TE Vwgh Beschluss 2020/8/20 Ra 2020/05/0158

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.08.2020
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §13 Abs3
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/05/0159

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätin Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revision 1. des Ing. W B und 2. der G B, beide in S, beide vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 11. Juni 2020, LVwG-AV-455/001-2020, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Erteilung einer Baubewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Stadtgemeinde S; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4        Aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses und den Darlegungen in den Revisionszulässigkeitsgründen ergibt sich Folgendes:

5        Mit der Planung des gegenständlichen Bauvorhabens (Zu- und Umbauten an einem näher bezeichneten Gebäude) wurde Anfang 2019 begonnen. Es wurde eine Einreichplanung eines Architektenbüros, bestehend aus 10 Plänen mit Kosten von brutto von ca. € 20.000,--, erstellt. Am 30. September 2019 fand eine Gemeinderatssitzung statt, der der Erstrevisionswerber zunächst beigewohnt hat. Als es um eine Bausperre ging und ein diesbezüglicher Dringlichkeitsantrag beschlossen wurde, hat der Erstrevisionswerber die Gemeinderatssitzung verlassen. Den Bauantrag samt Einreichunterlagen gaben die Revisionswerber am 30. September 2019 um 19.23 Uhr am Postamt auf. Sie übermittelten ihn der Gemeinde ein weiteres Mal mit E-Mail vom 1. Oktober 2019, 4.32 Uhr. Mit Bescheid vom 21. Oktober 2019 wies der Bürgermeister den Bauantrag unter Hinweis auf die bestehende Bausperre ab. Mit dem vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheid des Gemeindevorstandes vom 4. Dezember 2019 wurde der dagegen erhobenen Berufung der Revisionswerber keine Folge gegeben.

6        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der dagegen erhobenen Beschwerde der Revisionswerber Folge gegeben und der Antrag vom 30. September 2019 gemäß § 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 3 AVG zurückgewiesen. Eine ordentliche Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

7        Begründend hielt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen fest, die „Sperrwirkung“ der Bausperre sei mit dem Beginn deren Kundmachung um ca. 21.30 Uhr am 30. September 2019 eingetreten. Angesichts der Postaufgabe des Bauansuchens am 30. September 2019 bereits um 19.23 Uhr habe die Bausperre keine Bedeutung für das gegenständliche Verfahren. Eine allein auf dem Widerspruch zur Bausperre basierende Abweisung des Bauansuchens sei daher unzulässig.

8        Das Bauansuchen entspreche aber nicht in allen Punkten den Vorschriften der NÖ BO 2014 für ein solches (wurde näher dargestellt). Das Fehlen einiger Voraussetzungen für Einreichunterlagen sei ohne weiteres erkennbar gewesen. Es sei ausschließlich der Zweck verfolgt worden, „eine Frist zu verlängern“. Habe eine Partei den Mangel einer Einreichung erkennbar bewusst herbeigeführt, um z.B. auf dem Umweg des Verbesserungsverfahrens eine Verlängerung bestehender Fristen zu erlangen, sei für die Erteilung eines Verbesserungsauftrages kein Raum und das bewusst mangelhaft gestaltete Anbringen sofort zurückzuweisen (Verweis auf VwGH 27.2.2020, Ra 2019/11/0102).

9        In den Revisionszulässigkeitsgründen wird im Wesentlichen ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe es verabsäumt, die rechtsmissbräuchliche Absicht nachvollziehbar darzustellen, was sich anhand einer ganzen Reihe entscheidungswesentlicher Verfahrensfehler demonstrieren lasse.

