TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/7 W260 2176550-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.05.2020
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Entscheidungsdatum

07.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W260 2176550-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Mag. Dr. Helmut BLUM, LL.M., Rechtsanwalt in 4020 Linz, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 13.10.2017, Zahl 1068662803-150511377, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (im Folgenden "Beschwerdeführer"), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 15.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der Erstbefragung am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass er aus der Provinz Parwan in Afghanistan stammen würde, der Volksgruppe der Tadschiken angehören würde und sunnitischer Moslem wäre.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Leben in Afghanistan durch die Taliban in Gefahr wäre. Die Taliban hätten ihm seine Gründe wegnehmen wollen. Im Falle einer Rückkehr würden sie ihn töten.

3. Am 02.10.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge "belangte Behörde") im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari.

Der Beschwerdeführer gab zusammengefasst an, er hätte in Afghanistan vier Jahre lang die Schule besucht, wäre aber Analphabet. Er hätte den Beruf eines Schneiders erlernt und auch ausgeübt. Sein Vater wäre Lehrer gewesen. Die Familie hätte ein Haus und Grundstücke besessen und es wäre ihnen gut gegangen.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, auf dem Grundstück seiner Familie hätte ein Telefonmast aufgestellt werden sollen. Ein Cousin des Beschwerdeführers, der ein Taliban wäre, hätte davon erfahren und hätte an den Einnahmen beteiligt werden wollen. Da ihm der Vater des Beschwerdeführers keinen Anteil gegeben hätte, hätten die Taliban den Bruder des Beschwerdeführers getötet und nach einiger Zeit Handgranaten auf das Grundstück der Familie geworfen. Da die Polizei nichts unternommen hätte, wäre die Familie nach Kabul geflüchtet. In der Zwischenzeit hätten die Taliban und sein Cousin das Haus der Familie niedergebrannt. In Kabul hätte der Beschwerdeführer ein Geschäft angemietet und als Schneider gearbeitet. Die Taliban hätten ihn aber ausfindig gemacht und ihm vor dem Geschäft aufgelauert und auf ihn geschossen. Er hätte sich aber im Geschäft verstecken können. Da jemand die Polizei gerufen hätte, wären die Taliban davongefahren. Der Beschwerdeführer hätte sich dann zur Ausreise entschlossen.

Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen vor.

4. Mit dem nunmehr angefochtenem Bescheid vom 13.10.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Gemäß § 57 AsylG 2005 erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG. Die belangte Behörde stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei widersprüchlich sowie keineswegs schlüssig und plausibel. Er habe seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Seine Herkunftsprovinz wäre zudem sicher. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsberatung fristgerecht Beschwerde ein.

Der Beschwerdeführer wiederholte darin im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen und argumentierte, entgegen der Behauptung der belangten Behörde habe er sein Vorbringen gleichbleibend und substantiiert geschildert. Er habe keine falschen oder widersprüchlichen Angaben gemacht.

Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor.

6. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 15.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Mit Schreiben vom 05.06.2018 gab der Verein Menschenrechte Österreich bekannt, dass sie die Vollmacht für den Beschwerdeführer niederlegen.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.06.2018 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seines Rechtsvertreters und eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt.

Die Niederschrift wurde der entschuldigt ferngebliebenen belangten Behörde übermittelt.

Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen vor, die als Beilagen ./I zum Akt genommen wurden.

9. Mit Schreiben vom 11.07.2018 gab der Beschwerdeführer bekannt, dass er einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung beauftragt habe.

10. Der Beschwerdeführer erstattete namens seines Rechtsvertreters mit Schreiben vom 25.07.2018 eine schriftliche Stellungnahme zu den vom Bundesverwaltungsgericht in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eingebrachten Länderberichtsmaterial.

11. Mit Schreiben vom 08.04.2019 und 18.07.2019 übermittelte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtsvertreter Integrationsunterlagen, unter anderem zum Beweis dafür, dass der Beschwerdeführer in Österreich eine Lehre absolviere.

12. Die belangte Behörde informierte das Bundesverwaltungsgericht mittels Schreiben vom 22.01.2020 über die Übermittlung eines Merkblattes zur Fristhemmung an den Beschwerdeführer.

13. Am 07.02.2020 langten weitere Integrationsunterlagen beim Bundesverwaltungsgericht ein.

14. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte im Rahmen des Parteiengehörs am 18.03.2020 an die Verfahrensparteien aktuelle Länderinformationen zu Afghanistan.

15. Der Beschwerdeführer erstattete durch seinen Rechtsvertreter am 06.04.2020 eine Stellungnahme. Die Länderberichte würden das Vorbringen des Beschwerdeführers bestätigen. Landstreitigkeiten und Blutrache wären in Afghanistan weit verbreitet. Die Taliban wären in der Lage auch einzelne Personen im gesamten Staatsgebiet ausfindig zu machen. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan auf kein soziales Netz zurückgreifen könne. In Mazar-e Sharif und Herat sei die Ansiedelung aufgrund der herrschenden Dürre nicht möglich. Der Beschwerdeführer wäre auch aufgrund der Zugehörigkeit zur Minderheit der Tadschiken gefährdet.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Er ist ledig und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Parwan, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX geboren und wuchs dort gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern auf.

Der Beschwerdeführer besuchte vier Jahre eine Grundschule in seinem Heimatort. Er arbeitete viereinhalb Jahre als Schneider ins einem Heimatdorf und sechs Monate als Schneider in Kabul.

Der Beschwerdeführer ist mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Weder der Beschwerdeführer noch seine Familie wurden in Afghanistan jemals von den Taliban oder von anderen Personen aufgesucht oder von diesen bedroht.

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Der Beschwerdeführer wurde weder von den Taliban entführt noch festgehalten oder von diesen bedroht. Der Beschwerdeführer hatte keinen Kontakt zu den Taliban, er wird von diesen auch nicht gesucht.

Es gab in Afghanistan zwischen dem Vater des Beschwerdeführers und einem Cousin des Beschwerdeführers keine Streitigkeiten über die Errichtung eines Telefonmastes auf dem gemeinsamen Grundstück bzw. die Pachteinnahmen daraus. Der Bruder des Beschwerdeführers wurde vom Cousin nicht getötet. Der Beschwerdeführer und seine Familie wurden vom Cousin nicht bedroht. Zwischen der Familie des Beschwerdeführers und der Familie seines Cousins besteht keine Blutfehde.

Der Beschwerdeführer war in Afghanistan wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Tadschiken konkret und individuell weder physischer noch psychischer Gewalt ausgesetzt.

1.2.2. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch seinen Cousin, durch die Taliban oder durch andere Personen.

1.3. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit Mai 2015 durchgehend in Österreich auf.

Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 15.05.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse auf dem geprüften Niveau A2.

Der Beschwerdeführer steht in einem aufrechten Lehrverhältnis, welches laut Arbeitsbestätigung vom 10.07.2019 am 04.06.2018 begonnen hat und voraussichtlich am 03.06.2020 enden wird. Der Beschwerdeführer ist in seinem Lehrbetrieb gut integriert und legte hiezu zahlreiche Unterstützungsschreiben vor. Der Beschwerdeführer konnte in Österreich Freundschaften zu anderen Asylwerbern, seinem Unterkunftgeber und Mitgliedern seiner Gemeinde knüpfen. Der Beschwerdeführer verfügt jedoch weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen, wie Ehefrau oder Kinder in Österreich.

Der Beschwerdeführer arbeitet nicht ehrenamtlich.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass eine Überstellung des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Parwan aufgrund der schwachen und nicht gesicherten Infrastruktur ausgehend von Kabul bis in die Provinz Parwan mit ernstzunehmender Gefahr für Leib und Leben verbunden ist, weshalb ihm eine Rückkehr dorthin nicht zugemutet werden kann.

Die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers sind derzeit illegal in Pakistan aufhältig. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu ihnen.

Die Familie des Beschwerdeführers besaß im Zeitpunkt seiner Ausreise ins Bundesgebiet in Afghanistan ein Haus im Eigentum und landwirtschaftliche Flächen. Die finanzielle Situation der Familie wurde vom Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung als gut bezeichnet.

Der Beschwerdeführer unterstützt seine Familie derzeit finanziell nicht. Die Familie des Beschwerdeführers kann ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht finanziell unterstützen.

In Afghanistan leben zwei Tanten und zwei Onkel des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu diesen Verwandten.

Der Beschwerdeführer kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der Beschwerdeführer hat bereits in der Stadt Kabul gelebt und gearbeitet, ihm sind städtische Strukturen bekannt.

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selbst erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),

- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

- Auszugsweise Übersetzung der EASO Country Guidance Afghanistan von Juni 2018, Seiten 21-25 und 98-109, sowie

- EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (EASO).

1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 22.1).

1.5.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie macht etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul ist sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert. Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt (LIB, Kapitel 17.2).

1.5.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 16).

1.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

1.5.8. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

1.5.9. Provinzen und Städte

1.5.9.1. Herkunftsprovinz Parwan

Parwan liegt im zentralen Teil Afghanistans. Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Qizilbash, Kuchi und Hazara. Die Provinz hat 724.561 Einwohner (LIB, Kapitel 3.28).

Die Provinz Parwan zählt zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans, in deren abgelegenen Distrikten Aufständische oftmals den Versuch unternehmen, terroristische Aktivitäten auszuführen. In manchen Distrikten der Provinz hat sich die Sicherheitslage in den vergangenen Jahren verschlechtert. Im August 2018 Taliban-Aufständische in den Distrikten Koh-e-Safi, Sayyid Khel, Shinwari, Siyahgird und Surkhi Parsa aktiv. Von dort aus planten sie Angriffe auf die Provinzhauptstadt Charikar und die Luftwaffenbasis Bagram (größte NATO-Militärbasis in Afghanistan). In der Provinz werden Sicherheitsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeführt. Bei manchen dieser Operationen wurden auch Zivilisten getötet. Auch kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Streitkräften. Außerdem greifen Aufständische der Taliban, manchmal auch gemeinsam mit Al-Qaida, in regelmäßigen Abständen das Bagram Airfield an. Im Jahr 2018 gab es 41 zivile Opfer (20 Tote und 21 Verletzte) in der Provinz Parwan. Dies entspricht einem Rückgang von 47% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für zivile Opfer waren Bodenangriffe, gefolgt von Selbstmord-/komplexen Angriffen und Bodenangriffen (LIB, Kapitel 3.28).

In der Provinz Parwan findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

1.5.9.2. Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

1.5.10. Situation für Rückkehrer

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).

1.5.11. Blutfehde

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu langanhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt, doch soll der Brauch baad, eine stammesübliche Form der Streitbeilegung, in der die Familie des Täters der Familie, der Unrecht geschah, ein Mädchen zur Heirat anbietet, vor allem im ländlichen Raum praktiziert werden, um eine Blutfehde beizulegen. Wenn die Familie, der Unrecht geschah, nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat. (UNHCR, Kapitel III. A. 14)

1.5.12. Zur aktuellen COVID-19-Pandemie:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 07.05.2020, 1.437 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen, 13.639 genesene Personen 579 Todesfälle nach dem Epidemiegesetz. In Afghanistan wurden zu diesem Zeitpunkt 3.392 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 104 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan, seiner Schulausbildung und seiner Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellung zur Sozialisierung des Beschwerdeführers nach den afghanischen Gepflogenheiten, ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan mit seiner afghanischen Familie aufgewachsen ist, er ist dort zur Schule gegangen und hat dort als Schneider gearbeitet.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung (AS 62; S. 3 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Das Asylverfahren bietet, wie der VwGH erst jüngst in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Mit der Glaubhaftmachung ist demnach die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss - unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

2.2.2. Der Beschwerdeführer gab als Fluchtgrund zusammengefasst an, dass sein Vater und sein Onkel gemeinsame Grundstücke gehabt hätten und der Vater des Beschwerdeführers auf seinem Teil der Grundstücke einen Telefonmast einer Telefonfirma aufstellen hätte lassen. Der Sohn des Onkels, sohin der Cousin des Beschwerdeführers, wäre bei den Taliban gewesen und hätte an der Pacht für den Telefonmast beteiligt werden wollen. Da der Vater des Beschwerdeführers dies abgelehnt hätte, wäre der Bruder des Beschwerdeführers vom Cousin getötet worden und es hätte einen Granatenangriff auf das Grundstück der Familie des Beschwerdeführers gegeben. Deshalb wäre die Familie nach Kabul geflüchtet. Nach ihrem Weggang hätte der Cousin bzw. die Taliban das Haus der Familie im Heimatdorf zerstört und sich deren Besitztümer angeeignet. Der Beschwerdeführer hätte in Kabul als Schneider gearbeitet, wäre aber auch dort vom Cousin bzw. den Taliban gefunden und angegriffen worden. Daraufhin hätte er sich entschlossen, Afghanistan zu verlassen.

Die belangte Behörde wertete das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine asylrelevante Verfolgungsgefahr als unschlüssig, unplausibel und widersprüchlich. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens verstärkte sich der Eindruck der Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers noch, da er auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage war, eine derzeitige, ihn selbst betreffende asylrelevante Verfolgungsgefahr in seinem Herkunftsstaat aufzuzeigen.

Dem Beschwerdeführer ist zugute zu halten, dass er das Fluchtvorbringen sowohl in der Erstbefragung, in der Einvernahme bei der belangten Behörde als auch in der Beschwerdeverhandlung am 28.06.2018 im Kern gleichbleibend geschildert hat. Das Vorbringen enthält aber dennoch einige Ungereimtheiten und ist - wie bereits von der belangten Behörde bemängelt - in einigen Punkten nicht nachvollziehbar.

In Summe kommt daher auch das Bundesverwaltungsgericht aus nachfolgenden Überlegungen zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan keine asylrelevante Verfolgung erlebt hat oder in Zukunft zu befürchten hat:

2.2.2.1. Die belangte Behörde kritisierte in ihrer Beweiswürdigung beispielsweise, dass der Beschwerdeführer widersprüchliche Aussagen zu seinen Verwandten getätigt hätte. Er hätte den angeblichen Cousin nicht bei der Frage nach den Verwandten, die in Afghanistan leben, sondern erst weit später bei dem vermeintlichen Überfall erwähnt (vgl. AS 230). Auch wenn dieser Punkt nicht besonders relevant ist, so ist er doch nennenswert, zumal sich die widersprüchlichen Aussagen zu Verwandten im weiteren Verfahren fortsetzen. Der Beschwerdeführer gab nämlich in der Einvernahme bei der belangten Behörde an, dass seine Eltern und eine Schwester im Herkunftsstaat leben. Sein Bruder wäre bei besagtem Vorfall getötet worden (vgl. AS 64). In der Beschwerdeverhandlung gab er an, dass seine Familie, nämlich sein Vater, seine Mutter und seine Schwester, seit vier Monaten in Pakistan leben würde. Sein Bruder wäre ermordet worden. Auf Nachfrage, weshalb die Familie nach Pakistan gezogen wäre, sagte der Beschwerdeführer erstmals aus, dass sein jüngerer Bruder auch angegriffen worden wäre. Deshalb wäre die Familie aus Afghanistan geflüchtet. Aufgefordert, Angaben über diesen jüngeren Bruder zu machen, sagte der Beschwerdeführer aus, er hätte auf die Frage, wer noch in Afghanistan lebe, angegeben, dass sein Bruder, seine Schwester und seine Eltern dort wären. Warum sein jüngerer Bruder nicht angeführt sei, wisse er nicht. Dieser würde Rafi heißen und wäre ungefähr 18 Jahre alt (vgl. S 7 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018).

Selbst wenn Angaben zu einem jüngeren Bruder des Beschwerdeführers in der Einvernahme bei der belangten Behörde versehentlich nicht protokolliert wurden, so ist es nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer dieses Missverständnis nicht bereits in der Beschwerdeschrift aufgeklärt hat. Denn auch dort finden sich keine Angaben zu einem jüngeren Bruder. Dass der Beschwerdeführer diesen jüngeren Bruder erstmals in der Beschwerdeverhandlung erwähnt und behauptet, dass dieser jüngere Bruder in Afghanistan ebenfalls Probleme bekommen hätte und die Familie daher nach Pakistan geflüchtet wäre, lässt nur den Schluss zu, dass dieses Vorbringen nicht der Wahrheit entspricht. Der Beschwerdeführer hat einen jüngeren Bruder und dessen angebliche Verfolgung in Afghanistan nur deshalb erwähnt, um sein eigenes Fluchtvorbringen glaubwürdiger zu machen. Das ist ihm allerdings nicht gelungen. Vielmehr muss die Geschichte rund um seinen jüngeren Bruder als unglaubwürdige Steigerung des Vorbringens gewertet werden.

Erwähnenswert ist auch, dass der Beschwerdeführer in der Einvernahme bei der belangten Behörde angab, dass sein (älterer) Bruder im Zuge der Grundstücksstreitigkeiten von den Taliban erschossen worden wäre (vgl. AS 68f). Auch in der Beschwerdeschrift schilderte er den Vorfall so (vgl. AS 271). Konkrete Angaben zu dem Vorfall machte er nicht. Erst in der Beschwerdeverhandlung erzählte der Beschwerdeführer, dass sein Bruder von zwei Personen auf einem Motorrad angegriffen worden wäre. Einer davon wäre der Cousin gewesen, der auch geschossen hätte. Dies hätte der Bruder noch vor seinem Tod dem Vater im Krankenhaus erzählt. Auf Nachfrage, weshalb er bisher noch nichts von diesen zwei Personen auf dem Motorrad erzählt habe, sagte der Beschwerdeführer, niemand hätte ihn diesbezüglich gefragt, weder beim Interview noch sonst. Es wäre ihm immer aufgetragen worden, dass er zusammenfassend und in kurzen Sätzen antworten solle (vgl. S 17 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018). Diese Erklärung überzeugt nicht. Wenn auch die Angaben zu den zwei Personen auf dem Motorrad nicht widersprüchlich zu den vorherigen Angaben sind, sondern eher eine Ergänzung, so zeigen sie aber, dass der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens immer wieder von neuen Aspekten berichtet, die davor nicht erwähnt wurden.

Diese Steigerungen bzw. Ergänzungen seines Vorbringens machen seine Angaben unglaubwürdig.

2.2.2.2. Der Beschwerdeführer konnte auch nicht glaubhaft darlegen, weshalb der Cousin des Beschwerdeführers derart federführend in die Streitigkeiten rund um das Grundstück bzw. den Telefonmast beteiligt gewesen sein soll. In der Beschwerdeverhandlung wurde er aufgefordert zu erklären, wieso es Probleme mit dem Cousin gegeben habe, obwohl der Vater des Cousins noch am Leben war und der rechtliche Miteigentümer an den Grundstücken war. Der Beschwerdeführer erklärte, dass sein Vater mit seinem Bruder die Grundstücke geteilt hätte. Jeder hätte gewusst, wo sein Grundstück liege. Dieser Telefonmast wäre auf dem Grundstück des Vaters des Beschwerdeführers gelegen und der Cousin hätte nur eine leere Behauptung gegen seinen Vater gestellt und hätte seine Position als Mitarbeiter der Taliban ausnützen wollen, um Druck auszuüben (vgl. S 17 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018). In Anbetracht der familiären Strukturen in Afghanistan ist es - selbst wenn der Cousin bei den Taliban wäre - nur schwer vorstellbar, dass der Cousin in dieser Grundstücksangelegenheit eine derart große Rolle einnimmt und seinen Vater übergeht.

2.2.2.3. Zum Fluchtvorbringen gilt es weiters beweiswürdigend auszuführen, dass die geschilderten Grundstücksstreitigkeiten bis zu einem gewissen Punkt zwar nachvollziehbar sind, dass der Beschwerdeführer aber individuell und konkret asylrelevante Verfolgung in Afghanistan zu befürchten hat, konnte er nicht nachweisen.

Bei Wahrunterstellung wäre es nachvollziehbar, dass der Bruder im Zuge von Grundstücksstreitigkeiten getötet worden ist. Weshalb der Beschwerdeführer jedoch auch in Kabul vom Cousin bedroht worden sein soll, ist nicht verständlich. Der Cousin hätte den Bruder des Beschwerdeführers getötet, die Nutzung des Telefonmastes verhindert, die Familie des Beschwerdeführers aus dem Dorf vertrieben und die Grundstücke der Familie des Beschwerdeführers "in Besitz genommen" (vgl. S 18 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018). Glaubt man diesem Vorbringen, so hätte der Cousin seine Ziele erreicht. Hätte er den Beschwerdeführer töten wollen, dann wäre ihm das - als angebliches Mitglied der Taliban - sicherlich schon vor der Abreise der Familie nach Kabul gelungen. Den Angaben des Beschwerdeführers zufolge hätte der Vater des Beschwerdeführers nach dem Tod des Bruders Anzeige bei der Polizei erstattet und wäre die Familie dann noch zwei bis drei Monate im Heimatdorf aufhältig gewesen. Nach einem Handgranatenangriff auf ihr Grundstück wären sie nach Kabul gezogen (vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018). Weshalb der Cousin den Beschwerdeführer auch in Kabul bedroht und angegriffen haben soll, ist daher - wie bereits erwähnt - nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer wurde in der Beschwerdeverhandlung gefragt, warum der Cousin Angst vor dem Beschwerdeführer gehabt haben könnte, zumal ja er den Bruder des Beschwerdeführers getötet habe und ob der Beschwerdeführer Blutrache geschworen habe.

Der Beschwerdeführer antwortete, dass sie damals sehr jung gewesen wären. Direkt hätte der Cousin zu dieser Zeit keine Angst gehabt. Er hätte aber befürchtet, dass der Beschwerdeführer bzw. seine Familie eines Tages ihr Haus und Eigentum von ihnen zurückverlangen würden und sich dafür rächen würden. Der Cousin hätte weiters Angst gehabt, dass der Beschwerdeführer oder seine Geschwister eines Tages Blutrache an der Familie des Cousins nehmen würden (vgl. S 18 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018).

Diese Erklärung überzeugt nicht und beruht auf Mutmaßungen und Spekulationen über die Gedankenwelt des Cousins.

Der Beschwerdeführer hat in keiner Weise vorgebracht, dass er Blutrache geschworen hat oder sich in irgendeiner Weise für die Ermordung seines Bruders rächen wollte. Vielmehr hat er durchgehend eine defensive Haltung und Opferrolle behauptet. Er bzw. seine Familie sind nach den behaupteten Angriffen nach Kabul geflüchtet und haben damit zum Ausdruck gebracht, dem Konflikt aus dem Weg zu gehen und keine Rachepläne zu schmieden.

2.2.2.4. Der Beschwerdeführer gab an, dass die Familie nach dem Tod des Bruders Anzeige bei der Polizei erstattet hätte. Die Polizei hätte aber nichts unternommen (vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018). Im Zuge des Angriffes auf den Beschwerdeführer in Kabul hätten umliegende Geschäftsleute die Polizei verständigt und wäre der Beschwerdeführer von den Polizisten zu dem Vorfall befragt worden (vgl. S 20 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018). Obwohl die Polizei also mehrmals involviert gewesen sein soll, konnte der Beschwerdeführer keine Anzeigebestätigungen vorlegen. Er erklärte dies damit, dass all ihre Dokumente, Unterlagen, Ausweise usw. zuhause gewesen wären. Sie hätten ihr Haus nicht für immer verlassen wollen. Sie hätten auch nicht angenommen, dass ihr Haus in Brand gesetzt werde. Alles wäre bei dem Brand zerstört worden. Auf Nachfrage, warum nicht in Kabul versucht worden sei, weitere Bestätigungen von der Polizei einzuholen, behauptete der Beschwerdeführer, dass die Polizei Menschen nicht schütze. Diesen Eindruck hätte jeder Afghane, der keine Unterstützung von der Polizei bekomme. Deswegen hätten sie in Kabul keine neuerliche Bestätigung eingeholt, weil die Polizei sowieso nichts unternehme (vgl. S 18 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018). Der Beschwerdeführer konnte keinerlei Beweismittel vorlegen und daher auch auf diese Weise sein Vorbringen nicht glaubhaft machen.

2.2.2.5. Dass der Cousin des Beschwerdeführers Mitglied der Taliban ist und daher von Seiten der Taliban Bedrohung ausgeht, konnte der Beschwerdeführer ebenso nicht nachweisen oder glaubhaft machen.

Im Dorf hätte jeder gewusst, dass sein Cousin ein Taliban gewesen wäre (vgl. S 16 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018). Befragt, ob er gesehen habe, dass die Taliban Handgranaten auf das Grundstück der Familie geworfen haben, sagte der Beschwerdeführer, es wäre dunkel gewesen und er hätte es nicht gesehen. Da sein Cousin einer von den Taliban gewesen wäre und sie sonst keine Feindschaften gehabt hätten, gehe er davon aus, dass es Taliban gewesen seien (vgl. S 19 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018). Beweise konnte er aber nicht vorlegen und stützt sich dieses Vorbringen lediglich auf Vermutungen. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass der Beschwerdeführer ausdrücklich angab, von seinem Cousin nicht persönlich bedroht worden zu sein. Dieser hätte auch nicht die Gelegenheit dazu gehabt (vgl. S 19 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 28.06.2018).

Diese Behauptung ist wiederum

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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