Entscheidungsdatum
15.05.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W260 2173659-1/21E
Im Namen der Republik!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Markus BELFIN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich (BAT) vom 28.09.2017, Zl. 1103654001-160144827, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX (im Folgenden "Beschwerdeführer") stellte am 28.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Die Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes fand am 29.01.2016 statt. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er in Afghanistan ein Mädchen heiraten hätte wollen, deren Eltern seien jedoch dagegen gewesen, hätten ihn mit einem Messer an den Fingern verletzt und mit "dem Umbringen" bedroht. Im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat hätte er Angst vor den Eltern seiner Freundin.
2. Die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden "belangte Behörde") fand am 26.08.2016 statt. Mit dem Beschwerdeführer wurde erörtert, dass in seinem Fall aufgrund der Dublin-Verordnung eine Außerlandesbringung nach Kroatien beabsichtigt sei. Der Beschwerdeführer gab an, gesundheitliche Probleme zu haben und legte einen Befundbericht eines Facharztes für Lungenkrankheiten vor.
Bei einer Überstellung nach Kroatien würde der Beschwerdeführer eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes befürchten. Die belangte Behörde beauftragte in der Folge einen gerichtlich beeideten medizinischen Sachverständigen um Erstellung eines Gutachtens.
3. Mit nicht verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 21.09.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz als unzulässig zurückgewiesen und zur Prüfung des Antrages Kroatien als zuständig erachtet und eine Außerlandesbringung angeordnet. Aufgrund fristgerechter Beschwerde und folglich rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.11.2016 zu GZ W239 2138748-1/6E wurde der Beschwerdeführer zum Asylverfahren in Österreich zugelassen.
4. Die belangte Behörde führte am 04.09.2017 eine weitere Befragung des Beschwerdeführers durch. In dieser Befragung gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er Tuberkulose hatte, jetzt jedoch gesund sei und nicht regelmäßig Medikamente einnehmen müsse. Der Beschwerdeführer legte einen Befundbericht vom 31.08.2017 vor, aus welchem hervorgeht, dass derzeit keine pulmonale Therapie notwendig sei und sich in vier bis sechs Monaten zur Kontrolle einfinden solle (ABL. 397).
Zu seinen persönlichen Umständen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass er aus der Provinz Takhar stamme. Er habe dort gemeinsam mit seinen Eltern, zwei Schwestern und einem Bruder gelebt. Fünf Jahre lang habe er auch in Kabul gelebt, da er dort an der "Universität Kabul Polytechnic" studiert hätte.
Zum finanziellen Hintergrund seiner Familie befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater ein Transportunternehmen habe, weiters Häuser, die er vermieten würde, sowie Grundstücke in anderen Bezirken. Seine Eltern hätten sich scheiden lassen. Zu seiner Schulbildung befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er 12 Jahre lang die Schule besucht und abgeschlossen und im Anschluss fünf Jahre lang das Studium "chemical engineering" betrieben und abgeschlossen hätte. Entsprechende diesbezügliche Unterlagen wurden zur Vorlage gebracht.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass er wegen persönlicher Bedrohung durch die Brüder seiner Freundin ausgereist sei. Sein Vater habe landesüblich einige Male um die Hand seiner Freundin angehalten, deren Eltern seien jedoch gegen die Eheschließung gewesen.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Begründend führte das Bundesamt aus, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe, wonach er von der Familie der Nachbarstochter, um deren Hand sein Vater mehrere Male angehalten habe und die ihm bereits seit 15 Jahren bekannt gewesen sei, nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.
6. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, dass ihm entgegen der Ansicht der belangten Behörde sehr wohl Verfolgung aufgrund der vorehelichen Frau-Mann Beziehung drohe, und die Familie des Mädchens eine sehr einflussreiche sei. Der Beschwerdeführer habe auch zwei Attacken überlebt und eine Halswunde davongetragen, aus dessen Grunde er auch im Spital verweilen hätte müssen.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 05.06.2018 eine mündliche Verhandlung durch, die belangte Behörde blieb der mündlichen Beschwerdeverhandlung entschuldigt fern; das Verhandlungsprotokoll wurde der belangten Behörde übermittelt.
8. Der Beschwerdeführer brachte namens seiner bevollmächtigten Vertretung per E-Mail am 14.06.2018 eine Stellungnahme ein, in welcher er klarzustellen begehrt, dass er betreffend seiner Herz-Lungenproblematik derzeit keine Medikamente einnimmt und diese seit 2016 ausgeheilt ist. Der erwähnte Arzttermin im beiliegenden Befundbericht vom 19.04.2018 am 23.08.2018 gelte lediglich der Kontrolle.
9. Der Beschwerdeführer brachte namens seiner bevollmächtigten Vertretung per E-Mail am 27.08.2018 einen aktuellen Befundbericht des Beschwerdeführers mit "richtigem" Geburtsdatum ein.
10. Der Beschwerdeführer brachte namens seiner bevollmächtigten Vertretung per E-Mail am 04.09.2018 ein ärztliches Rezept und eine Terminvorschreibung bei einem Facharzt für Neurologie ein. Anträge und Ausführungen waren in der E-Mail nicht enthalten.
11. Der Beschwerdeführer brachte namens seiner bevollmächtigten Vertretung per E-Mail am 21.12.2018 einen Befundbericht vom 20.12.2018 zur Vorlage. Anträge und Ausführungen waren in der E-Mail nicht enthalten.
12. Mit E-Mail vom 21.11.2019 wurde dem Bundesverwaltungsgericht via E-Mail durch die nicht im Verfahren bevollmächtigte "Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH" eine Bestätigung des Arbeitsmarktservice Krems über die Erteilung der Beschäftigungsbewilligung des Beschwerdeführers im Rahmen einer Saisonarbeit von September bis Dezember 2019 zur Kenntnis gebracht. Anträge und Ausführungen waren in der E-Mail nicht enthalten.
13. Der Beschwerdeführer brachte namens seiner bevollmächtigten Vertretung per E-Mail am 09.01.2020 einen Befundbericht vom 19.12.2019 zur Vorlage. Anträge und Ausführungen waren in der E-Mail nicht enthalten.
14. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte mit Schreiben vom 18.03.2020 im Rahmen des Parteiengehörs an die Verfahrensparteien aktuelle Länderberichte zu Afghanistan mit der Möglichkeit zur Stellungnahme, Übermittlung sonstiger relevanter Informationen, oder der Erstattung von Anträgen.
15. Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab. Der Beschwerdeführer erstattete namens seiner bevollmächtigten Vertretung am 31.03.2020 eine Stellungnahme und legte dieser drei Unterstützungsschreiben sowie eine Kursbestätigung vom 30.03.2020 bei, wonach der Beschwerdeführer die Deutschprüfung A1 am 19.10.2019 erfolgreich ablegte und derzeit der von ihm belegte Deutschkurs A2 aufgrund der Corona-Krise unterbrochen sei. In der Stellungnahme brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass aufgrund der UNHCR-Richtlinien eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul und auch in den anderen afghanischen Städten nicht zumutbar sei und er bemüht sei, seine erfolgreiche Integration weiterzuführen, wie es die Unterstützungsschreiben belegen würden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX .
Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und sunnitischer Muslim. Seine Muttersprache ist Dari.
Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX , Distrikt XXXX , Provinz Takhar geboren und wuchs dort im Familienverband auf. 2001 übersiedelte er mit seiner Familie in die Provinzhauptstadt Taloqan, Provinz Takhar. Der Beschwerdeführer besuchte zwölf Jahre lang die Schule und schloss diese ab. Danach studierte er fünf Jahre lang "Chemical Engineering" an der Universität in Kabul und schloss das Studium ab. Während seines Studiums lebte er auch in Kabul, danach bis zu seiner Ausreise 2016 wieder in Taloqan.
Die Eltern, ein Bruder, zwei Schwestern, sechs Onkeln und eine Tante des Beschwerdeführers leben in Taloqan. Zu seinen Eltern hat der Beschwerdeführer regelmäßigen Kontakt, zu seinen Onkeln und seiner Tante hat er keinen Kontakt.
Der Beschwerdeführer ist gesund. Er ist ledig und hat keine Kinder.
Der Beschwerdeführer ist Zivilist.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Dem Beschwerdeführer droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine physische und/oder psychische Gewalt durch eine Nachbarsfamilie in Taloqan aufgrund des dargelegten Fluchtvorbringens, wonach er mit der Tochter dieser Familie außerehelichen Geschlechtsverkehr gehabt habe und von ihren Brüdern mehrfach angegriffen und mit dem Tod bedroht worden sei.
Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen seiner Volksgruppenzugehörigkeit, Religion, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch hat er eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten.
Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan nie persönlich bedroht oder angegriffen, es droht ihm auch künftig keine psychische und/oder physische Gewalt von staatlicher Seite, und/oder von Aufständischen, und/oder von sonstigen privaten Verfolgern in seinem Herkunftsstaat.
Auch sonst haben sich im gesamten Verfahren keine Hinweise für eine dem Beschwerdeführer in Afghanistan individuell drohende Verfolgung ergeben.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in die Provinz Takhar aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Dem Beschwerdeführer steht als innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Rückkehr in der Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung, wo es ihm möglich ist, ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem Beschwerdeführer würde bei seiner Rückkehr in diese Stadt kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Der Beschwerdeführer ist jung, arbeitsfähig und überdurchschnittlich gut ausgebildet. Er hat eine zwölfjährige Schulausbildung und ein fünfjähriges Universitätsstudium absolviert und in Österreich Berufserfahrung als Erntehelfer gesammelt. Er ist mobil und anpassungsfähig. Er wird seine Ausbildung und Berufserfahrung auch in Mazar-e Sharif nutzen können.
Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden. Die Familie des Beschwerdeführers ist in der Lage ihn zumindest anfänglich zu unterstützen.
Der Beschwerdeführer hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise.
Die Stadt Mazar-e Sharif ist von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug zu erreichen.
1.4. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Der Beschwerdeführer befindet sich seit seiner Antragstellung im Jänner 2016 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.
Er bezieht seit seiner Einreise Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung. Der Beschwerdeführer ist derzeit nicht selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer besuchte diverse Deutschkurse und verfügt über grundlegende Deutschkenntnisse auf Niveau A2. Der Beschwerdeführer besuchte einen Werte- und Orientierungskurs.
Er war von September bis Oktober 2017 und von September bis November 2019 als Erntehelfer und Hilfsarbeiter in einem landwirtschaftlichen Betrieb tätig. Seit Dezember 2017 ist er auch als ehrenamtlicher Mitarbeiter in einem Pflegezentrum tätig.
Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Familienangehörigen. Es konnten auch keine weiteren substantiellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat
Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),
- UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)
- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)
1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage
Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).
Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).
1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).
In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala-System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).
Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
1.5.3. Medizinische Versorgung
Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).
90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).
Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 22.1).
1.5.4. Ethnische Minderheiten
In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).
Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie macht etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul ist sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert. Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt (LIB, Kapitel 17.2).
1.5.5. Relevante Provinzen und Städte
1.5.5.1. Herkunftsprovinz Takhar
Takhar liegt im Nordosten Afghanistans. Sie besteht hauptsächlich aus Usbeken, Tadschiken, Paschtunen, Hazara, Gujari, Pashai und Arabern. Die Provinz ist über den Flughafen in Tirinkot von Kabul aus zu erreichen. Die Provinz hat 1.073.319 Einwohner (LIB, Kapitel 3.31).
Takhar zählt zu den volatilen Provinzen in Nordafghanistan. Aufständische der Taliban und anderer Gruppierungen (Islamischer Staat, Islamic Jihad Union, Jabha-ye Qariha) sind in einer Anzahl von Distrikten aktiv. Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Sicherheitskräften, bei denen es zu Todesopfern auf beiden Seiten und unter Zivilisten kommt. Im Jahr 2018 gab es 113 zivile Opfer (26 Tote und 87 Verletzte) in der Provinz Takhar. Dies entspricht einer Steigerung von 15% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für Vorfälle waren Bodenkämpfe gefolgt von IEDs und Drohungen, Einschüchterungen und Drangsalen (LIB, Kapitel 3.31).
In der Provinz Takhar kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
1.5.5.2. Provinz Balkh bzw. Mazar-e Sharif
Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).
Bei der Provinz Balkh handelt es sich um eine jener Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO).
Die Stadt Mazar-e Sharif wird von EASO als eine jener Regionen eingestuft, in welcher willkürliche Gewalt auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein reales Risiko besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird (EASO).
Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1).
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).
1.5.6. Situation für Rückkehrer/innen
In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).
Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).
Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).
1.5.7. Blutfehde
Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu langanhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt, doch soll der Brauch baad, eine stammesübliche Form der Streitbeilegung, in der die Familie des Täters der Familie, der Unrecht geschah, ein Mädchen zur Heirat anbietet, vor allem im ländlichen Raum praktiziert werden, um eine Blutfehde beizulegen. Wenn die Familie, der Unrecht geschah, nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat. (UNHCR, Kapitel III. A. 14)
1.5.8. COVID-19-Pandemie
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 15.05.2020 1.027 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 595 Todesfälle nach dem EpedemieG; in Afghanistan wurden zu diesem Zeitpunkt 5.538 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 136 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden.
Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80 % der Betroffenen leicht und bei ca. 15 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5 % der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation in Afghanistan und seinem Bildungsweg gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in Einvernahme vor der belangten Behörde (vgl. AS 379) und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist. Auch aus den vorgelegten medizinischen Unterlagen (Befundberichten) ergibt sich in Übereinstimmung mit seinen Angaben lediglich, dass der Beschwerdeführer an einer mittlerweile abgeheilten Tuberkulose litt.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
2.2.1. Dass das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend einer ihm drohenden asylrelevanten Verfolgung nicht glaubhaft war, ergibt sich aus einer Gesamtschau der im Folgenden dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen:
Grundlegend ist zu sagen, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, wie er es insbesondere in der Erstbefragung, der Einvernahme vor der belangten Behörde, im Beschwerdeschriftsatz und in der mündlichen Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes vorbrachte, eine Reihe an Widersprüchen und Ungereimtheiten in entscheidenden Punkten aufweist, die der Beschwerdeführer auch nicht schlüssig erklären konnte. Sein Vorbringen war nicht konsistent, der Beschwerdeführer wich vielmehr wiederholt von vorhergehenden Aussagen ab, wobei beim erkennenden Richter der Eindruck entstand, dass er seine Antworten laufend den jeweiligen Fragestellungen anpasste und auch sein Vorbringen Der im Laufe des Asylverfahrens deutlich steigerte.
2.2.2. In seiner polizeilichen Erstbefragung brachte der Beschwerdeführer vor, er habe in Afghanistan ein Mädchen heiraten wollen, jedoch seien dessen Eltern gegen die Hochzeit gewesen. Die Eltern des Mädchens hätten ihn mit einem Messer an den Fingern verletzt und mit dem Umbringen bedroht (vgl. AS 9).
In seiner Einvernahme vor der belangten Behörde brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, er habe eine Verbindung zur Nachbarstochter gehabt. Er habe sie heiraten wollen, habe aber nur einmal mit ihr selbst gesprochen und sonst nichts mit ihr zu tun gehabt. Sein Vater habe zwei bis drei Mal bei ihrer Familie um ihre Hand angehalten, die Familie sei aber nicht einverstanden gewesen. Drei oder vier ihrer Brüder hätten den Beschwerdeführer dann einmal beim Finger mit einem Messer gestochen und verletzt. Eine Woche später hätten sie ihn mit einem Spiegelteil verletzt. Die Brüder hätten gesagt, er solle Takhar verlassen, um keine Probleme mit ihnen zu bekommen. Danach sei er ausgereist. Nach Kabul sei er nicht zurückgekehrt, weil er dort niemanden gehabt habe. Hier sei es bequemer und einfacher (vgl. AS 385-391).
In der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, er habe gegenüber der Nachbarstochter, die seine Mutter mehrmals in der Woche besucht habe, seinen Heiratswunsch geäußert. Sein Vater habe drei Mal für ihn um ihre Hand angehalten, ihre Familie habe dies jedoch immer abgelehnt. Als der Beschwerdeführer nach Abschluss seines Studiums nach Takhar zurückkehrte, sei er zweimal von zwei Brüdern der Nachbarstochter angegriffen worden. Einmal hätten sie ihn vor seiner Haustüre mit einem Messer an der Hand verletzt und gefragt, warum er immer noch hier sei, und dass er ihre Schwester in Ruhe lassen sollte. Herbeieilende Passanten hätten die Lage beruhigen können. Eine Woche später hätten ihn die beiden, auf einem Motorrad sitzend, auf der Straße mit einer Glasscheibe attackiert und am Hals verwundet. Sie hätten ihn aufgefordert, aus Takhar zu verschwinden. Sollten sie ihn noch einmal zu Gesicht bekommen, würden sie ihn töten. Aufgrund der stark blutenden Halswunde habe der Beschwerdeführer die nächste Zeit im Krankenhaus verbracht. Danach habe er sich zur Ausreise entschlossen. Die Nachbarsfamilie sei eine reiche, einflussreiche, paschtunische Familie. Ein Onkel und ein Schwager würden in Kabul im Innenministerium arbeiten, sodass der Beschwerdeführer befürchte, weder in seine Heimatstadt, noch anderswohin zurückkehren zu können (vgl. AS 525).
In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht schließlich brachte der Beschwerdeführer vor, er habe eine heimliche sexuelle Beziehung mit der Nachbarstochter gehabt. Danach habe er seine Eltern gebeten, um ihre Hand anzuhalten, was diese zwei oder dreimal getan hätten, von ihrer Familie jedoch abgelehnt worden sei. Zwei oder drei Tage nach dem letzten Heiratsantrag hätten ihn drei Brüder der Frau und noch jemand mit einem Messer verletzt. Sie hätten dem Beschwerdeführer gesagt, dass sie ihn hier nicht mehr sehen wollten. Eine Woche später seien sie auf einem Motorrad auf ihn zugekommen und hätten ihn mit einer Glasscherbe verletzt und ihm Faustschläge und Fußtritte versetzt. Dabei hätten sie ihm mit dem Tod gedroht, falls sie ihn noch einmal erwischen würden. Danach habe er seinem Vater erzählt, dass er mit dem Mädchen intim gewesen sei, und sein Vater habe gesagt, dass er Afghanistan sofort verlassen müsse. Nicht einmal eine Woche später sei er ausgereist (vgl. Niederschrift vom 05.06.2018, S. 14-21).
2.2.3. Aus beweiswürdigender Sicht ist an dem dargestellten Aussageverhalten des Beschwerdeführers deutlich erkennbar, dass der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen im Laufe des Asylverfahrens kontinuierlich gesteigert und um Elemente angereichert hat, die die Gefahr seiner Verfolgung im Herkunftsstaat naheliegender erscheinen lassen könnten.
Während er in der Erstbefragung noch von einem einzigen Vorfall (Verletzung mit einem Messer) berichtete, erwähnte er in der Einvernahme vor der belangten Behörde auch einen zweiten Angriff (Verletzung mit einer Glasscherbe). In der Beschwerde brachte der Beschwerdeführer erstmals auch eine aus dem zweiten Angriff resultierende Verletzung, nämlich eine stark blutende Halswunde, und eine durch die Angreifer ausgesprochene Todesdrohung vor. In der mündlichen Verhandlung gab der Beschwerdeführer schließlich an, dass er eine heimliche sexuelle Beziehung mit der Nachbarstochter gehabt habe.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein gesteigertes Vorbringen nicht als glaubhaft anzusehen. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH).
Vor diesem Hintergrund bestehen bereits im Hinblick auf die Steigerung des Vorbringens massive Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers betreffend sein Fluchtvorbringen.
2.2.4. Noch schwerer wiegen die zahlreichen Widersprüche und Ungereimtheiten im Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers, auch in für die behauptete Verfolgungsgefahr zentralen Punkten, die sich im Laufe des Verfahrens nicht nachvollziehbar auflösen haben lassen.
Dies betrifft zunächst die behaupteten körperlichen Angriffe auf den Beschwerdeführer, die er im Laufe des Asylverfahrens wiederholt anders beschrieb. So sagte er in der Erstbefragung noch, völlig konträr zu all seinen späteren diesbezüglichen Angaben, es seien die Eltern des Mädchens gewesen, die ihn mit einem Messer an den Fingern verletzt und mit dem Umbringen bedroht hätten (vgl. AS 9).
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt bei der Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung nicht, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen hat. Die Beweisergebnisse der Erstbefragung dürfen nicht unreflektiert übernommen werden (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061).
Ein vollständiges Beweisverwertungsverbot normiert § 19 Abs. 1 AsylG jedoch nicht.
Im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen können Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten in den Angaben in der Erstbefragung zu späteren Angaben - unter Abklärung und in der Begründung vorzunehmender Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind - einbezogen werden (VwGH 26.03.2019, Ra 2018/19/0607 bis 0608-12, VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0271, mwN).
Das ist hier der Fall. Denn auch unter Berücksichtigung des besonderen Zwecks der Erstbefragung und der dadurch bedingten verkürzten Darstellung der Fluchtgründe bleibt die Angabe des Beschwerdeführers, die Eltern des Mädchens hätten ihn verletzt, ein so gravierender Widerspruch zum gesamten späteren Vorbringen, dass dieser in der Beweiswürdigung nicht ignoriert werden konnte und zu Lasten des Beschwerdeführers führt.