10       So hätte das Verwaltungsgericht einen Beweis für die Feststellung erbringen müssen, dass die Mangelhaftigkeit des Bauansuchens ohne weiteres erkennbar gewesen sei. Es habe die Aussage des Erstrevisionswerbers in der mündlichen Verhandlung, wonach die Einbringung des Bauansuchens das Ziel gehabt habe, zu „retten, was zu retten ist“, völlig falsch interpretiert. In Bezug auf die Mangelhaftigkeit des Bauansuchens habe das Verwaltungsgericht einen unsachlich strengen Maßstab angelegt. Dem Verwaltungsgericht seien bis zur mündlichen Verhandlung nicht alle eingebrachten Unterlagen vorgelegen. Es habe damit den Sachverhalt in wesentlichen Punkten aktenwidrig angenommen. Das Verwaltungsgericht habe keinerlei Ermittlungen dazu durchgeführt, ob sich die Revisionswerber der Mangelhaftigkeit des Bauansuchens im Zeitpunkt der Einbringung bewusst gewesen seien. Auch habe das Verwaltungsgericht das Parteiengehör und das Überraschungsverbot verletzt. Dieser Verfahrensmangel sei wesentlich, weil die Revisionswerber die Feststellung, die Mangelhaftigkeit sei bewusst herbeigeführt worden, mit Beweisen hätten entkräften können, wären sie mit den Sachverhaltselementen konfrontiert worden.

11       Die hg. Judikatur verlange im Übrigen ein Motiv jenseits der Antragstellung, eine „rechtsmissbräuchliche Absicht“, beispielsweise die Verfolgung des Zieles, „auf dem Umweg eines Verbesserungsverfahrens eine Verlängerung einer Rechtsmittelfrist zu erlangen“. Indem das Verwaltungsgericht den Versuch der Revisionswerber, einen Antrag zu einem Zeitpunkt zu stellen, zu dem sie unter eine für sie günstigere Rechtslage hätten fallen können, falls die Bausperre beschlossen werde, als ein rechtsmissbräuchliches Motiv jenseits der Antragstellung qualifiziert habe, sei es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Wichtig sei, dass der Beschluss der Bausperre sich der Kenntnis der Revisionswerber entzogen habe, und diese erst nach der postalischen Absendung des Bauansuchens davon erfahren hätten.

12       Das Bauansuchen stamme im Übrigen von einem juristischen Laien, und der Mangel sei vergleichsweise geringfügig. Es habe 15 Seiten umfasst, ein Antragsschreiben, eine Einreichplanung eines Architektenbüros von 10 Plänen, einen Grundbuchsauszug und eine Baubeschreibung. Die Revisionswerber hätten hohes Interesse gezeigt, eine ordentlich ausgeführte Baueinreichung vorzulegen. Außerdem sei das Bauansuchen von den Gemeindebehörden als ausreichend für eine inhaltliche Behandlung erkannt und kein Verbesserungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG erlassen worden. Es stelle sich die Frage, ob ausnahmslos jede vom Antragsteller allenfalls in Kauf genommene Mangelhaftigkeit eines Anbringens als Rechtsmissbrauch zu werten sei und zu einer Zurückweisung zu führen habe oder ob dies nur für grobe oder ostentative Mängel gelte. Eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Frage fehle. Abweichend vom konkreten Fall sei es in der Judikatur um bereits wochenlang bekannte, fixe Rechtsmittelfristen gegangen. Vorliegend sei die Verordnung betreffend die Bausperre aber erst nach der erfolgten Postaufgabe angeschlagen worden. Im Übrigen könne der weitere Antrag vom 1. Oktober 2019 nicht mehr gestellt worden sein, um eine Frist zu verlängern.

13       Der Rechtsgrund, auf den das Verwaltungsgericht die Zurückweisung des Antrages vom 30. September 2019 stütze, könne für den Antrag vom 1. Oktober 2019 nicht mehr gelten. Es stelle sich die Frage, ob das Verwaltungsgericht nicht seine Entscheidungspflicht verletzt habe, indem es nur über den Antrag vom 30. September 2019, nicht aber über den vom 1. Oktober 2019 abgesprochen habe.

14       Im Übrigen könne auch nach dem Wirksamwerden der Bausperre ein Bauantrag eingebracht werden, womit jedenfalls die Frage, ob der Bauantrag der Bausperre zuwiderlaufe, zu prüfen gewesen wäre. Unter dem Regime der Bausperre könne keine Rechtsmissbräuchlichkeit mehr vorliegen. Die Vereinbarkeit des Bauansuchens mit der Bausperre sei damit inhaltlich zu beurteilen. Das Unterbleiben einer inhaltlichen Behandlung des Bauansuchens sei rechtswidrig.

15       Ob in einem konkreten Fall ein Verbesserungsauftrag gemäß § 13 Abs. 3 AVG zu erteilen ist oder ein solcher unterbleiben kann, weil die Partei den Mangel des Anbringens erkennbar bewusst herbeigeführt hat, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Zulässigkeit der Revision könnte sich daher nur ergeben, wenn in den Revisionszulässigkeitsgründen substantiiert aufgezeigt wird, dass die diesbezügliche Beurteilung des Verwaltungsgerichtes grob fehlerhaft erfolgt wäre oder zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis führen würde (vgl. VwGH 6.12.2019, Ra 2017/05/0214, mwN).

16       Der Frage, ob die besonderen Umstände des Einzelfalles gegebenenfalls auch eine andere Entscheidung gerechtfertigt hätten, kommt in der Regel keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. VwGH 8.9.2016, Ra 2016/06/0057, mwN). Auch der bloße Umstand, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, begründet für sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (VwGH 24.2.2015, Ro 2014/05/0097, mwN) und führt alleine nicht dazu, dass ein „Abweichen“ von zu anderen Sachverhalten ergangener Rechtsprechung vorliegt.

17       Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG können nicht nur solche des materiellen Rechtes, sondern auch solche des Verfahrensrechtes sein. Eine solche Bedeutung kommt der Entscheidung diesbezüglich dann zu, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt nur dann vor, wenn die Beurteilung durch das Verwaltungsgericht grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 24.3.2015, Ra 2015/05/0001, mwN).

18       Angesichts des festgestellten Sachverhaltes und der Begründung des Verwaltungsgerichtes, dass die Mangelhaftigkeit des Ansuchens ohne weiteres erkennbar gewesen und ausschließlich der Zweck verfolgt worden sei, der Bausperre zu entkommen (S. 10 des angefochtenen Erkenntnisses), kann auf der Grundlage der vorstehend zitierten hg. Rechtsprechung nicht davon ausgegangen werden, dass sich im gegenständlichen Fall eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung stellt. Insbesondere können auch die umfangreichen Darlegungen zu Verfahrensmängeln nicht aufzeigen, dass tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stünden oder die im angefochtenen Erkenntnis getroffene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre, zumal in den Revisionszulässigkeitsgründen weder die Mängelfreiheit des Ansuchens behauptet noch die vom Verwaltungsgericht festgestellten Umstände im Zusammenhang mit der Einbringung des Ansuchens bestritten werden, und es wird auch nicht dargelegt, dass den Einreichern die Mängel nicht bewusst gewesen wären.

19       Soweit im Zusammenhang mit dem Parteiengehör und dem Überraschungsverbot vorgebracht wird, dass die Revisionswerber die Feststellung, die Mangelhaftigkeit sei bewusst herbeigeführt worden, mit Beweisen hätten entkräften können (S. 8 der Revision), wird in den Revisionszulässigkeitsgründen nicht dargelegt, welche konkreten Beweise das hätten sein sollen. Insofern fehlt auch eine Relevanzdarstellung des behaupteten Verfahrensmangels (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/05/0002, mwN).

20       Wenn in den Revisionszulässigkeitsgründen vorgebracht wird, dass das Verwaltungsgericht seine Entscheidungspflicht hinsichtlich des Antrages vom 1. Oktober 2019 verletzt habe, liegt damit keine hier relevante Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vor, weil die Revisionswerber eine diesbezügliche, ihrer Meinung nach gegebene Verletzung der Entscheidungspflicht allenfalls im Wege eines Fristsetzungsantrages geltend machen könnten.

21       Weshalb angesichts der zurückweisenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtes jedenfalls eine inhaltliche Behandlung des Bauansuchens hätte erfolgen sollen (S. 11 der Revision), ist nicht nachvollziehbar. Dass das Verwaltungsgericht eine solche Prüfung nicht durchgeführt hat, führt jedenfalls vorliegend zu keiner Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.

22       Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 20. August 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020050158.L00

Im RIS seit

07.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten