Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Rose, über die Beschwerde des R in Wien, vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in Wien I, Reichsratstraße 13, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Dezember 1996, Zl. SD 1212/96, betreffend Entziehung einer Waffenbesitzkarte, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Administrationsbüro, vom 9. September 1996, berichtigt mit Bescheid vom 4. Oktober 1996, mit welchem dem Beschwerdeführer die ihm von der Bundespolizeidirektion Wien, Administrationsbüro, am 24. Jänner 1977 ausgestellte Waffenbesitzkarte entzogen worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen und die bekämpfte Entscheidung mit der Abänderung bestätigt, daß sich die Entziehung der Waffenbesitzkarte auf § 20 Abs. 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Z. 1 des Waffengesetzes 1986, BGBl. Nr. 443 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 1107/1994, stütze.
Die belangte Behörde führte hiezu begründend aus, im Ergebnis seien auch für die Berufungsentscheidung die im bekämpften Bescheid herangezogenen Gründe maßgebend gewesen. Unbestritten sei, daß der Beschwerdeführer am 5. Oktober 1993 (gemeint: am 26. April 1993, bestätigt vom Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 5. Oktober 1993) vom Landesgericht Korneuburg wegen schwerer Körperverletzung rechtskräftig verurteilt worden sei, der Beschwerdeführer dagegen jedoch einwende, daß der dem Urteil zugrunde liegende Vorfall bereits mehr als vier Jahre zurückliege, er sich darüber hinaus wohl verhalten habe und daher der Sachverhalt nicht hinreiche, ihm die Verläßlichkeit abzusprechen. Nach Zitierung der von ihr in Anwendung gebrachten Gesetzesbestimmungen resümierte die belangte Behörde, der obgenannten Verurteilung sei zugrundegelegen, daß der Beschwerdeführer am 27. Juni 1992 einem (damals) 65-jährigen Mann, der sich für den Beschwerdeführer erkennbar in alkoholbeeinträchtigtem Zustand befunden habe, aus nichtigem Anlaß einen Stoß versetzt habe, sodaß dieser torkelnd zu Boden gefallen sei und (u.a.) einen Oberschenkelhalsbruch erlitten habe. Dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach sich dieser Vorfall völlig anders ereignet habe als dies vom verurteilenden Gericht festgestellt worden sei, stehe die Rechtskraft des Urteiles entgegen. Auch das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht habe in seinem Urteil vom 5. Oktober 1993 ausgeführt, daß der Beschwerdeführer beim Versetzen des Stosses zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, daß der von ihm Attackierte zu Boden stürzen und sich hiebei verletzen könnte. Dieses strafbare Verhalten des Beschwerdeführers manifestiere einen Charaktermangel, der nach Ansicht der Berufungsbehörde durchaus die Folgerung rechtfertige, daß der Beschwerdeführer die vom Waffengesetz geforderte Verläßlichkeit nicht mehr gewährleiste, zumal bei der Wertung einer Person als "verläßlich" im Sinne des Gesetzes ein strenger Maßstab anzulegen und es auch nicht erforderlich sei, daß tatsächlich bereits eine mißbräuchliche Verwendung einer Waffe jemals stattgefunden habe. Dafür, ob eine Person als verläßlich angesehen werden könne, sei nämlich auf die Wesensmerkmale der Gesamtpersönlichkeit sowie auf konkrete Verhaltensweisen Bedacht zu nehmen, die Schlüsse darauf zuließen, daß insbesondere eine leichtfertige Verwendung von Faustfeuerwaffen nach menschlicher Voraussicht ausgeschlossen werden könne. Das Verhalten des Beschwerdeführers habe aber dokumentiert, daß er - zumindest in bestimmten Situationen - zu unbedachten Aggressionshandlungen neige, sodaß angesichts der besonderen Gefährlichkeit, die Faustfeuerwaffen anhafte und derzufolge bei der Beurteilung der Verläßlichkeit ein strenger Maßstab anzulegen sei, die Verläßlichkeit des Beschwerdeführers nicht mehr gegeben erscheine.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:
Zunächst ist festzuhalten, daß die Behörde erster Instanz die Entziehung der Waffenbesitzkarte lediglich mit der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht Korneuburg begründete.
Das diesem Bescheid vorausgegangene Ermittlungsverfahren beschränkte sich auf die Einsicht in den Strafakt und Beifügung je einer Ausfertigung des Urteiles des Landesgerichtes Korneuburg vom 26. April 1993, GZ. 12a E Vr 742/92, Hv 480/92-15, und des bestätigenden Urteiles des Oberlandesgerichtes Wien vom 5. Oktober 1993, 24 Bs 308/93.
Gemäß § 20 Abs. 1 Waffengesetz 1986 hat die Behörde spätestens alle fünf Jahre die Verläßlichkeit des Inhabers eines Waffenpasses oder einer Waffenbesitzkarte zu überprüfen. Ergibt sich hiebei oder aus anderem Anlaß, daß er nicht mehr verläßlich ist, so hat die Behörde diese Urkunden zu entziehen.
