungnahme zu den Länderinformationen ein, in denen er anführte, dass die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin volatil und unsicher sei. Die Anzahl ziviler Opfer sei rasant gestiegen, die Situation für Rückkehrer schwierig und auch die vom Bundesverwaltungsgericht übermittelten UNHCR-Richtlinien zeigten deutlich, welch enormer Gefahr Zivilpersonen in Afghanistan unabhängig von jedweden Verfolgungsgründen in Afghanistan ausgesetzt seien. Auch Kabul sei als innerstaatliche Fluchtalternative nicht sicher, ebenso wenig wie Herat und Mazar-e-Sharif. Zudem sei der BF schon gut integriert und habe eine sehr gute Bindung zur österreichischen Gesellschaft, wie sich aus den mit der Stellungnahme vorgelegten Unterlagen ergebe.

I.11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 22.07.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und sein Vertreter teilnahmen. Das BFA verzichtete auf die Teilnahme an einer Verhandlung. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ausführlich befragt.

1.12. Am 17.12.2019 nahm der BF zu den zuvor übermittelten aktuellen Länderberichten Stellung und verwies im Wesentlichen auf die in der mündlichen Verhandlung am 22.07.2019 gemachten Ausführungen. Zusätzlich führte er an, es sei ihm auch als jungem, gesundem und erwerbsfähigem Mann eine innerstaatliche Fluchtalternative unzumutbar.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

- Einsicht in den den BF betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

- Befragung des BF im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 22.07.2019;

- Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die vom BF vorgelegten Unterlagen;

- Einsicht in das ZMR, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zum BF und seinen Fluchtgründen:

Die Identität des BF steht mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsnachweise nicht fest. Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Moslem und stammt aus der Stadt Ghazni, Tauhid Abad. Die Muttersprache des BF ist Dari, in der er Lesen und Schreiben kann. Außerdem beherrscht der BF Farsi und verfügt über Grundkenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift.

Der BF ist bei seiner Familie in Ghazni Stadt aufgewachsen. Sein Vater transportierte Waren mit einer Schubkarre und konnte so die Familie ernähren; seine Mutter war Hausfrau. Der BF hat mindestens sechs Jahre lang die Schule im Heimatdorf besucht und lernte dort Lesen und Schreiben. Nachdem der Vater des BF bei einer Explosion beide Beine verlor und invalid wurde, sorgte der BF für den Unterhalt der Familie, indem er im Alter von 15 Jahren die Schule abbrach und die Arbeitstätigkeit seines Vaters übernahm. Bereits zuvor hatte der BF diese Tätigkeit neben seinem Schulbesuch für etwa ein bis zwei Jahre verrichtet. Der BF hat zwei jüngere Brüder und eine ältere Schwester, die verheiratet ist und in Kabul lebt. Deren Ehemann transportiert ebenfalls Waren und ernährt neben seiner eigenen Familie auch die Mutter des BF und die beiden jüngeren Brüder, die nach dem Tod des Vaters zur Schwester des BF gezogen sind. Der BF steht in Kontakt mit diesen Verwandten.

Der Vater des BF ist ebenso wie eine Schwester des BF verstorben. Während die Schwester an einer Krebserkrankung verstarb, kann die Todesursache des Vaters nicht festgestellt werden.

Der BF konnte durch seine Berufstätigkeiten in Afghanistan seine Familie versorgen und überdies mit Unterstützung seiner weiteren Familie eine Summe in Höhe von USD 6.000 ansparen, mit der er die Kosten für seine Reise bis nach Österreich begleichen konnte. Er verließ sein Heimatland als bereits 18-Jähriger nicht schlepperunterstützt, sondern organisierte sich die Reise nach Europa selbst. Der BF verfügt derzeit über kein Vermögen im Heimatland.

Der BF erlitt zu einem nicht bestimmbaren Zeitpunkt eine Verletzung, wovon er noch eine sichtbare Narbe am Hinterkopf hat. Es kann nicht festgestellt werden, dass diese Verletzung von einem Säureanschlag der Taliban auf seine Schule resultiert. Der BF hat Afghanistan nicht wegen einer gegen ihn persönlich gerichteten Bedrohung durch die Taliban verlassen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF von den Taliban gesucht, bedroht oder verfolgt wurde, weil er der Polizei gemeldet hat, dass die Taliban eine Straße vermint haben. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der Vater des BF von den Taliban entführt, misshandelt und zu Tode geschlagen wurde, weil diese nach dem BF suchten.

Der BF besucht im Bundesgebiet aufgrund einer Einladung von Bekannten eine Kirche. Der BF ist weder konvertiert noch zeigt er ein Interesse am christlichen Glauben.

Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Gefahr vor persönlich gegen ihn gerichteten Übergriffen oder einer sonstigen Verfolgung.

Der BF kann sich bei einer Rückkehr in Bamyan, Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif ansiedeln. Der BF wird dort bei einer Rückkehr von seiner Familie finanziell und durch Aufnahme in den Haushalt in Kabul sowie von seinem großen Freundeskreis organisatorisch bei der Suche von Arbeit und Unterkunft unterstützt werden. Dadurch sind auch seine grundlegende Versorgung (Trinkwasser, sanitäre Infrastruktur, Gesundheitsversorgung) und seine Lebensgrundlage gesichert. Aufgrund der Schulbildung, Berufs- und Reiseerfahrung ist es dem BF auch möglich, am dortigen Arbeitsmarkt teilzunehmen und seinen Lebensunterhalt dadurch zu bestreiten. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF in Bamyan, Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif einer realen Gefahr des Todes oder der Folter beziehungsweise der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt wäre oder die bloße Anwesenheit in Bamyan, Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif ihn wegen der dortigen Lage einer integritäts- oder lebensbedrohlichen Situation aussetzen würde. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Bamyan, Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht im Stande wäre, für ein ausreichendes Auskommen zur Sicherung seiner Grundbedürfnisse zu sorgen. Er läuft nicht Gefahr, in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF besuchte in Österreich Deutschkurse bis zum Niveau A2 und kann sich entsprechend auf Deutsch verständigen. Er besuchte den gemäß § 5 IntG vorgeschriebenen Kurs "Deutschkurs Alphabetisierung" und einen Werte und Orientierungskurs. Derzeit besucht er das XXXX college einer Basisbildungseinrichtung in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik. Dort erlernte er, auf Deutsch zu lesen und schreiben.

Für die Dauer von 6 Wochen im Jahr 2017 leistete der BF Unterstützungsarbeit durch die Reinigung der Sporthalle für seine damalige Wohngemeinde und verrichtete darüber hinaus noch mehrere Monate Reinigungsarbeiten für die Gemeinde. Zusätzlich half er bei der Instandhaltung seiner Asylunterkunft mit, half Weinbauern bei der Frostschadenvorsorge, unterstützte einen Pferdebauern nach dessen Operation bei den Stallarbeiten und eine Eigentümergemeinschaft beim Winterdienst.

Der BF ist kein Mitglied in einem Verein. In seiner Freizeit trifft sich der BF mit seinen Freunden und betreibt Sport. Von Zeit zu Zeit leistet er auch älteren Menschen anlassbezogene Hilfe. Zu seinem Freundeskreis zählen Österreicher und Afghanen, die der BF alle im Flüchtlingsheim kennengelernt hat. Seine afghanischen Freunde stammen aus Herat, Mazar-e Sharif, Kabul und Ghazni. Der BF nutzt aktiv moderne Kommunikationsmittel und verfügt über ein großes soziales Netzwerk auch im Heimatland. Er hat 800 "Freunde" auf Facebook.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland:

Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB 13.11.2019, S. 12).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, S. 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019, S. 18ff).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19).

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

Taliban: Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

Haqani-Netzwerk: Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, S. 27).

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz: Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, S. 27f).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Al-Qaida: Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Sicherheitsbehörden:

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).

Ghazni:

Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken. Im Jahr 2019 leben ca. 1.338.597 Menschen in Ghazni.

Ghazni gehörte im Mai 2019 zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben.

Die Anzahl der zivilen Opfer ist seit 2017 stark angestiegen. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Luftangriffen und gezielten oder vorsätzlichen Morden. In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen, Luftangriffen und Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 87ff).

Kabul:

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 (LIB 13.11.2109, S. 36). Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB 13.11.2109, S. 38).

Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB 13.11.2109, S. 37; S. 237).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 38ff).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB 13.11.219, S. 41).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-) Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB 13.11.2109, S. 335f).

Alle Distrikte Kabuls sind unter der Kontrolle der Regierung oder unbestimmt (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 101).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war in den letzten Jahren das Zentrum dieses Wachstums. Schätzungsweise 70% der Bevölkerung Kabuls leben in informellen Siedlungen (Slums), welche den meisten Einwohnern der Stadt preiswerte Wohnmöglichkeiten bieten. (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Die Gehälter in Kabul sind in der Regel höher als in anderen Provinzen (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Das Hunger-Frühwarnsystem (FEWS) stufte Kabul im Dezember 2018 als "gestresst" ein, was bedeutet, dass Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch aufweisen und nicht in der Lage sind sich wesentliche, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Schätzungen zufolge haben 32% der Bevölkerung Kabuls Zugang zu fließendem Wasser und nur 10% der Einwohner erhalten Trinkwasser. Diejenigen, die es sich leisten können, bohren ihre eigenen Brunnen. Viele arme Einwohner von Kabul sind auf öffentliche Zapfstellen angewiesen, die oft weit von ihren Häusern entfernt sind. Der Großteil der gemeinsamen Wasserstellen und Brunnen in der Hauptstadt ist durch häusliches und industrielles Abwasser verseucht, das in den Kabul-Fluss eingeleitet wird, was ernste gesundheitliche Bedenken aufwirft. Fast die Hälfte der Bevölkerung in Kabul verfügt über sanitäre Grundversorgung (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Kabul besteht Zugang zu öffentlichen und privaten Gesundheitsdiensten. Nach verschiedenen Quellen gibt es in Kabul ein oder zwei öffentliche psychiatrische Kliniken (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Balkh, Mazar-e Sharif:

Die Provinzhauptstadt von Balkh ist Mazar-e Sharif. Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistan und ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Es leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 61).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit nicht Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, S. 62). Im Jahr 2018 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 63). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO - Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89; S. 92f).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen. Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 61; S. 336).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB 13.11.2019, S. 347).

Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population leben in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat:

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 105). Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 106). Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 108f).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB 13.11.2019, S. 336).

Bamyan:

Die Provinz Bamyan grenzt im Norden an Samangan, im Osten an Baghlan, Parwan und (Maidan) Wardak, im Süden an Ghazni und Daykundi und im Westen an Sar-e Pul und Ghor. Sie ist in sieben Distrikte unterteilt: Bamyan, Kahmard, Panjab, Saighan, Shebar, Waras und Yakawlang. Darüber hinaus existiert noch der "temporäre" Distrikt Yakawlang zwei. Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistans (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 486.928 Personen in Bamyan (CSO 2019). Bamyan gilt als die "inoffizielle Hazara-Hauptstadt" Afghanistans und ist Teil des sogenannten Hazarajat. Nach den Hazara sind Tadschiken und Paschtunen die zweit- und drittgrößte ethnische Gruppe in Bamyan. Etwa 90% der Bewohner von Bamyan sind Schiiten (LIB 13.11.2019, S. 66).

Der Linienverkehr zum und vom Flughafen Bamyan wurde im Januar 2018 eingestellt, nachdem die einzige Fluggesellschaft, die diese Strecke anfliegt, bei einem Angriff auf ein Hotel in Kabul mehrere Mitarbeiter verloren hat. Mit Stand Februar 2019 war der Betrieb wieder aufrecht. Bamyan kann von Kabul aus entweder über die Autobahn Kabul-Bamyan, über die Provinz (Maidan) Wardak oder über Parwan erreicht werden (LIB 13.11.2019, S. 66).

Die Provinz Bamyan zählt zu den relativ friedlichen Provinzen in Zentralafghanistan. Jedoch wurde im Juli 2018 von einem Angriff der Taliban-Aufständische auf mehrere Polizeikontrollstellen im Distrikt Kahmard berichtet. Nichtsdestotrotz, hatten die Taliban mit Stand November 2018 keinen Einfluss in Bamyan. Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA in Bamyan sieben zivile Opfer (ein Todesopfer, sechs Verletzte). Dies entspricht einer Steigerung von 75% gegenüber 2017. Hauptursache waren nicht explodierte Kampfmittel (unexploded ordnances, UXOs) bzw. Landminen, gefolgt von Kämpfen und Drohungen bzw. Einschüchterungen und Belästigungen. UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 acht in der Provinz Bamyan vertriebene Personen, die aus der Provinz selbst stammten. Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA keine durch gewaltsamen Konflikt vertriebene Personen aus oder in die Provinz Bamyan. Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 3.091 Vertriebene in die Provinz Bamyan, die hauptsächlich aus anderen Provinzen stammten (LIB 13.11.2019, S. 67f).

Bewegungsfreiheit

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB 13.11.2019, S. 327).

Meldewesen

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, S. 328).

Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, S. 264).

Korruption:

Die Korruption ist in Afghanistan sehr hoch. Es bestehen zwar strafrechtliche Sanktionen gegen Korruption, diese werden jedoch nicht effektiv umgesetzt. Korruption findet in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens statt, unter anderem in der Justiz, bei der Beschaffung von Gütern, bei Staatseinnahmen und bei der Bereitstellung von Leistungen des Staates (LIB 13.11.2019, S. 254f).

Medizinische Versorgung:

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB 13.11.2019, S. 344).

Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, S. 345).

Wirtschaft

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB 13.11.2019, S. 333).

Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 334f).

In Kabul und im Umland sowie in Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Die Lebenshaltungskosten sind für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul höher als In ländlichen Gebieten (LIB 13.11.2019, S. 359).

Rückkehrer:

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, S. 353).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, S. 354).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, S. 354).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, S. 355).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, S. 355).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB 13.11.2019, S. 355).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, S. 356).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, S. 356).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 13.11.2019, S. 362).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben zwischen 32-35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Pashtunen, rund 27-30% Tadschiken, ca. 9-10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB 13.11.2019, S. 287f).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung aus. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind die schiitische Konfession (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) und ihre ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (LIB 13.11.2019, S. 290f).

Ihre Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Es bestehen keine sozialen oder politischen Stammesstrukturen (LIB 13.11.2019, S. 292).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB 13.11.2019, S. 291f).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, dies steht im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - halten an (LIB 13.11.2019, S. 292).

Religionen:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80-89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 13.11.2019, S. 277).

Sunniten sind allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

Schiiten

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10-19% geschätzt. Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten). 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten, die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit ist zurückgegangen (LIB 13.11.2019, S. 279).

Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen. Einige schiitische Muslime bekleiden höhere Regierungsposten. Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25-30%. Des Weiteren tagen rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, regelmäßig, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (LIB 13.11.2019, S. 280).

Christen - Konvertiten:

Ausländische Christen und die wenigen Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. (LIB 13.11.2019, S. 281).

Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum der Abtrünnigen konfiszieren und deren Erbrecht einschränken. Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden. Missionierung sind illegal. Die öffentliche Meinung stehe Christen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (LIB 13.11.2019, S. 281f).

Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es laut Johns Hopkins University mit Stand 28.04.2020, 17:00 Uhr, 15.357 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen mit 569 Todesfällen; in Afghanistan wurden zu diesem Zeitpunkt 1.828 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 58 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (coronavirus.jhu.edu/map.html).

Die Wahrscheinlichkeit von schweren Erkrankungen und Todesfällen steigt bei Personen über 65 Jahren und bei Personen mit definierten Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronischen Atemwegserkrankungen, geschwächtem Immunstatus, Krebs und Fettleibigkeit deutlich an. Diese Risikogruppen sind bis heute für die Mehrheit der schweren Erkrankungen und Todesfälle verantwortlich. Nach der Infektion gibt es aktuell (noch) keine spezifische Behandlung für COVID-19, jedoch kann eine frühzeitige unterstützende Therapie, sofern die Gesundheitsfürsorge dazu in der Lage ist, die Ergebnisse verbessern. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Krankheitsverlauf des COVID-19, sofern es durch das Coronavirus ausgelöst wurde, für die Allgemeinbevölkerung als mild bis moderate Atemwegserkrankung, für ältere Menschen mit definierten Risikofaktoren jedoch als gravierend bis tödlich eingeschätzt wird (s. www.who.int/health topics/coronavirus). Sowohl in Kabul als auch in der nah der iranischen Grenze gelegenen Stadt Herat gelten inzwischen Ausgangssperren, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen (vgl. NZZ 07.04.2020; BBC 09.04.2020). Zudem erfolgen große Rückkehrbewegungen aus Iran und Pakistan, wobei die afghanischen Behörden um das Erlangen der Kontrolle an den seit jeher durchlässigen und oft chaotischen Grenzübergängen (zu den beiden Ländern Pakistan und Iran) bemüht sind (BBC 09.04.2020).

II.2. Beweiswürdigung

II.2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

II.2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zur Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit des BF legte bereits das BFA aufgrund der glaubhaften Angaben des BF seiner Entscheidung zugrunde. Da der BF diese anlässlich der Beschwerdeverhandlung noch einmal bestätigte (S. 4 VP), besteht daran für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund zu zweifeln. Die Identität des BF kann mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.

Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen und seiner Herkunftsprovinz, seiner Familie - insbesondere seinen Eltern und Geschwistern - sowie seiner Berufserfahrung beruhen auf seinen während des ganzen Verfahrens gleichbleibenden Angaben (AS 7, 103ff, S. 5ff VP). Dem BF wird zu seinen Gunsten mit dem BFA aufgrund seiner Ortskenntnisse auch seine Herkunft aus Ghazni geglaubt, auch wenn festzuhalten ist, dass die Angaben zum dortigen Schulbesuch grob widersprüchlich waren (siehe unten) und der BF auf seinem Facebook-Profil überhaupt vermerkt hat, aus Kabul zu stammen, wo seine Schwester verheiratet ist und wo (mittlerweile) auch seine Mutter mit den beiden Brüdern hingezogen sein soll.

Da der BF stets gleichbleibende Angaben zu seinen Tätigkeiten als Lieferant und Transporteur von Waren mittels Schubkarre erstattete, werden ihm auch diese geglaubt, sodass eine entsprechende Feststellung erfolgen konnte. Es ist im Übrigen auch durchaus lebensnahe, dass der BF seit dem Vorfall, bei dem sein Vater seine Beine verlor, als ältester Sohn die Familie ernähren und daher den Schulbesuch abbrechen musste und seitdem (also seit seinem 15. Lebensjahr) für die von ihm angegebenen drei bis vier Jahre bis zur Ausreise derart berufstätig war (AS 105) und den Beruf seines Vaters, den er auch zuvor bereits wiederholt ausgeübt hatte, übernahm. Zwar sagte der BF ebenfalls das ganze Verfahren über aus (AS 105, S. 8 VP), dass er die Kosten für seine Flucht und Reise nach Europa in Höhe von USD 6.000 (AS 11) durch seine eigenen Ersparnisse, die er neben der Versorgung seiner Familie erwirtschaften konnte, beglich. Gleichermaßen betonte er aber auch, dass die wirtschaftliche Lage sehr schlecht gewesen sei (AS 9) und es immer nur irgendwie gereicht habe (AS 103). Folglich lassen sich seine Aussagen nicht vereinen, weshalb aufgrund des niedrigen Einkommens derartiger Berufe in Afghanistan und der Höhe des vom BF genannten Betrages davon auszugehen ist, dass die Flucht des BF von seiner weiteren Familie entsprechend finanziell unterstützt worden ist.

II.2.3. Dass der BF die Schule besuchte und dort Schreiben und Lesen lernte, sagte er ebenfalls das ganze Verfahren über gleichbleibend aus, weshalb eine entsprechende Feststellung erfolgen konnte. Hingegen waren seine Angaben zur Dauer seines Schulbesuchs und zum Verlassen der Schule wie auch dem angeblichen Säureangriff der Taliban auf die Schule derart kontrovers, dass dazu die obigen Feststellungen zu treffen waren. So gab der BF in der Erstbefragung an, er sei im Jahr 1998 geboren worden und habe die Schule nur vier Jahre lang besucht (AS 3), während er in der Einvernahme - nach erfolgter Altersfeststellung, wonach er spätestens im XXXX 1996 geboren worden ist - wie auch in der Beschwerdeverhandlung behauptete, er habe die Schule fünf oder sechs Jahre lang besucht (AS 103, S. 5 VP). Dieser Widerspruch lässt sich noch mit dem festgestellten neuen Geburtsdatum und der damit notwendigen Anpassung der Fluchtgeschichte des BF erklären. Folglich waren zur Dauer des Schulbesuches seine Aussagen nach der Altersfeststellung als relevant zu berücksichtigen.

Allerdings sind auch die weiteren Angaben des BF derart widersprüchlich, dass seine Glaubwürdigkeit darunter massiv leidet, weil der BF ansonsten durchaus in der Lage war, nachvollziehbare und gleichbleibende Antworten zu tätigen. Die Aussage, wonach der BF fünf bis sechs Jahre in der Schule gewesen sei, wiederholte er zwar auch vor dem Bundesverwaltungsgericht, er gab jedoch gleichzeitig an, dass er bereits mit sieben oder acht Jahren zur Schule gegangen sei und diese mit ca. 15 Jahren verlassen habe (S. 5 VP). Diese Zeitangaben sind nicht miteinander in Einklang zu bringen. So wäre der BF - selbst wenn man zu seinen Gunsten davon ausginge, er hätte ab einem Alter von acht Jahren die Schule sechs Jahre lang besucht - beim Verlassen der Schule erst 14 und nicht 15 Jahre alt gewesen. Demzufolge wäre der BF jedoch keinesfalls sechs Monate vor der Ausreise und mit ca. 16 Jahren zuletzt in der Schule gewesen (AS 106), sondern unter Zugrundelegung seiner eigenen Angaben in der Beschwerdeverhandlung, wonach er zum Zeitpunkt seiner Ausreise 17 Jahre alt gewesen sei (S. 4, 10 VP), bereits zwei Jahre vor seiner Ausreise nicht mehr zur Schule gegangen. In weiterer Folge führte der BF wiederum im Widerspruch zum Vorbringen vor dem BFA an, er sei ein Jahr vor seiner Ausreise schon nicht mehr in die Schule gegangen (S. 10 VP).

Damit erneut nicht in Einklang zu bringen, ist seine unmittelbar daran anschließende Aussage, der Säureangriff der Taliban auf die Schule habe sich sechs bis sieben Monate vor seiner Ausreise zugetragen, als er BF noch in die Schule gegangen sei. Zu diesem Zeitpunkt sei er 151/2 bis 16 Jahre alt gewesen (S. 11 VP). Dies entspricht zwar erneut seinen Angaben vor dem BFA, wonach der Säureangriff der Taliban auf die Schule, bei dem auch er verletzt worden sei, sechs Monate vor seiner Ausreise - folglich im Jahr 2014 (AS 9: Ausreise war ca. Ende April 2015) - stattgefunden habe (AS 106), ist aber keineswegs vereinbar mit s

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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