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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §22 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Fellner, Dr. Hargassner, Mag. Heinzl und Dr. Fuchs als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde der N BV, R, Niederlande, vertreten durch Hügel & Partner, Rechtsanwälte in Mödling, Lerchengasse 14, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 25. August 1992, Zl 6/2-2276/91-05, betreffend Abweisung eines Antrages auf Rückerstattung der Kapitalertragsteuer, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde einen auf Art 10 Abs 3 des Abkommens vom 1. September 1970, BGBl Nr 191/1971, zwischen der Republik Österreich und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen in der bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung (in der Folge DBA-NL) gestützten Rückerstattungsantrag der Beschwerdeführerin, einer niederländischen Gesellschaft, bezüglich Kapitalertragsteuer aus einer Dividende einer inländischen GmbH ab.
Begründend führte die belangte Behörde gestützt auf § 22 BAO aus, aufgrund der Tatsachen, daß die Beschwerdeführerin weder über eigene Büroräume noch über eigenes Personal verfüge und ihren Sitz bei der niederländischen Bank ABN habe und die ABN Trustcompany (Niederlande) B.V. die Funktion eines geschäftsführenden Direktors habe, sei davon auszugehen, daß es sich bei der Beschwerdeführerin um eine sogenannte "Domizilgesellschaft" handle. Soweit die Beschwerdeführerin in ihrem Schreiben vom 24. Juli 1990 erkläre, daß die ABN-Bank der Beschwerdeführerin Büroräumlichkeiten zur Verfügung stelle und Angestellte vermiete und daß die Tätigkeiten der ABN-Bank eigentlich der Beschwerdeführerin zuzurechnen seien, so sprächen diese Umstände im Zusammenhang mit den geringen allgemeinen Verwaltungskosten von nur 43.595,-- holländischen Gulden, die ein einem Fremdevergleich entsprechendes Entgelt für Leiharbeitskräfte und Miete praktisch ausschlössen, nicht gegen die Annahme, daß die Tätigkeit der Beschwerdeführerin im wesentlichen nicht über den Rahmen einer Vermögensverwaltung hinausgehe. Aus dem Umstand, daß die Übertragung der Beteiligung an der inländischen Gesellschaft innerhalb der L-Group an die Beschwerdeführerin am 31. März 1988, somit zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, als die Auswirkungen der Reform des Körperschaftsteuergesetzes in Österreich und die sich daraus ergebende Begünstigung für Dividendenausschüttungen von Österreich nach den Niederlanden absehbar gewesen seien, sei der Schluß zu ziehen, daß die Übertragung der Beteiligung an der inländischen GmbH von einer Gesellschaft in London auf die Beschwerdeführerin nur zum Zweck der Steuerersparnis erfolgt sei und die Beschwerdeführerin diesbezüglich als Basisgesellschaft für eine steuersparende Transaktion gedient habe. Die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, daß sie auch andere Beteiligungen der L-Group halte und verwalte, wobei zur Verwaltung auch der Abschluß von Kurssicherungsgeschäften gehöre. Ein wirtschaftlicher Grund aber, warum die Beteiligung an der inländischen GmbH von einer in Großbritannien ansässigen Gesellschaft an die in den Niederlanden ansässige Beschwerdeführerin übertragen worden sei, wodurch die Dividenden nunmehr über ein Drittland flössen, sei nicht vorgebracht worden. Die Übertragung der Beteiligung an die Beschwerdeführerin sei daher ausschließlich erfolgt, um Abgaben zu sparen, es liege daher diesbezüglich ein Rechtsmißbrauch im Sinn des § 22 BAO vor, dessen Anwendung ungeachtet seiner Eigenschaft als innerstaatlicher Umgehungsschutzbestimmung nach heutigem Erkenntnisstand (vgl OECD-Bericht "International tax avoidance and evasion") auch auf zwischenstaatliches Abkommensrecht zulässig sei.
Die Beschwerdeführerin erhob gegen diesen Bescheid zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung mit Beschluß vom 15. Juni 1993, B 1582/92-3, ablehnte und sie gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin im wesentlichen in ihrem - durch Art 10 Abs 2 DBA-NL begründeten - Recht auf Rückerstattung von KESt verletzt und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften unter Kostenzuspruch.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 22 Abs 1 BAO kann durch Mißbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes die Abgabepflicht nicht umgangen oder gemindert werden. Liegt ein Mißbrauch vor, so sind nach dem zweitem Absatz dieses Paragraphen die Abgaben so zu erheben, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu erheben wären.
Der Verwaltungsgerichtshof hat hiezu wiederholt ausgesprochen, daß der Steuerpflichtige grundsätzlich nicht gehindert ist, Formen und Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes so einzusetzen, daß er die geringste Steuerbelastung erzielt. Als Mißbrauch ist hingegen eine rechtliche Gestaltung anzusehen, die im Hinblick auf den angestrebten wirtschaftlichen Erfolg ungewöhnlich und unangemessen ist und ihre Erklärung nur in der Absicht der Steuervermeidung findet; es ist dann zu prüfen, ob der gewählte Weg noch sinnvoll erscheint, wenn man den angabensparenden Effekt wegdenkt, oder ob er ohne das Resultat der Steuerminderung einfach unverständlich wäre (vgl etwa das hg Erkenntnis vom 27. September 1995, 93/13/0095, mwN).
Im Beschwerdefall nahm die belangte Behörde als erwiesen an, daß die "Übertragung der Beteiligung" an die Beschwerdeführerin ausschließlich erfolgt sei, um Abgaben zu sparen. Sie folgert dies daraus, daß im Beschwerdefall ein wirtschaftlicher Grund, warum die Beteiligung an der inländischen GmbH von einer in Großbritannien ansässigen Gesellschaft an die in den Niederlanden ansässige Beschwerdeführerin übertragen worden sei, nicht vorgebracht worden sei, aus dem Umstand, daß die Übertragung zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, als die Auswirkungen der Reform des Körperschaftsteuergesetzes in Österreich und die sich daraus ergebende Begünstigung für Dividendenausschüttungen von Österreich nach den Niederlanden absehbar gewesen sei, sowie aus dem Umstand, daß es sich bei der Beschwerdeführerin um einen sogenannte "Domizilgesellschaft" handle.
Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten rügt die Beschwerdeführerin aber im Ergebnis zu Recht, daß ihr keine Gelegenheit gegeben worden sei, die tatsächlichen Gründe zur "Übertragung der Beteiligung" anzugeben oder zu der Sachverhaltsannahme, daß keine außersteuerlichen Gründe für die Übertragung der Beteiligung vorgelegen seien und es sich bei der Beschwerdeführerin um eine Domizilgesellschaft handle, Stellung zu nehmen.
Soweit die belangte Behörde diesem gerügten Verfahrensmangel in ihrer Gegenschrift entgegenhält, daß schon in einem der Beschwerdeführerin übermittelten Fragebogen im Hinblick auf die sich erst durch die Reform des österreichischen Körperschaftsteuergesetzes (Abschaffung des Spaltsatzes bei Ausschüttungen) eröffnenden Abkommensvorteile aus dem DBA-NL, welche "zweifellos auch der Beschwerdeführerin bekannt gewesen" seien, nach dem Zeitpunkt der Übertragung der Beteiligung gefragt worden sei, ist darauf hinzuweisen, daß dieser Umstand allein nicht geeignet ist, das Fehlen der gerügten Verfahrensmängel aufzuzeigen, weil die Beschwerdeführerin in dieser Fragestellung keine Aufforderung sehen mußte, die außersteuerlichen Gründe für die Übertragung der Beteiligung anzugeben, zumal der Zeitpunkt der Übertragung allein keine schlüssige Folgerung auf eine mißbräuchliche Gestaltung der Rechtsverhältnisse im Sinn des § 22 BAO zuläßt. Auch war der Beschwerdeführerin in diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt, daß die Behörde vom Fehlen außersteuerlicher Gründe für die Übertragung der Beteiligung ausgehen würde, weshalb sich die Beschwerdeführerin nicht veranlaßt sehen mußte, eine solche Annahme zu widerlegen.
Die Beschwerdeführerin rügt aber - in der Gegenschrift unwidersprochen - auch zu Recht, daß von der belangten Behörde nicht behauptet worden sei, daß die vorliegende Gestaltung im Sinn der oben angeführten Rechtsprechung zu § 22 BAO ungewöhnlich sei.
Der angefochtene Bescheid ist daher schon aus diesen Gründen mit der in der Beschwerde gerügten Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.
Im übrigen sind die Abgaben gemäß § 22 Abs 2 BAO für den Fall eines Mißbrauches so zu erheben, wie sie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu erheben wären. Welche rechtliche Gestaltung nun von der belangten Behörde als den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessen beurteilt wurde, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Der Gerichtshof teilt die Auffassung von Stoll, BAO, Kommentar, 246 ff, daß im allgemeinen nicht ein einziger Rechtsschritt, sondern stets eine Kette von Rechtshandlungen den Sachverhalt erfüllt, mit dem die Folge des § 22 Abs 2 verbunden wird. Realakte für sich, wie im Beschwerdefall etwa die Übertragung einer Beteiligung, oder auch die Gründung einer Kapitalgesellschaft als solche, also Akte, die nicht untrennbarer Teil einer Gesamtgestaltung ("des bürgerlichen Rechts") sind, können den Mißbrauchstatbestand nicht erfüllen. Die Übertragung einer Beteiligung als solche kann ebenso wie eine allfällige Gesellschaftsgründung nicht beiseite geschoben werden. Fraglich kann nur sein, ob die Gesellschaft tatsächlich den Zwecken dient, die vorgegeben werden. Wenn dies zur verneinen ist, wenn etwa die Gesellschaft am Erwerbsleben nicht in der erklärten Art und Weise teilnimmt oder nicht zwischengeschaltet sinnvolle Funktionen erfüllt, sind die Ergebnisse der entfalteten Tätigkeit nicht der Gesellschaft, sondern den tatsächlichen Trägern der Erwerbstätigkeit zuzurechnen. Dabei handelt es sich letztlich um die Frage der sachgerechten Zuordung. In gleicher Weise ist die Errichtung und Einschaltung ausländischer Basisgesellschaften zu sehen (vgl. abermals Stoll aaO).
Mangels entsprechender Feststellungen im Sachverhaltsbereich läßt sich aber die Frage, ob die im Beschwerdefall von der inländischen GmbH erfolgte Dividendenausschüttung zu Recht nicht der Beschwerdeführerin zugerechnet wurde - diesfalls bestünde für eine Anwendung des Art 10 DBA-NL kein Raum, weshalb sich die Frage einer Vereinbarkeit einer inländischen Umgehungsschutzbestimmung mit dem diesbezüglichen, zwischenstaatlichen Abkommensrecht nicht stellte - nicht abschließend beurteilen.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs 2 Z 3 VwGG aufzuheben war, wobei von der beantragten Verhandlung aus dem Grunde des § 39 Abs 2 Z 6 VwGG abgesehen werden konnte.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1993130185.X00Im RIS seit
13.06.2001