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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, in der Revisionssache des A J, vertreten durch Dr. Susanne Schuh, Rechtsanwalt in 2380 Perchtoldsdorf, Wienergasse 7, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 27. Juni 2019, LVwG-AV-176/001-2019, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers, eines pakistanischen Staatsangehörigen, gegen den abweisenden Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt (Behörde) betreffend seinen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels Familienangehöriger gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) nach Durchführung einer Verhandlung ab und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig.
Dies begründete das LVwG einerseits mit dem Vorliegen einer Aufenthaltsehe gemäß § 30 NAG und andererseits damit, dass die Identität des Revisionswerbers nicht zweifelsfrei habe festgestellt werden können. Die in der Beschwerde beantragte „audiovisuelle Vernehmung“ des Revisionswerbers habe unterbleiben können, weil einerseits nicht dargelegt worden sei, warum sein persönliches Erscheinen zur Verhandlung nicht möglich gewesen sei, und sich das LVwG andererseits auf die zahlreichen bereits durchgeführten Einvernahmen des Revisionswerbers habe stützen können. Diese Einvernahmen ließen verbunden mit den sonstigen Beweisergebnissen auch ohne persönliche Befragung des Revisionswerbers keinen Zweifel daran, dass vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe auszugehen sei und die wahre Identität des Revisionswerbers nicht feststehe; es sei nicht erkennbar, welche weiteren Erkenntnisse diesbezüglich im Rahmen einer (nochmaligen) Einvernahme des Revisionswerbers zu gewinnen gewesen wären.
5 In der Zulässigkeitsbegründung rügt der Revisionswerber zunächst ein Abweichen des angefochtenen Erkenntnisses von der hg. Rechtsprechung insofern, als das LVwG eine antizipierende Beweiswürdigung (Hinweis auf VwGH 22.5.1997, 95/09/0310; 17.3.2009, 2008/21/0648; 20.10.2011, 2010/21/0177) vorgenommen und den Grundsatz der Unmittelbarkeit (Hinweis auf VwGH 25.2.2019, Ra 2018/08/0251; 30.1.2019, Ra 2018/03/0131) verletzt habe, indem es von der beantragten Vernehmung des Revisionswerbers im audiovisuellen Weg Abstand genommen habe. Dies sei insofern relevant, als der Revisionswerber in einer persönlichen Vernehmung durch sein glaubwürdiges Auftreten und durch nachvollziehbare Angaben die freie Beweiswürdigung des LVwG hätte beeinflussen können, sodass dieses keine Aufenthaltsehe angenommen und die Identität des Revisionswerbers als geklärt angesehen hätte.
6 Zum behaupteten Abweichen von der hg. Rechtsprechung durch eine antizipierende Beweiswürdigung wird nicht konkret dargelegt, inwiefern das LVwG durch das angefochtene Erkenntnis nach Ansicht des Revisionswerbers von der zitierten höchstgerichtlichen Judikatur (betreffend das Unterbleiben von Zeugenbefragungen bzw. einer neuerlichen Befragung der vormaligen Ehefrau zum Vorliegen einer Aufenthaltsehe) abgewichen sein soll, wird vorliegend doch das Unterbleiben einer wiederholten Befragung des Revisionswerbers im audiovisuellen Weg gerügt, obwohl er in der Verhandlung rechtsfreundlich vertreten war.
7 Die zitierte hg. Entscheidung Ra 2018/08/0251 ist auch nicht geeignet, ein Abweichen im Hinblick auf den Unmittelbarkeitsgrundsatz aufzuzeigen, wurde in diesem Verfahren doch das Unterbleiben einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beanstandet; im gegenständlichen Verfahren führte das LVwG hingegen am 23. Mai 2019 im Beisein des rechtsfreundlichen Vertreters desRevisionswerbers eine Verhandlung durch.
8 Die Zulässigkeit der Revision setzt bei einem behaupteten Verfahrensmangel (unter anderem) voraus, dass die Relevanz des Mangels für den Verfahrensausgang - im Sinn seiner Eignung, bei einem mängelfreien Verfahren zu einer anderen für den Revisionswerber günstigeren Sachverhaltsgrundlage zu gelangen - konkret dargetan wird (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2019/22/0191, Rn. 6, mwN).
Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Zunächst einmal ist völlig unklar, welche Angaben der Revisionswerber im Rahmen einer audiovisuellen Vernehmung gemacht und inwieweit sich daraus eine für ihn günstigere Sachverhaltsgrundlage hätte ergeben können (vgl. nochmals VwGH Ra 2019/22/0191, mwN). Ein gänzlich unsubstanziiertes Vorbringen (der Revisionswerber hätte durch sein glaubwürdiges Auftreten und durch nachvollziehbare Angaben die freie Beweiswürdigung des LVwG beeinflussen können) ist nicht geeignet, die Relevanz eines allfälligen Verfahrensmangels aufzuzeigen. Es bleibt auch offen, aus welchem Grund der Rechtsvertreter des Revisionswerbers „die nachvollziehbaren Angaben“ nicht in der Verhandlung vorbrachte.
9 Der Hinweis auf die unterbliebene Verständigung der Landespolizeidirektion gemäß § 37 Abs. 4 NAG bezüglich des Verdachts des Vorliegens einer Aufenthaltsehe ist ebenfalls nicht zielführend. Zwar stellt das Unterbleiben dieser Verständigung einen Verfahrensfehler dar (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2018/22/0300, Rn. 14), dessen Relevanz wurde jedoch nicht aufgezeigt. Der Zweck dieser Verständigung liegt darin, dass die Fremdenpolizeibehörde bei Vorliegen einer Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption aufenthaltsbeendende Maßnahmen erlässt (vgl. VwGH 20.8.2013, 2013/22/0157). Der Revisionswerber hielt sich nach seiner freiwilligen Ausreise am 28. Oktober 2017 jedoch in Pakistan auf, sodass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht in Betracht kamen und nicht erkennbar ist, inwiefern das Unterbleiben der Verständigung gemäß § 37 Abs. 4 NAG entscheidungsrelevant sein könnte.
10 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.
Wien, am 7. August 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220145.L00Im RIS seit
28.09.2020Zuletzt aktualisiert am
28.09.2020