TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/29 L518 2135658-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.08.2019
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Entscheidungsdatum

29.08.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch

L518 2135654-4/2E

L518 2135658-4/2E

L518 2135655-4/2E

L518 2135657-4/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. STEININGER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , von XXXX , geb. XXXX , von XXXX , geb. XXXX , von XXXX , geb. XXXX , alle StA. Armenien, die minderjährigen Beschwerdeführer vertreten durch die Mutter XXXX , geb. XXXX , alle vertreten durch Migrantinnenverein St. Marx, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2019, Zl. 1030239203-171045875, Zl. 1030239007-171045867, Zl. 1030238609-171045859 und Zl. 1030238903-171045845, zu Recht erkannt:

A.)

I. Die Beschwerden werden hinsichtlich Spruchpunkte I bis VI als unbegründet abgewiesen. Die Spruchpunkte VII. werden ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

I.1. Die beschwerdeführenden Parteien (bP) sind Staatsangehörige der Republik Armenien und brachten nach rechtswidriger Einreise in das Hoheitsgebiet der Europäischen Union und in weiterer Folge nach Österreich am 28.09.2014 erstmalig Anträge auf internationalen Schutz ein.

Die männliche bP 3 und weibliche bP 4 sind miteinander verheiratet. Die bP 5 und 6 sind ihre minderjährigen Kinder. Die numerischen Bezeichnungen der bP werden aus Gründen der Übersichtlichkeit aufgrund der Nummerierung in den inhaltlichen Entscheidungen vom 17.11.2016 beibehalten. Die den bP später nachfolgenden Eltern der bP 3 (ehemals bP 1 und bP 2) sind nach drei rechtskräftig negativen Entscheidungen inzwischen nach Armenien zurückgekehrt.

Die bP 3 und 4 stellten für sich und ihre minderjährigen Kinder, die bP 5 und 6 am 29.08.2014 erstmalig Anträge auf internationalen Schutz.

I.1.1. Bereits im ersten Verfahren stützte sich die bP 4 auf die Fluchtgründe bzw. Probleme der bP 3. Auch für die minderjährigen bP 5 und 6 wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

I.1.2. Vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte die bP 3 Folgendes vor:

A: Im März 2014 wurde ich Augenzeuge eines Streites zwischen dem Sohn des Premierministers von Armenien und einem Bekannten von mir namens XXXX . Es waren insgesamt mehrere Personen daran beteiligt. Die Polizei war vor Ort und haben mich gezwungen eine Anzeige als Augenzeuge, zu erstatten. Zu diesem Zeitpunkt hat mich mein Vater angerufen und mir gesagt, dass mehrere Autos vor dem Haus stehen und mehrere Leute uns gedroht haben, mich umzubringen, falls ich eine Anzeige erstatte. Ich unterschieb die Anzeige nicht und bekam daraufhin sogar eine Ohrfeige von den Polizisten. Drei Tage später hat mich die Polizei wieder geladen. Ich habe mich wieder geweigert die Anzeige zu erstatten. Darauf wurde ich von der Polizei geschlagen. Wegen Angst und Stress habe ich sehr viel abgenommen und ich wurde krank. Ende Juni 2014, wurde bei mir ein Nierenversagen diagnostiziert. Seitdem bin ich Dialysepatient.

Aus diesen Gründen habe ich zusammen mit meiner Familie Armenien verlassen

I.1.3. Am 10.04.2015 wurde eine Vertreterbekanntgabe übermittelt.

I.1.4. Vor einem Organwalter der belangten Behörde brachte die bP 3 am 02.09.2015 in den Wesentlichen, wiedergegebenen Passagen Folgendes vor:

- Ich werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich im Fall von Verständigungsschwierigkeiten jederzeit rückfragen kann. Fühlen Sie sich heute psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu Ihrem Asylverfahren zu machen?

- A: Ja.

- F: Befinden Sie sich dzt. in ärztlicher Behandlung/Therapie oder nehmen Sie regelmäßig Medikamente?

- A: Ja, ich muss drei Mal in der Woche zur Dialyse und außerdem sind meine Herzflügel vergrößert.

- ...

- F: Wann haben Sie Armenien endgültig verlassen?

- A: Am Abend des 26.08.2014.

- F: Können Sie Dokumente als Beweis für Ihre Identität vorweisen?

- A: Nein.

- F: Haben Sie in Ihrer Heimat Identitätsdokumente, die Sie sich schicken lassen könnten?

- A: Nur meinen Führerschein, Parteiausweis und Wehrdienstbuch.

- F: Haben Sie die Möglichkeit, sich diese Dokumente schicken zu lassen?

- A: Ja.

- F: Ich räume Ihnen eine Frist bis 23.09.2015 ein, um die Dokumente beim BFA vorzulegen.

- A: Ja, ich habe verstanden.

- F: Haben Sie jemals einen Auslandsreisepass besessen oder beantragt?

- A: Ja, ich hatte einen Pass. Der Schlepper hat ihn mir abgenommen und nicht mehr zurückgegeben.

- F: Haben Sie Ihr Heimatland früher schon einmal verlassen?

- A: Nein, nur auf Urlaub in Russland, als ich ein Kind war.

- F: Haben Sie in Ihrem Heimatland Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Stellen?

- A: Nein, mit der Polizei habe ich keine Probleme, sondern nur mit Kriminellen.

- F: Ist gegen Sie ein Gerichtsverfahren anhängig?

- A: Nein.

- F: Waren Sie in Haft oder wurden Sie festgenommen?

- A: Ja. Ich wurde einmal für drei Tage bei der Polizei festgehalten.

- F: Haben Sie in anderen Staaten um Asyl angesucht?

- A: Nein.

- F: Haben Sie in Ihrer Heimat die Schule besucht bzw. gearbeitet?

- A: Ich habe 10 Jahre die Schule besucht. Danach habe ich vier Jahre "internationale Beziehungen" studiert. Danach habe ich meinen Grundwehrdienst absolviert. Danach hatte ich 10 Jahre lang ein Bistro.

- F: Wie wurde Ihre Ausreise finanziert?

- A: Wir hatten außer unserem Haus noch zwei Wohnungen, die wir vermietet haben. Damit haben wir unsere Ausreise finanziert.

- F: Wie leben Ihre in der Heimat verbliebenen Familienangehörigen und wie ist deren wirtschaftliche Lage (Namen, Geburtsdaten, Adresse, Beruf)?

- A: Mein Onkel väterlicherseits und meine Tante mütterlicherseits leben noch in Armenien.

- Onkel: XXXX , geb. XXXX . Adresse: XXXX . Er ist von Beruf Musiker.

- Tante: XXXX . Die genaue Adresse weiß ich nicht. Sie ist Kindergartenleiterin.

- F: Ist Ihre Versorgung hier gesichert?

- A: Nein, ich befinde mich in Grundversorgung.

- F: Sind Sie Mitglied einer politischen Partei oder parteiähnlichen Organisation?

- A: Ja, ich bin Mitglied der Partei "blühendes Armenien".

- F: Sind Sie aktives Mitglied dieser Partei?

- A: Ich bin Stellvertreter des Stableiters der Partei im XXXX .

- F: Was war oder ist Ihr Aufgabenbereich?

- A: Wir haben unsere Partei vorgestellt, Werbung gemacht. Wir haben ältere Personen mit Bussen zu den Wahlen geführt.

- F: Haben Sie in Ihrer Heimat oder in Österreich je an Demonstrationen teilgenommen?

- A: Nein.

- F: Haben Sie in Ihrem Herkunftsland Probleme mit dem Militär bzw. bezüglich Wehrdienstleistung?

- A: Nein.

- Wenn ich nun aufgefordert werde meine Flucht- und Asylgründe von Beginn an ausführlich zu schildern, gebe ich an:

- Am XXXX .2014 habe ich auf dem Heimweg einen Freund meines Vaters namens XXXX gesehen. Er hatte Streit mit einflussreichen Kriminellen. Ich bin dazwischen gegangen, da er ein Freund meines Vaters war. Es kam zu einer großen Schlägerei. Mich hat ein Mann namens XXXX geschlagen. Dabei bin ich gestürzt. Während ich am Boden lag, wurde ich von vielen Personen getreten. Ich kann nicht behaupten, dass meine Nierenprobleme daher stammen. Ich habe damals aber 105 Kilo gewogen. Dann hatte ich sehr viel Stress. Man hat mein Bistro komplett zerstört, mein Vater wurde geschlagen. Das war in den darauffolgenden Tagen. Meine Frau wurde bedroht, als sie das Kind in den Kindergarten brachte. Meine Frau ist zu ihren Eltern geflüchtet. Wir haben dann unser ganzes Geld gesammelt. Ein Freund meines Vaters hat uns dann nach Georgien gebracht. Von dort sind wir weiter über die Ukraine nach Österreich gekommen.

- F: Was war der Auslöser dieser Streitigkeiten?

- A: Dieser Freund meines Vaters wollte neben der Gastankstelle einen Kiosk eröffnen. Dieser XXXX wollte das nicht, weil er meinte, dass dieser Stadtbezirk ihm gehört. Er sagte: "Ich werde dort etwas eröffnen und nicht ein Fremder, der aus einem anderen Bezirk kommt!"

- F: Schildern Sie mir diese Streitsituation bitte genauer!

- A: Nachdem ich geschlagen wurde, wurde ich ins republikanische Krankenhaus gebracht...

- F: Bitte schildern Sie mir die Streitsituation von Anfang bis zum Ende!

- A: Ein Freund meines Vaters war mit vier anderen Personen dort, insgesamt waren wir zu sechst. Die andere Gruppe bestand aus ungefähr 30 Personen. Zuerst gab es einen verbalen Streit, es ging um diesen Kiosk. Dann kam es zu einer großen Schlägerei.

- F: Da Sie bei dieser Schlägerei dabei waren, müssten Sie mir ja etwas darüber schildern können?!

- A: Es kam zu einer Schlägerei. Man hat sich gegenseitig geschlagen und beschimpft. Wir haben auch zurückgeschlagen und zurückgeschimpft. Sie waren aber in der Überzahl und zwar vier Mal mehr als wir.

- F: Das ist mir zu allgemein. Wenn Sie bei dieser Schlägerei dabei waren, so müssten Sie mir doch irgendein Detail darüber erzählen können?!

- A: Ich kam näher. Als ich den Freund meines Vaters dort sah fragte ich ihn, was los sei. Jemand sagte: "Wer bist du? Ein ......Sohn?" Ich habe daraufhin auch etwas erwidert und daraufhin kam es zu dieser Schlägerei.

- Vorhalt: Ich habe Sie mehrmals dazu aufgefordert, Details zu schildern und Sie machen immer nur allgemeine Angaben. Ich werde Sie nicht noch einmal dazu auffordern, aber Ihre Geschichte klingt so nicht glaubhaft!

- A: Ich lag am Boden. Daraufhin wurde ich von 15 Personen getreten. Ich wurde ohnmächtig. Als ich zu mir kam, war ich schon im Krankenhaus.

- F: Wer ist dieser XXXX ?

- A: Er ist ein einflussreicher Krimineller in seinem Bezirk.

- F: Was meinen Sie mit einflussreich?

- A: Er ist eine Autorität.

- F: Was meinen Sie damit? Wie kommt er dazu, eine Autorität zu sein?

- A: Diese Leute können Leute schlagen, überfahren. Auch wenn sie zur Polizei kommen, werden sie gleich frei gelassen.

- F: Ich möchte von Ihnen wissen, weshalb er eine Autorität ist?

- A: Er hat sehr viel Geld. Armenien ist ein korruptes Land. Er bezahlt Geld und wird frei gelassen. Er hat Tankstellen in Jerewan. Deswegen kennt ihn jeder in Jerewan.

- F: Wie ist es weiter gegangen, als Sie im Krankenhaus waren?

- A: Mein Bein war ausgekegelt und auch mein linker Zeigefinger. Meine Augen waren angeschwollen. Ich war sehr gestresst und habe immer wieder erbrochen. Ich hatte Angst. Ich war sieben Tage im Krankenhaus.

- F: Wie ist es danach weitergegangen?

- A: Ich wurde aus dem Krankenhaus entlassen. Drei bis vier Tage habe ich danach noch an meiner Wohnadresse verbracht. Meine Gattin, meine Kinder und ich sind dann zu meiner Tante nach XXXX geflüchtet. Zwei Tage danach sind wir mit dem Auto nach Georgien/Tiflis gefahren.

- F: Gab es in diesen drei bis vier Tagen, in denen Sie zu Hause waren, irgendwelche besonderen Vorkommnisse?

- A: Nein.

- F: Gab es außer dieser Schlägerei noch andere Problemsituationen die Sie mir schildern können?

- A: Nein, das war nur diese Schlägerei. Meine Frau wurde bedroht.

- F: Wann und wie wurde Ihre Gattin bedroht?

- A: Sie hat das Kind in den Kindergarten gebracht. Eine unbekannte männliche Person ist auf sie zugekommen. Er war groß gebaut. Er hat sie bedroht.

- F: Wie hat er sie bedroht?

- A: Er hat mit der Entführung des Kindes bedroht und meine Frau bekam Angst.

- F: Was wollte er konkret, weshalb hat er mit der Entführung des Kindes gedroht?

- A: Sie wollten mich entführen. Da ich mich aber versteckt aufgehalten habe, haben sie mit der Entführung des Kindes gedroht. Sie wollten eigentlich wissen, wo ich mich befinde.

- F: Wann war dieser Vorfall?

- A: Das war Mitte April 2014.

- F: War das in diesen drei bis vier Tagen, als Sie noch zu Hause waren?

- A: Ja.

- F: Dann haben Sie sich ja nicht versteckt gehalten?!

- A: Ich habe das Haus nicht verlassen. Sie haben sich in unserem Bezirk nach mir erkundigt. Alle sagten, dass ich nicht zu Hause bin.

- Vorhalt: Wenn diese Männer wirklich so einflussreich und so kriminelle sind wie Sie sagen, verstehe ich eines nicht: dann wäre doch das Erste gewesen, zu Ihnen nach Hause zu kommen und die Wohnung zu durchsuchen und nicht einfach nur andere Leute zu fragen und ihnen zu glauben.

- A: Er ist eine Autorität. Er wäre doch nicht zu mir nach Hause gekommen. Er hat seine Läufer aufgefordert, mich zu finden und zu ihm zu bringen.

- Vorhalt: Ich verstehe nicht, weshalb diese "Läufer" nicht zuerst zu Ihnen nach Hause gekommen sind?!

- A: Sie sind ins Bistro gekommen. Sie haben dort alles kaputt geschlagen. Alle wussten, dass ich mich die ganze Zeit im Bistro aufhalte. Ich war aber nicht dort und habe mich zu Hause aufgehalten. Ins Haus sind sie nicht reingekommen.

- F: Weshalb haben diese Leute Sie gesucht, was wollten sie von Ihnen?

- A: Während der Schlägerei haben diese Personen mich geschlagen und ich habe zurückgeschlagen. Sie haben mich beschimpft und ich habe sie auch beschimpft. Weil ich ein Bistro hatte, wollten sie es mir wegnehmen.

- F: Und deshalb haben diese Leute das Bistro zerstört?!

- A: Ja. Damit wollten sie mich dazu bringen, damit ich sage: "Ja, lasst mich in Ruhe. Ihr könnt das Bistro nehmen!" In Armenien ist das etwas anders als hier in Österreich. Dort bei der Polizei sind auch ihre Leute und wenn die Polizei kommt, wird der Fall so erledigt, wie sie es haben wollen.

- F: Was machte Ihren weiteren Verbleib im Land nun unmöglich?

- A: Die Bedrohungen durch die Kriminellen. Das Bistro ist auf meinen Namen registriert. Wir haben es aber auf den Namen des Nachbarn ummelden lassen.

- F: Hätten Sie nicht in eine andere Stadt Armeniens gehen und neu anfangen können?

- A: Armenien ist klein. Sie haben überall ihren Freundeskreist.

- F: Was sollten diese Leute noch von Ihnen wollen, wenn Sie in einer anderen Stadt wären?

- A: Mein Bistro.

- F: Wenn Sie in einer anderen Stadt wären, dann hätten Sie doch das Bistro gar nicht mehr?!

- A: Wem sollte ich das Bistro überlassen? Wir haben unser Leben lang dieses Bistro betrieben. Deren Wunsch war es, uns dieses Bistro wegen dieser Schlägerei wegzunehmen.

- F: Wem gehört dieses Bistro jetzt?

- A: Es gehört uns, obwohl wir es auf den Namen des Nachbarn umgemeldet haben und er es betreibt.

- F: Und Ihr Nachbar hat keine Probleme mit diesen Leuten?

- A: Der Nachbar sagt, dass er dieses Bistro gekauft hat und ihm gehört und dass wir nicht mehr da sind.

- F: Haben Sie alle Fluchtgründe genannt?

- A: Ja, das war alles.

- Vorhalt: Ich habe Sie zu Beginn der Einvernahme gefragt, ob Sie bei Ihrer Erstbefragung die Wahrheit gesagt haben und Sie haben das bejaht. Allerdings haben Sie damals andere Angaben gemacht. Ich werde Ihnen Ihre damaligen Angaben nun von der Dolmetscherin noch einmal übersetzen lassen und fordere Sie auf, dazu Stellung zu nehmen bzw. mir zu erklären, weshalb Sie derart widersprüchliche Angaben machen!

- Antwort nach Übersetzung: Ich habe heute die Wahrheit gesagt. Was widerspricht diesen Angaben?

- Vorhalt: Sie haben damals angegeben, die Probleme wären mit der Polizei entstanden bzw. Sie wären von der Polizei geschlagen worden. Weiters haben Sie damals angegeben, der Mann der den Streit mit Ihrem Bekannten gehabt hätte, wäre der Sohn des Premierministers gewesen. Heute schilderten Sie alles gänzlich anders!

- A: XXXX ist ein Freund vom Sohn des Premierministers. Er ist eine Autorität. Ich wurde bei der Polizei drei Tage lang festgehalten. Man verlangte von mir den Namen der Person, die mich geschlagen hat.

- Vorhalt: Sie haben mir heute geschildert, dass Sie ohnmächtig wurden und erst im Krankenhaus wieder aufgewacht sind. Weiters haben Sie gesagt, Sie wären sieben Tage im Krankenhaus gewesen und danach drei bis vier Tage zu Hause. Danach wären Sie zu Ihrer Tante und dann weiter nach Georgien gegangen. Ich habe Sie gefragt, ob in diesen drei bis vier Tagen zu Hause irgendetwas vorgefallen ist und Sie haben verneint!

- A: Er ist auch ein Freund des Sohnes des XXXX . Es hat ja auch keinen Sinn alle zu erwähnen, mit denen er befreundet.

- Vorhalt: Es ist interessant, dass Sie immer nur von XXXX sprechen und auf den Hauptwiderspruch nicht eingehen! Damals sagten Sie nämlich, Sie wären von der Polizei mehrmals geschlagen und bedroht worden und heute haben Sie davon überhaupt nichts erwähnt!

- A: Von der Polizei wurde ich nicht bedroht. Sie wollten, dass ich eine Anzeige erstatte gegen diese Person, die mich krankenhausreif geschlagen hat.

- Vorhalt: Ich glaube Ihnen Ihr Vorbringen nicht. Ihre beiden Geschichten sind von Grund auf widersprüchlich!

- A: Es kann sein, dass ich vergessen habe, wie viele Tage ich im Krankenhaus war.

- Vorhalt: Es geht hier nicht um derartige Kleinigkeiten, sondern darum, dass Ihre Geschichten komplett widersprüchlich sind!

- A: Ich habe nicht gesagt, dass die Polizei mich bedroht hat. Wenn so etwas in der Niederschrift steht, dann stimmt das nicht. Ich habe das nie angegeben.

- Anmerkung: Der ASt. verzichtet auf die Erörterung der Feststellungen zur Situation im Heimatland.

- F: Würde Ihnen im Falle der Rückkehr in Ihren Herkunftsstaat Verfolgung, unmenschliche Behandlung oder die Todesstrafe drohen?

- A: Nein.

- F: Welche Integrationsschritte Ihrerseits können Sie seit Ihrer Einreise in Österreich vorweisen?

- A: Keine. Ich war nur in ärztlicher Behandlung.

- F: Haben Sie außer Ihrer Gattin und Ihren Kindern Verwandte in Österreich?

- A: Ja, meine Eltern sind auch hier als Asylwerber.

- F: Haben Sie Angehörige in einem anderen EU Staat?

- A: Ich habe in Frankreich und Deutschland Onkeln und Tanten.

- F: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

- A: Nein.

- F: Können Sie etwaige ehrenamtliche Tätigkeiten in Österreich (z.B. in einer Pfarrgemeinde oder einem gemeinnützigen Verein) vorweisen?

- A: Nein.

- F: Wollen Sie Ihren Angaben noch etwas hinzufügen, was noch nicht zur Sprache gekommen ist?

- A: Mir ist meine Gesundheit sehr wichtig und dass ich für eine Nierentransplantation angemeldet werde. Momentan ist das nämlich nicht möglich.

- F: Hat es während der Einvernahme Verständigungsprobleme mit der Dolmetscherin gegeben?

- A: Nein.

I.1.5. Am 18.11.2015 wurden medizinische Unterlagen zur bP 3 vorgelegt. Beantragt wurde, von einer Abschiebung der bP 3 Abstand zu nehmen, da die Behandlung im Herkunftsland nicht entsprechend erfolgen könne. Des Weiteren wurde die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens beantragt.

I.1.6. Mit Schreiben vom 23.06.2016 wurden weitere medizinische Unterlagen zur bP 3 vorgelegt und wurde unter einem ersucht, eine positive Sachentscheidung zu treffen.

I.1.7. Mit Schreiben vom 12.08.2016 gab die nunmehrige rechtsfreundliche Vertretung der bP das Bevollmächtigungsverhältnis zu bP 3-6 bekannt.

I.1.8. Mit Schreiben vom 29.08.2016 wurde die Vollmachtsauflösung durch den ehemaligen Vertreter der bP bekannt gegeben.

I.1.9. Die bP legten vor der belangten Behörde vor:

- Medizinische Befunde bP 3

- Unterstützungserklärung Privatperson

I.1.10. Am 01.09.2016 langte eine Säumnisbeschwerde hinsichtlich der bP 3-6 ein.

I.2. Die Anträge der bP 3-6 auf internationalen Schutz wurden folglich mit Bescheiden der belangten Behörde vom 02. bzw. 05. September 2016 gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die bP Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Armenien gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

I.2.1. Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen der bP als nicht glaubwürdig.

I.2.2. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Armenien traf die belangte Behörde ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben.

I.2.3. Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dass weder ein unter Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GKF noch unter § 8 Abs. 1 AsylG zu subsumierender Sachverhalt hervorkam.

Es hätten sich weiters keine Hinweise auf einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ergeben und stelle die Rückkehrentscheidung auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 8 EMRK (§§ 55, 10 Abs. 2 AsylG 2005) dar.

I.3. Gegen diese Bescheide wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

In der Beschwerde betreffend bP 3-6 wurden vorwiegend Ausführungen zum Gesundheitszustand der bP 3 getroffen. Die bP 3 leide an einem Nierenversagen beider Nieren, beide Nieren wären Schrumpfnieren und sei die vorangeschrittene Erkrankung der bP 3 irreversibel, nicht heilbar und tödlich. Nur durch eine Hämodialyse oder durch eine Nierentransplantation sei ein Überleben der bP 3 möglich. Zusätzlich leide die bP an schwerer Anämie, welche mit Medikamenten behandelt werden müsse. Auch bestünde gegenwärtig ein schwerer renaler Hyperparathyreoidismus bedingt durch eine schwere Knochenstoffwechselstörung. Es käme zu Wirbeleinbrüchen und weise die bP 3 einen Rundrücken auf. Es bestünde ein Herzfehler und müsse die bP 3x wöchentlich zur Dialyse. Diese Ersatztherapie müsse bis zum Tode durchgeführt werden, wobei bereits nunmehr die Lebenserwartung durch die Dialyse eingeschränkt sei. Die Nebenschilddrüsenerkrankung sei trotz erfolgter Operation noch nicht ausreichend behandelt. Hinsichtlich der Erkrankungen sei die bP medikamentös eingestellt. Aus den vorgelegten Unterlagen würde sich ergeben, dass eine auch nur kurzfristige Unterbrechung der medikamentösen Einstellung (welche bereits Höchstdosis aufweise), zu einer reellen Gefährdung des Rechtsgutes von Leib und Leben führen würde.

Im gegenständlichen Einzelfall läge eine lebensbedrohliche Erkrankung der bP 3 vor, welche geeignet sei, die bP 3 dem realen Risiko auszusetzen, unter qualvollen Umständen zu sterben, falls er keine Aussicht auf medizinische Hilfe oder familiäre Unterstützung im Zielstaat hat.

Es wurde aus Länderberichten aus den Jahren 2010 - 2013 zitiert, wonach Zuzahlungen zu medizinischen Leistungen (auch bei Dialysebehandlungen) notwendig wären. Auch die belangte Behörde hätte letztlich festgestellt, dass solche freiwilligen Zuzahlungen zu leisten wären. Aus den Feststellungen ließe sich letztlich entnehmen, dass solche freiwilligen Zuzahlungen nicht nur primär für die notwendige ärztliche bzw. medizinische Versorgung zu erwarten wären, sondern auch zum Bezug von notwendigen Medikamenten (Sekundärversorgung) geleistet werden müsse.

Die belangte Behörde hätte Feststellungen dazu zu treffen gehabt, ob es den bP bzw. der Kernfamilie auch unter Zugrundelegung der Situation bei allfälliger Rückkehr in den Herkunftsstaat überhaupt möglich ist, notwendige Zuzahlungen aufzubringen. Es sei von Entscheidungsrelevanz, Feststellungen dazu zu treffen, ob es der bP 3 und der Kernfamilie allenfalls unter Zuhilfenahme der nächsten Angehörigen möglich ist, solche notwendigen Zuzahlungen überhaupt zu leisten. In diesem Punkt sei kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt worden und sei die bP 3 selbst aufgrund der Erkrankung nicht in der Lage, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die bP 4 stand noch in keinem Beschäftigungsverhältnis und würde die gesamte Familie über keine Vermögenswerte verfügen, welche sie verwenden könnten. Zuzahlungen im Ausmaß von 50 Dollar pro Dialysesitzung seien gängige Praxis im Herkunftsstaat. Die bP 3 hätte damit für die Primärversorgung 600 Dollar monatlich zu zahlen und müsse dies in Relation zum Durchschnittseinkommen von 180 - 200 Eur gesetzt werden. Weitere Zuzahlungen für die Sekundärversorgung seien da noch nicht berücksichtigt und sei der Familie die Finanzierung der Behandlung nicht möglich. Die bP 3 sei auch nicht in das Gesundheitssystem in Armenien dauerhaft aufgenommen worden sondern habe Armenien gleich nach der diagnostizierten Gesundheitsbeeinträchtigung verlassen. Schließlich würde auch nur eine kurzfristige Unterbrechung der Behandlung eine Gefahr mit sich bringen.

Es liege eine Verletzung der Ermittlungspflicht in einem wesentlichen Punkt, nämlich ob festgestellte, "freiwillige Zuzahlungen bzw. Zuwendungen" überhaupt möglich sind, vor.

I.4. Für den 09.11.2016 lud das erkennende Gericht die Verfahrensparteien zu einer Beschwerdeverhandlung.

Gemeinsam mit der Ladung wurden den bP Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat, insbesondere auch eine Anfragebeantwortung betreffend Nierenleiden bzw. Nierentransplantationen in Armenien vom 19.05.2014 sowie eine Anfragebeantwortung vom 13.03.2014 betreffend der Kosten der Behandlung und Verfügbarkeit von Medikamenten bei Diabetes Mellitus und Schilddrüsenunterfunktion zugestellt. Ebenso wurde sie -in Ergänzung bzw. Wiederholung zu den bereits bei der belangten Behörde stattgefundenen Belehrungen- ua. hinsichtlich ihrer Obliegenheit zur Mitwirkung im Verfahren manuduziert und aufgefordert, Bescheinigungsmittel vorzulegen.

I.4.1. Am 02.11.2016 legten die bP einen medizinischen Bericht betreffend die bP 3 vor und wurde eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen erstattet.

Ausgeführt wurde, dass die bP 3 nicht nur an Schrumpfnieren sondern auch an einem schweren, renalen Hyperparathyreoidismus sowie Herzklappenfehler leide. Betreffend der Nebenschilddrüsenerkrankung käme es in den nächsten Monaten zu einer Reoperation. Die zum Nierenversagen hinzukommenden, jeweils für sich gesehenen schweren Erkrankungen seien im Zuge der Gesamtbeurteilung jedenfalls zu berücksichtigen. Diesbezügliche Behandlungsnachweise ließen sich den Länderfeststellungen nicht entnehmen.

Die aktuellen Länderberichte würden ergeben, dass sowohl zu Primär- als auch zu Sekundärleistungen Zuzahlungen zu tätigen wären. Die Zuzahlungen könnten die bP nicht leisten und sei zu berücksichtigen, dass die nunmehr bestehenden mannigfaltigen, jeweils für sich als schwer zu bezeichnenden Erkrankungen in einem Zeitpunkt entstanden sind, zu welchem die bP den Herkunftsstaat bereits verlassen hatten. Es werde darauf hingewiesen, dass es von Relevanz sein wird, inwieweit sich die bP 3 überhaupt erstmalig in das Gesundheitssystem mit Erkrankungen, die dort noch nicht behandelt wurden, eingliedern kann und wie schnell eine notwendige, lebenserhaltende Behandlung unverzüglich nach Rückkehr gewährleistet werden kann.

Die bP hätten sämtliche Verbindungen mit dem Herkunftsland abgebrochen, weshalb fraglich sei - und ergäbe sich dies auch nicht aus den Feststellungen - wie rasch die bP 3 ins Gesundheitssystem eingegliedert und behandelt wird. Die bP würden über keine entsprechenden Einkünfte bzw. Arbeitsmöglichkeiten bzw. eine Wohnversorgung bei Rückkehr verfügen.

I.4.2. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung brachten die bP zusammengefasst vor, bisher im Asylverfahren wahrheitsgemäße Angaben gemacht zu haben und letztlich aufgrund der Erkrankung der bP 3 nicht nach Armenien zurückkehren zu können.

Der bP 3 wurden Länderfeststellungen der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vom 03.06.2013 sowie die Anfragebeantwortung der Staatendoku vom 05.08.2014 (Behandelbarkeit von Herzerkrankungen sowie die Verfügbarkeit von Medikamenten) vorgehalten und wurden die wesentliche Teile durch die Dolmetscherin übersetzt.

I.4.3. Vorgelegt wurden von den bP in der Verhandlung:

- Fotos die bP 4 im gesunden Zustand zeigend

- Teilnahmebestätigung Deutschkurs bP 4

- Unterstützungsschreiben Pfarrer Heimatgemeinde der bP

- Schulzeugnisse und Schulunterlagen bP 5

I.5. Am 15.11.2016 langte eine ergänzende Stellungnahme und Urkundenvorlage ein. Vorgelegt wurde ein medizinisches Schreiben vom 15.11.2016.

I.6. Mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.11.2016 wurden die Beschwerden der bP 3-6 gemäß §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1, 10 Abs 1 Z 3 und 57 AsylG, § 9 BFA-VG und §§ 52 Abs 2 Z 2, 52 Abs 9 iVm 46 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

Diese Erkenntnisse wurden dem Beschwerdeführervertreter ordnungsgemäß zugestellt und erwuchsen in Rechtskraft.

I.6.1. Festgestellt wurde durch das BVwG (bP 1 und bP 2 sind die Eltern der bP 3 im gegenständlichen Verfahren) insbesondere:

"Bei den beschwerdeführenden Parteien handelt es sich um im Herkunftsstaat der Mehrheits- und Titularethnie angehörige Armenier, welcher aus einem überwiegend von Armeniern bewohnten Gebiet stammen und sich zum Mehrheitsglauben des Christentums bekennen. Die bP sind Drittstaatsangehörige.

Die beschwerdeführenden Parteien bP 1, 2, 4, sind arbeitsfähige Menschen. Die bP haben familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat und verfügen dort über eine -wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich- gesicherte Existenzgrundlage.

Die Pflege und Obsorge der minderjährigen bP 5 - bP 6 ist durch bP3 und bP4 gesichert.

Die bP 1, 4, 5 und 6 sind gesund.

Die bP 2 wurde in Österreich wegen eines Myoms operiert. Inzwischen ist sie diesbezüglich beschwerdefrei. Sie leidet weiters an benigner Hypertonie, erhöhtem Cholesterin, vergrößerter Schilddrüse, Bronchitis und Diabetes Mellitus Typ II. Sie ist wegen Diabetes und Bluthochdruck in Behandlung (Insulin).

Die bP 3 leidet an Schrumpfnieren sowie Begleiterkrankungen des Nierenversagens (Anämie, Durchblutungsstörungen, tertiärer Hyperparathyreoidismus-Knochenstoffwechselstörung). Sie wurde bereits in Armenien behandelt und erhielt sie ab Juni 2014 dort eine Dialysebehandlung. Sie muss in Österreich 3x wöchentlich zur Dialyse. Zusätzlich leidet sie an einem Herzklappenfehler. Sie wurde in Österreich wegen ihrer Nebenschilddrüsenerkrankung operiert, am 29.11.2016 soll eine weitere Operation an der Nebenschilddrüse erfolgen, um die Knochenstoffwechselstörung zu behandeln. Es wurde der bP 3 mitgeteilt, dass noch weitere Operationen (an den Knochen, Herzklappen) geplant sind. Die bP 4 pflegt und versorgt die bP 3. Die bP 1 und bP 2 besuchen die bP 3-6 regelmäßig.

Zahlreiche Familienangehörige leben nach wie vor im Herkunftsstaat der bP. Die bP haben regelmäßigen Kontakt (Telefonisch, Internet) zu den Familienangehörigen.

Ein Bruder mit seiner Familie und die Mutter der bP 1 leben in Armenien. Die Gattin des Bruders arbeitet bei einer Netzbetreiberfirma, die Mutter bezieht eine Pension. Die Kinder vom Bruder studieren und lebt die Familie mit der Großmutter in einer eigenen Wohnung.

Die Eltern und drei Schwestern der bP 2 leben in Armenien. Sie haben gearbeitet und erhalten jetzt staatliche Pensionen. Die Schwestern leben in eigenen Wohnungen, die Eltern bei der Frau des verstorbenen Bruders.

Die Eltern und mehrere Onkel und Tanten der bP 4 leben ebenfalls in Armenien. Die Familienangehörigen betreiben kleine Geschäfte, der Vater war im Handel tätig.

Die bP besitzen ein Haus in Armenien, in welchem die bP vor der Ausreise lebten. Dort leben aktuell Verwandte der bP, welche noch über eine aktuell leerstehende Wohnung verfügen, in welcher sie davor lebten.

Die bP 2 hat die Schule und ein College abgeschlossen und ist ausgebildete Kindergärtnerin und Köchin. Vor der Ausreise hat die bP 2 als Köchin im Bistro der Familie gearbeitet sowie zusätzlich für eine Bäckerei Bachwaren hergestellt. Die bP 1 und 3 haben im familieneigenen Bistro gearbeitet, welches im Oktober 2015 an einen Nachbarn verkauft wurde. Die bP 4 war Hausfrau und betreute die Kinder. Die bP 4 hat im Anschluss an die Schule die Universität besucht und ein Jus-Studium abgeschlossen.

Die bP haben über die im gegenständlichen Erkenntnis genannten Mitglieder der Kernfamilie hinausgehend keine relevanten familiären und privaten Anknüpfungspunkte in Österreich.

Die bP verfügen in Österreich über keine eigenen, den Lebensunterhalt deckenden Mittel. Sie leben von der Grundversorgung und sind die volljährigen bP in Österreich noch keiner sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgegangen.

Die bP nehmen an einem Pfarrcafe teil und besuchen eine katholische Kirche. Die bP 1 und 2 helfen freiwillig in der Unterkunft mit.

Die bP 5 besucht die Schule, die bP 6 den Kindergarten.

Die bP sind strafrechtlich unbescholten.

Die bP 4 hat einen Deutschkurs besucht. Es liegen bei den bP 1, 2, 3 und 4 geringfügige Deutschkenntnisse vor.

Die Identität der bP steht nicht fest.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass den bP in ihrem Heimatland Armenien eine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung droht. Ebenso konnte unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände nicht festgestellt werden, dass die bP im Falle einer Rückkehr nach Armenien der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung iSd GFK ausgesetzt wären.

Weiters konnte unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Armenien eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für die bP als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Abschiebung der bP nach Armenien zulässig und möglich ist.

Die Vorgetragenen Fluchtgründe betreffend Problemen der bP 3 mit Privatpersonen in Armenien konnten nicht als glaubhaft angenommen werden. Die Erkrankungen der bP 2 und 3 an sich sind im Hinblick auf die Länderberichte betreffend Behandlungsmöglichkeiten nicht iSd Art. 3 EMRK relevant.

Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Armenien wurden ausführliche, aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben getroffen und wurden insbesondere die in der Verhandlung in das Verfahren miteinbezogenen Feststellungen zur medizinischen Versorgung in Armenien speziell unter Berücksichtigung der Erkrankungen der bP 3 der Entscheidung zugrunde gelegt. Die Wesentlichen Passagen lauteten:

1. Sicherheitslage

Kernproblem für die armenische Außenpolitik bleibt der Konflikt um Nagorny Karabach und die in diesem Zusammenhang geschlossenen Grenzen zu Aserbaidschan und zur Türkei. Seit dem Krieg um das überwiegend von Armeniern bewohnte Gebiet Bergkarabach (1992-94) halten armenische Verbände rund 17% des aserbaidschanischen Staatsgebiets (Bergkarabach und sieben umliegende Provinzen) besetzt (AA 3.2015b).

Der Territorialkonflikt um Nagorny Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan ist immer wieder durch Perioden von höherer bzw. niedrigerer Intensität gekennzeichnet. Eine Lösung zeichnet sich derzeit nicht ab, trotz gegenteiliger Beteuerungen seitens der Konfliktparteien (ICG 26.9.2013).

Im Februar 2015 stimmten die Vertreter der Minsker Gruppe, die seit 1994 unter der OSZE-Schirmherrschaft als diplomatisches Instrument zur Lösung des Konflikts dient, darin überein, dass sich die militärische Situation sowohl entlang der Grenze zwischen Armenien und Aserbaidschan als auch entlang der sogenannten Kontaktlinie (das heißt, der international nicht anerkannten Grenze zu Bergkarabach) verschlimmert habe. Im Jänner 2015 gab es mit zwölf Toten die höchste Zahl an Opfern seit dem Waffenstillstandsabkommen von 1994 (OSCE 7.2.2015).

Am 24.9.2015 wurden laut armenischer Seite durch aserbaidschanisches Gefechtsfeuer drei Zivilisten getötet und mehrere verletzt (RFE/RL 25.9.2015). Daraufhin kam es zu Grenzzusammenstößen in der Berg-Karabach-Region zwischen Aserbaidschan und Armenien, bei denen ein aserbaidschanischer und vier armenische Soldaten getötet wurden. Als Konsequenz drohte Baku, den vermeintlichen armenischen Angriff mit schweren Waffen zu vergelten (EN 27.9.2015; vgl. RFE/RL 26.9.2015). Auch Armenien drohte mit einer Eskalation des Konfliktes. Das armenische Verteidigungsministerium drohte am 26.9.2015 mit dem Einsatz von Artillerie und Raketen als Antwort auf den aserbaidschanischen Artillerieangriff (VK 26.9.2015, vgl. Eurasianet 27.9.2015).

Die Minsker Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zeigte sich über den Einsatz schwerer Waffen und die zivilen Opfer besorgt und erinnerte beide Seiten an die Verpflichtung der Genfer Konvention, die Sicherheit und den Schutz von Nicht-Kombattanten zu gewährleisten (OSCE 25.9.2015). Außerdem wurden beide Seiten aufgerufen, die OSZE-Mechanismen zu akzeptieren, die die Untersuchung von Verletzungen des Waffenstillstandes vorsehen (OSZE 26.9.2015).

Die Verletzung der Waffenruhe ist durch wechselseitige Schuldzuweisungen gekennzeichnet. Überdies droht Aserbaidschan angesichts der ausbleibenden diplomatischen Lösung, das umstrittene Territorium mit Gewalt zurückzuerobern (BBC 7.4.2015, vgl. RFE/RL 23.1.2015, FH 23.1.2014).

Aserbaidschan sieht für 2015 Militärausgaben von fünf Milliarden Dollar vor, was mehr als das Staatsbudget Armeniens ist. Russland ist der Hauptverbündete Armeniens in der Region und beliefert das Land mit Waffen im Gegenzug für das Beibehalten der russischen Militärpräsenz in Armenien (FPN 23.1.2015).

2. Rechtsschutz/Justizwesen

Im Rahmen der Strategie zur Justizreform (2012-16) wurde die Unabhängigkeit der Richter durch Festlegung der Pflichten der Selbstverwaltungsstrukturen gesetzlich gestärkt. Die Ernennung, Beurteilung und Beförderung von Richtern wurde transparenter gestaltet. Die formelle Rolle des Staatspräsidenten in der endgültigen Bestellung der Richter wurde in der Gesetzesreform jedoch bestätigt. Das öffentliche Misstrauen gegenüber dem Justizsystem und dessen Integrität besteht weiterhin (EC 25.3.2015).

Die Rechtsstaatlichkeit bleibt durch die mangelnde Gewaltenteilung geschwächt. Der starken Rolle des Präsidentenamtes, begleitet von einem ineffizienten Parlament, steht ein fügsames Justizwesen gegenüber. Der Mangel an Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz schwächt in weiterer Folge auch die Effizienz der staatlichen Verwaltung (BS 2014).

Trotz der verfassungsmäßig garantierten richterlichen Unabhängigkeit mangelt es an dieser in der Praxis. Die richterliche Unabhängigkeit wird durch externe Akteure sowohl der vollziehenden Gewalt als auch innerhalb des Justizsystems, etwa durch Richter der höheren Instanzen, beeinflusst (CoE-CommDH 10.3.2015).

Das Prinzip der "Telefonjustiz" - Machthaber nehmen Einfluss auf laufende Verfahren - ist in politisch heiklen Fällen nach wie vor verbreitet. Wenige Fortschritte wurden somit hinsichtlich des Grundrechts auf ein faires Gerichtsverfahren und des Zugangs zur Justiz erzielt (AA 24.4.2015).

Der Gerichtsbarkeit mangelt es nicht bloß an Vertrauen, sondern sie gilt auch als von Korruption durchdrungen und in enger Verbindung zur Exekutive stehend. Die Korruption in der Justiz wurde auch vom UN-Hochkommissar für Menschenrechte bei einem Besuch im Oktober 2014 kritisiert. Nur ein Viertel der Bevölkerung hat Vertrauen in die Justiz (FH 28.1.2015, vgl. BS 2014).

Im Dezember 2013 veröffentlichte der armenische Ombudsmann einen Sonderbericht, worin er nicht nur die unfairen und willkürlichen Entscheidungen der Gerichte kritisierte, sondern auch die grassierende Korruption im Justizwesen. Die Studie, basierend auf zahlreichen anonymen Interviews mit Richtern, Staats- und Rechtsanwälten, ergab, dass Richter oft bestochen werden. In der Regel werden zehn Prozent der Schadensersatzsumme verlangt (AL 10.12.2013).

So beschuldigte der Ombudsmann insbesondere das Kassationsgericht als eine kriminelle Struktur, die wirksam die Entscheidungen der meisten niederen Gerichte kontrolliert und auf diese Druck ausübt (USDOS 25.6.2015).

Der Justizrat ist für die Ernennung und Entlassung von Richtern zuständig. Dieser kann Richter wegen des Delikts eines Justizirrtums auch dann anklagen, wenn gegen das Ersturteil kein Einspruch erhoben wurde. Gegen die Entscheidungen des Justizrates kann keine Berufung eingelegt werden. Laut Ombudsmann wendet der Justizrat Disziplinarmaßnahmen gegen Richter willkürlich, unter Verletzung des Gesetzes, an (USDOS 25.6.2015, vgl. CoE-CommDH 10.3.2015).

Verfahren erfüllten üblicherweise die meisten Standards für einen fairen Prozess, jedoch waren sie der Sache nach oft unfair, da viele Richter sich veranlasst sehen, gemeinsam mit den Staatsanwälten Verurteilungen zu erwirken. Die Richter sträuben sich Expertisen von Polizeiexperten anzufechten, wodurch sie es dem Angeklagten erschweren, sich glaubwürdig zu verteidigen. Angeklagte und ihre Verteidiger verfügen kaum über die Möglichkeit, Regierungszeugen und Beweismittel der Polizei, die das Gereicht zumal als unanfechtbar ansieht, in Frage zu stellen (USDOS 25.6.2015, vgl. CoE-CommDH 10.3.2015).

Laut dem Menschrechtskommissar des Europarats werde überproportional, oft ohne richterlichen Bescheid, die Untersuchungshaft verhängt, welche zudem unverhältnismäßig lange sei. Ansuchen auf Freilassung auf Kautionen werden per se abgelehnt (CoE-CommDH 10.3.2015).

Überdies verabsäumten armenische Gerichte laut der Internationalen Föderation für Menschenrechte, wie eigentlich von Gesetz wegen vorgesehen, spezifische Fakten oder Erläuterungen zum jeweiligen Fall vorzulegen, warum die Untersuchungshaft als Zwangsmaßnahme anzuwenden sei. Stattdessen würden abstrakte Annahmen hinsichtlich des Fluchtrisikos oder der möglichen Behinderung weiterer Ermittlungen als Gründe angeführt (FIDH/CSI 5.5.2014).

Das Gesetz garantiert das Prinzip der Unschuldsvermutung, doch die Behörden respektieren dieses Recht nicht. Angeklagte, Strafverteidiger und die geschädigte Partei haben das Recht, gegen ein Gerichtsurteil in Berufung zu gehen. Es gibt keine Geschworenengerichtsbarkeit. Ein Einzelrichter entscheidet in allen Gerichtsverfahren außer bei Verbrechen, die mit lebenslanger Haftstrafe bedroht sind. Angeklagte haben das Recht, eine Rechtsberatung zu beanspruchen. Der Staat ist verpflichtet, auf Antrag einen Verteidiger zur Verfügung zu stellen. Außerhalb Jerewans wurde diese Verpflichtung aufgrund des Mangels an Verteidigern oft nicht eingehalten (USDOS 25.6.2015).

3. Sicherheitsbehörden

Die Polizei führt willkürliche Festnahmen ohne Haftbefehl aus, schlägt Häftlinge während der Einvernahme und des Haftaufenthaltes und gebraucht Folter, um Geständnisse zu erwirken (FH 28.1.2015, vgl. AA 7.2.2014, HRW 29.1.2015).

Laut armenischem Ombudsmann gab es 2013 zahlreiche Beschwerden über Polizeigewalt, wobei lediglich vier Beschwerden von der Polizei registriert wurden. Zahlreiche Personen, darunter auch Jugendliche, seien von den Polizeistellen "eingeladen" und gegen deren Willen festgehalten worden, obwohl die Polizei keine solche Befugnis habe. Zu den positiven Entwicklungen zähle, dass 2013 141 Polizisten infolge der Untersuchung durch die Interne Sicherheitsabteilung für unrechtmäßiges Verhalten zur Verantwortung gezogen wurden (RA-HRD 2014).

Die Polizei ist, ebenso wie der Nationale Sicherheitsdienst (NSD), direkt der Regierung unterstellt. Allein der Präsident hat die Befugnis, die Leiter beider Behörden zu ernennen. Die Aufgaben beider Organe sind voneinander abgegrenzt. Für die Wahrung der nationalen Sicherheit sowie für Nachrichtendienst und Grenzschutz ist der Nationale Sicherheitsdienst zuständig, dessen Beamte auch Verhaftungen durchführen dürfen. Fallweise treten Kompetenzstreitigkeiten auf, z.B. wenn ein vom NSD verhafteter Verdächtiger ebenfalls von der Polizei gesucht wird.

Der Polizeichef füllt in Personalunion die Funktion des Innenministers aus. Ein Innenministerium gibt es nicht mehr. Das Fehlen der politischen Instanz wird damit begründet, dass damit eine "Politisierung" der Sicherheitsorgane verhindert werden soll (AA 24.4.2015).

Der Polizei und dem Nationalen Sicherheitsdienst mangelt es an Ausbildung, Ressourcen und an Strukturen zur Vorbeugung von Misshandlungsfällen. Straffreiheit bleibt weiterhin ein Problem und es gibt keinen unabhängigen Mechanismus für Untersuchungen von Übergriffen durch die Polizei. Bürger können die Polizei vor Gericht in eingeschränktem Ausmaß anklagen. Korruption bei der Polizei bleibt weiterhin ein Problem (USDOS 25.6.2015).

4. Folter und unmenschliche Behandlung

Armenien ist Signatarstaat des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Die Verfassung verbietet die Anwendung von Folter. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass systematisch Folter praktiziert wird. Menschenrechtsorganisationen berichten aber immer wieder glaubwürdig von Fällen, bei denen es bei Verhaftungen oder Verhören zu Folterungen gekommen sein soll. Es gibt keine Erkenntnisse über systematische Folterungen. Gleichwohl ist bekannt, dass festgenommene Personen in Polizeistationen mitunter geschlagen werden, etwa um Geständnisse zu erhalten. Betroffene beschweren sich nur selten, weil sie Repressalien befürchten (AA 24.4.2015).

Die meisten Fälle von Misshandlungen kamen in den Polizeistationen vor, die nicht unter öffentlicher Beobachtung standen, und nicht in Gefängnissen oder Hafteinrichtungen der Polizei, die solcher Beobachtung unterliegen (USDOS 25.6.2015).

Der Menschenrechtskommissar des Europarates zeigte sich besorgt, dass erzwungene Geständnisse regelmäßig bei Gericht Verwendung finden. Überdies gäbe es Fälle, bei denen Personen, die Beschwerde gegen Misshandlung während der Einvernahme einlegten, wegen Falschaussage verurteilt wurden (CoE-CommDH 10.3.2015).

Der armenische Ombudsmann kritisierte, dass die Rechtsorgane nicht adäquat auf Berichte über Folter antworteten, sondern sich überhaupt weigerten Untersuchungen durchzuführen. Gleichzeitig würde in Fällen, bei denen eine Untersuchung standfindet, oft nur oberflächlich und voreingenommen ermittelt (RA-HRD 26.6.2015).

Folteropfer können den Rechtsweg nutzen, einschließlich der Möglichkeit, sich an den Verfassungsgerichtshof bzw. den EGMR zu wenden. Abgesehen davon gibt es allerdings keinen Mechanismus, Folterverdachtsfälle gegenüber Beamten zu untersuchen, da beispielsweise Dienstaufsichtsbeschwerden nicht vorgesehen sind. Betroffene beschweren sich nur selten, weil sie Repressalien befürchten (AA 24.4.2015).

Die armenischen Behörden bekennen sich zum Ziel, die Standards des Europarats bezüglich des Vorgehens gegen Folter und Misshandlung einzuhalten. Gleichzeitig wurden 2014 Beschwerden über Folter und Misshandlungen während der Untersuchungshaft ignoriert, ohne dass entsprechende Untersuchungen eingeleitet wurden.

Das armenische Gesetz verbietet Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Allerdings sind greifbare Ergebnisse ausgeblieben, die das nationale Recht hinsichtlich der Kriminalisierung von Folter in Einklang mit Artikel 1 der Konvention gegen Folter bringen. Die gegenwärtige Definition von Folter in Armenien beinhaltet nicht Straftaten, welche durch Behördenvertreter begangen werden. Infolgedessen wurde niemand aus den Exekutiv- oder Sicherheitsorganen je wegen Folter verurteilt. Wenn es überhaupt zur Bestrafung oder Verurteilung kommt, dann für geringere Delikte, wie den Missbrauch der Amtsgewalt. In mehreren Fällen wurden verurteilte Beamte amnestiert (CoE-CommDH 10.3.2015, vgl. EC 25.3.2015).

Der Direktor des Civil Society Instituts und Mitglied des UN-Unterkomitees für die Folterprävention, Arman Danielyan, bezeichnete die Aussage des Justizministers als Hoffnungsschimmer, wonach der Folterbegriff im Strafrecht in Einklang mit dem Wortlaut der UN-Anti-Folterkonvention gebracht werden soll. Dies bedeute, dass auch bei Ausbleiben einer privaten Klage von Amtswegen ermittelt werden muss, wenn es sich um einen Fall von Folter handelt. Überdies sah er im Jahr 2014 eine gestiegene Bereitschaft seitens der Betroffenen, offiziell Beschwerden einzureichen. Insbesondere habe der Sonderermittlungsdienst (Special Investigation Service - SIS) verstärkt Aktivitäten gesetzt, wobei konkrete Resultate noch abzuwarten seien (HRA 16.1.2015).

Der Sonderermittlungsdienst, eine Beschwerdeeinrichtung zur Untersuchung von strafrechtlichen Vergehen von Behörden, berichtete für das Jahr 2014 von 546 Fällen, in denen ermittelt wurde. Dies bedeutete eine deutliche Steigerung gegenüber den Jahren 2012 und 2013, als lediglich 204 bzw. 239 Fälle behandelt wurden (SIS 26.1.2015).

5. Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen sind registriert. Diese haben Zugang zu Medien, Behörden und Vertretern internationaler Organisationen.

Die Arbeit der NGOs, die sich mit Themen wie Medien, Versammlungs- und Meinungsfreiheit oder Korruption beschäftigen, wird allerdings seitens der Exekutive nicht unterstützt. Gelegentlich werden Fälle bekannt, in denen NGOs behindert werden. So wird immer wieder berichtet, dass Menschenrechtsorganisationen der Zugang zu verwertbaren Informationen und Zahlen durch Behörden und Regierung erschwert wird (AA 24.4.2015).

Einige Regierungsmitglieder und Pro-Regierungsmedien titulierten NGOs, die aus dem Ausland finanziert wurden, wie beispielsweise bekannte Menschenrechtsgruppen und Anti-Korruptions-Wächter als "große Fresser" und Verräter, die die nationalen Interessen, die Sicherheit und die Traditionen unterminieren würden (USDOS 25.6.2015).

Im September 2014 initiierte die Regierung ein neues Gesetz über Öffentliche Organisationen. Zur Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs wurde eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Vertretern des Justizministeriums und zivilgesellschaftlicher Organisationen gebildet. Hierbei wurden zahlreiche öffentliche Diskussionen mit über 100 zivilgesellschaftlichen Organisationen veranstaltet. Der Gesetzesentwurf erlaubt eine flexible Regulierung der öffentlichen Organisationen und stärkt deren Rolle. Durch die Festlegung der erlaubten Geschäftstätigkeiten, beispielsweise die Gründung einer Stiftung sowie einer gesteigerten Transparenz der staatlichen Finanzierung, sollen die Entwicklung, Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit gestärkt werden. Die Schaffung des neuen Gesetzes wurde seitens der EU durch das Programm: "Unterstützung für ein demokratisches Regieren in Armenien" mit rund 950.000 Euro gefördert (EC 25.3.2015, vgl. EU 10.4.2015).

6. Ombudsmann

Das Büro des Ombudsmannes hat das Mandat die Menschenrechte und grundlegende Freiheiten vor dem Missbrauch durch die Regierung zu schützen. Die Effektivität ist durch die begrenzten finanziellen Mittel eingeschränkt. Eine Zusatzfinanzierung seitens der Regierung, um die Rolle als "Nationaler Präventiver Mechanismus (NPM) im Sinne des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe der Vereinten Nationen" auszuüben, blieb aus (USDOS 25.6.2015).

Die Verfassungsänderung im November 2005 hat die Institution einer vom Parlament gewählten Ombudsperson für Menschenrechte geschaffen. De facto muss die Ombuds-person einen schwierigen Spagat zwischen Exekutive und den Rechtsschutz suchenden Bürgern vollziehen. Der Ombudsmann bemüht sich um die Stärkung der Institution sowie um die Intensivierung der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft. So sollen regionale Büros aufgebaut werden. Mit 80 NGOs wurden "Memoranda of Understanding" zur vertieften Zusammenarbeit und konstruktivem Dialog gezeichnet. Im armenischen Haushalt 2015 sind insgesamt 481.300 Euro für die Arbeit der Ombudsperson eingeplant (2013: 440.000 Euro) (AA 24.4.2015).

Angesichts des Versagens der Justiz, was den Schutz der Bürger- und Menschenrechte anlangt, gilt die Ombudsmannsstelle als positive Ausnahme. Als einzige Institution stellt sie das staatliche Versagen beim Schutz und der Verletzung der bürgerlichen Freiheiten in Frage (BS 2014).

Die Menschenrechtssituation stellte sich 2014 weiterhin uneinheitlich dar. Der Eingriff seitens der Behörden bei friedlichen Demonstrationen setzte sich fort. Folter und Misshandlungen bei Festnahmen bleiben ein Problem, während Untersuchungen in derartigen Fällen ineffizient sind. Journalisten sind weiterhin mit Druckausübung und Gewalt konfrontiert. Obgleich der Zivildienst eingeführt wurde, kommt es zu schweren Misshandlungen in der Armee. Von Zwangseinweisungen in psychiatrische Anstalten wird ebenso berichtet wie von Gewalt und Diskriminierung infolge der sexuellen Orientierung (HRW 29.1.2015, vgl. CoE-PA 27.8.2014).

Menschenrechte werden zum größten Teil durch die Sicherheitsorgane, politische Amtsträger und Privatpersonen aus dem Umfeld der sich über dem Gesetz wähnenden Oligarchen oder deren Strukturen verletzt (AA 24.4.2015).

Im Juni 2014 lobten die OSCE, Delegation der EU, die Vereinten Nationen und der Europarat in einer gemeinsamen Erklärung die armenische Regierung für die Verabschiedung des Menschenrechts-Aktionsplanes. Der Plan anerkenne, dass die Rechte vulnerabler Gruppen Schutz bedürfen und die Regierung aufgerufen sei, Bemühungen voran zu treiben, die gleiche Rechte und Chancen für alle sichern (OSCE 30.6.2014).

Allerdings kritisierte die Europäische Kommission, dass der Plan wichtige Bereiche, die Vorrang haben sollten, wie die Einhaltung der UN-Konvention gegen Folter, ausspare. Die Europäische Kommission beurteilte die Fortschritte im Bereich der Menschenrechte und der fundamentalen Freiheiten als beschränkt (EC 25.3.2015).

7. Todesstrafe

Armenien hat im September 2003 das 6. Protokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention ratifiziert. Die Todesstrafe ist damit abgeschafft; dies ist in Artikel 15 der Verfassung verankert (AA 24.4.2015, vgl. DPF o.D.).

8. Religionsfreiheit

Die Religionsfreiheit ist verfassungsrechtlich garantiert (Art. 26) und darf nur durch das Gesetz und nur soweit eingeschränkt werden, wie dies für den Schutz der staatlichen und öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral notwendig ist (AA 24.4.2015).

Reformen des Gesetzes über Gewissens- und Religionsfreiheit brachten 2011 Verbesserungen mit sich. Laut einer Fact-Finding-Mission der Parlamentarischen Versammlung des Europarates legt das Gesetz sowohl die Freiheit der Glaubens- und Religionsausübung als auch die damit verbundenen religiösen Veranstaltungen fest. Überdies verleiht es den religiösen Vereinen und Gruppen den Rechtsstatus, sofern sie über 25 Mitglieder verfügen, ohne dass eine Registrierung bzw. amtliche Genehmigung notwendig wären. Allerdings bestehen noch etliche Mängel im Gesetz insbesondere in Bezug auf die komplizierte und verwirrende Definition des Proselytismus (CoE-PA 27.8.2014).

Das Gesetz verbietet zwar Proselytismus, was so genanntes "soul hunting" und erzwungene Konversion beschreibt, doch eine nähere Definition besteht nicht. Diese Bestimmung betrifft alle Gruppen, auch die Armenisch-Apostolische Kirche (USDOS 14.10.2015).

Die Armenische Apostolische Kirche hat quasi den Status einer Staatskirche und nimmt eine faktisch privilegierte Stellung ein. In der Verfassung verankert, ist sie zwar formell anderen kirchlichen Organisationen gleichgestellt, allerdings genießt der Katholikos, das Oberhaupt der Kirche, besonderes Gehör bei Regierung und Bevölkerung. Vertreter religiöser Minderheiten beklagen, dass sie kaum Zugang zu den meist staatlich kontrollierten Medien erhalten, weshalb sie kaum eine Chance haben, gegen weit verbreitete Vorurteile und gelegentliche Hetzkampagnen durch private Organisationen anzugehen (AA 24.4.2015).

Der Unterrichtsplan enthält immer noch das Pflichtfach "Die Geschichte der Armenischen Kirche", was von vielen lokalen Experten als Indoktrinationsmittel gegenüber den Kindern verstanden wird. Die Regierung hat diesbezüglich bekräftigt, dieses Fach nicht streichen zu wollen (USDOS 14.10.2015)

Trotz gesetzlicher Verbesserungen, was die Rolle der religiösen Minderheiten anlangt, wie die Einführung des Zivildienstes für Zeugen Jehovas, bleibt die gesellschaftliche Akzeptanz von religiösen Minderheiten niedrig bzw. nicht zufriedenstellend (EC 25.3.2015, vgl. CoE-PA 27.8.2014, RA-HRD 2014).

Protesta

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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