Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 1. September 2020 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Setz-Hummel und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter in der Strafsache gegen ***** P***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach §§ 12 zweiter Fall, 15, 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 24 Hv 6/20v des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 29. Juli 2020, AZ 8 Bs 241/20g, nach Einsichtnahme der Generalprokuratur in die Akten nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
***** P***** wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 25. Februar 2020, GZ 24 Hv 6/20v-49, zweier Verbrechen der Erpressung nach §§ 15, 144 Abs 1 StGB (I./) und eines Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach (richtig:) §§ 15, 12 zweiter Fall, 302 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB eingewiesen.
Über die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft wurde noch nicht entschieden, das Rechtsmittelverfahren ist beim Obersten Gerichtshof zur AZ 14 Os 49/20t anhängig.
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Graz einer Beschwerde des ***** P***** gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 30. Juni 2020, GZ 24 Hv 6/20v-80, mit dem die über den Genannten am 29. November 2019 verhängte Untersuchungshaft neuerlich fortgesetzt worden war, nicht Folge und setzte diese aus dem Haftgrund der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a, b und d StPO fort.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen (rechtzeitig) erhobene, vom Angeklagten selbst verfasste und nicht von einem Verteidiger unterschriebene Grundrechtsbeschwerde, die sich der Sache nach gegen die Annahme dringenden Tatverdachts sowie des Haftgrundes der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr wendet, war schon mangels Erschöpfung des Instanzenzugs zurückzuweisen.
Nach Maßgabe der durch § 1 Abs 1 GRBG verlangten, nicht bloß formalen (durch Anrufung des Rechtsmittelgerichts), vielmehr auch inhaltlichen Erschöpfung (vgl § 88 Abs 1 erster Satz StPO) des Instanzenzugs sind im Verfahren über eine Grundrechtsbeschwerde nämlich nur jene – nicht alleine die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts betreffenden – Argumente im Sinn des § 3 Abs 1 GRBG beachtlich, welche der Beschwerdeführer bereits in einer zulässigen Beschwerde gegenüber dem Rechtsmittelgericht geltend gemacht hatte (RIS-Justiz RS0114487 [insb T3, T8, T10, T18, T20]).
Vorliegend wurde die Haftvoraussetzung dringenden Tatverdachts im ordentlichen Beschwerdeverfahren keiner Anfechtung unterzogen und die – in der Grundrechtsbeschwerde unsubstantiiert als „Falschgutachten“ bezeichnete – Expertise des psychiatrischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. W*****, auf welche das Erst- und das Oberlandesgericht die Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungs- und Tatausführungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a, b und d StPO (unter anderem) stützen (jeweils BS 3), im Rahmen des dagegen gerichteten Vorbringens der Haftbeschwerde nicht thematisiert (vgl im Übrigen zum Fehlerkalkül bei der Annahme von Haftgründen RIS-Justiz RS0117806, RS0118185).
Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass die Dringlichkeit der Verdachtslage ab Fällung des – wenngleich nicht rechtskräftigen – Urteils erster Instanz im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr zu überprüfen ist (RIS-Justiz RS0108486) und die Beschwerde zudem auch insoweit den zulässigen Anfechtungsrahmen verlässt, indem sie den Tatsachenannahmen des Beschwerdegerichts nur eigene Beweiswerterwägungen entgegenhält, ohne sich substantiiert mit den Ausführungen in der bekämpften Entscheidung auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0110146, RS0112012), sowie das Unterbleiben der Vernehmung von Zeugen kritisiert (RIS-Justiz RS0122321). Inwiefern „das Recht auf ein faires Verfahren“ verletzt sein sollte (zum eingeschränkten Anwendungsbereich des Art 6 MRK im Haftprüfungsverfahren vgl RIS-Justiz RS0120049; Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 40), macht sie nicht klar.
Demnach bedarf es keines Vorgehens nach § 3 Abs 2 zweiter Satz GRBG, weil die Verbesserung durch Beisetzung einer Verteidigerunterschrift voraussetzt, dass eine meritorisch zu behandelnde Beschwerde eingebracht worden ist (RIS-Justiz RS0061469; zur Kritik an der Tätigkeit des Verfahrenshilfeverteidigers und dem Begehren auf Umbestellung für den Fall der Einleitung eines Verbesserungsverfahrens vgl im Übrigen Soyer/Schumann, WK-StPO § 62 Rz 2, 5, 18; RIS-Justiz RS0074889 [T1, T2]).
Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) als unzulässig zurückzuweisen.
Textnummer
E129055European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0140OS00087.20F.0901.000Im RIS seit
14.09.2020Zuletzt aktualisiert am
14.09.2020