Im weiteren Verfahren brachte der Beschwerdeführer zwar stets vor, Brüder des Mädchens hätten ihn angegriffen und verletzt, gab aber nicht konsistent an, wie viele Brüder es gewesen seien. Nach seinen Angaben in der Einvernahme vor der belangten Behörde waren am ersten behaupteten Angriff, der Verletzung an den Fingern mit einem Messer, drei oder vier" Brüder beteiligt (vgl. AS 385). In der Beschwerde gab er an, es seien zwei, sogar namentlich genannte, Brüder gewesen (vgl. AS 525). In der mündlichen Verhandlung schließlich sagte er, "drei Brüder und noch jemand" seien beteiligt gewesen (vgl. Niederschrift vom 05.06.2018, S. 16). Zusammenfassend ist daher zu sagen, dass der Beschwerdeführer, berücksichtigt man auch die Erstbefragung, bei vier Gelegenheiten, die Verletzung mit dem Messer zu schildern, vier unterschiedlich zusammengesetzte Tätergruppen beschrieb und dies bei einer sicherlich nicht alltäglichen Lebenssituation.
Unterschiedlich gab der Beschwerdeführer auch die bei den Angriffen angeblich geäußerten Drohungen wieder. In der Einvernahme sagte er lediglich, die Brüder hätten gemeint, es wäre besser, wenn er nicht dort wohne, und er solle Takhar verlassen, um keine Probleme mit ihnen zu bekommen (vgl. AS 385, 389). In der Beschwerde hingegen brachte er vor, die Brüder hätten beim zweiten Angriff gemeint, sollten sie ihn noch einmal zu Gesicht bekommen, würden sie ihn töten (vgl. AS 525). In der mündlichen Verhandlung wiederum erwähnte der Beschwerdeführer von selbst bei seinen Angaben zum zweiten Vorfall keine Todesdrohung, auch nicht, als er gefragt wurde, was nach der Verletzung noch passiert sei (vgl. Niederschrift vom 05.06.2018, S. 17). Erst auf Vorhalt seiner Angaben zu einer Todesdrohung durch den erkennenden Richter brachte der Beschwerdeführer auch hier vor, die Brüder hätten beim zweiten Vorfall "Wenn wir dich noch einmal erwischen, werden wir dich töten." gesagt (vgl. Niederschrift vom 05.06.2018, S. 18).
Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Beschwerdeführer dies nicht von selbst erwähnen würde, wenn es sich tatsächlich so zugetragen hätte.
Das Aussageverhalten des Beschwerdeführers zum angeblich ersten Vorfall, der mit einer Verletzung seiner Finger durch ein Messer geendet haben soll, ist ebenfalls widersprüchlich. So führte der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde aus, dass "weitere Aktionen" seitens der Brüder hätten verhindert werden können, weil sich auf der Straße aufhaltende Personen herbeigelaufen seien und versucht hätten, die Lage zu beruhigen (vgl. AS 525). In der Verhandlung gab der Beschwerdeführer hingegen an, die Brüder seien von selbst gegangen und die Passanten seien erst etwas später dazugekommen. Bei dieser Darstellung blieb er auch nach Vorhalt seiner abweichenden Angaben in der Beschwerde, ohne jedoch diesen Widerspruch zu erklären (vgl. Niederschrift vom 05.06.2018, S. 18).
Dass der Beschwerdeführer zu den beiden behaupteten körperlichen Angriffen, also nach der allgemeinen Lebenserfahrung sehr einprägsamen Erlebnissen, im Laufe des Verfahrens derart widersprüchliche, miteinander nicht vereinbare Angaben machte, lässt für den erkennenden Richter nur den Schluss zu, dass er diese nicht wirklich erlebt hat. Der Beschwerdeführer konnte diese Angriffe nicht glaubhaft machen.
2.2.5. Auch über die konkret behaupteten Angriffe hinaus gibt es im Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers mehrere Ungereimtheiten.
So brachte er, wie bereits obig erwähnt, erst in der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vor, tatsächlich eine heimliche sexuelle Beziehung mit der Nachbarstochter unterhalten zu haben (vgl. Niederschrift vom 05.06.2018, S. 13-14). Bis dahin gab der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren an, dass es sich dabei bloß um eine "Unterstellung" gehandelt habe. So sagte er in der Einvernahme vor der belangten Behörde, er habe keine direkte Verbindung zu der Frau gehabt, er habe sie nur heiraten wollen. Er habe (nur) einmal auf der Straße selbst mit ihr gesprochen, aber sonst hätten sie nichts miteinander zu tun gehabt (vgl. AS 387). Auch in der Beschwerde wird eine Beziehung zu der Frau als bloße "Unterstellung vonseiten ihrer Familie" bezeichnet (vgl. AS 529).