Die Kriterien für die waffenrechtliche Verläßlichkeit finden sich in § 6 Waffengesetz 1986. Nach Abs. 1 dieser Bestimmung ist eine Person als verläßlich im Sinne dieses Bundesgesetzes anzusehen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sie
1. Waffen nicht mißbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird;
2. mit Waffen vorsichtig und sachgemäß umgehen und diese sorgfältig verwahren wird;
3. Waffen nicht an Personen überlassen wird, die zum Besitz von Waffen nicht berechtigt sind.
Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung in diesem Sinne auf § 6 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. Dabei hat sie in Übereinstimmung mit der hg. Judikatur grundsätzlich zutreffend ausgeführt, daß bei der zu stellenden Zukunftsprognose ein strenger Maßstab anzulegen und auch dann mit Entziehung vorzugehen ist, wenn im Einzelfall auch ein nur einmal gesetztes Verhalten den Umständen nach die Folgerung rechtfertigt, der Urkundeninhaber gewährleiste nicht mehr die in § 6 Abs. 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen. Zutreffend stellte die belangte Behörde auch fest, daß es bei der Beurteilung darüber, ob eine Person als verläßlich angesehen werden kann, auf die Wesensmerkmale der Gesamtpersönlichkeit ankommt, und auf konkrete Verhaltensweisen des Betroffen Bedacht zu nehmen ist, die Schlüsse darauf zulassen, daß insbesondere eine leichtfertige Verwendung von Faustfeuerwaffen nach menschlicher Voraussicht ausgeschlossen werden kann. Allerdings teilt der Verwaltungsgerichtshof die von der belangten Behörde im Anschluß an diese allgemeinen Ausführungen für den konkreten Fall daraus gezogene rechtliche Schlußfolgerung nicht.
Die Behörde geht insoferne von aktenwidrigen Feststellungen aus, als sie sich darauf bezieht, der Verurteilung des Beschwerdeführers sei eine Aggressionshandlung "aus nichtigem Anlaß" zugrundegelegen, eine Feststellung, die in den im Akt befindlichen Urteilen des Landesgerichtes Korneuburg bzw. des Oberlandesgerichtes Wien nicht enthalten ist. Vielmehr geht eindeutig daraus hervor, daß der Beschwerdeführer am Tag des Vorfalles (dem 27. Juni 1992) der - möglicherweise irrigen - Auffassung gewesen ist, der von ihm Attackierte habe sich aus moralisch verwerflichen Gründen in der zu diesem Zeitpunkt von seiner Gattin und minderjährigen Tochter frequentierten Damentoilette aufgehalten, was auch bei einer nicht übermäßig aggressionsbereiten Person zu Entrüstungshandlungen hätte führen können. Als für die Verwaltungsbehörde bindend sind nur jene Tatsachenfeststellungen der Strafgerichte heranzuziehen, die für den Spruch, d.h. in concreto für die Verurteilung, tatbestandsmäßige Voraussetzungen gewesen sind. Beide Gerichte haben in diesem Sinne lediglich festgestellt, der Attackierte sei bereits leicht alkoholisiert gewesen, was dazu geführt habe, daß er Benützer der Toiletteanlage unflätig angepöbelt habe, worüber Beschwerden von Gästen geführt worden seien. Die Gattin des Beschwerdeführers habe sich bei ihrem Ehegatten nach Verlassen der Toiletteanlage beschwert, daß der später Attackierte in der Damentoilette aufhältig gewesen sei und dort Frauen angepöbelt habe, worauf der Beschwerdeführer den bereits wieder außerhalb der Damentoilette Befindlichen zur Rede gestellt habe. Nach einem Wortwechsel zwischen dem nunmehrigen Beschwerdeführer und dem Attackierten habe der Beschwerdeführer diesen am Oberarm genommen und ihm einen Stoß versetzt, wodurch letzterer getorkelt und zu Boden gefallen sei und sich beim Sturz einen Oberschenkelhalsbruch links sowie Prellungen am linken Arm und eine Hautabschürfung zugezogen habe. Im Schuldbereich wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, daß er bei Versetzen des Stosses es zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden habe, daß sein Kontrahent zu Boden stürzen und sich hiebei verletzen könnte. Bereits in seiner Stellungnahme im Rahmen der Gewährung des Parteiengehörs durch die Behörde erster Instanz hat aber der Beschwerdeführer darauf hingewiesen, daß dieser einmalige Vorfall keinen Rückschluß auf seine Gesamtpersönlichkeit zulasse. Auf dieses auch in der Berufung wiederholte Argument geht die belangte Behörde in Wahrheit nicht ein. Zutreffend wird in der Beschwerde darauf hingewiesen, daß bei Prüfung der für die Beurteilung der Wesensart und Gesamtpersönlichkeit des Betroffenen heranzuziehenden Umstände allein die Tatsache einer einmaligen strafgerichtlichen Verurteilung wie der hier vorliegenden nicht ausreicht, sofern sich nicht bereits aus den bindenden Tatsachenfeststellungen der Strafgerichte Umstände ergeben, die derartige unzweifelhafte Rückschlüsse erlauben. Im vorliegenden Fall hätte die belangte Behörde weitere Feststellungen darüber zu treffen gehabt, ob weitere Anhaltspunkte für die waffenrechtliche Unverläßlichkeit des Beschwerdeführers bestehen. Die bloße Tatsache einer einmaligen, unter keinen der Fälle des § 6 Abs. 2 Z. 1 bis 4 WaffG 1986 subsumierbaren Verurteilung allein reicht jedenfalls zur Annahme des Wegfalls der waffenrechtlichen Verläßlichkeit im Beschwerdefall nicht aus. Da die Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997200048.X00Im RIS seit
11.07.2001