TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/15 W260 2174304-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.05.2020
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Entscheidungsdatum

15.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W260 2174304-1/19E

I M N A M E N D E R R E P U B L I K !

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt, vom 12.10.2017, Zl. 1096032110-151831337, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX (im Folgenden "Beschwerdeführer") reiste illegal ins Bundesgebiet ein und hat am 21.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

2. Bei der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi an, er wäre afghanischer Staatsangehöriger, würde der Volksgruppe der Tadschiken angehören und wäre sunnitischer Moslem. Seine Eltern würden aus der Provinz Kabul stammen. Der Beschwerdeführer wäre im Iran geboren und aufgewachsen. Er wäre noch nie in Afghanistan gewesen. Die Eltern, ein Bruder und zwei Schwestern würden noch im Iran leben.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, er hätte im Iran nicht studieren können und hätte keine Zukunft gehabt. Er hätte sich nicht einmal eine SIM-Karte kaufen dürfen. In der Schule wäre er ein Außenseiter gewesen.

3. Nach Zulassung des Verfahrens wurde der Beschwerdeführer am 11.10.2017 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge "belangte Behörde") im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi niederschriftlich einvernommen.

Der Beschwerdeführer legte ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor. Er gab zusammengefasst an, dass er gesund wäre und bestätigte, wie in der Erstbefragung ausgeführt, seine Volksgruppenzugehörigkeit und seine Religionszugehörigkeit. Er wäre im Iran geboren und hätte dort zehn Jahre lang die Schule besucht. Seine Eltern, ein Bruder und eine Schwester würden im Iran leben. Eine Schwester würde in Deutschland wohnen. Einige Verwandte wären in Österreich aufhältig.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, er hätte den Iran verlassen, weil er dort als Afghane keine Rechte gehabt hätte. Im Jahr 2015 hätten ihn zudem die "BASIJI" in den Syrienkrieg schicken wollen. Als Sunnite wäre er dazu gezwungen gewesen. Da sich der Beschwerdeführer geweigert habe, hätten sie dies dem Geheimdienst gemeldet, dieser hätte dem Beschwerdeführer Spionage für die Amerikaner unterstellt und ihn bedroht. Dies sei der Grund für seine Flucht gewesen. In Afghanistan wäre der Beschwerdeführer noch nie gewesen. Seit 2015 hätten auch seine gesamten Angehörigen das Land verlassen. Er würde nicht nach Afghanistan zurückkehren können, weil er Farsi spreche und aufgrund seines Äußeren und seiner Aussprache für einen Iraner gehalten werden würde.

Seine Eltern hätten bereits in den 1980er Jahren Afghanistan verlassen. Sein Vater wäre zunächst Mitglied einer islamischen Partei gewesen, wäre aber dann vor dieser Partei geflüchtet. Seine Mutter wäre wegen des damaligen Krieges ausgereist.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 12.10.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer in Bezug auf sein Heimatland Afghanistan keine individuellen Fluchtgründe vorgebracht habe. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Der Beschwerdeführer erstattete namens seiner bevollmächtigten Vertretung fristgerecht Beschwerde und wiederholte im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde sein Vater mitkommen müssen, um die Identität des Beschwerdeführers zu beweisen. Der Vater hätte aber eine gegnerische Gesinnung gegenüber der afghanischen Regierung, die er durch seine Flucht kundgetan hätte. Der Vater und somit auch der Beschwerdeführer würden daher als politische Feinde angesehen werden und würde ihnen daher asylrelevante Verfolgung drohen. Der Beschwerdeführer würde in Afghanistan zudem auf kein soziales Netz zurückgreifen können und würde bei einer Rückkehr in eine ausweglose Lage geraten.

6. Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 23.10.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.06.2018 eine mündliche Verhandlung im Beisein der bevollmächtigten Rechtsberaterin des Beschwerdeführers durch. Das Verhandlungsprotokoll wurde der entschuldigt ferngebliebenen Behörde übermittelt.

Der Beschwerdeführer legte in der Beschwerdeverhandlung Integrationsunterlagen sowie Länderberichte in englischer Sprache vor, die als Beilagen ./I und ./II zum Akt genommen wurden.

8. Der Beschwerdeführer brachte mit Schreiben vom 27.06.2018 eine schriftliche Stellungnahme zu den in der Verhandlung vom Bundesverwaltungsgericht eingebrachten Länderberichten ein. Der Beschwerdeführer zitierte diverse Berichte und verwies auf die höchst volatile Sicherheitslage in Afghanistan. Eine Rückkehr wäre auch in die Städte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nicht möglich. Zudem wäre die Lage für Rückkehrer aus dem Iran weiter erschwert.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

9. Mit Schreiben vom 30.07.2018, 20.09.2018 und 08.10.2018 übermittelte der Beschwerdeführer weitere Integrationsunterlagen und Unterstützungsschreiben.

10. Mit Schreiben vom 04.01.2019 gab der (ehemalige) Unterkunftgeber des Beschwerdeführers bekannt, dass er den Beschwerdeführer "wegen unüberbrückbarer kultureller Differenzen und mangelndem Willen zur Integration" wieder in "staatliche Obhut" entlassen habe.

11. Der Beschwerdeführer legte mit Schreiben vom 10.04.2019 weitere Integrationsunterlagen vor.

12. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte im Rahmen des Parteiengehörs am 18.03.2020 an die Verfahrensparteien aktuelle Länderinformationen zu Afghanistan und gab den Verfahrensparteien die Möglichkeit aktuelle Unterlagen vorzulegen und Anträge zu stellen.

13. Der Beschwerdeführer erstattete durch seine bevollmächtigte Vertretung am 08.04.2020 eine Stellungnahme. Er verwies auf die instabile Sicherheitslage, Menschenrechtslage und Versorgungslage in Afghanistan. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat würde nach wie vor nicht vorliegen. Der Beschwerdeführer legte weitere Beweismittel, ua. ein Englischzertifikat vom 30.06.2018 vor.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , geboren am XXXX in Teheran im Iran, er ist afghanischer Staatsangehöriger. Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, ist sunnitischer Moslem, ledig und kinderlos. Seine Muttersprache ist Farsi.

Der Beschwerdeführer ist im Iran aufgewachsen. Er lebte dort mit seinen Eltern, zwei Schwestern und einem Bruder. Er besuchte zehn Jahre lang ebendort eine Schule. Der Beschwerdeführer erlernte keinen Beruf und hat nicht gearbeitet.

Der Beschwerdeführer ist Zivilist.

Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Der Beschwerdeführer wurde weder von den Taliban, noch von sonstigen Gruppierungen entführt noch festgehalten, oder von diesen bedroht. Der Beschwerdeführer hatte keinen Kontakt zu den Taliban oder sonstigen Gruppierungen, er wird von diesen auch nicht gesucht oder bedroht.

Der Beschwerdeführer wurde im Iran geboren und war noch nie in Afghanistan aufhältig. Seine Eltern haben Afghanistan in den 1980er Jahren verlassen und sind in den Iran gezogen. Der Vater des Beschwerdeführers war vor seiner Ausreise aus Afghanistan nicht Mitglied einer islamischen Partei in Afghanistan und droht dem Vater und dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan deshalb keine asylrelevante Bedrohung.

Der Beschwerdeführer ist wegen seines Aufenthalts im Iran und in einem westlichen Land oder wegen seiner Wertehaltung in Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in seine körperliche Integrität ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine "westliche" Lebenseinstellung beim Beschwerdeführer vor, die wesentlicher Bestandteil seiner Persönlichkeit geworden ist, und die ihn in Afghanistan exponieren würde. Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer verließ den Iran, wo er sich illegal aufgehalten hat, aufgrund seiner Befürchtungen, nach Afghanistan abgeschoben zu werden, aufgrund einer drohenden Rekrutierung für den Syrien-Krieg, sowie aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für im Iran lebende Afghanen. Dem Beschwerdeführer droht bei einer Neuansiedlung in Afghanistan auch aus diesem Grunde keine konkret gegen ihn gerichtete, individuelle physische oder psychische Gewalt.

Auch sonst haben sich im gesamten Verfahren keine Hinweise für eine dem Beschwerdeführer in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in die Provinz Kabul, der Herkunftsprovinz seiner Eltern, aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Die Eltern, eine Schwester und ein Bruder des Beschwerdeführers wohnen derzeit in Teheran im Iran. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie. Der Vater arbeitet als Bauarbeiter und versorgt die Familie des Beschwerdeführers. Die Mutter arbeitet gelegentlich als Bedienerin. Der Beschwerdeführer unterstützt seine Familie derzeit finanziell nicht. Die Familie des Beschwerdeführers kann ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht finanziell unterstützen.

Eine Schwester des Beschwerdeführers lebt in Deutschland. Eine Tante und ein Onkel väterlicherseits leben in der Türkei. Ein Onkel väterlicherseits lebt im Iran. Zwei Tanten väterlicherseits sowie mehrere Cousins leben in Österreich.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine Verwandte oder Freunde in Mazar-e Sharif.