Mit diesem abweichenden Aussageverhalten konfrontiert, führte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung aus, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, vor einer weiblichen Beamtin über Geschlechtsverkehr zu sprechen (vgl. Niederschrift vom 05.06.2018, S. 6). Es sei ihm peinlich gewesen, dies auszuführen, es seien Frauen anwesend gewesen (vgl. S. 13).
Diese Erklärung überzeugt jedoch nicht. Auch bei der mündlichen Verhandlung waren die Beschwerdeführervertreterin und eine Schriftführerin anwesend.
Dies wurde vom erkennenden Richter mit dem Beschwerdeführer auch eigens erörtert, der dagegen nun keinen Einwand hatte (vgl. S. 6).
Weshalb es ihm ausschließlich in seiner Einvernahme vor der belangten Behörde unangenehm gewesen sei, vor einer Frau über die sexuelle Beziehung zu sprechen, erklärte der Beschwerdeführer nicht. Auch das unterschiedliche Vorbringen zum Bestehen einer Beziehung bleibt damit ein nicht aufgeklärter Widerspruch.
Weiters gab der Beschwerdeführer in der Verhandlung zunächst an, dass die Eltern der Nachbarstochter nichts von deren außerehelichen Geschlechtsverkehr wüssten. Würden sie das erfahren, würden sie sie töten, sie lebe aber nach wie vor zuhause bei ihren Eltern (vgl. Niederschrift vom 05.06.2018, S. 19-20). Kurz darauf antwortete er aber auf die Frage des erkennenden Richters, inwiefern die Ehre der Familie des Mädchens "beschmutzt" sein sollte, wenn niemand von dem Geschlechtsverkehr wisse, vielleicht habe das Mädchen es auch ihrer Mutter erzählt (vgl. S. 20-21).
Unterschiedliche Angaben machte der Beschwerdeführer auch dazu, wer aus seiner Familie in seinem Namen um die Hand der Nachbarstochter angehalten habe. Während er sowohl in der Einvernahme vor der belangten Behörde (vgl. AS 385, 387) als auch in der Beschwerde (vgl. AS 525) ausschließlich angab, sein Vater habe um ihre Hand angehalten, sagte er in der Verhandlung, sowohl sein Vater als auch seine Mutter hätten dies getan (Niederschrift vom 05.06.2018, S. 15). Auf Vorhalt seiner früheren Angaben meinte er, zuerst sei sein Vater hingegangen, danach auch seine Mutter, was aber nicht erklärt, warum er seine Mutter in diesem Zusammenhang nie zuvor erwähnt hat. Auch dieses Aussageverhalten trägt nicht zur Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers bei.
2.2.6. Aus beweiswürdigender Sicht gilt es weiteres hierzu auszuführen, dass der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zur erstmals in der Beschwerde vorgebrachten Behauptung, ein Onkel und ein Schwager des Mädchens würden in Kabul im Innenministerium arbeiten, weshalb er aufgrund des starken Einflusses der Familie befürchte, weder in die Heimatstadt noch anderswohin zurückkehren zu können (vgl. AS 525), nicht einmal ansatzweise erklären konnte, woher er diese Information habe.
Auf entsprechende Fragen des erkennenden Richters antwortete der Beschwerdeführer bloß "Ich weiß es" und "Ich weiß es, ihr Onkel arbeitet im Innenministerium. Ihr Onkel lebt in Kabul mit der Familie, aber und zu ist er nicht Takhar gekommen." (vgl. Niederschrift vom 05.06.2018, S. 19).
Der Beschwerdeführer vermochte befragt ebenfalls nicht erklären, warum er von den angeblichen Verbindungen der Familie ins Innenministerium nicht schon in der Einvernahme vor der belangten Behörde berichtet hatte. In dieser Einvernahme beantwortete die Frage, warum er sich nicht an die Polizei gewendet habe, nur mit "Sie hätten nichts machen können." (vgl. AS 389). Vom erkennenden Richter befragt, weshalb er an dieser Stelle nicht die Verwandten im Innenministerium erwähnt habe, antwortete er: "Die Polizei ist dort nichts wert. Sie hätten mich sofort getötet. Sie haben Kontakt überall" (vgl. Niederschrift vom 05.06.2018, S. 19) und ließ somit die Frage unbeantwortet.
Dadurch verstärkte sich für das erkennende Gericht der Eindruck, dass es sich bei der Behauptung, Verwandte des Mädchens würden im Innenministerium arbeiten, um einen nachgeschobenen und nicht den Tatsachen entsprechenden Begründungsversuch dafür handeln soll, wieso dem Beschwerdeführer keine innerstaatliche Fluchtalternative außerhalb der Provinz Takhar offenstehe. Vor der belangten Behörde antwortete er auf die Frage, warum er nicht nach Kabul zurückgekehrt sei, noch "Ich hatte in Kabul niemanden. Hier ist es bequemer, einfacher." (vgl. AS 389), was absolut nicht auf eine ihm in ganz Afghanistan drohende Verfolgung durch die Familie des Mädchens hinweist. Insgesamt konnte der Beschwerdeführer daher auch nicht glaubhaft machen, dass Verwandte des Mädchens im Innenministerium arbeiten. Daraus ergibt sich, dass dem Beschwerdeführer, selbst wenn man sein Fluchtvorbringen als glaubhaft erachten würde, jedenfalls eine innerstaatliche Fluchtalternative außerhalb der Provinz Takhar, etwa in Mazar-e-Sharif, zur Verfügung stünden. Denn es deutet, von den nicht glaubhaft vorgebrachten Verbindungen ins Innenministerium abgesehen, nichts darauf hin, dass die Familie über ein sich über ganz Afghanistan erstreckendes Netzwerk verfügen würde und ist dies vielmehr als Schutzbehauptung zu sehen.
2.2.7. Zusammenfassend ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren und den eben dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen, insbesondere zur Steigerung des Fluchtvorbringens, zu den diversen Widersprüchen und Ungereimtheiten, sowohl die Angriffe selbst als auch die Hintergründe betreffend, und zu den behaupteten Verbindungen der Familie, dass eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus asylrelevanten Gründen in seinem Herkunftsstaat nicht glaubhaft gemacht werden konnte und nicht maßgeblich wahrscheinlich ist.
Es konnte weder eine konkret gegen die Person des Beschwerdeführers gerichtete asylrelevante Verfolgung festgestellt werden, noch sind im Verfahren sonst Anhaltspunkte hervorgekommen, die eine mögliche Verfolgung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat aus asylrelevanten Gründen bei einer Rückkehr wahrscheinlich erscheinen lassen.
2.3. Zu den Feststellungen zur Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
2.3.1. Die Feststellungen zur Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan ergeben sich aus den o. a. Länderfeststellungen unter Berücksichtigung des vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde und seinen Stellungnahmen diesbezüglich angeführten Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den vom Beschwerdeführer glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen. Insbesondere die Feststellung, dass die Familie des Beschwerdeführers zumindest anfänglich in der Lage sein wird ihn finanziell zu unterstützen, ergibt sich aus seinen eigenen Aussagen in der Beschwerdeverhandlung, wonach sein Vater ein kleines Transportunternehmen mit zwei LKW¿s besitzt, zwei Häuser im Heimatort, drei Onkeln väterlicherseits und mütterlicherseits deren finanzielle Situation mittelmäßig ist (vgl. Niederschrift vom 05.06.2018, S. 9 und 10).
Im Einklang mit den Stellungnahmen kommt der erkennende Richter unter Berücksichtigung der aktuellen Länderinformationen, wonach die Provinz Takhar zu den volatilen Provinzen Nordafghanistans zählt, zum Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in diese Provinz ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen könnte.
Die Feststellungen zur Rückkehrhilfe ergeben sich aus den Länderberichten.
Die Feststellung zur Anpassungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich daraus, dass er in Österreich einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgeht, er sich in Österreich an sich zurechtfindet und er angab einer Arbeit nachgehen zu können. Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit oder gegen eine Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers sprechen.
2.3.2. Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des Beschwerdeführers in der Stadt Mazar-e Sharif, ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR und EASO aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan - aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben des Beschwerdeführers. Die Feststellung zur Prognose, dass sich der Beschwerdeführer in der Stadt Mazar-e Sharif eine Existenz aufbauen kann, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: