TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/2 W114 2176543-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.06.2020
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Entscheidungsdatum

02.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W114 2176543-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien AST, vom 11.10.2017, Zl. 1093953802/151719383, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.01.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX , geboren am XXXX , (im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF), ein afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und - nach eigenen Ausführungen - ehemaliger schiitischer Moslem, stellte am 06.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei der am 08.11.2015 erfolgten Erstbefragung vor der Landespolizeidirektion Wien - Landespolizeikommando Wien, führte der Beschwerdeführer aus, verheiratet zu sein und vier Kinder im Alter zwischen 10 und 13 Jahren zu haben. Seine Muttersprache sei Dari. Seine Eltern seien bereits verstorben. Weiters habe er noch zwei jüngere Brüder, die nur etwas älter als seine Kinder wären. Er stamme aus dem Dorf XXXX , welches sich im Distrikt Jaghori, in der afghanischen Provinz Ghazni befinde. Vor etwa zwei Monaten sei er aus Ghazni schlepperunterstützt über Pakistan und den Iran nach Österreich gereist. Die Kosten der Reise hätten USD 8.000,-- betragen. Er habe keine Ausbildung und sei Analphabet. Zuletzt habe er als Hilfsarbeiter gearbeitet.

Befragt nach seinen Fluchtgründen führte der BF aus, Afghanistan aufgrund der allgemeinen schlechten Sicherheitslage verlassen zu haben. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde er aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara von den Taliban verfolgt zu werden.

Die Frage, ob der Beschwerdeführer Beschwerden oder Krankheiten habe bzw. Medikamente nehme, verneinte er.

3. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 19.09.2017 gab der BF an, geistig und körperlich in der Lage zu sein, der Einvernahme folgen zu können. Er sei gesund. Er sei etwa 40 Jahre alt, sein genaues Geburtsdatum kenne er jedoch nicht. Die letzten sieben Jahre vor seiner Ausreise habe der BF in der Stadt Ghazni gelebt. Er sei traditionell verheiratet und stehe mit seiner Familie regelmäßig, etwa alle zwei Monate, telefonisch in Kontakt. Seine Ehefrau und seine Kinder würden gemeinsam mit den Brüdern in Pakistan leben. In Afghanistan habe er noch zwei Onkel mütterlicherseits, zu welchen jedoch kein Kontakt bestehen würde. Eine Schule habe er nie besucht. Zu seinem beruflichen Werdegang führte der Beschwerdeführer aus, die letzten fünf Jahre bei einer Transportfirma als Lieferant angestellt gewesen zu sein. Er habe mit seinem eigenen Klein-LKW Lieferungen durchgeführt. Weiters habe er als Hilfsarbeiter gearbeitet. Seit seiner Kindheit sei er ebenfalls als Hirte beschäftigt. Durch sein Gehalt als Hirte und Lieferant, habe der BF seinen Lebensunterhalt und jenen seiner Familie finanzieren können. Finanziell gehe es ihm gut. Er führte aus, in Afghanistan ein Haus zu besitzen und über ein Vermögen in Höhe von USD 30.000.-- verfügen zu können. Dieses Geld würde sich bei seiner Familie in Pakistan befinden, welche auch von diesen Ersparnissen leben würde.

Befragt zu seinen Fluchtgründen, wiederholte der Beschwerdeführer, dass in Afghanistan Krieg herrsche. Er sei ein Mitarbeiter einer NGO gewesen. Während einer Lieferung von Ghazni in den Hazarajat, sei er von Taliban aufgehalten und bewusstlos geschlagen worden. Mitarbeiter der NATO hätten den BF gefunden und in ein Krankenhaus gebracht. Dort habe er sich entschlossen, aus Afghanistan auszureisen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde der Beschwerdeführer aufgrund seiner Arbeit für eine NGO von den Taliban verfolgt werden.

4. In einer Stellungnahme vom 09.10.2017 verwies der BF auf die allgemeine schlechte Sicherheitslage in seiner Heimatprovinz Ghazni sowie auf die schlechte Sicherheitslage für Angehörige der Volksgruppe der Hazara und für schiitische Moslems. Weiters brachte der BF vor, dass eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar wäre, da er über kein familiäres Netzwerk in Afghanistan verfüge.

5. Mit Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien AST, vom 11.10.2017, Zl. 1093953802/151719383, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen, aufgrund der Steigerung des Vorbringens in der Einvernahme vor dem BFA, nicht habe glaubhaft darlegen können. Aus welchen Gründen der BF den behaupteten fluchtauslösenden Vorfall mit den Taliban nicht bereits in der Erstbefragung angegeben habe, sei weder schlüssig noch nachvollziehbar. Weiters gäbe es keine konkreten Anhaltspunkte, dass der BF aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder seines Religionsbekenntnisses verfolgt worden sei bzw. bei einer Rückkehr nach Afghanistan verfolgt werden würde. Entsprechend den Länderfeststellungen sei sowohl eine Rückkehr in die Stadt Ghazni als auch nach Kabul zumutbar. Der BF verfüge über langjährige Arbeitserfahrung und könne aufgrund seiner Ersparnisse, finanziell von seiner Familie aus Pakistan unterstützt werden.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 16.10.2017 zugestellt.

6. Gegen diese Entscheidung erhob der BF, vertreten durch XXXX , mit Schriftsatz vom 13.11.2017, Beschwerde.

Begründend führte der BF aus, dass seine Angaben zum Fluchtgrund bei der Erstbefragung nicht berücksichtigt werden dürften. Daher dürfe die Behörde nicht von einer Steigerung des Vorbringens ausgehen. Die Behörde habe den Sachverhalt unzureichend erhoben und habe, da sie sich mit dem Inhalt des Fluchtvorbringens nur unzureichend auseinandergesetzt habe, willkürlich agiert. Der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen glaubhaft und substantiiert dargelegt. Aufgrund seiner Arbeit für eine NGO sei der BF von den Taliban angegriffen worden. Hinsichtlich der Gewährung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten habe sich die Behörde mit der persönlichen Situation nicht ausreichend auseinandergesetzt. Er sei nie in Kabul gewesen und habe keine Familienangehörigen in Afghanistan. Die Provinz Ghazni zähle zu den volatilsten Provinzen Afghanistans, sodass eine Rückkehr dorthin jedenfalls nicht zumutbar sei.

7. Die Beschwerde und die Unterlagen des Verwaltungsverfahrens wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 15.11.2017, mit Schreiben des BFA vom 14.11.2017, zur Entscheidung vorgelegt.

8. Mit Schriftsatz vom 06.12.2017 legte der BF zwei "ärztliche Befundberichte" von XXXX , Facharzt für Psychiatrie, vor. Im "Befundbericht" vom 02.03.2017 wurde auf eine mittelgradige depressive Episode sowie eine posttraumatische Belastungsstörung hingewiesen. Als Therapie wurde Psychotherapie sowie die Einnahme des Medikaments Sertralin 50 mg, empfohlen. Im Befundbericht vom 14.11.2017 wurde die Tagesdosis auf 100 mg Sertralin erhöht.

9. Am 20.12.2017 legte der BF eine Bestätigung von XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 18.12.2017 vor, womit bestätigt wurde, dass sich der BF aufgrund von Depressionen und einer posttraumatischen Belastungsstörung seit April 2017 in Behandlung befinde.

10. Am 24.04.2018 übermittelte der BF eine psychotherapeutische Behandlungsbestätigung von XXXX , vom 18.04.2018. Es wurde bestätigt, dass sich der BF seit November 2017 in psychotherapeutischer Traumabehandlung befinde. Der BF leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1.) im Übergang zur Chronifizierung.

In einem psychotherapeutischen Kurzbericht vom 13.05.2018, übermittelt am 07.06.2018, bestätigte der behandelnde Psychotherapeut XXXX , dass sich der Leidenszustand des BF stark reduziert habe, jedoch würden beim BF noch depressive Kraftlosigkeit, sozialer Rückzug und gesundheitliche Sorgen sowie Phasen latenter Suizidalität bestehen.

11. Am 06.11.2018 übermittelte der BF eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs vom 05.11.2018.

12. Am 14.02.2019 übermittelte der BF einen Arztbrief von XXXX , vom 11.02.2019. In der Anamnese wurde eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgrade Episode (F33.1) sowie eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Der BF würde als Symptome depressive Verstimmungen, körperliche Schwäche, Zittern der Hände, Krämpfe in den Beinen, Schlafstörungen, rezidivierende Phasen tiefer Verzweiflung mit Suizidalität und Vergesslichkeit aufweisen. Zur Therapie wurde die Einnahme der Medikamente "Duloxetin Genericon 60mg, Tbl. 1-0-0", "Pantoloc 20mg und 40mg jeweils Tbl. 1-0-0" und "Quetiapin Genericon 25mg Tbl. 0-0-2 bis 4", verordnet.

13. Gemeinsam mit der Ladung zur Beschwerdeverhandlung vom 22.10.2019 wurden dem Beschwerdeführer Länderinformationen zu Afghanistan zugänglich gemacht und ihm die Möglichkeit geboten, dazu eine Stellungnahme abzugeben.

14. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 21.01.2020 wurde der Beschwerdeführer zu seiner Identität und Herkunft sowie zu seinen Fluchtgründen befragt. Die Verhandlung fand im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt. An der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG nahm kein Vertreter des BFA teil.

Zu seinem Gesundheitszustand führte der BF aus, regelmäßig zwei Medikamente einzunehmen. Es handle sich um jene Medikamente, die ihm zuletzt verschrieben worden wären. Die letzte Kontrolle sei im Sommer 2019 gewesen. Seit zwei Jahren befinde er sich in Therapie. Er würde jedoch nicht regelmäßig einen Therapeuten aufsuchen. Der Beschwerdeführer gab an, längere Zeit nicht dort gewesen zu sein.

Der Beschwerdeführer bestätigte ausdrücklich, dass er arbeitsfähig sei.

Befragt zu seinen Fluchtgründen, führte der BF erneut, jedoch in abgeänderter Version aus, dass er während einer Auslieferungsfahrt für die NGO Care International von den Taliban angegriffen worden wäre. Dabei sei er am Fuß verletzt und auf den Boden geschleudert worden. Erst im Krankenhaus habe er sein Bewusstsein wiedererlangt. Auf die Frage, von wem er bei einer Rückkehr nach Afghanistan verfolgt werden würde, brachte der BF ein gänzlich neues Fluchtvorbringen vor. Er führte aus, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch von seinem "Arbeitgeber" verfolgt werden würde, da er vor seiner Ausreise aus Afghanistan die Ware nicht ausgeliefert habe. Er würde jedenfalls aufgrund seiner Tätigkeit für die NGO von Taliban verfolgt werden. Vor dem Überfall wären der BF und seine Familie mehrmals von den Taliban mit dem Tod bedroht worden. Die Taliban hätten vom BF gefordert, seine Arbeit für die NGO zu beenden. Die Bedrohungen durch die Taliban wären dem BF von anderen LKW-Fahrern überbracht worden. Die Taliban hätten ihm weiters ausrichten lassen, dass er sich ihnen stellen müsse und, dass sie ihn sonst überall finden und töten würden.

Der BF legte dem Gericht eine Niederschrift über einen vor dem Magistrat der Stadt Wien erklärten Religionsaustritt vom 16.01.2020 vor. Diesbezüglich führte der BF aus, auch aufgrund seines Glaubensabfalles bei einer Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban und von der afghanischen Bevölkerung verfolgt zu werden. In Afghanistan habe er zwar gebetet und gefastet. Dies habe er jedoch lediglich aufgrund des gesellschaftlichen Zwanges gemacht. Er habe auch Zakat (Spenden an Bedürftige) geleistet, indem er an ärmere Personen Geld gespendet habe. Befragt zu den Konsequenzen bei Nichteinhaltung der geforderten Verhaltensweisen, gab der BF an, dass niemand bemerkt hätte, wenn er weder gebetet noch gefastet hätte. In Österreich sei er einmal zu einem Treffen von katholischen Christen gegangen. In seinem Heim habe er dieses Treffen aus Angst jedoch geheim gehalten. Er berichtete auch, dass er an dem Tag, an welchem er die Ladung zur mündlichen Verhandlung erhalten habe, einen katholischen Pfarrer um eine Bestätigung ersucht habe. Dieser habe ihm eine Bestätigung verweigert, zumal der BF noch nicht taufwürdig sei. Von einem Freund habe er von der Möglichkeit eines Austrittes aus der islamischen Glaubensgemeinschaft erfahren.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde dem BF das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019 zugänglich gemacht und eine dreiwöchige Frist für eine Stellungnahme eingeräumt.

15. Am 11.02.2020 brachte der BF einen Antrag auf Fristerstreckung ein. Begründend wurde angeführt, dass einige Unterlagen noch nicht hätten beigeschafft werden können.

16. In einer Stellungnahme vom 24.02.2020 führte der BF aus, dass die Sicherheitslage auch in den Städten Herat und Mazar-e Sharif nicht gut sei. Der BF könne sich erforderliche Medikamente in Afghanistan nicht beschaffen.

Unter Hinweis auf seine psychische Erkrankung und eine unzureichende Verfügbarkeit von Krankenhausbetten überall in Afghanistan und einem bestehenden Konflikt hinsichtlich eines Zuganges zu Trinkwasser sei auch unter Berücksichtigung der UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 und angesichts der auch in Afghanistan ausgebrochenen Covid-19-Pandemie dem BF eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zumutbar.

Mit dieser Stellungnahme legte der Beschwerdeführer auch eine Mitteilung von XXXX , Psychotherapeut und Psychoanalytiker vom 28.01.2020 vor, in welcher dieser hinwies, dass der BF nur von November 2017 bis Dezember 2018 bei ihm in Behandlung war. Der BF habe anstelle einer für ihn zu anstrengenden Gesprächstherapie eine psychiatrische Behandlung vorgezogen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie der Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA am 19.09.2017, der Stellungnahmen vom 09.10.2017 und vom 24.02.2020, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Asyl- bzw. Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 21.01.2020 und der Einsichtnahme in die Bezug habenden Unterlagen des Verwaltungsverfahrens, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019, mit Kurzinformationen vom 18.05.2020, den EASO-Länderleitfaden und EASO-Berichte betreffend Afghanistan, EASO Country Guidance: Afghanistan; Guidance note and common analysis vom Juni 2019, einem Bericht des Generalsekretariats der UNO zur Situation in Afghanistan und deren Auswirkungen auf den internationalen Frieden und die Sicherheitslage vom 14.06.2019, einen UNAMA-Bericht über den Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten vom Juli 2019, einen Amnesty International-Bericht zur Menschenrechtslage (Berichtszeitraum 2019) vom 30.01.2020, eine ACCORD Anfragebeantwortung zur Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif und Kabul vom 07.12.2018, eine ACCORD Anfragebeantwortung betreffend Zusammenstellung zur Sicherheitslage und sozioökonomischen Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 15.01.2020, in die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018, eine ACCORD Anfragebeantwortung zur Situation vom 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, 4) Personen die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa vom 01.06.2017, eine ACCORD Anfragebeantwortung zur Situation von muslimischen Familienangehörigen von vom Islam abgefallenen Personen (ApostatInnen), christlichen KonvertitInnen und Personen, die sich kritisch zum Islam äußerten vom 09.11.2017 und einer ACCORD Anfragebeantwortung zur Verfügbarkeit von Medikamenten vom 13.08.2018, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

1.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer heißt XXXX und ist am XXXX geboren. Er ist afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und wurde in Afghanistan als schiitischer Moslem geboren und erzogen. Seine Muttersprache ist Dari, eine in Afghanistan sehr weit verbreitete Sprache.

Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX , im Distrikt Jaghori, in der afghanischen Provinz Ghazni geboren. Die letzten sieben Jahre vor seiner Ausreise hat er in der Stadt Ghazni gelebt. Der Beschwerdeführer ist traditionell verheiratet und hat vier Kinder. Seine Ehefrau und seine Kinder leben gemeinsam mit seinen jüngeren Brüdern in Pakistan.

Der Beschwerdeführer ist wohlhabend. Er besitzt ein Haus in der Stadt Ghazni sowie ein Bargeldvermögen in Höhe von etwa USD 30.000.--.

Der Beschwerdeführer besuchte keine Schule. Er verfügt über Berufserfahrung als Hirte, Lieferant, LKW-Fahrer, Bauarbeiter, Gärtner und sammelte weiters Erfahrung als Hilfsarbeiter beim Graben von Wasserbrunnen und beim Renovieren von Gebäuden.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Bei ihm wurde eine posttraumatische Belastungsstörung und eine rezidivierende depressive Störung mit einer mittelgradigen Episode diagnostiziert, welche einer psychopharmakologischen Medikation bedurfte. Im Februar 2019 wurde dem BF die Einnahme von "Duloxetin Genericon 60mg, Tbl. 1-0-0", "Pantoloc 20mg und 40mg jeweils Tbl. 1-0-0" und "Quetiapin Genericon 25mg Tbl. 0-0-2 bis 4", verordnet. Die letzte nachweisliche Verschreibung von Medikamenten stammt vom 11.02.2019. Es kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass der BF auch zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG Medikamente regelmäßig einnahm. Eine darüberhinausgehende weitere Behandlung seiner Erkrankung erfolgt nicht. Der Beschwerdeführer befindet sich insbesondere nicht in regelmäßiger therapeutischer Behandlung.

Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter und arbeitsfähig. Seit 01.08.2019 arbeitet er einmal wöchentlich freiwillig für die Caritas als Gärtner und als Hilfsarbeiter für diverse Reparatur- und Renovierungsarbeiten in Gebäuden.

Der BF geht in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach. Er lebt von der Grundversorgung und ist strafrechtlich unbescholten.

1.1.2. Zur Flucht und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer oder seine Familie in Afghanistan von Taliban oder dem Arbeitgeber des BF bedroht wurden bzw. mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Afghanistan verfolgt werden würden.

Ob der vom BF geschilderte Vorfall, wobei der BF angeblich von den Taliban oder anderen Kriminellen während einer Auslieferungsfahrt angehalten und bewusstlos geschlagen wurde, überhaupt stattgefunden hat, kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Es kann ebenfalls nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer für die NGO "Care International" gearbeitet hat sowie, dass er von den Taliban verdächtigt wurde, die Regierung in Afghanistan zu unterstützen oder mit dieser zusammenzuarbeiten.

Der Beschwerdeführer ist schlepperunterstützt aus Afghanistan nach Österreich gereist. Die Kosten für seine Schleppung betrugen USD 8.000.--.

In Österreich hat der Beschwerdeführer am 06.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan:

Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan weder aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Volksgruppenzugehörigkeit, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von anderen Personen oder Gruppen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem BF weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in die körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban oder durch andere Personen. Der BF wäre auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara oder aufgrund seiner behaupteten Konfessionslosigkeit oder aufgrund seiner Eigenschaft als Rückkehrer aus Europa, einem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw. der Gefährdung des Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch einen konkreten Akteur ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer erklärte am 16.01.2020 vor dem Magistrat der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 21. Bezirk, seinen "Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft". Der Beschwerdeführer war bereits in Afghanistan kaum religiös interessiert. Er betete und fastete lediglich aufgrund eines subjektiv empfundenen, gesellschaftlichen Zwanges. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF jemals einen religiösen Glauben hatte, sodass auch keine ernsthafte Abwendung des BF vom Islam vorliegen kann. Der Beschwerdeführer hat seine Konfessionslosigkeit nicht als innere Überzeugung bzw. als identitätsstiftendes Merkmal verinnerlicht. Er hat keine Verhaltensweisen verinnerlicht, die er bei einer Rückkehr nach Afghanistan in einer nach außen erkennbaren Weise ausleben würde, sodass er als Apostat erkannt und deswegen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgt werden würde.

Es kann nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Ghazni aufgrund der volatilen Sicherheitslage in dieser Provinz ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit droht.

Ausgehend von den Länderfeststellungen zu Afghanistan sowie die aktuelle Covid-19 Pandemie berücksichtigend steht dem BF mit den größeren Städten in Afghanistan, insbesondere mit Mazar-e Sharif, eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Mazar-e Sharif verfügt über einen international erreichbaren Flughafen, sodass die Anreise in diese Stadt auch weitgehend gefahrfrei erfolgen kann.

Der Beschwerdeführer hat in Mazar-e Sharif zwar keine familiären Anknüpfungspunkte; er ist jedoch als wohlhabend zu bezeichnen und verfügt mit ca. US $ 30.000.-- über ausreichend finanzielle Mittel, sodass er nicht darüber hinaus auf weitere finanzielle Unterstützung seiner Familienmitglieder angewiesen ist. Ein Betrag von US $ 30.000.-- ist angesichts des Bruttoinlandsproduktes für Afghanistan, das im Jahr 2018 bei EUR 441.-- betrug jedenfalls ausreichend, um unabhängig von weiteren Unterstützungen in Afghanistan mit Familie über mehrere Jahre ein menschengerechtes Leben zu führen. Dabei ist auch noch zu berücksichtigen, dass der BF in Ghazi über ein Wohnhaus verfügt, welches der BF darüber hinaus entweder bei einem Verkauf oder im Wege einer Vermietung verwerten kann. Das Vermögen des BF befindet sich bei seiner Familie in Pakistan. Zu seiner Kernfamilie besteht regelmäßig Kontakt. Durch Geldtransfer kann der BF bei einer Rückkehr auf sein gesamtes Vermögen zugreifen.

Zudem besteht die Möglichkeit, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise.

In Afghanistan befinden sich weitere Verwandte des Beschwerdeführers.

Trotz der durch die Covid-19 Pandemie angespannte Situation am Arbeits- und Wohnungsmarkt, ist der Beschwerdeführer aufgrund seines Vermögens im Stande sich auch teurere Unterkünfte leisten zu können. Da die Banken trotz der Ausgangssperren geöffnet haben, hat der BF Zugang zu seinen Ersparnissen. Da der Beschwerdeführer derart wohlhabend ist, sind auch die gestiegenen Lebensmittelpreise und die generelle schwierigere Wirtschaftslage, kein Hindernis für eine Rückführung nach Afghanistan.

Der Beschwerdeführer verfügt über umfangreiche Berufserfahrung in unterschiedlichen Branchen, die er auch in Afghanistan nutzen kann. Er ist arbeitsfähig und im erwerbsfähigen Alter. Seine medizinische Versorgung sowie der Erhalt der notwendigen Medikamente sind in Mazar-e Sharif gewährleistet. Er läuft sohin bei der Rückkehr nach Mazar-e Sharif nicht Gefahr, aufgrund seines derzeitigen Gesundheitszustandes in einen unmittelbar lebensbedrohlichen Zustand zu geraten. Weiters bestehen keine Hinweise, dass sich seine Erkrankung in einem lebensbedrohlichen Ausmaß verschlechtern wird. Seine psychischen Krankheiten zählen nicht zu jenen Vorerkrankungen, welche sich besonders gefährlich im Falle einer Covid-19 Infektion auswirken, sodass er nicht zu einer Risikogruppe zählt. Der BF ist auch aufgrund seines Alters (noch) nicht einem spezifischen Risiko durch Covid-19 ausgesetzt. Es sind auch sonst keine objektivierten Hinweise hervorgekommen, dass allenfalls andere schwerwiegende Erkrankungen einer Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in Mazar-e Sharif, kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Es ist ihm möglich, nach eventuell anfänglichen Schwierigkeiten in Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und sich dort eine Existenz aufzubauen. Aufgrund seiner Ersparnisse in Höhe von USD 30.000, - ist der BF im Stande sämtliche Bedürfnisse zu finanzieren. Sein Vermögen ist derart umfangreich, dass damit sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Familie versorgt werden können.

1.1.4. Zum Privatleben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer hat in Österreich weder Verwandte noch sonstige Bezugspersonen, mit denen er einen gemeinsamen Wohnsitz hat oder hinsichtlich derer ein Abhängigkeitsverhältnis besteht.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.2.1. Allgemeines:

Nach Jahrzehnten gewaltsamer Konflikte befindet sich Afghanistan in einer schwierigen Aufbauphase und einer weiterhin volatilen Sicherheitslage. Die staatlichen Strukturen sind noch nicht voll arbeitsfähig. Tradierte Werte stehen häufig einer umfassenden Modernisierung der afghanischen Gesellschaft entgegen (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 02.09.2019).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan, und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB 13.11.2019).

Ende Februar 2020 unterzeichneten die USA und die Taliban ein Abkommen, welches den Abzug der US-Truppen vorsieht. Die afghanische Regierung wurde daran jedoch nicht beteiligt. Ein beidseitiger Gefangenenaustausch gilt als Voraussetzung für direkte Gespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban. Über die Umsetzung gibt es aber Streit, speziell bei der Frage, ob die Regierung auch ranghohe Befehlshaber der Extremisten freilässt (Zeit-Online 11.04.2020).

Pressemeldungen zufolge hat es seit dem Friedensabkommen mit den USA (29.02.2020) über 4.500 Angriffe der Taliban gegeben, bei denen über 900 Soldaten oder Polizisten und 610 Taliban-Kämpfer getötet wurden. Dabei griffen die Taliban keine Städte oder Provinzzentren an, sondern fokussierten sich auf Dörfer in den Provinzen Herat, Kabul, Kandahar und Balkh. Nach Angaben des afghanischen Nationalen Sicherheitsrates wurden bei Angriffen oder Anschlägen der Taliban in der ersten Woche des Ramadans (24.04.2020 bis ca. 30.04.2020) mindestens 66 Zivilisten verletzt oder getötet. Medienberichten zufolge gab es auch in den letzten Wochen Kämpfe und Anschläge in zahlreichen Provinzen. So wurden etwa am 29.04.2020 bei einem Selbstmordanschlag in der Nähe eines Stützpunkts der afghanischen Spezialkräfte im Südwesten der Hauptstadt Kabul (Polizeidistrikt 7) mindestens drei Menschen getötet und 15 verletzt. Die NATO meldet ebenso wie die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA, vgl. BN v. 27.04.2020), einen deutlichen Rückgang der zivilen Opfer im ersten Quartal 2020. Die NATO hat allerdings inzwischen die Veröffentlichung von Daten über Angriffe der Taliban eingestellt. Man wolle die derzeit laufenden politischen Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban nicht belasten. Am 02.05.2020 entließ die Regierung 98 weitere gefangene Taliban und somit insgesamt 748 der geforderten 5.000 Personen. Die Taliban haben im Gegenzug 112 von den versprochenen 1.000 ihrer Gefangenen freigelassen (Deutsches Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Briefing Notes 04.05.2020).

1.2.2. Sicherheitslage:

Zeitraum 10.12.2019 bis Ende Februar 2020:

Die Sicherheitslage bleibt volatil. Zwischen 08.11.2019 und 06.02.2020 wurden von UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet (ähnlich wie in derselben Periode des vorherigen Jahres). Die meisten Vorfälle fanden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, welche gemeinsam insgesamt 68% der Vorfälle ausmachten. Die Regionen mit den meisten Vorfällen waren Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh. Die Kampfhandlungen verringerten sich zu Jahresende 2019 und Jahresbeginn 2020, infolge der saisonalen Trends in den Wintermonaten. Am 22.02.2020 konnte infolge der Gespräche der USA mit den Taliban eine nationale Reduktion der Gewalt verzeichnet werden.

Die etablierten Trends bleiben jedoch bestehen; mit 2.811 bewaffneten Zusammenstößen, welche 57% aller Vorfälle ausmachen, gab es im Vergleich zur selben Zeitperiode des vorherigen Jahres eine Verringerung um 4%. Die Verwendung von improvisierten Sprengkörpern bleibt die zweithöchste Art von Vorfällen, mit einer Steigerung von 21%, im Vergleich zur selben Zeitperiode des vorherigen Jahres, während sich Selbstmord-Attentaten um 25% verringert haben. Die 330 Luftangriffe des afghanischen Militärs erreichte eine 18%ige Verringerung, verglichen mit derselben Periode im Jahr 2019. In den Provinzen Helmand, Kandahar und Farah wurden 44% der Luftangriffe durchgeführt.

Am 31.12.2019 wurde berichtet, dass die Taliban die Kontrolle über den Distrikt Darzab in der Provinz Jawzjan, aufgrund des Abzuges der Security Forces erlangten. Vorrübergehend erlangten die Taliban Kontrolle über den Distrikt Arghandab in der Provinz Zabul, während die Security Forces den Distrikt Guzargahi Nur in der Provinz Baghlan, welcher sich seit September 2019 unter Taliban Kontrolle befand, zurückeroberten (Bericht des UNO-Generalsekretärs zu politischen, humanitären, menschenrechtlichen und sicherheitsrelevanten Entwicklungen vom 10.12.2019 bis Ende Februar 2020).

Zeitraum 3. Quartal 2019:

Berichtete Konfliktvorfälle nach Provinzen:

Provinz

Anzahl Vorfälle

Anzahl Vorfälle mit Todesopfern

Anzahl Todesopfer

Badakhshan

104

54

592

Badghis

95

66

582

Baghlan

131

54

507

Balkh

219

102

852

Bamyan

11

0

0

Daykundi

14

5

84

Farah

136

76

626

Faryab

192

122

1.027

Ghazni

491

276

1.742

Ghor

62

37

315

Helmand

402

133

683

Herat

127

65

372

Jawzjan

49

27

230

Kabul

128

35

327

Kandahar

343

110

864

Kapisa

75

22

93

Khost

101

10

33

Kunar

79

34

213

Kunduz

156

83

641

Laghman

69

17

57

Logar

203

82

577

Nangarhar

202

112

630

Nimroz

33

5

17

Nuristan

9

3

27

Paktika

131

35

274

Paktia

228

39

231

Panjshir

3

0

0

Parwan

68

12

86

Samangan

19

8

92

Sar-e-Pul

24

11

70

Takhar

91

62

510

Uruzgan

174

114

829

Wardak

248

81

519

Zabul

233

81

640

(ACCORD-Kurzübersicht über Konfliktvorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project 26.02.2020).

Der afghanischen Regierung ist es weiterhin gelungen, die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul, die größeren Bevölkerungszentren, die meisten wichtigen Straßen, über Provinzzentren und die Mehrheit der Distrikte aufrecht zu erhalten. Die afghanischen Sicherheitskräfte verfügen jedoch nicht über genügend Kräfte, um den Taliban-Offensiven, die in über der Hälfte der 34 Provinzen stattfinden, standzuhalten (Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe 12.09.2019).

Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit, das Kampfniveau deutlich zurückging und sowohl regierungsfreundliche Kräfte als auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten. Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren.

Weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente erzielten zuletzt signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet. In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten. So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban. Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan.

Für den Berichtszeitraum 10.05.2019 - 08.08.2019 registriert die Vereinten Nationen insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert. Für den Berichtszeitraum 08.02.2019 - 09.05.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist. Für den Berichtszeitraum 10.05.2019 - 08.08.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018. Im Gegensatz dazu, registrierte die NGO International NGO Safety Organisation für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (LIB 13.11.2019).

Rund 39% der afghanischen Distrikte standen Anfang 2019 unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen, und 37% wurden von den Taliban kontrolliert. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat kontrollierte rund 4% der Distrikte. Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.04.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (LIB 13.11.2019).

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 01.01.2019 - 30.09.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019).

1.2.2.1. Situation in Mazar-e Sharif:

Balkh liegt im Norden Afghanistans. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Die Provinz hat 1.475.649 Einwohner.

Die Provinz Balkh, deren Hauptstadt Mazar-e Sharif ist, gilt nach wie vor als eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Mazar-e Sharif ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut.

In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete. Es gibt eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat sympathisiert. Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet. Im Jahr 2018 wurden 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben und gezielten Tötungen. Für das Jahr 2018 waren insgesamt 99 zivile Opfer durch Bodenkämpfe in der Provinz verzeichnet worden. In den ersten 6 Monaten konnte ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (LIB 13.11.2019).

In der Provinz Balkh - mit Ausnahme der Stadt Mazar-e Sharif - kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan).

In der Hauptstadt Mazar-e Sharif findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden, da sie den Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan).

Mazar-e Sharif ist ein regionales Handelszentrum für Nordafghanistan, wie auch ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (LIB 13.11.2019).

Was die Nahrungsmittelversorgung betrifft, bewertet das FEWS NET die Versorgungslage in Mazar-e Sharif mit Stufe 3 "Krise" (Stufe 1 "Minimal" - 5 "Hungersnot"), wonach Haushalte Lücken im Nahrungsmittelkonsum mit hoher oder überdurchschnittlicher akuter Unterernährung aufweisen bzw. nur geringfügig in der Lage sind, ihren Mindestnahrungsmittelbedarf zu decken - und dies nur indem Güter, die als Lebensgrundlage dienen, vorzeitig aufgebraucht werden bzw. durch Krisenbewältigungsstrategien (ACCORD Themendossier zur Sicherheits- und sozioökonomischen Lage in Herat und Mazar-e Sharif vom 26.05.2020).

1.2.2.4. Situation in Ghazni:

Die Provinz Ghazni liegt im Südosten Afghanistans. Fast die Hälfte der Bevölkerung von Ghazni sind Paschtunen, etwas weniger als die Hälfte sind Hazara und rund 5% sind Tadschiken. Ghazni hat 1.338.597 Einwohner.

Ghazni gehört zu den relativ volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans. Taliban-Kämpfer sind in einigen der unruhigen Distrikte der Provinz aktiv, wo sie oft versuchen, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen. Gleichzeitig führen die Regierungskräfte regelmäßig Operationen in Ghazni durch, um die Aufständischen aus der Provinz zu vertreiben. In der Provinz kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen, Luftangriffen und Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften. Im Jahr 2018 gab es 653 zivile Opfer (253 Tote und 400 Verletzte) in Ghazni. Dies entspricht einer Steigerung von 84% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Luftangriffen und gezielten oder vorsätzlichen Morden (LIB 13.11.2019).

In der Provinz Ghazni reicht eine "bloße Präsenz" in dem Gebiet nicht aus, um ein reales Risiko für ernsthafte Schäden festzustellen. Es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an individuellen Risikofaktoren erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens ausgesetzt ist (EASO Country Guidance: Afghanistan).

1.2.3. Ethische Minderheiten:

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB 13.11.2019).

In Afghanistan sind 40 - 42% Paschtunen, 27 - 30% Tadschiken, 9 - 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Neben den offiziellen Landessprachen Dari

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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