TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/13 W209 1415011-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.05.2020
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Entscheidungsdatum

13.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs2
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W209 1415011-3/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.06.2019, Zl. 791149507-180617720, betreffend Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen, Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, Erlassung einer Rückkehrentscheidung, Versagung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und Feststellung, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig ist, sowie Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und die Spruchpunkte I. bis VI. und VIII. des angefochtenen Bescheids werden ersatzlos behoben.

II. Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheids wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 28.08.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsverlängerung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 04.08.2020 erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in Österreich ein und stellte am 21.09.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid vom 04.08.2010 wies das Bundesasylamt (BAA) den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich des begehrten Status des Asylberechtigten ab, aber erkannte dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung, die seither regelmäßig verlängert wurde, zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 23.09.2016 bis zum 04.08.2018.

3. Der BF wurde mit Urteilen des Landesgerichts für Strafsachen Wien zu Zl. 163 HV 105/2013a vom 23.04.2014 (rechtskräftig seit 28.04.2014), zu Zl. 042 HV 57/2017h vom 24.04.2018 (rechtskräftig seit 24.04.2018), zu Zl. 062 HV 22/2019m vom 10.04.2019 (rechtskräftig seit 10.04.2019) und zu Zl. 054 HV 41/2019x vom 29.04.2019 (rechtskräftig seit 03.05.2019) sowie des BG Josefstadt zu Zl. 015 U 126/2015f vom 16.07.2015 (rechtskräftig seit 27.08.2015), teils bedingt, wegen diverser Vergehen nach dem SMG und StGB zu Freiheitsstrafen verurteilt.

4. Am 25.03.2019 wurde der BF vom BFA zur Prüfung der Einleitung eines Aberkennungsverfahrens einvernommen. Dabei gab der BF im Wesentlichen an, seine Familie lebe nach wie vor in seinem Heimatdorf und stehe in einer (nicht näher konkretisierten) Feindschaft mit anderen Dorfbewohnern. Da sein Vater alt sei, laufe er im Falle einer Rückkehr Gefahr, wegen dieser Feindschaft getötet zu werden.

5. Mit Bescheid vom 04.06.2019, Zl. 791149507-180617720, wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise des BF gesetzt (Spruchpunkt VI.), der Antrag des BF vom 28.08.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen (Spruchpunkt VII.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 1 FPG ein auf 6 Jahren befristetes Einreiseverbot gegen den BF erlassen (Spruchpunkt VIII.).

6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, mit Schreiben vom 30.08.2017 fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde. Inhaltlich wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Gründe, die zur damaligen Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, lägen weiterhin vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist sunnitisch muslimischen Glaubens. Seine Muttersprache ist Dari.

Der BF wurde in der afghanischen Provinz Maidan Wardak, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren und wuchs dort bei seiner Familie auf. Die Angehörigen des BF - seine Ehefrau, seine Eltern, eine Schwester, ein jüngerer Bruder sowie je ein Onkel väterlicher- bzw. mütterlicherseits - leben nach wie vor im Heimatdorf. Der BF hat keine Kinder. Er steht mit seiner Familie nicht in Kontakt.

Der BF hat in seinem Heimatdorf drei Jahre lang die Schule besucht. Er hat außerdem im Speditionsbetrieb seines Vaters gearbeitet. Die Familie lebte bisher vom Unternehmen des Vaters, bestehend aus zwei LKWs und zwei Fahrern.

Der BF hat Afghanistan im Alter von etwa 14 Jahren verlassen.

Er reiste im September 2009 illegal in Österreich ein und stellte am 21.09.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid vom 04.08.2010 wies das BAA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich des begehrten Status des Asylberechtigten mangels Glaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens, erkannte dem BF jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu, wobei es begründend die damalige Lage in seinem Herkunftsstaat und die Minderjährigkeit des BF anführte. Seither hielt sich der BF aufgrund einer befristeten, regelmäßig verlängerten, Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet auf.

Der BF hat in Österreich vom Besuch von Deutschkursen abgesehen keine weitere Ausbildung absolviert, ist bisher keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen und hat auch nicht freiwillig gearbeitet.

Der BF ist gesund.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 23.04.2014 wurde der BF aufgrund der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, einerseits nach § 27 Abs. 1 Z. 1, erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG, anderseits nach § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall und Abs. 3 SMG, zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Bezirksgerichts Josefstadt vom 16.07.2015 wurde der BF aufgrund des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z. 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 24.04.2018 wurde der BF aufgrund der Vergehen der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs. 1 und 2 Z. 1 und 2 StGB sowie der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs. 1 und 2 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10.04.2019 wurde der BF aufgrund der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften, einerseits nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG, anderseits nach § 27 Abs. 1 Z. 1 achter Fall SMG, sowie des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 29.04.2019 wurde der BF aufgrund der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 1 erster Fall StGB sowie des betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs nach § 148a Abs. 1 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe (zum Urteil vom 10.04.2019) von zwei Monaten verurteilt.

Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des BF und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in der Herkunftsprovinz Maidan Wardak sowie in den Städten Herat und Mazar-e Sharif, konnte nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, wesentlich und nachhaltig verändert haben.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),

- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO),

- ecoi.net Themendossier zu Afghanistan: "Sicherheitslage und die soziökonomische Lage in Herat und in Masar-e Scharif" vom 15.01.2020 (ECOI) und

- EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Feber 2018 (EASO Netzwerke)

1.2.1 Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen anderen gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.2.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig, um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

Der durchschnittliche Lohn beträgt in etwa 300 Afghani (ca. USD 4,3) für Hilfsarbeiter, während gelernte Kräfte bis zu 1.000 Afghani (ca. USD 14,5) pro Tag verdienen können (EASO Netzwerke, Kapitel 4.1).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bieten die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Netzwerke, Kapital 4.2.).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.2.3. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie macht etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul ist sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der ANA und der ANP repräsentiert. Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt (LIB, Kapitel 17.2).

1.2.4. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 16).

1.2.5. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.2.6. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

1.2.7. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer "feindlicher" Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer "Verurteilung" durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich "feindseligen" Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)

Haqani-Netzwerk:

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB, Kapitel 2).

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz:

Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB, Kapitel 2).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB, Kapitel 2).

Al-Qaida:

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB, Kapitel 2).

1.2.8. Provinzen und Städte

Herkunftsprovinz (Maidan) Wardak

Die Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) liegt im zentralen Teil Afghanistans. Sie besteht aus Tadschiken, Paschtunen und Hazara. Die Provinz hat 648.866 Einwohner (LIB, Kapitel 3.33).

Die Sicherheitslage in der Provinz Maidan Wardak hat sich in den letzten Monaten verschlechtert. Aufständische der Taliban sind in gewissen Distrikten aktiv und führen terroristische Aktivitäten aus. In der Provinz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen. Bei diesen werden manchmal Aufständische getötet oder Gefangene der Taliban befreit. Die Taliban griffen Kontrollpunkte der Sicherheitskräfte an und es kam zu Gefechten mit den Regierungstruppen. Bei manchen sicherheitsrelevanten Vorfällen kamen auch Zivilisten zu Schaden. Im Jahr 2018 gab es 224 zivile Opfer (88 Tote und 136 Verletzte) in der Provinz Wardak. Dies entspricht einer Steigerung von 170% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für zivile Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Selbstmordanschlägen und Sprengstoffanschlägen (LIB, Kapitel 3.33).

In der Provinz (Maidan) Wardak kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die Städte Herat und Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen. Sie hat 556.205 Einwohner (LIB, Kapitel 3.13).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet, wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten auszuüben. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 21).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch "stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1.).

1.2.9. Situation für Rückkehrende

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Davon waren 32.260 zwangsweise und 31.189 freiwillige Rückkehrende; 25.561 Personen kehrten aus dem Iran und aus Pakistan zurück; 1.265 aus Europa. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrende aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrende aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrender aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrende. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrenden. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrende aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrende nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn Rückkehrende mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommen, stehen ihnen mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als der übrigen afghanischen Bevölkerung, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrenden die größte Schwierigkeit dar. Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose gibt es in Afghanistan nicht. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für jene, die in Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrende leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrenden im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Unterstützungsnetzwerke

Viele Rückkehrende sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für Rückkehrende unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrende dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrende besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Haben die Rückkehrenden lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren (LIB, Kapitel 23).

In der Regel stehen Angehörige einer Familie miteinander in Kontakt und wissen übereinander Bescheid. Auch wenn es kein Telefonbuch gibt, ist es möglich, Familienmitglieder zu finden. Dabei spielt vor allem das Herkunftsdorf eine Rolle, da hier in der Regel viele Informationen über die dort wohnenden Familien zu erhalten sind. Weiters gibt es die Möglichkeit, den Suchdienst des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) oder die Hilfe von Radiosendern wie Radio Free Europe in Anspruch zu nehmen (EASO Netzwerke 3.1.1).

Mobiltelefone sind in Afghanistan weit verbreitet und die meisten Haushalte haben zumindest eines (EASO Netzwerke, Kapitel 3.1). Infolge der technischen Entwicklungen ist die Unterstützung durch ein Netzwerk nicht zwangsläufig auf jene Orte beschränkt, wo das Netzwerk physisch präsent ist (EASO Netzwerke, Kapitel 4.3).

Durch das Geldtransfersystem hawala ist es möglich, auch ohne ein Bankkonto Geld landesweit bzw. grenzüberschreitend, etwa nach Iran oder Pakistan, zu versenden und zu erhalten. Dafür wird ein bestimmter Prozentsatz an Transaktionsgebühr verlangt (Netzwerke 4.3., LIB, Kapitel 21).

Rückkehrhilfe

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrende erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (LIB, Kapitel 23).

Für Rückkehrende leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit in Afghanistan Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrende. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrenden aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrende in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwillig Rückkehrenden vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrenden innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrende erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Rückkehrende erhalten ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt, den Gerichtsakt und den Bescheid des BAA vom 04.08.2010.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu Alter, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Muttersprache, Herkunft, Bildung und Berufserfahrung, Gesundheitszustand, Ausreisezeitpunkt sowie Familienverhältnissen des BF gründen auf dessen Aussage vor dem BFA, die mit seinen bisherigen unstrittigen Angaben im Asylverfahren übereinstimmen.

Soweit die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid feststellte, der BF habe mit seiner Familie vor seiner Ausreise zuletzt in Kabul gewohnt, ist anzumerken, dass diese Annahme offenbar auf einer Aussage des BF im Asylverfahren beruht, die dieser anfangs unter Vorgabe einer anderen Identität gemacht und später widerrufen hat. Im Asylverfahren sind keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des BF hinsichtlich der geänderten Angaben des BF zum Verbleib seiner Familie im Heimatdorf aufgekommen und sind diese Angaben auch im nunmehr geführten Verfahren gleichgeblieben. Daher war nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde wider die Aussage des BF angenommen hat, er habe (mit seiner Familie) in Kabul gelebt.

Die Feststellung zum gegenwärtigen Nichtbestehen des Kontaktes des BF zu dessen Familie gründet auf dessen Aussage vor dem BFA im gegenständlichen Verfahren und erwies sich nicht als strittig.

Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung, Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und Aufenthalt in Österreich ergeben sich aus dem Bescheid des BAA vom 04.08.2010.

Die Feststellungen zu Ausbildung und Erwerbstätigkeit des BF in Österreich ergeben sich aus dessen unstrittigen Angaben vor dem BFA, an denen zu zweifeln es keine Veranlassung gab.

Die Feststellungen zu den gerichtlichen Verurteilungen ergeben sich aus dem Strafregisterauszug vom 11.05.2020 sowie durch Einsichtnahme in die im Verwaltungsakt befindlichen Urteilsausfertigungen.

Eine Feststellung, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des BAA vom 04.08.2010 wesentlich und nachhaltig verbessert haben, konnte im Lichte eines Vergleichs der individuellen Situation des BF sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Zuerkennung des subsidiären Schutzes einerseits und zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bzw. der vorliegenden Entscheidung andererseits nicht getroffen werden (vgl. dazu näher die nachfolgenden rechtlichen Ausführungen). Dabei erfolgte insbesondere eine Gegenüberstellung des Inhalts der dem Bescheid vom 04.08.2010 zugrunde gelegten Länderberichte, unter Berücksichtigung der seither wiederkehrenden Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung, mit jener Berichtslage, die das BFA bei Erlassung des angefochtenen Bescheides herangezogen hat, sowie auch mit der zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung bestehenden Lage im Herkunftsstaat.

2.2. Zur Situation im Herkunftsstaat

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die oben zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Jene Länderberichte, die einerseits dem Bescheid des BAA vom 04.08.2010 und andererseits dem angefochtenen Bescheid des BFA vom 04.06.2019 zugrunde gelegt wurden, sind den im Akt befindlichen Entscheidungen zu entnehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Stattgabe der Beschwerde:

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmung der §§ 8, 9 AsylG 2005 lauten (auszugsweise) wie folgt:

"Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

...

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

...

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

...

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wen

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde

(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.

(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen."

Bewilligt die Behörde die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, bringt sie mit dieser Entscheidung zum Ausdruck, dass sie vom Fortbestehen der für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz maßgeblichen Umstände, die gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 Voraussetzung für die Verlängerung sind, ausgeht. Die Ermittlungspflichten der Behörde dürfen dabei nicht überspannt werden; fehlen konkrete Anhaltspunkte für eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände, können weitere Ermittlungen unterbleiben (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach erkannt, dass es unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkung von Bescheiden die Aberkennung des subsidiären Schutzes nicht zulässig ist, wenn sich der Sachverhalt seit dessen Zuerkennung bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 nicht geändert hat (vgl. VwGH 30.8.2017, Ra 2017/18/0155). Dies gilt auch für Fälle des hier maßgeblichen Aberkennungstatbestandes des § 9 Abs. 1 Z. 1 zweiter Fall AsylG 2005 (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153; 17.10.2019, Ra 2019/18/0353).

Bei der Beurteilung, ob eine wesentliche Änderung vorliegt, ist eine umfassende Betrachtung der Umstände vorzunehmen; dabei sind nicht bloß seit der letzten Verlängerung eingetretene Veränderungen zu berücksichtigen, sondern bei Hinzutreten neuer Umstände auch ältere maßgebliche Sachverhaltselemente in die Wertung miteinzubeziehen (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153; 17.10.2019, Ra 2019/18/0353).

Das Vorliegen einer Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich iSd § 9 Abs. 2 Z. 2 AsylG 2005 muss anhand einer Gefährdungsprognose aufgrund der konkreten Umstände beurteilt werden, die das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zieht. Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt (vgl. VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155).

Eine Gefahr für die Sicherheit und Allgemeinheit des Landes ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes in richtlinienkonformer Interpretation nur gegeben, wenn die Existenz oder territoriale Integrität eines Staates gefährdet ist oder wenn besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße (z.B. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel, bewaffneter Raub) vorliegen (vgl. VfGH 13.12.2011, U 1907/19).

Nach der Rechtsprechung des EuGH kann nur ein Flüchtling, der wegen einer "besonders schweren Straftat" rechtskräftig verurteilt wurde, als eine "Gefahr für die Allgemeinheit eines Mitgliedstaats" angesehen werden (EuGH vom 24. Juni 2015, C-373/13, H.T. gegen Land Baden-Württemberg, ECLI:EU:C:2015:413).

Der Verwaltungsgerichtshof erblickt einen besonders qualifizierten strafrechtliche Verstoß, der sich maßgeblich auf die Gefährdungsprognose iSd § 9 Abs. 2 Z. 2 AsylG 2005 auswirken kann, insbesondere in qualifizierten Formen der Suchtgiftdelinquenz, wie sie beispielsweise in § 28a SMG unter Strafe gestellt werden, zumal an der Verhinderung des Suchtgifthandels ein besonderes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 22.11.2012, 2011/23/0556; 30.08.2017, Ra 2017/18/0155).

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde sich im angefochtenen Bescheid ausdrücklich auf den Aberkennungstatbestand nach § 9 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 bezog. Aus der Begründung ergibt sich zweifelsfrei, dass es sich um die Anwendung des zweiten Falles leg.cit. handelt.

Der Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z. 1 zweiter Fall AsylG 2005, wonach die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen, stellt auf eine nachträgliche Änderung der Umstände ab, die so wesentlich und nicht nur vorübergehend ist, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hatte, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

Mit Bescheid vom 04.08.2010 erkannte das BAA dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zu, wobei es begründend die damalige Lage in seinem Herkunftsstaat und die Minderjährigkeit des BF anführte. Die zugleich erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung wurde seither regelmäßig verlängert, zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 23.09.2016 bis zum 04.08.2018. Dem zuletzt gestellten Antrag des BF auf Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung vom 28.08.2018 wurde (bloß) aufgrund der fehlenden Zustelladresse des BF nicht entsprochen. Aufgrund der wiederholten Straffälligkeit des BF wurde bereits mehrfach die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens geprüft, wobei die belangte Behörde zuletzt am 07.12.2018 im Akt vermerkte, dass kein Aberkennungsgrund vorlag.

Die im angefochtenen Bescheid angeführte wesentliche Änderung besteht darin, dass der BF nunmehr "eine gesunde, volljährige und arbeitswillige männliche Person" sei.

