Entscheidungsdatum
16.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W163 2213080-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde des Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.11.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:
A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
I.1. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein indischer Staatsangehöriger, reiste unrechtmäßig nach Österreich ein und stellte am 31.05.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am selbenTag fand die Erstbefragung des BF vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.
4. Am 03.09.2018 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.
6. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem BF wurde gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spurchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde als Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).
7. Gegen diesen am 23.11.2018 ordnungsgemäß zugestellten Bescheid erhob der BF am 19.12.2018 fristgerecht Beschwerde.
8. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 16.01.2019 vom BFA vorgelegt.
9. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 06.05.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF persönlich im Beisein seines bevollmächtigten Vertreters teilnahm.
10. Am 11.05.2020 übermittelte der rechtsfreundliche Vertreter des BF eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen.
I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhalt)
Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:
a) Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei
1. Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX . Der BF stammt aus dem Dorf XXXX , Bezrik XXXX , Bundesstaat Punjab (Indien). Der BF ist Staatsangehöriger der Republik Indien und bekennt sich zur Religionsgemeinschaft der Sikh. Der BF spricht Panjabi als Muttersprache und Englisch.
Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er ist nicht verheiratet und hat keine Kinder.
Der BF hat in Indien 12 Jahre die Schule besucht und abgeschlossen. Danach besuchte der BF für zwei Monate ein Vorbereitungskurs für ein Hochschulstudium. Der BF war in der elterlichen Landwirtschaft tätig. Der Vater des BF lebt seit 2007 in Dubai. Die Mutter des BF lebt im Heimatdorf in Indien. Der BF steht mit seiner Mutter und mit einigen seiner Freunde in Indien in telefonischem Kontakt.
Der BF hat keine in Österreich lebenden Familienangehörige oder Verwandte und verfügt auch sonst über keine nennenswerten sozialen Bindungen in Österreich. Der BF ist unbescholten. Der BF bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung.
Der BF verfügt nicht über Deutschkenntnisse. Der BF übt das freie Gewerbe "Wartung und Pflege von Kraftfahrzeugen (KFZ-Service)" seit Juli 2018 aus. Als Subunternehmer bleiben dem BF durchschnittlich zwischen 400 und 500 Euro im Monat. Der BF verfügt über keine Vermögen oder Ersparnisse.
In seiner Freizeit geht der BF spazieren oder bleibt zu Hause. Es gibt keine Person, zu der der BF ein besonderes Naheverhältnis unterhält.
Maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des BF in Österreich in sprachlicher, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der BF verließ seinen Herkunftsstaat im Mai 2018 mit dem Flugzeug und machte keine Angaben zu seiner Reiseroute. Nach unrechtmäßiger Einreise stellte der BF am 31.05.2016 den verfahrensgegenständlichen Antrag.
2. Festgestellt wird, dass der BF in seinem Herkunftsstaat weder vorbestraft ist noch jemals inhaftiert wurde und auch mit den Behörden des Herkunftsstaates weder auf Grund seines Religionsbekenntnisses, seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder aus politischen Gründen noch sonst irgendwelche Probleme hatte.
Der BF ist in Indien keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt. Gründe, die eine Verfolgung oder sonstige Gefährdung des BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen, wurden vom BF nicht glaubhaft gemacht.
Das Vorbringen des BF zu den Gründen für seine Ausreise aus Indien ist nicht glaubhaft. Der BF hat nicht glaubhaft gemacht, seitens der indischen Sicherheitsbehörden oder Angehörigen der Shiv Sena, einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt gewesen und im Falle der Rückführung ausgesetzt zu sein.
Es kann zudem nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien in seinem Recht auf Leben gefährdet wird, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wird oder eine Rückkehr für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.
b) Zur Lage im Herkunftsstaat:
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Herkunftsstaat Indien vom 04.02.2019, Stand 09.08.2019:
Politische Lage
Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA Factbook 23.1.2019; vgl. AA 18.9.2018). Die Zentralregierung hat im indischen Föderalsystem deutlich größere Kompetenzen als die Regierungen der Bundesstaaten. Indien verfügt über 29 Bundesstaaten und sechs Unionsterritorien (AA 11.2018a). Im Einklang mit der Verfassung haben die Bundesstaaten und Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 20.4.2018). Die Hauptstadt New Delhi hat einen besonderen Rechtsstatus (AA 11.2018a).
Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung entspricht britischem Muster (AA 18.9.2018), der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist durchgesetzt (AA 11.2018a). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, die über einen dreistufigen Instanzenzug verfügt, ist verfassungsmäßig garantiert (AA 18.9.2018). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 3.2018a). Die Pressefreiheit ist von der Verfassung verbürgt, jedoch immer wieder Anfechtungen ausgesetzt (AA 9.2018a). Indien hat zudem eine lebendige Zivilgesellschaft (AA 11.2018a).
Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 20.4.2018). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Bundesstaatsebene (AA 18.9.2018).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister Leiter der Regierung ist (USDOS 20.4.2018). Das Präsidentenamt bringt vor allem repräsentative Aufgaben mit sich, im Krisenfall verfügt der Präsident aber über weitreichende Befugnisse. Seit Juli 2017 ist Präsident Ram Nath Kovind indisches Staatsoberhaupt (AA 11.2018a). Das wichtigste Amt innerhalb der Exekutive bekleidet aber der Premierminister (GIZ 3.2018a).
Wahlen zum Unterhaus finden nach einfachem Mehrheitswahlrecht ("first-past-the-post") alle fünf Jahre statt, zuletzt im April/Mai 2014 mit knapp 830 Millionen Wahlberechtigten (AA 18.9.2018). Dabei standen sich drei große Parteienbündnisse gegenüber: Die United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongresspartei, die National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der Bharatiya Janata Party (BJP - Indische Volkspartei) und die so genannte Dritte Front, die aus elf Regional- und Linksparteien besteht sowie die aus einem Teil der India-Against-Corruption-Bewegung hervorgegangene Aam Aadmi Party (AAP) (GIZ 3.2018a; vgl. FAZ 16.5.2014). Abgesehen von kleineren Störungen, verliefen die Wahlen korrekt und frei (AA 18.9.2018). Als deutlicher Sieger mit 336 von 543 Sitzen löste das Parteienbündnis "National Democratic Alliance" (NDA) mit der "Bharatiya Janata Party" (BJP) als stärkste Partei (282 Sitze) die Kongress-Partei an der Regierung ab (AA 18.9.2018). Die BJP holte sie nicht nur die absolute Mehrheit, sie ließ auch den bislang regierenden Indian National Congress (INC) weit hinter sich. Der INC kam nur noch auf 46 Sitze und erlitt die schlimmste Niederlage seit der Staatsgründung 1947. Wie es mit dem INC mit oder ohne die Familie Gandhi weitergeht, wird abzuwarten sein. Die Gewinne der Wahlen im Punjab, Goa und Manipur sowie das relativ gute Abschneiden in Gujarat sind jedenfalls Hoffnungsschimmer, dass die Zeit der Kongresspartei noch nicht vorbei ist (GIZ 13.2018a). Die Anti-Korruptionspartei (AAP), die 2013 bei der Wahl in Delhi 28 von 70 Sitzen erringen konnte, errang 2014 landesweit nur vier Sitze (GIZ 3.2018; vgl. FAZ 16.5.2014). Der BJP-Spitzenkandidat, der bisherige Ministerpräsident von Gujarat, Narendra Modi, wurde zum Premierminister gewählt und steht seither einem 26-köpfigen Kabinett (mit zusätzlichen 37 Staatsministern) vor (AA 18.9.2018).
In Indien wird im Zeitraum zwischen April und Mai 2019 wieder gewählt. Der genaue Zeitplan ist jedoch noch unklar. In den Umfragen liegt der hindu-nationalistische Premier Narendra Modi mit seiner BJP vorne (DS 1.1.2019).
Die seit 2014 im Amt befindliche neue Regierung will nicht nur den marktwirtschaftlichen Kurs fortsetzen, sondern ihn noch intensivieren, indem bürokratische Hemmnisse beseitigt und der Protektionismus verringert werden soll. Ausländische Investoren sollen verstärkt aktiv werden (GIZ 3.2018b).
Unter Premierminister Modi betreibt Indien eine aktive Außenpolitik. Der außenpolitische Kernansatz der "strategischen Autonomie" wird zunehmend durch eine Politik "multipler Partnerschaften" ergänzt. Wichtigstes Ziel der indischen Außenpolitik ist die Schaffung eines friedlichen und stabilen globalen Umfelds für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und als aufstrebende Gestaltungsmacht die zunehmende verantwortliche Mitgestaltung regelbasierter internationaler Ordnung (AA 11.2018b). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist dabei weiterhin ein strategisches Ziel (GIZ 3.2018a). Gleichzeitig strebt Indien eine stärkere regionale Verflechtung mit seinen Nachbarn an, wobei nicht zuletzt Alternativkonzepte zur einseitig sino-zentrisch konzipierten "Neuen Seidenstraße" eine wichtige Rolle spielen. In der Region Südasien setzt Indien zudem zunehmend auf die Regionalorganisation BIMSTEC (Bay of Bengal Initiative for Multi-Sectoral Technical and Economic Cooperation). Indien ist Dialogpartner der südostasiatischen Staatengemeinschaft und Mitglied im "Regional Forum" (ARF). Überdies nimmt Indien am East Asia Summit und seit 2007 auch am Asia-Europe Meeting (ASEM) teil. Die Shanghai Cooperation Organisation (SCO) hat Indien und Pakistan 2017 als Vollmitglieder aufgenommen. Der Gestaltungswille der BRICS-Staatengruppe (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) schien zuletzt abzunehmen (AA 11.2018b).
In den Beziehungen zum gleichfalls nuklear gerüsteten Nachbarn Pakistan haben sich in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit wiederholt Phasen des Dialogs und der Spannungen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzung abgelöst. Größtes Hindernis für eine Verbesserung der Beziehungen ist weiterhin das Kaschmir-Problem (AA 11.2018b).
Indien ist durch das Nuklearabkommen mit den USA ein Durchbruch gelungen. Obwohl es sich bis heute weigert, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, bedeutet das Abkommen Zugang zu Nukleartechnologie. Ebenfalls positiv hat sich das Verhältnis Indiens zu China entwickelt. Zwar sind die strittigen Grenzfragen noch nicht geklärt, aber es wurden vertrauensbildende Maßnahmen vereinbart, um zumindest in dieser Frage keinen Konflikt mehr herauf zu beschwören. Auch ist man an einer weiteren Steigerung des bilateralen Handels interessiert, der sich binnen eines Jahrzehnts mehr als verzehnfacht hat (GIZ 3.2018a).
Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert. Die Beziehungen des Landes zur EU sind vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Die EU ist der größte Handels- und Investitionspartner Indiens. Der Warenhandel in beide Richtungen hat sich faktisch stetig ausgeweitet (GIZ 3.2018a).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
- AA - Auswärtiges Amt (11.2018a): Indien, Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206048, Zugriff 23.1.2019
- AA - Auswärtiges Amt (11.2018b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206046, Zugriff 23.1.2019
- CIA - Central Intelligence Agency (15.1.2019): The World Factbook - India, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/in.html, Zugriff 23.1.2019
- DS - Der Standard (1.1.2019): Was 2019 außenpolitisch bringt. Die US-Demokraten übernehmen die Mehrheit im Repräsentantenhaus, Großbritannien plant den Brexit - und in Indien, der größten Demokratie der Welt, sind Wahlen, https://www.derstandard.de/story/2000094950433/was-2019-aussenpolitisch-bringt, Zugriff 28.1.2019
- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.5.2014): Modi ist Mann der Stunde, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fruehaufsteher/wahlentscheid-in-indien-modi-ist-der-mann-der-stunde-12941572.html, Zugriff 11.10.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 23.1.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmBH (3.2018b): Indien, Wirtschaftssystem und Wirtschaftspolitik, https://www.liportal.de/indien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 23.1.2019
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018
Sicherheitslage
Indien ist reich an Spannungen entlang von Ethnien, Religionen, Kasten und auch Lebensperspektiven, die sich oft in kommunal begrenzten Ausschreitungen entladen (GIZ 3.2018a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des "Islamischen Staates" (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017).
Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (GIZ 3.2018a). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt (AA 18.9.2018).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 898 Todesopfer durch terrorismus-relevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 803 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 wurden 935 Menschen durch Terrorakte getötet. Bis zum 13.1.2019 wurden 12 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 13.1.2019).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Ermordungen und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer) zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People's Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als "communal violence" bezeichnet (ÖB 12.2018).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 18.9.2018).
Pakistan und Indien
Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (AA 11.2018b). Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BBC 23.1.2018).
Nach dem friedlichen Unabhängigkeitskampf gegen die britische Kolonialherrschaft zeigte bereits die blutige Teilung Britisch-Indiens, die mit einer Massenflucht, schweren Gewaltausbrüchen und Pogromen einherging, wie schwierig es sein wird, die ethnisch, religiös, sprachlich und sozioökonomisch extrem heterogene Gesellschaft in einem Nationalstaat zusammenzuhalten. Die inter-religiöse Gewalt setzte sich auch nach der Teilung zwischen Indien und Pakistan fort (BPB 12.12.2017).
Indien wirft Pakistan vor, Infiltrationen von Terroristen auf indisches Staatsgebiet zumindest zu dulden, wenn nicht zu befördern. Größere Terroranschläge in Indien in den Jahren 2001 und 2008 und ein terroristischer Angriff auf eine Militärbasis im indischen Teil Kaschmirs im September 2016 hatten die Spannungen in den bilateralen Beziehungen erheblich verschärft. Gemäß Regierungserklärung reagierte Indien auf den Anschlag, bei dem 18 indische Soldaten ums Leben kamen, mit einer begrenzten Militäroperation ("surgical strike") im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs, die sich nach indischen Angaben gegen eine bevorstehende terroristische Infiltration richtete. Immer wieder kommt es zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir. Indien sieht Pakistan in der Verantwortung für die terroristischen Bedrohungen an seiner Nordwestgrenze und erhöht den Druck auf den Nachbarn, um wirksame pakistanische Maßnahmen gegen den Terrorismus zu erreichen (AA 11.2018b).
Der von 2014-2015 Hoffnung gebende Dialogprozess zwischen beiden Seiten ist 2016 zum Stillstand gekommen. Aktuell sind die Beziehungen auf sehr niedrigem Niveau stabil (AA 11.2018b).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
- AA - Auswärtiges Amt (24.4.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Indien
- AA - Auswärtiges Amt (11.2018b): Indien, Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/206046, Zugriff 23.1.2019
- BBC - British Broadcasting Corporation (23.1.2018): India country profile - Overview, http://www.bbc.co.uk/news/world-south-asia-12557384, Zugriff 29.1.2019
- BPB - Bundeszentrale für Politische Bildung (12.12.2017): Innerstaatliche Konflikte - Indien, http://www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/215390/indien, Zugriff 23.10.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2018a): Indien, https://www.liportal.de/indien/geschichte-staat/, Zugriff 11.10.2018
- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion
- SATP - South Asia Terrorism Portal (13.1.2019): Data Sheet - India Fatalities: 1994-2019, http://www.satp.org/satporgtp/countries/india/database/indiafatalities.htm, Zugriff 23.1.2019
Punjab
Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.).
Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 12.2018).
Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Im Mai 2007 wurden dem indischen Geheimdienst Pläne des pakistanischen Geheimdienstes, Inter-Services-Intelligence (ISI) bekannt, welcher gemeinsam mit der in Indien verbotenen Sikh-Gruppierung Babbar Khalasa International (BKI) und anderen militanten Sikh- Gruppierungen Anschläge auf Städte im Punjab (Jalandhar, Ludhiana, Pathankot) beabsichtigten. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der militanten Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 12.2018). In Jammu und Kaschmir, im Punjab und in Manipur haben die Behörden besondere Befugnisse ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 20.4.2018; vgl. BBC 20.10.2015). Menschenrechtsberichten zufolge kommt es im Punjab regelmäßig zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen insbesondere der Sicherheitsbehörden (extralegale Tötungen, willkürliche Festnahmen, Folter in Polizeigewahrsam, Todesfolge von Folter etc.) (ÖB 12.2018).
Die Staatliche Menschenrechtskommission im Punjab hat in einer Reihe von schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte interveniert. In vielen Fällen wurde die Behörde zu Kompensationszahlungen verpflichtet. Die Menschenrechtskommission erhält täglich 200-300 Beschwerden über Menschenrechtsverletzung und ist in ihrer Kapazität überfordert. Oft sind Unterkastige oder Kastenlose Opfer der polizeilichen Willkür (ÖB 12.2018).
Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in den nördlichen Bundesstaaten Haryana und Punjab weiterhin ein Problem dar (USDOS 20.4.2018).
Die Zugehörigkeit zur Sikh-Religion ist kein Kriterium für polizeiliche Willkürakte. Die Sikhs, 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, stellen dort einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 10.2017).
In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert; in manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben. Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 10.2017).
Quellen:
- AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1394309.html, Zugriff 6.11.2018
- BBC - British Broadcasting Corporation (20.10.2015): Why are Indian Sikhs angry?, http://www.bbc.com/news/world-asia-india-34578463, Zugriff 18.10.2018
- MoHA - Government of India, Ministry of Home Affairs, Office of the Registrar General & Census Commissioner, India (o.D.): C-1 Population By Religious Community, http://www.censusindia.gov.in/2011census/C-01.html, Zugriff 18.10.2018
- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018
USDOS - US Department of State (29.5.2018): 2015 Report on International Religious Freedom - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1436757.html, Zugriff 23.10.2018
Rechtsschutz/Justizwesen
In Indien sind viele Grundrechte und -freiheiten verfassungsmäßig verbrieft und die verfassungsmäßig garantierte unabhängige indische Justiz bleibt vielmals wichtiger Rechtegarant. Die häufig überlange Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie verbreitete Korruption, vor allem im Strafverfahren, schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (AA 18.9.2018). Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen, allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption. Vorurteile z.B. gegenüber Angehörigen niederer Kasten oder Indigenen dürften zudem eine nicht unerhebliche Rolle spielen (AA 18.9.2018).
Das Gerichtswesen ist von der Exekutive getrennt (FH 27.1.2018). Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court, das Oberstes Gericht mit Sitz in Delhi; das als Verfassungsgericht die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten regelt. Es ist auch Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen wie etwa bei Todesurteilen. Der High Court bzw. das Obergericht besteht in jedem Unionsstaat. Es ist Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen und führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates aus, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Subordinate Civil and Criminal Courts sind untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten und nach Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche als auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate und, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB 12.2018).
Das Gerichtswesen ist auch weiterhin überlastet und verfügt nicht über moderne Systeme zur Fallbearbeitung. Der Rückstau bei Gericht führt zu langen Verzögerungen oder der Vorenthaltung von Rechtsprechung. Eine Analyse des Justizministeriums für 2015 bis 2016 ergab eine Vakanz von 43 Prozent der Richterstellen an den Obergerichten (USDOS 20.4.2018). Die Regeldauer eines Strafverfahrens (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft. Dies führt dazu, dass Zeugen vor Gericht häufig nicht frei aussagen, da sie bestochen oder bedroht worden sind (AA 18.9.2018).
Insbesondere auf unteren Ebenen der Justiz ist Korruption weit verbreitet und die meisten Bürger haben große Schwierigkeiten, ihr Recht bei Gericht durchzusetzen. Das System ist rückständig und stark unterbesetzt, was zu langer Untersuchungshaft für eine große Zahl von Verdächtigen führt. Vielen von ihnen bleiben so länger im Gefängnis, als es der eigentliche Strafrahmen wäre (FH 27.1.2018). Die Dauer der Untersuchungshaft ist entsprechend zumeist exzessiv lang. Außer bei von Todstrafe bedrohten Delikten soll der Haftrichter nach Ablauf der Hälfte der drohenden Höchststrafe eine Haftprüfung und eine Freilassung auf Kaution anordnen. Allerdings nimmt der Betroffene mit einem solchen Antrag in Kauf, dass der Fall über lange Zeit gar nicht weiterverfolgt wird. Mittlerweile sind ca. 70 Prozent aller Gefangenen Untersuchungshäftlinge, viele wegen geringfügiger Taten, denen die Mittel für eine Kautionsstellung fehlen (AA 18.9.2018).
In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z.B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 18.9.2018).
Die Inhaftierung eines Verdächtigen durch die Polizei ohne Haftbefehl darf nach den allgemeinen Gesetzen nur 24 Stunden dauern. Eine Anklageerhebung soll bei Delikten mit bis zu zehn Jahren Strafandrohung innerhalb von 60, in Fällen mit höherer Strafandrohung innerhalb von 90 Tagen erfolgen. Diese Fristen werden regelmäßig überschritten. Festnahmen erfolgen jedoch häufig aus Gründen der präventiven Gefahrenabwehr sowie im Rahmen der Sondergesetze zur inneren Sicherheit, z.B. aufgrund des Gesetzes über nationale Sicherheit ("National Security Act", 1956) oder des lokalen Gesetzes über öffentliche Sicherheit ("Jammu and Kashmir Public Safety Act", 1978). Festgenommene Personen können auf Grundlage dieser Gesetze bis zu einem Jahr ohne Anklage in Präventivhaft gehalten werden. Auch zur Zeugenvernehmung können gemäß Strafprozessordnung Personen über mehrere Tage festgehalten werden, sofern eine Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sind dem Auswärtigen Amt nicht bekannt. (AA 18.9.2018).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischen Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse. Es gibt Fälle, in denen Häftlinge misshandelt werden. Ein im Mai 2016 von der renommierten National Law University Delhi veröffentlichter empirischer Bericht zur Situation der Todesstrafe in Indien zeichnet ein düsteres Bild des indischen Strafjustizsystems. So haben bspw. 80 Prozent aller Todeskandidaten angegeben, in Haft gefoltert worden zu sein. Nach glaubwürdigen, vertraulichen Schätzungen des IKRK Internationales Komitee des Roten Kreuz) kommt es weiterhin zu systematischer Folter in den Verhörzentren in Jammu und Kaschmir (AA 18.9.2018).
Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, ausgenommen bei Anwendung des "Unlawful Activities (Prevention) Amendment Bill", und sie haben das Recht, ihren Anwalt frei zu wählen. Das Strafgesetz sieht öffentliche Verhandlungen vor, außer in Verfahren, in denen die Aussagen Staatsgeheimnisse oder die Staatssicherheit betreffen können. Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt (USDOS 20.4.2018). Gerichte sind verpflichtet Urteile öffentlich zu verkünden und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern und sich nicht schuldig zu bekennen (USDOS 20.4.2018).
Gerichtliche Ladungen in strafrechtlichen Angelegenheiten sind im Criminal Procedure Code 1973 (CrPC, Chapter 4, §§61-69), in zivilrechtlichen Angelegenheiten im Code of Civil Procedure 1908/2002 geregelt. Jede Ladung muss schriftlich, in zweifacher Ausführung ausgestellt sein, vom vorsitzenden Richter unterfertigt und mit Gerichtssiegel versehen sein.
Ladungen werden gemäß CrPC prinzipiell durch einen Polizeibeamten oder durch einen Gerichtsbeamten an den Betroffenen persönlich zugestellt. Dieser hat den Erhalt zu bestätigen. In Abwesenheit kann die Ladung an ein erwachsenes männliches Mitglied der Familie übergeben werden, welches den Erhalt bestätigt. Falls die Ladung nicht zugestellt werden kann, wird eine Kopie der Ladung an die Residenz des Geladenen sichtbar angebracht. Danach entscheidet das Gericht, ob die Ladung rechtmäßig erfolgt ist, oder ob eine neue Ladung erfolgen wird. Eine Kopie der Ladung kann zusätzlich per Post an die Heim- oder Arbeitsadresse des Betroffenen eingeschrieben geschickt werden. Falls dem Gericht bekannt wird, dass der Betroffene die Annahme der Ladung verweigert hat, gilt die Ladung dennoch als zugestellt. Gemäß Code of Civil Procedure kann die Ladung des Gerichtes auch über ein gerichtlich genehmigtes Kurierservice erfolgen (ÖB 12.2018).
Im ländlichen Indien gibt es auch informelle Ratssitzungen, deren Entscheidungen manchmal zu Gewalt gegen Personen führt, die soziale Regeln brechen - was besonders Frauen und Angehörige unterer Kasten betrifft (FH 27.1.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
- FH - Freedom House (27.1.2018): Freedom in the World 2018 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1142635.html, Zugriff 22.10.2018
- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018
Sicherheitsbehörden
Die indische Polizei (Indian Police Service) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde (BICC 12.2018) und untersteht den Bundesstaaten (AA 18.9.2018). Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert. Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department - CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und die Bundesstaaten übergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 12.2018).
Ein Mangel an Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Polizei entsteht neben den strukturellen Defiziten auch durch häufige Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche Tötungen und Drohungen, die mutmaßlich durch die Polizei verübt wurden (BICC 12.2018). Die Polizei bleibt weiterhin überlastet, unterbezahlt und politischem Druck ausgesetzt, was in einigen Fällen zu Korruption führt (USDOS 20.4.2018). Polizeireformen verzögerten sich 2017 erneut (HRW 18.1.2018).
Die Effektivität der Strafverfolgung und der Sicherheitskräfte ist im gesamten Land sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während es einerseits Fälle von Polizisten/Beamten gibt, die auf allen Ebenen ungestraft handeln, so gab es andererseits auch Fälle, in denen Sicherheitsbeamte für ihre illegalen Handlungen zur Verantwortung gezogen wurden (USDOS 20.4.2018).
Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt dem Präsidenten. Ihrem Selbstverständnis nach ist die Armee zwar die "Beschützerin der Nation", aber nur im militärischen Sinne (BICC 12.2018). Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist (AA 18.9.2018; vgl. BICC 12.2018). Paramilitärischen Einheiten werden als Teil der Streitkräfte, vor allem bei internen Konflikten eingesetzt, so in Jammu und Kaschmir sowie in den nordöstlichen Bundesstaaten. Bei diesen Einsätzen kommt es oft zu erheblichen Menschenrechtsverletzungen (BICC 12.2018).
Für den Einsatz von Streitkräften - vor allem von Landstreitkräften - in Unruhegebieten und gegen Terroristen wird als Rechtsgrundlage der "Armed Forces Special Powers Act" (AFSPA) zur Aufrechterhaltung von "Recht und Ordnung" herangezogen (USDOS 20.4.2018). Der AFSPA gibt den Streitkräften weitgehende Befugnisse zum Gebrauch tödlicher Gewalt, zu Festnahmen ohne Haftbefehl und Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl. Bei ihren Aktionen genießen die Handelnden der Streitkräfte weitgehend Immunität vor Strafverfolgung. Der AFSPA kommt zur Anwendung, nachdem Regierungen der Bundesstaaten ihre Bundesstaaten oder nur Teile davon auf der Basis des "Disturbed Areas Act" zu "Unruhegebieten" erklären. Das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz für die Streitkräfte (AFSPA) wurde am 23.04.2018 für den Bundesstaat Meghalaya nach 27 Jahren aufgehoben und im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf 8 Polizeidistrikte beschränkt. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, und Nagaland sowie in Teilen von Manipur. Für Jammu und Kaschmir existiert eine eigene Fassung (AA 18.9.2018).
Die unter anderem auch in den von linksextremistischen Gruppen (sog. Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium (AA 18.9.2018). Dazu zählen insbesondere die National Security Guard (Nationale Sicherheitspolizei NSG), aus Angehörigen des Heeres und der Polizei zusammengestellte Spezialtruppe für Personenschutz, auch als "Black Cat" bekannt, die Rashtriya Rifles, eine Spezialtruppe zum Schutz der Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen bei inneren Unruhen und zur Bekämpfung von bewaffneten Rebellionen, die Central Reserve Police Force (CRPF) - die Bundesreservepolizei, eine militärisch ausgerüstete Polizeitruppe für Sondereinsätze - die Border Security Force (BSF - Bundesgrenzschutz) als größte und am besten ausgestattete Miliz zum Schutz der Grenzen zu Pakistan, Bangladesch und Myanmar. Sie wird aber auch zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung in anderen Landesteilen eingesetzt. Weiters zählen die Assam Rifles - zuständig für Grenzverteidigung im Nordosten - die Indo-Tibetan Border Force (ITBP) als Indo-Tibetische Grenzpolizei sowie die Küstenwache, die Railway Protective Force zum Schutz der nationalen Eisenbahn und die Central Industrial Security Force zum Werkschutz der Staatsbetriebe dazu (ÖB 12.2018). Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 18.9.2018).
Die Grenzspezialkräfte ("Special Frontier Force)" unterstehen dem Büro des Premierministers. Die sogenannten Grenzspezialkräfte sind eine Eliteeinheit, die an sensiblen Abschnitten im Grenzgebiet zu China eingesetzt werden. Sie agieren im Rahmen der Geheimdienste, des sogenannten Aufklärungsbüros ("Intelligence Bureau" - Inlandsgeheimdienst) und dem Forschungs- und Analyseflügel ("Research and Analysis Wing" - Auslandsgeheimdienst) (War Heros of India, 16.9.2018).
Das Gesetz erlaubt es den Behörden auch, Häftlinge bis zu 180 Tage lang ohne Anklage in Gerichtsgewahrsam zu nehmen (einschließlich der 30 Tage in Polizeigewahrsam). Das Gesetz zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen im Zusammenhang mit Aufständen oder Terrorismus festzuhalten (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
- BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2018): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2018_indien.pdf, Zugriff 29.1.2019
- HRW - Human Rights Watch (18.1.2018): World Report 2018 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422455.html, Zugriff 23.10.2018
- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018
- War Heros of India (16.9.2018): Special Forces of India Part 3: Special Frontier Force, https://gallantryawardwinners.blogspot.com/2017/01/Special-Frontier-Force.html, Zugriff 6.11.2018
Allgemeine Menschenrechtslage
Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 18.9.2018). Die nationale Gesetzgebung in Menschenrechtsangelegenheiten ist breit angelegt. Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB 12.2018). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet (AA 18.9.2018). Eine Reihe von Sicherheitsgesetzen schränken die rechtsstaatlichen Garantien, z.B. das Recht auf ein faires Verfahren, aber ein. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u.a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt. Besonders in Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden. Es gibt glaubhafte Berichte über extralegale Tötungen (AA 18.9.2018).
Die wichtigsten Menschenrechtsprobleme sind Missbrauch durch Polizei und Sicherheitskräfte einschließlich außergerichtlicher Hinrichtungen, Folter und Vergewaltigung. Korruption bleibt weit verbreitet und trägt zur ineffektiven Verbrechensbekämpfung bei, insbesondere auch von Verbrechen gegen Frauen, Kinder und Mitglieder registrierter Kasten und Stämme sowie auch gesellschaftlicher Gewalt aufgrund von Geschlechts-, Religions-, Kasten- oder Stammeszugehörigkeit (USDOS 20.4.2018).
Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft. Vor allem die Realität der unteren Gesellschaftsschichten, die die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist oftmals von Grundrechtsverletzungen und Benachteiligung geprägt (AA 18.9.2018). Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen in Indien bleiben tiefverwurzelte soziale Praktiken wie nicht zuletzt das Kastenwesen (AA 18.9.2018). Frauen, Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten sowie niederer Kasten werden systematisch diskriminiert (BICC 12.2018). Während die Bürger- und Menschenrechte von der Regierung größtenteils respektiert werden, ist die Lage in den Regionen, dort wo es interne Konflikte gibt, teilweise sehr schlecht. Dies trifft insbesondere auf Jammu und Kaschmir und den Nordosten des Landes zu. Den Sicherheitskräften, aber auch den nicht-staatlichen bewaffneten Gruppen, seien es separatistische Organisationen oder regierungstreue Milizen, werden massive Menschenrechtsverletzungen angelastet. Dem Militär und den paramilitärischen Einheiten werden Entführungen, Folter, Vergewaltigungen, willkürliche Festnahmen und außergerichtliche Hinrichtungen vorgeworfen. Insbesondere hinsichtlich der Spannungen zwischen Hindus und Moslems, welche im Jahr 2002 zu Tausenden von Todesfällen führten, wird den Sicherheitskräften Parteilichkeit vorgeworfen. Die Stimmung wird durch hindu-nationalistische Parteien angeheizt, welche auch in der Regierung vertreten sind (BICC 12.2018).
Separatistische Rebellen und Terroristen in Jammu und Kaschmir, den nordöstlichen Bundesstaaten und im "Maoistengürtel" begingen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, darunter Morde an Zivilisten, Polizisten, Streitkräften und Regierungsbeamten. Aufständische sind für zahlreiche Fälle von Entführung, Folter, Vergewaltigung, Erpressung und den Einsatz von Kindersoldaten verantwortlich (USDOS 20.4.2018).
In manchen Bundesstaaten schränkt das Gesetz die religiöse Konversion ein, Einschränkungen in Bezug auf die Bewegungsfreiheit dauern an (USDOS 20.4.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
- BICC - Bonn International Centre for Conversion (12.2018): Informationsdienst - Sicherheit, Rüstung und Entwicklung in Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte: Länderinformation Indien, http://www.ruestungsexport.info/user/pages/04.laenderberichte/indien/2018_indien.pdf, Zugriff 29.1.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018: Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz gewährt landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 20.4.2018). Das staatliche Gewaltmonopol wird gebietsweise von den Aktivitäten der "Naxaliten" in Frage gestellt. Abgesehen davon ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet (AA 18.9.2018).
Die Regierung lockerte Einschränkungen für ausländische Reisende in Bezug auf Reisen nach Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram, Manipur und Teilen von Jammu und Kaschmir, außer für Ausländer aus Pakistan, China und Burma. Das Innenministerium und die Bundesstaatenregierungen verlangen vor Reiseantritt von den Bürgern spezielle Genehmigungen einzuholen, um in bestimmte gesperrte Regionen bzw. Sperrzonen zu reisen (USDOS 20.4.2018).
Es gibt kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, so dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung. Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich, ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (AA 18.9.2018).
In den großen Städten ist die Polizei jedoch personell und materiell besser ausgestattet, so dass die Möglichkeit, aufgespürt zu werden, dort größer ist. Bekannte Persönlichkeiten ("high profile" persons) können nicht durch einen Umzug in einen anderen Landesteil der Verfolgung entgehen, wohl aber weniger bekannte Personen ("low profile" people) (ÖB 12.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion
- USDOS - US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2015 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430388.html, Zugriff 18.10.2018
Meldewesen
Noch gibt es in Indien kein nationales Melde- bzw. Staatsbürgerschaftsregister. Die Regierung verfolgt seit einigen Jahren ein nationales Projekt zur Registrierung der Staatsbürger, und damit verbunden wird die Ausstellung von Personalausweisen ("Aadhar Card") sein. Von der Realisierung dieses Projektes ist man trotz einiger Vorarbeit aber noch weit entfernt. Es gibt kein Meldewesen in Indien (ÖB 12.2018; vgl. AA 18.9.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion
Grundversorgung und Wirtschaft
In Indien lebt etwa ein Viertel der Bevölkerung unter dem veranschlagten Existenzminimum der Vereinten Nationen. Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine das Überleben sichernde Nahrungsversorgung auch der untersten Schichten der Bevölkerung zum Großteil gewährleistet. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe gibt es nicht, die Rückkehrer sind auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen (ÖB 12.2018).
Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2016/2017 bei 7,1 Prozent und in 2017/18 bei 6,75 Prozent mit wieder steigender Tendenz. Indien zählt damit nach wie vor zu den am stärksten expandierenden Volkswirtschaften der Welt (AA 11.2018a).
2016 lag die Erwerbsquote laut Schätzungen der ILO bei 55,6 Prozent. Der Hauptteil der Menschen arbeitet im Privatsektor. Es gibt immer noch starke Unterschiede bei der geschlechtlichen Verteilung des Arbeitsmarktes. Indien besitzt mit 478,3 Millionen Menschen die zweitgrößte Arbeitnehmerschaft der Welt (2012). Jährlich kommen 12,8 Millionen Arbeitskräfte hinzu. Im Jahr 2015 lag die Arbeitslosenquote bei 3,4 Prozent (nach ILO 2016) (BAMF 3.9.2018).
