Entscheidungsdatum
12.08.2020Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
AVG §8Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Vizepräsidenten Dr. Larcher über die Beschwerde des AA, Adresse 1, Z, vertreten durch seine gerichtliche Erwachsenenvertreterin BB, pA VertretungsNetz Erwachsenenvertretung, Adresse 2, Y, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 29.05.2020, Zl ***, betreffend die Zurückweisung der Vorstellung gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 01.04.2020, *** über die Absonderung ansteckungsverdächtiger Personen im Wohn- und Pflegeheim Z-Y gemäß Epidemiegesetz 1950
zu Recht:
1. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 01.04.2020, Zl ***, adressiert an das Wohn- und Pflegeheim Z-Y, zH der Rechtsträgerin Marktgemeinde Z, wurde pauschal die Absonderung ansteckungsverdächtiger Bewohner der Kategorie I des Wohn- und Pflegeheimes Z-Y mit sofortiger Wirkung bis zum 10.04.2020 verfügt.
Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass die betroffenen Personen als enge Kontaktpersonen mit hohem Infektionsrisiko anzusehen seien. Zur Verhinderung der Weiterverbreitung und zum Schutz vor möglichen weiteren Ansteckungen sowie aufgrund des hohen Infektionsrisikos und der damit verbundenen hohen Sterblichkeit sei zum Schutz noch nicht infizierter Personen die verfügte Absonderung notwendig. Die Gefahr für die Gesundheit anderer Personen könne auch nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch seine Erwachsenenvertreterin BB, Vorstellung und brachte darin vor, der angefochtene Bescheid leide sowohl unter formellen als auch unter materiellen Mängeln.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 29.05.2020, Zl ***, wurde die Vorstellung des nunmehrigen Beschwerdeführers zurückgewiesen. Der Vorstellungswerber sei weder Adressat noch Partei des gegenständlichen Verfahrens und mangle es ihm daher an der Antragslegitimation.
Mit Schriftsatz vom 06.07.2020 erhob AA, vertreten durch seine Erwachsenenvertreterin BB, gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Tirol.
Zusammengefasst brachte er darin vor, ihm komme zum einen entgegen der Ansicht der belangten Behörde sehr wohl Parteistellung zu:
Die belangte Behörde habe den Adressatenkreis falsch bzw zu unbestimmt bezeichnet. Die belangte Behörde habe es fälschlicherweise unterlassen, den Beschwerdeführer als Bescheidadressaten korrekt und bestimmt zu bezeichnen. Dieser Umstand dürfe der Parteistellung des Beschwerdeführers nicht schaden.
Die Anhaltung des Beschwerdeführers stelle weiters einen Eingriff in sein Grundrecht auf persönliche Freiheit dar. Aufgrund dieser unmittelbaren Einschränkung sei ihm jedenfalls Parteistellung im gegenständlichen Verfahren einzuräumen.
Durch die Zurückweisung des Vorstellungsantrages habe die belangte Behörde demnach gesetzwidrig gehandelt und auch das Grundrecht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt, da eine Sachentscheidung verweigert worden sei.
Zum anderen habe die Behörde das vom Verwaltungsgerichtshof formulierte „Überraschungsverbot“ nicht beachtet und den Zurückweisungsbescheid erlassen, ohne eine vorherige Verständigung vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zu erlassen. Aufgrund dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs sei das Verfahren mit einem weiteren Verfahrensfehler belastet.
Zudem sei die Anhaltung selbst nicht zulässig gewesen. Die Zimmerisolation habe den denkbar intensivsten Eingriff in die Freiheitsrechte des Beschwerdeführers dargestellt. Der Beschwerdeführer sei zuvor bereits mehrmalig Covid-19-negativ getestet worden und habe niemals einen Krankheitsfall dargestellt. Es gebe auch nach wie vor keinerlei Ermittlungsergebnisse zur Art und Intensität des Kontakts und zum Infektionsverdacht der Mitarbeiterin.
Das Verbot des Verlassens des eigenen Zimmers sei daher als Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf persönliche Freiheit zu werten und könne dieser Eingriff nicht gerechtfertigt werden. Bereits aufgrund der Regelungen des § 2 Covid-19-Maßnahmengesetzes iVm der Verordnung gemäß § 2 Z 1 des Covid-19-Maßnahmengesetzes sei das Verlassen des Wohnsitzes allein oder gemeinsam mit haushaltszugehörigen Personen und Einhaltung eines Mindestabstandes von einem Meter zu haushaltsfremden Personen erlaubt. Der Beschwerdeführer sei sehr mobil und aktiv. Er lege oft Spaziergänge zurück, auch die Hygienevorschriften beachte er. Es hätten zahlreiche gelindere Mittel wie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, Abstandsregelungen, allenfalls Stockisolation zur Verfügung gestanden, um eine Ansteckungsgefahr hintanzuhalten. Es habe kein Anlass bestanden, dem Beschwerdeführer das Verlassen seines Zimmers und Spaziergänge in der Natur, wo Kontakte zu anderen haushaltsfremden Menschen leicht vermieden werden können, pauschal zu untersagen. Die verfügten Beschränkungen seien angesichts dessen überschießend gewesen.
II. Sachverhalt:
Es steht nachstehender entscheidungsrelevanter Sachverhalt fest:
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X vom 01.04.2020, Zl ***, adressiert an die Marktgemeinde Hofpgarten i.Br. als Rechtsträgerin des Wohn- und Pflegeheims Z-Y, wurde verfügt, dass ansteckungsverdächtige Bewohner des Wohn- und Pflegeheims bis einschließlich 10.04.2020 in der jeweiligen Wohneinheit abzusondern sind. Die Namen der betroffenen Bewohner wurden im Bescheid nicht genannt.
Der Beschwerdeführer lebt in dem Bereich, in dem eine positiv getestete Mitarbeiterin arbeitete und er wurde über Anweisung der Heimleitung faktisch abgesondert.
Dieser festgestellte relevante Sachverhalt ist unstrittig.
III. Erwägungen:
Beschwerdelegitimiert ist der Adressat eines Bescheides bzw eine Partei des Verfahrens. Im hier vorliegenden Sachverhalt erließ die Bezirkshauptmannschaft X einen Bescheid, der ausschließlich an die Marktgemeinde Z als Rechtsträgerin des Wohn- und Pflegeheimes Z-Y adressiert war.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des VwGH (siehe bspw VwGH 28.05.2013, 2010/05/0052), dass gemäß Art 131 Abs 1 Z 1 B-VG gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde nach Erschöpfung des Instanzenzuges wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben kann, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Aus der erforderlichen Verletzung des Beschwerdeführers in seinen Rechten ergibt sich, dass nicht schon die Rechtswidrigkeit (Gesetzwidrigkeit) eines Bescheides an sich zur Beschwerdeerhebung berechtigt, sondern nur eine solche behauptete Rechtswidrigkeit (Gesetzwidrigkeit), die den Beschwerdeführer in „seinen“ dh in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt.
Wie bereits erwähnt, ist der Beschwerdeführer im hier vorliegenden Sachverhalt weder Adressat des ursprünglichen Bescheides der Bezirkshauptmannschaft X noch Partei des gegenständlichen Verfahrens und kann dadurch durch den Bescheid auch nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt sein. Ob eine faktisch stattgefundene Absonderung des Beschwerdeführers auf einer anderen Rechtsgrundlage erfolgte, kann dahingestellt bleiben. Die vom Beschwerdeführer behauptete Absonderung lässt sich jedoch nicht auf den im hier vorliegenden Verfahren relevanten Bescheid der BH X vom 01.04.2020 stützen.
Der die Vorstellung des Beschwerdeführers zurückweisende Bescheid der Bezirkshauptmannschaft X ist daher rechtmäßig ergangen und war die Beschwerde daher als unbegründet abzuweisen.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung war aus folgenden Gründen nicht erforderlich:
Gemäß § 24 Abs 2 ff VwGG kann das Landesverwaltungsgericht ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Landesverwaltungsgericht vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und wenn Art 6 Abs 1 EMRK dem nicht entgegensteht.
Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr 17912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige.
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein), hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne.
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist hier geklärt. In der vorliegenden Beschwerde wurden ausschließlich Rechtsfragen aufgeworfen, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Art 6 EMRK steht somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen (VwGH 24.6.2016, 2011/05/0182).
IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Dr. Larcher
(Vizepräsident)
Schlagworte
Keine Parteistellung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2020.23.1402.1Zuletzt aktualisiert am
14.09.2020