Der BF ist am 01.01.2011 volljährig geworden. Nachdem diese Tatsache aus dem Akt ohne weitere Nachforschungen ersichtlich ist und überdies aus dem Bescheid vom 04.08.2010 klar hervorgeht, dass die damalige Minderjährigkeit der ausschlaggebende Grund für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten war, lagen der Behörde bereits bei der Erlassung des Bescheids vom 10.08.2011, mit dem die Aufenthaltsberechtigung verlängert wurde, konkrete Anhaltspunkte auf eine wesentliche Änderung der Umstände vor. Durch die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung nach dem Eintreten der Volljährigkeit des BF hat sie belangte Behörde zum Ausdruck gebracht, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz (trotz der erreichten Volljährigkeit) weiterhin vorlagen.

Darüber hinaus war auch sonst keine wesentliche Änderung der Umstände des BF festzustellen. Insbesondere war der BF schon im Zeitpunkt der Zuerkennung gesund. Die von der belangten Behörde angeführte Arbeitswilligkeit lässt sich aus den Feststellungen zum Lebenswandel des BF in Österreich nicht ableiten. Was die Arbeitserfahrung des BF betrifft, so bezieht sich die belangte Behörde im Aberkennungsbescheid ausschließlich auf solche, die aus der Zeit vor der Einreise des BF in Österreich herrührt.

Auch hinsichtlich der Sicherheitslage haben sich keine wesentlichen Änderungen der Umstände seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes und insbesondere auch mit Hinblick auf den Zeitpunkt der letzten Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung feststellen lassen.

Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 zweiter Fall AsylG 2005 lagen sohin mangels wesentlicher und nachhaltiger Änderung der maßgeblichen Umstände gegenständlich nicht vor.

Auch sonst ist, auch im Hinblick auf die mehrfache Straffälligkeit des BF, kein Aberkennungstatbestand erfüllt. Das gilt insbesondere für jenen des §9 Abs. 2 Z. 3 AsylG 2005, da der BF lediglich Vergehen, nicht aber Verbrechen iSd § 17 StGB begangen hat.

Eine Gefährdungsprognose gemäß § 9 Abs. 2 Z. 2 AsylG 2005 ergibt nicht, dass der BF eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Zwar besteht nach der o.a. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein besonderes öffentliches Interesse an der Verhinderung des Suchtgifthandels, jedoch sind die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln (§ 27 SMG) des BF in ihrem Schweregrad nicht mit dem beispielhaft angeführten Suchtgifthandel (§ 28a SMG) vergleichbar. Ebenso wenig sind die vom BF begangenen Freiheits- und Vermögensdelikte als besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße iSd oben angeführten Rechtsprechung zu beurteilen.

Der Beschwerde war daher stattzugeben und Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben. Dem BF kommt aufgrund der Behebung dieses Spruchpunktes weiterhin der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug den Herkunftsstaat Afghanistan zu.

Vor diesem Hintergrund ist Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß dahingehend abzuändern, dass dem Antrag des BF vom 28.08.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 04.08.2020 erteilt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass es sich bei den Aussprüchen, mit denen etwa der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt wird, sowie eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, um voneinander rechtlich trennbare Aussprüche handelt. Demgemäß sind diese Aussprüche separat anfechtbar; sie können auch unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen unterliegen. Es besteht zwischen diesen gemäß den maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 und des FPG lediglich insofern ein rechtlicher Zusammenhang, als es für manche Aussprüche Tatbestandsvoraussetzung ist, dass bereits andere Aussprüche getätigt wurden und zudem manche Aussprüche miteinander zu verbinden sind, sodass im Fall der Aufhebung eines Spruches ein darauf rechtlich aufbauender Ausspruch seine Grundlage verlieren kann (vgl. VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047; 28.01.2015, Ra 2014/20/0121; 08.09.2015 Ra 2015/18/0134, je mwN). Nach Dafürhalten des Bundesverwaltungsgerichtes gilt dasselbe im Verhältnis zwischen der Aberkennung eines (subsidiären) Schutzstatus und einer damit verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme.

Da dem BF mit diesem Erkenntnis in Folge der Behebung von Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides weiterhin der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zukommt, verlieren die übrigen von der belangten Behörde getroffenen Spruchpunkte II. bis VI. und VIII. ihre rechtliche Grundlage, weshalb diese ersatzlos aufzuheben sind.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Der BF hat einen solchen Antrag gestellt. Der erkennende Richter erachtete die Durchführung einer mündlichen Verhandlung jedoch nicht für erforderlich, weil der festgestellte Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt erschien und daher durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war.

Die belangte Behörde hat die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht beantragt.

Da somit keine Fragen der Beweiswürdigu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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