Schätzungen zufolge stehen nur circa 10 Prozent aller Beschäftigten in einem vertraglich geregelten Arbeitsverhältnis. Die übrigen 90 Prozent werden dem sogenannten "informellen Sektor" zugerechnet - sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (AA 11.2018a). Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 16,4 Prozent (2017/18) der Gesamtwirtschaft, obgleich fast 50 Prozent der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind (AA 11.2018a).
Die Regierung hat überall im Land rund 1.000 Arbeitsagenturen (Employment Exchanges) eingeführt um die Einstellung geeigneter Kandidaten zu erleichtern. Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 3.9.2018; vgl. PIB 23.7.2018). Das Nationale Mahatma Gandhi Beschäftigungsgarantieprogramm für die ländliche Bevölkerung (Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act, MGNREGA), läuft bis 2019. Das Ziel des laufenden Programms besteht darin, die ländliche Infrastruktur zu verbessern, die Land- und Wasserressourcen zu vergrößern und der armen Landbevölkerung eine Lebensgrundlage zu bieten: Jedem Haushalt, dessen erwachsene Mitglieder bereit sind, manuelle Arbeiten zu verrichten, welche keiner besonderen Qualifikation bedarf, wird mindestens 100 Tage Lohnarbeit pro Haushaltsjahr garantiert (SNRD 26.3.2018). Einige Staaten in Indien geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 3.9.2018).
Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungs- und Infrastrukturentwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei rund 1.970 USD. Auf dem Human Development Index der UNDP (Stand: September 2016) steht Indien auf Platz 130 unter 188 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika. Gleichzeitig konnten in den letzten beiden Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in Indien der Armut entkommen (AA 11.2018a).
Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zu meist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, welche sich jedoch an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (BAMF 3.9.2018).
Die Arbeitnehmerrentenversicherung ist verpflichtend und mit der Arbeit verknüpft. Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmer ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 3.9.2018).
55,3 Prozent der Bevölkerung (642,4 Mio.) lebt in multi-dimensionaler Armut (HDI 2016). Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch den schwächsten Teilen der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen. Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 18.9.2018).
Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar (HRW 17.1.2019). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar-ID Nummer ausgestellt. Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018).
Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar, arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 18.1.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (18.9.2018): Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien
- AA - Auswärtiges Amt (11.2018a): Indien, Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/indien-node/-/205976, Zugriff 17.1.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.9.2018): Länderinformationsblatt Indien, http://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2018_India_DE.pdf, Zugriff 17.12.2018
- BBC British Broadcasting Corporation (26.9.2018): Aadhaar: India top court upholds world's largest biometric scheme, https://www.bbc.com/news/world-asia-india-44777787, Zugriff 20.11.2018
- HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - India, ttps://www.ecoi.net/de/dokument/2002249.html, Zugriff 23.1.2019
- HRW - Human Rights Watch (13.1.2018): India: Identification Project Threatens Rights, https://www.ecoi.net/de/dokument/1422175.html, Zugriff 19.11.2018
- ORF - Österreichischer Rundfunk (27.9.2018): Indiens Form der digitalen Überwachung, https://orf.at/stories/3035121/, Zugriff 20.11.2018
- ÖB - Österreichische Botschaft New Delhi (12.2018): Asylländerbericht Indien - Arbeitsversion
- PIB - Press Information Bureau Government of India Ministry of Labour & Employment (23.7.2018): Modernisation of Employment Exchanges, http://pib.nic.in/newsite/PrintRelease.aspx?relid=180854, Zugriff 20.11.2018
- SNRD - Sector Network Natural Resources and Rural Development Asia (26.3.2018): Environmental Benefits of the Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act (MGNREGA-EB), https://snrd-asia.org/environmental-benefits-of-the-mahatma-gandhi-national-rural-employment-guarantee-act-mgnrega-eb/, Zugriff 29.1.2019
- WKO - Außenwirtschaft Austria (26.9.2018): Außen Wirtschaft Update Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/indien-update.pdf, Zugriff 20.11.2018
Medizinische Versorgung
Eine gesundheitliche (Minimal)-Grundversorgung wird vom Staat im Prinzip kostenfrei gewährt. Sie ist aber durchweg unzureichend. Von den Patienten wird viel Geduld abverlangt, da der Andrang auf Leistungen des staatlichen Gesundheitssektors sehr groß ist. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen fortschrittlicher Infrastruktur und qualifizierterem Personal einen besseren Ruf, ein Großteil der Bevölkerung kann sich diesen aber nicht leisten. In allen größeren Städten gibt es Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Maßnahmen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich. Fast alle gängigen Medikamente sind in Indien (meist als Generika westlicher Produkte) auf dem Markt erhältlich. Für den (relativ geringen) Teil der Bevölkerung, welche sich in einem formellen Arbeitsverhältnis befindet, besteht das Konzept der sozialen Absicherung aus Beitragszahlungen in staatliche Kassen sowie einer Anzahl von - vom Arbeitgeber zu entrichtenden - diversen Pauschalbeträgen. Abgedeckt werden dadurch Zahlungen für Renten, Krankenversicherung, Mutter-Karenz sowie Abfindungen für Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit (ÖB 12.2018).
Staatliche Krankenhäu