Er kann Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der Beschwerdeführer hat den Großteil seines bisherigen Lebens in der Stadt Teheran im Iran verbracht, ihm sind städtische Strukturen daher bekannt. Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selbst erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit November 2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 21.11.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer spricht Deutsch. Er besuchte Deutschkurse, Englischkurse und Integrationskurse und hat zuletzt die Deutschprüfung Niveau B1 bestanden. Der Beschwerdeführer hat auch eine Schule in Österreich besucht.

Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung, er ist am österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert und geht keiner dem Bundesverwaltungsgericht bekannten Erwerbstätigkeit nach. Der Beschwerdeführer arbeitet auch nicht ehrenamtlich.

Der Beschwerdeführer konnte in Österreich Freundschaften zu Österreichern und anderen Mitschülern knüpfen.

In Österreich leben zwei Tanten väterlicherseits sowie zwei Cousins des Beschwerdeführers. Er lebt mit diesen nicht im gemeinsamen Haushalt und hat selten Kontakt zu seinen Tanten. Drei weitere Cousins eines Onkels väterlicherseits leben in Österreich. Zu diesen hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt.

Der Beschwerdeführer verfügt über keine sonstigen engen sozialen Bindungen, wie Ehefrau oder Kinder in Österreich.

Er wird von seinen Lehrern als zielstrebig und integrationswillig beschrieben. Der Beschwerdeführer wurde von seinem Unterkunftgeber zunächst als intelligent und talentiert beschrieben. In weiterer Folge wurde er von diesem mit Schreiben vom 04.01.2019 aber wegen "unüberbrückbarer kultureller Differenzen und mangelndem Willen zur Integration" wieder in staatliche Obhut entlassen. Der Beschwerdeführer war bei diesem Unterkunftgeber von 16.06.2018 bis zum 23.11.2018 gemeldet

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),

- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)

- EASO Country Guidance: Afghanistan von Juni 2019 (EASO)

1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Kapital 4.2.).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 22.1).

1.5.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie macht etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul ist sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert. Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt (LIB, Kapitel 17.2).

1.5.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 16).

1.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

1.5.8. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Haqani-Netzwerk:

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB, Kapitel 2).

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz:

Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB, Kapitel 2).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB, Kapitel 2).

Al-Qaida:

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB, Kapitel 2).

1.5.9. Provinzen und Städte

1.5.9.1. Herkunftsprovinz Kabul:

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 3.1 und Kapitel 3.35).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.1).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 3.1).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 21).

1.5.9.2. Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

1.5.10. Situation für Rückkehrer/innen

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).

1.5.11. Zur aktuellen COVID-19-Pandemie:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 15.05.2020, 08:00 Uhr, 1.027 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 595 Todesfälle nach EpidemieG; in Afghanistan wurden zu diesem Zeitpunkt 5.539 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 136 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation im Iran, seiner Schulbildung im Iran und seiner mangelnden Berufsausbildung und Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellung zur Sozialisierung des Beschwerdeführers nach den afghanischen Gepflogenheiten, ergibt sich daraus, dass er im Iran in einer afghanischen Familie und in einem afghanischen Umfeld aufgewachsen ist.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers beim Bundesamt (vgl. AS 74) und in der mündlichen Verhandlung (vgl. S 4 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 06.06.2018) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

2.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Das Asylverfahren bietet, wie der VwGH in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Mit der Glaubhaftmachung ist demnach die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss - unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

2.2.2. Diese Voraussetzungen konnte der Beschwerdeführer nicht erfüllen.

2.2.2.1. So gab der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor der belangten Behörde an, im Iran geboren worden zu sein und selbst noch nie in Afghanistan gewesen zu sein. Seine Eltern hätten Afghanistan bereits in den frühen 1980er Jahren verlassen und Anfang der 1990er Jahre im Iran geheiratet. Sein Vater wäre in Afghanistan Mitglied der islamischen Golbodin Hekmatyar Partei gewesen. Damals hätte der afghanisch-russische Krieg geherrscht. Der Vater des Beschwerdeführers hätte sich geweigert für die Partei zu töten und wäre ausgetreten. Daher hätte er aus Afghanistan fliehen müssen. Die Mutter wäre aufgrund des damaligen Krieges ausgereist (vgl. AS 76). Der Beschwerdeführer wäre - wie bereits erwähnt - selbst noch nie in Afghanistan gewesen, befürchte aber bei einer Rückkehr nach Afghanistan Probleme zu bekommen. Er würde nämlich weder ein afghanisches noch ein iranisches Personaldokument besitzen und wäre daher gezwungen, seinen Vater nach Afghanistan mitzunehmen, damit dieser seine Identität bestätige. Da sein Vater aber in Afghanistan verfolgt werden würde, könnte der Vater nicht dorthin zurückkehren (vgl. AS 80).

In der Beschwerde gab der Beschwerdeführer dazu an, dass auch für ihn aufgrund der Vergangenheit seines Vaters in Afghanistan ein Sicherheitsrisiko bestehen würde, zumal die islamische Golbodin Hekmatyar Partei in Afghanistan wieder aktiv wäre (vgl. AS 201). In der Beschwerdeverhandlung wiederholte der Beschwerdeführer auf Nachfrage des Richters sein Vorbringen hinsichtlich der Ausreisegründe des Vaters. Der Beschwerdeführer gab aber auch an, dass seine Eltern, seitdem sie im Iran aufhältig seien, nicht bedroht worden wären. Ob Mitglieder dieser Partei seinen Vater angerufen oder bedroht hätten, wisse er nicht. Sein Vater würde ihm das aber auch nicht sagen. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, als Sohn seines Vaters gefährdet zu sein. Golbodin Hekmatyar wäre seit 2016 nicht mehr auf der schwarzen Liste und die Gruppe seines Vaters wäre wieder aktiv (vgl. S 14 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 06.06.2018).

Dazu ist beweiswürdigend auszuführen, dass der Beschwerdeführer eine Zugehörigkeit seines Vaters zur Partei "Hezbe Islami" in den frühen 1980er Jahren lediglich in den Raum stellte, ohne dafür Beweise vorlegen zu können. Auch dass der Vater aus der Partei ausgetreten sein soll und aus Furcht vor Repressalien durch Mitglieder dieser Partei Afghanistan verlassen hat, konnte der Beschwerdeführer nicht nachweisen. Abgesehen davon liegen die behaupteten Vorfälle über 30 Jahre zurück, sodass von einer aktuellen Bedrohungssituation nicht ausgegangen werden kann. Auch wenn die Partei nicht mehr auf "der Schwarzen Liste" steht und 2016 - wie Medienberichten zu entnehmen ist - ein Friedensabkommen zwischen "Hezbe Islami" und der afghanischen Regierung geschlossen wurde, bedeutet dies nicht, dass diese Partei in Afghanistan wieder an Macht gewonnen hat und für ehemalige Mitglieder der Partei ein aktuelles Risiko besteht. Es ist daher - selbst bei Wahrheitsunterstellung der Angaben des Beschwerdeführers - nicht realistisch, dass der Vater des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen der damaligen Vorfälle nach wie vor Verfolgung zu befürchten hat. Dass der Beschwerdeführer selbst eine asylrelevante Verfolgung wegen der früheren Parteizugehörigkeit seines Vaters zu vergegenwärtigen hat, ist nicht nachvollziehbar.

Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer - wie er auch selbst in der Beschwerdeverhandlung angibt - nicht nach Afghanistan zurückkehren möchte, weil er dort niemanden hat und Afghanistan unsicher wäre (vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 06.06.2018). Eine individuelle Bedrohungssituation in Afghanistan hat der Beschwerdeführer aber nicht glaubhaft gemacht.

2.2.2.2. Der Beschwerdeführer brachte vor, den Iran verlassen zu haben, weil er dort illegal aufhältig gewesen wäre und als Flüchtling immer nur Mensch zweiter Klasse gewesen wäre (vgl. S 13f der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 06.06.2018). Außerdem hätte er Probleme mit einer Gruppe namens "Basiji" gehabt, die junge Sunniten - wie den Beschwerdeführer - in den Syrienkrieg schicken hätten wollen. Die Belohnung wäre Geld und ein Aufenthaltstitel gewesen. "Basiji" würde unter Kontrolle des iranischen Militärs stehen. Der Beschwerdeführer hätte sich geweigert in den Krieg zu ziehen und wäre deshalb bedroht worden. Er hätte auch Probleme mit dem iranischen Geheimdienst "Etelaat" bekommen (vgl. S 13 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 06.06.2018).

Dazu ist auszuführen, dass etwaige Probleme, welche der Beschwerdeführer im Iran gehabt hat, für das gegenständliche Asylverfahren nicht relevant sind. Relevant sind lediglich asylrelevante Verfolgungshandlungen, die sich im Herkunftsstaat Afghanistan zugetragen haben könnten.

2.2.2.3. Der Beschwerdeführer behauptete auch, nicht nach Afghanistan zurückkehren zu können, da er im Iran geboren und aufgewachsen wäre und Farsi sprechen würde. Er würde in Afghanistan als "Iraner" bzw. "Nicht-Afghane" angesehen werden und deshalb schlecht behandelt werden. Zudem hätte er eine Zeit lang im Westen gelebt und der "Westen" werde in Afghanistan als Feindbild gesehen (vgl. AS 204).

Aus der Berichtslage ergibt sich, dass Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, in der Regel als solche erkennbar sind. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer.

Für Afghanen lässt sich im Hinblick auf einen langjährigen Aufenthalt in Europa und einer damit zusammenhängenden "Verwestlichung" allgemein keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintretende Verfolgungsgefahr bzw. Diskriminierungsgefahr von asylrelevanter Intensität ableiten noch wurden solche vom Beschwerdeführer selbst glaubhaft ausgeführt.

2.2.3. Aus einer Gesamtschau der oben angeführten Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren ergibt sich, dass eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus asylrelevanten Gründen in seinem Herkunftsstaat nicht glaubhaft gemacht werden konnte und nicht maßgeblich wahrscheinlich ist.

Es konnte weder eine konkret gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete asylrelevante Verfolgung festgestellt werden, noch sind im Verfahren sonst Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen bei einer Rückkehr für wahrscheinlich erscheinen lassen.

2.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat:

2.3.1. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine bzw. die Herkunftsprovinz seiner Eltern Kabul ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten.

Die Feststellungen zum Aufenthaltsort der Familie, zu den Vermögensverhältnissen sowie zur finanziellen Situation der Familie des Beschwerdeführers im Iran ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung (vgl. S 7ff der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 06.06.2018).

Die Feststellung zur mangelnden finanziellen Unterstützungsfähigkeit seiner Familie in Afghanistan, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, wonach er angab, dass sein Vater als Bauarbeiter im Iran arbeiten würde, die Mutter gelegentlich als Bedienerin arbeiten würde und die finanzielle Situation der Familie mittelmäßig wäre (vgl. S 8 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 06.06.2018).

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer seine Familie in Afghanistan nicht unterstützen kann ergibt sich daraus, dass er selbst in Österreich von staatlicher Unterstützung lebt. Im Verfahren haben sich keine Hinweise darauf ergeben, dass er in der Lage ist, seine Familie finanziell zu unterstützen.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer über keine Verwandte in Mazar-e Sharif verfügt, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der Beschwerdeverhandlung, wonach sämtliche Familienmitglieder und Verwandte im Iran, in der Türkei, in Deutschland und in Österreich leben würden und er keine Verwandten in Afghanistan hätte (vgl. S 7ff der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung vom 06.06.2018).

Die Feststellungen zur Rückkehrhilfe ergeben sich aus den Länderberichten.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer städtische Strukturen bekannt sich, ergibt sich aus seinem Vorbringen, wonach er den überwiegenden Teil seines Lebens in Teheran im Iran gelebt hat. Er hat zwar noch nicht in Mazar-e Sharif gelebt, kann aber innerhalb kurzer Zeit Ortskenntnisse erwerben.

Die Feststellung zur Anpassungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich daraus, dass er sich in Österreich an sich zurechtfindet und er angab einer Arbeit nachgehen zu können. Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit oder gegen eine Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers sprechen.

2.3.2. Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des Beschwerdeführers in der Stadt Mazar-e Sharif, ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR und EASO aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan - aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben des Beschwerdeführers. Die Feststellung zur Prognose, dass sich der Beschwerdeführer in der Stadt Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen kann, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass die Stadt Mazar-e Sharif als relativ sicher gilt und unter der Kontrolle der Regierung steht. Diese ist auch sicher erreichbar. Die Versorgung der Bevölkerung ist in dieser Stadt grundlegend gesichert.

Der Beschwerdeführer ist zwar im Iran geboren und aufgewaschen und hat noch nie in Afghanistan gelebt. Er ist aber in einer afghanischen Familie und einem afghanischen Umfeld in Teheran aufgewachsen und daher mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert. Er kann sich daher in der Stadt Mazar-e Sharif zurechtfinden. Der Beschwerdeführer hat zehn Jahre lang eine Schule im Iran besucht. Er ist zudem im erwerbsfähigen Alter, gesund, volljährig, alleinstehend, anpassungsfähig und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer spricht neben seiner Muttersprache noch Englisch und auch bereits gut Deutsch. Insbesondere die Kenntnis der englischen Sprache wird dem Beschwerdeführer bei einer Arbeitssuche hilfreich sein. Außergewöhnliche Umstände, die den Beschwerdeführer an einer Ansiedelung in Mazar-e Sharif hindern würden, sind nicht erkennbar.

Der Beschwerdeführer hat weiters keine Sorgepflichten.

Er kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Im Gutachten von Stahlmann, welches der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 27.06.2018 zitiert, wird zwar der Schluss gezogen, da

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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