TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/29 I410 2227585-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.01.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

29.01.2020

Norm

AsylG 2005 §15a Abs1
AsylG 2005 §15b Abs1
AVG §59 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z2
B-VG Art133 Abs4
FPG §55 Abs1a
VwGVG §13 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I405 2227585-1/6Z

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, StA. Nigeria, vertreten durch RA Mag. Dr. Anton KARNER, Steyrergasse 103/II, 8010 Graz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.01.2020, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) I. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und dieser gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG ersatzlos behoben. Es wird festgestellt, dass der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid somit gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG die aufschiebende Wirkung zukommt.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und dieser gemäß § 55 Abs. 1a FPG ersatzlos behoben.

III. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt IX. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und dieser gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Nigeria, stellte am 27.09.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 06.04.2017, XXXX, wurde dieser Antrag gem. § 5 AsylG 2005 zurückgewiesen, da eine Zuständigkeit des Staates Italien festgestellt worden war.

3. Die dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.05.2017, Zl. XXXX, als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis erwuchs am 23.05.2017 in Rechtskraft.

4. Eine Überstellung nach Italien konnte jedoch in der Folge aufgrund des unbekannten Aufenthaltes des BF nicht erfolgen.

5. Am 03.12.2019 stellte der BF den gegenständlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Zu diesem wurde er am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und am 11.12.2019 sowie am 16.12.2019 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen.

6. Mit gegenständlich angefochtenem Bescheid wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG (Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides) sowie des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) gemäß § 8 AsylG abgewiesen. Dem BF wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III) erteilt und wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung § 52 Abs 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV) erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Mit Spruchpunkt IV. wurde festgelegt, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde unter Spruchpunkt VII. gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen den BF ein auf die Dauer von 2 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.). Gemäß § 15b Absatz 1 Asylgesetz 2005 wurde dem BF aufgetragen, ab 04.12.2019 in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt IX.).

7. Gegen diesen Bescheid des BFA, der am 14.01.2020 zugestellt wurde, richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 21.01.2020, worin Verletzung von Verfahrensvorschriften und inhaltlicher Rechtswidrigkeit geltend gemacht wurden. Unter anderem wurde darin die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Ersatzlose Behebung von Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 18 Abs 1 Z 2 BFA-VG kann einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt.

Nach der Regierungsvorlage zu § 18 Abs 1 BFA-VG erfolgt die Bestimmung der Ziffer 2 in Umsetzung des Art 46 Abs 6 lit a iVm Art 31 Abs 8 lit j der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes.

Laut den weiteren Erläuterungen zu § 18 Abs 1 Z 2 BFA-VG "geht es bei der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach dieser Ziffer um die Aufrechterhaltung insbesondere der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, so dass auf die entsprechende Auslegung und Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Frist für die freiwillige Ausreise und Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bei Rückkehrentscheidungen zurückgegriffen werden kann." (RV 582 XXV. GP)

Soweit daher in den Erläuterungen für die Anwendung der Ziffer 2, wie dargelegt, ausdrücklich die Auslegung und Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Frist für die freiwillige Ausreise und Aberkennung der aufschiebenden Wirkung bei Rückkehrentscheidungen als relevant erachtet wird, ist auf das Urteil des Gerichtshofes Europäischen Union (EuGH) vom 11.06.2015 in der Rechtssache Zh und O, C-554/13 zur Auslegung des Art 7 Abs 4 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie) zu verweisen. Der EuGH hat in jener Entscheidung festgestellt, dass ein Mitgliedstaat gehalten ist, den Begriff "Gefahr für die öffentliche Ordnung" im Sinne von Art 7 Abs 4 der Richtlinie 2008/115 im Einzelfall zu beurteilen, um zu prüfen, ob das persönliche Verhalten des betreffenden Drittstaatsangehörigen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Stützt sich ein Mitgliedstaat auf eine allgemeine Praxis oder irgendeine Vermutung, um eine solche Gefahr festzustellen, ohne dass das persönliche Verhalten des Drittstaatsangehörigen und die Gefahr, die dieses Verhalten für die öffentliche Ordnung darstellt, gebührend berücksichtigt werden, verkennt er die Anforderungen an eine individuelle Prüfung des in Rede stehenden Falles und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Daraus folgt, dass der Umstand, dass ein Drittstaatsangehöriger verdächtigt wird, eine nach nationalem Recht strafbare Handlung begangen zu haben, oder wegen einer solchen Tat strafrechtlich verurteilt wurde, allein nicht rechtfertigen kann, dass dieser Drittstaatsangehörige als eine Gefahr für die öffentliche Ordnung im Sinne von Art 7 Abs 4 der Richtlinie 2008/115 anzusehen ist (EuGH 11.06.2015, Zh und O, C-554/13, EU:C:2015:377, Rz 50).

Der EuGH hat in der soeben zitierten Entscheidung des Weiteren festgestellt, dass der Begriff Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie er in Art 7 Abs 4 der Rückführungsrichtlinie vorgesehen ist, jedenfalls voraussetzt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Daraus folgt, dass im Rahmen der Beurteilung dieses Begriffs jedes tatsächliche oder rechtliche Kriterium zur Situation des betreffenden Drittstaatsangehörigen maßgeblich ist, das geeignet ist, die Frage zu klären, ob sein persönliches Verhalten eine solche Bedrohung begründet.

Im gegenständlichen Fall begründet die belangte Behörde die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung damit, dass der BF sich über zweieinhalb Jahre unrechtmäßig sowie ohne die Vornahme von An- und Abmeldungen im österreichischen Bundesgebiet aufgehalten habe und somit gegen mehrere österreichische Gesetze verstoßen habe, was zeige, dass er keinesfalls gewillt sei, sich der Rechtsordnung zu unterwerfen und müsse daher davon ausgegangen werden, dass er sich auch weiterhin so verhalte, weshalb auch eine negative Zukunftsprognose zu erstellten sei. Damit vermochte die belangte Behörde jedoch weder aufzuzeigen, worin nun die vom BF ausgehende tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr besteht, noch wie sie zu der negativen Zukunftsprognose gelangt ist. Wie aus der oben zitierten Judikatur ersichtlich, genügt die soziale Störung, wozu auch der unrechtmäßige Aufenthalt sowie die unterlassene Meldung eines Wohnsitzes des BF zählen, nicht, um von einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr auszugehen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das BFA zeigt damit nicht auf, dass nunmehr die sofortige Ausreise des BF geboten wäre. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und der Rechtsprechung des EuGH ist für das Bundesverwaltungsgericht nicht zu erkennen, dass der BF aktuell eine derartige Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich darstellt, sodass nunmehr die sofortige Ausreise des BF geboten wäre. Die vom BFA auf § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG gestützte Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde erweist sich daher als verfehlt.

Es war daher Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides spruchgemäß ersatzlos zu beheben und festzustellen, dass der Beschwerde somit gemäß § 13 Abs 1 VwGVG die aufschiebende Wirkung zukommt.

Behebung von Spruchpunkt VII. und IX. des angefochtenen Bescheides

Gemäß § 55 Abs 1a FPG besteht eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht für die Fälle einer zurückverweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

Nachdem die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ersatzlos zu beheben war, ist die Entscheidung nicht mehr gemäß § 18 BFA-VG durchführbar. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 55 Abs 1a FPG liegen somit nicht mehr vor. Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides war daher spruchgemäß zu beheben.

Was Spruchpunkt IX. anbelangt hat die belangte Behörde diesen auf § 15a Abs. 1 AsylG gestützt, hingegen in der Begründung Abs. 3 leg.cit. herangezogen. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der BF im gegenständlichen Verfahren seinen Mitwirkungsverpflichtungen nicht nachgekommen ist, auch wenn nicht verkannt wird, dass er im Vorverfahren seine Überstellung nach Italien vereitelte und bis zur gegenständlichen Antragstellung über keine aufrechte Meldeadresse im Bundesgebiet verfügte. Der BF ist jedoch seit der Stellung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz aufrecht gemeldet und ist seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen. Das BFA hat im angefochtenen Bescheid zwar festgestellt, dass die Identität des BF in Ermangelung geeigneter Dokumente nicht feststeht, dass diesbezüglich weitere Erhebungen zur Identität seitens des BFA geplant sind, wird weder behauptet noch bestehen in diesem Verfahrensstadium Anhaltspunkte dafür, dass solche vorgenommen werden. Daher liegen die vom BFA angeführten Voraussetzungen einer Anordnung der Unterkunftsnahme derzeit nicht vor, weshalb auch dieser Spruchpunkt zur beheben war.

Im gegenständlichen Verfahren war ein Vorgehen gemäß § 59 Abs 1 letzter Satz AVG zulässig, da die Entscheidung über Spruchpunkt VII. und VI. und IX. spruchreif war und die Trennung - auf Grund der Folgen einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung für den Betroffenen - auch zweckmäßig ist.

Über die Beschwerde gegen die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides ergeht eine gesonderte Entscheidung.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung ersatzlose Teilbehebung freiwillige Ausreise Frist Gefährdung der Sicherheit illegaler Aufenthalt Kassation Mitwirkungspflicht öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Spruchpunktbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I405.2227585.1.00

Im RIS seit

14.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten