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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
StGB §46 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde des J in Graz, vertreten durch Dr. Hanspeter Pausch, Rechtsanwalt in Graz, Kaiserfeldgasse 13/III, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 27. Februar 1996, Zl. 427.337/2-V.6/1995, betreffend Ansuchen um Bewilligung eines Ausganges gemäß § 147 StVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer verbüßt in der Justizanstalt Graz-Karlau wegen Mordes an seiner Ehegattin und schwerer Körperverletzung Freiheitsstrafen in der Dauer von 15 Jahren und zwei Monaten. Das urteilsmäßige Strafende ist (unter Berücksichtigung der Amnestie 1995) der 8. Februar 2004. Die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung des Beschwerdeführers nach § 46 Abs. 1 StGB waren am 8. August 1996, diejenigen für eine bedingte Entlassung nach § 46 Abs. 2 StGB werden am 18. Februar 1999 erfüllt sein.
Mit Wirkung vom 7. September 1995 wurde der Beschwerdeführer vom Anstaltsleiter in den "vorzeitigen Entlassungsvollzug" überstellt. Mit einem (nach Mitteilung der belangten Behörde in Verstoß geratenen und in den vorgelegten Akten daher nicht enthaltenen) Ansuchen vom 20. September 1995 beantragte er einen dreitägigen Ausgang gemäß § 147 StVG. Gegen die Ablehnung dieses Ansuchens erhob er am 3. Oktober 1995 gemäß § 120 StVG Beschwerde. Dieser Beschwerde gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid nicht Folge.
Begründend führte die belangte Behörde - abgesehen von einer Wiedergabe des Verfahrensganges und des Inhaltes der anzuwendenden Bestimmungen - vor allem folgendes aus:
"Festzuhalten ist, daß der Beschwerdeführer seit 7.9.1995 im Entlassungsvollzug angehalten wird.
...
Die Regelung des § 147 StVG stellt auf den Entlassungsvollzug gemäß § 145 Abs. 1 StVG insofern ab, als nur während des dort genannten Zeitraumes, (drei bis zwölf Monate) vor einer voraussichtlichen Entlassung, bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen Ausgänge gewährt werden können.
In Anbetracht der bisherigen Spruchpraxis des Vollzugs- und Rechtsmittelgerichtes, wonach bei vorsätzlichen Tötungsdelikten in der Regel schon aus generalpräventiven Gründen bedingte Entlassungen gemäß § 46 Abs. 1 StGB nicht gewährt werden, ist nach Ansicht des Bundesministeriums für Justiz eine bedingte Entlassung des Beschwerdeführers auch innerhalb der nächsten 12 Monate nicht vorhersehbar. Die Entscheidung des Anstaltsleiters, den begehrten Ausgang nicht zu gewähren, war daher zutreffend.
Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage war auf das übrige Vorbringen des Beschwerdeführers nicht mehr einzugehen."
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Die Regelungen des Strafvollzugsgesetzes, BGBl. Nr. 144/1969, über den Entlassungsvollzug wurden in den für die Entscheidung des vorliegenden Falles wesentlichen Einzelheiten wiederholt geändert:
Nach der ursprünglichen Fassung des Strafvollzugsgesetzes begann der Entlassungsvollzug bei einer Strafzeit von mehr als zehn Jahren oder bei lebenslanger Strafe "ein Jahr vor der voraussichtlichen Entlassung". Wurde ein Strafgefangener voraussichtlich bedingt entlassen, so war der Zeitpunkt der voraussichtlichen bedingten Entlassung der Zeitpunkt der voraussichtlichen Entlassung, wobei der entsprechend frühere Beginn des (damals im Sinne einer räumlichen Trennung von den übrigen Gefangenen konzipierten) Entlassungsvollzuges im Gesetz als "vorzeitige Überstellung" bezeichnet war. Die "Entscheidung über die vorzeitige Überstellung in den Entlassungsvollzug" stand dem Vollzugsgericht zu. Der im Unterabschnitt über die Vorbereitung der Entlassung (d.h. den Entlassungsvollzug) geregelte Ausgang - über dessen Genehmigung der Anstaltsleiter zu entscheiden hatte - war einem Strafgefangenen auf sein Ansuchen unter bestimmten weiteren Voraussetzungen "zur Ordnung seiner Angelegenheiten im Hinblick auf die bevorstehende Entlassung einmal oder zweimal" zu gestatten (§§ 16, 145 und 147 StVG in der ursprünglichen Fassung).
Mit dem Strafvollzugsanpassungsgesetz, BGBl. Nr. 424/1974, wurde die Regelung des Entlassungsvollzuges vor allem dahingehend verändert, daß von der zunächst nur aufgeschobenen Herauslösung der zur Entlassung heranstehenden Strafgefangenen aus dem bisherigen Vollzug und ihrer Unterstellung unter einen besonderen, von dem der übrigen Strafgefangenen getrennten Vollzug endgültig abgesehen wurde. In diesem Zusammenhang wurde auch die gesetzmäßige Verankerung starrer Fristen für den Beginn des Entlassungsvollzuges beseitigt und statt dessen festgelegt, er beginne "je nach dem Ausmaß der zu vollziehenden Freiheitsstrafe drei bis zwölf Monate vor der voraussichtlichen Entlassung". Die Bezeichnung der Berücksichtigung einer voraussichtlichen bedingten Entlassung als "vorzeitige Überstellung" entfiel, und die Zuständigkeit des Vollzugsgerichtes wurde nun dahingehend formuliert, daß es darüber zu entscheiden habe, "ob ein Strafgefangener voraussichtlich bedingt entlassen wird" (§§ 16, 145 StVG in der Fassung BGBl. Nr. 424/1974).
In seiner Kommentierung dieser Rechtslage führte Kunst (StVG, 2. Auflage, 237) u.a. folgendes aus:
"Ein Widerruf der Entscheidung darüber, daß ein Strafgefangener voraussichtlich bedingt entlassen wird, ist nicht vorgesehen. Die Unterstellung des Gefangenen unter den Entlassungsvollzug ist jedoch zu beenden, sobald der Anlaß für die Unterstellung weggefallen ist, z.B. dadurch, daß die bedingte Entlassung bis auf unbestimmte oder doch das zulässige Höchstmaß des Entlassungsvollzuges übersteigende Zeit rechtskräftig abgelehnt oder der Strafgefangene aufs Neue zu einer entsprechend langen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist."
Zur unverändert gebliebenen Regelung über den Ausgang meinte Kunst (aaO 239) unter Hinweis auf die scharf ablehnende Gegenmeinung von Bertel (Anwaltsblatt 1975, 471 (476)), der Ausgang sei "nur im Hinblick auf die bevorstehende Entlassung zu gestatten, also frühestens etwa sechs Wochen vor der Entlassung (vgl. die §§ 20 und 22 des Angestelltengesetzes, BGBl. 1921/292)".
Durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl. Nr. 605, erhielt § 145 StVG seine derzeit geltende Fassung. Die Zuständigkeit des Vollzugsgerichtes zur Fällung einer Entscheidung darüber, ob ein Strafgefangener voraussichtlich bedingt entlassen werde, wurde - durch Streichung des bisherigen dritten Absatzes der Bestimmung und der entsprechenden Ziffer in § 16 StVG - beseitigt und der Einleitungssatz des § 145 Abs. 2 StVG dahingehend umformuliert, daß für den Beginn des Entlassungsvollzuges der Zeitpunkt der voraussichtlichen bedingten Entlassung "maßgebend" sei, wenn "der Anstaltsleiter der Auffassung" sei, der Strafgefangene werde voraussichtlich bedingt entlassen werden. In den Materialien wurde dazu ausgeführt, die Zuständigkeit des Vollzugsgerichtes sei zwar sachgerecht, aber mit einem verhältnismäßig hohen Verfahrensaufwand verbunden gewesen. Es empfehle sich, "die - an sich ohnehin vollzugsinterne - Entscheidung, einen Strafgefangenen im Hinblick auf dessen voraussichtlich zu erwartende bedingte Entlassung in den sogenannten Entlassungsvollzug zu überstellen, dem Anstaltsleiter zu überlassen" (359 BlgNR 17. GP, 55).
Der dritte Absatz des § 145 StVG - der die Zuständigkeit des Vollzugsgerichtes vorgesehen hatte - wurde durch eine Bestimmung folgenden Inhalts ersetzt:
"Sind im Entlassungsvollzug nach § 144 Abs. 2 Lockerungen gewährt worden, so dürfen sie dem Strafgefangenen nicht lediglich deshalb entzogen werden, weil seine bedingte Entlassung abgelehnt worden ist."
Zu dieser Bestimmung findet sich in den Materialien (aaO) folgende Erläuterung:
§ 144 Abs. 2 StVG bestimmt, daß Strafgefangenen im Entlassungsvollzug Lockerungen (Verlängerung der Besuchsdauer, Beschränkung der Überwachung des Besuchsverkehrs, Freigang) zu gestatten sind, wenn von den Gefangenen zu erwarten ist, daß sie diese Lockerungen nicht mißbrauchen werden. Daraus ergibt sich, daß Lockerungen im Falle eines Mißbrauchs widerrufen werden können. Im übrigen enthält das Gesetz keine Vorschrift darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Strafgefangener aus dem Entlassungsvollzug in den allgemeinen Vollzug zurückzuversetzen ist. Da der Entlassungsvollzug höchstens zwölf Monate vor der voraussichtlichen Entlassung beginnen darf, wird eine Zurückversetzung grundsätzlich dann stattfinden müssen, wenn der Strafgefangene neuerlich zu einer Freiheitsstrafe entsprechenden Ausmaßes verurteilt wird. Zweifelhaft könnte dagegen sein, ob eine Rückversetzung auch dann zu erfolgen hat, wenn entgegen der Annahme des Anstaltsleiters das Vollzugsgericht eine bedingte Entlassung zu dem dafür in Aussicht genommenen Zeitpunkt ablehnt. Der Entwurf schlägt vor, diesen Fall ausdrücklich zu regeln, und zwar dahin, daß eine solche Ablehnung für sich allein nicht zum Anlaß genommen werden darf, dem Gefangenen die im Entlassungsvollzug gewährten Lockerungen zu entziehen."
Mit dem Begriff der "Zurückversetzung" wurde in diesen Erläuterungen terminologisch an eine Einrichtung des Stufenstrafvollzuges angeknüpft (vgl. § 142 StVG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 799/1993).
Die Strafvollzugsnovelle 1993, BGBl. Nr. 799, mit der u.a. der Stufenstrafvollzug beseitigt wurde, regelte den im Unterabschnitt über die Vorbereitung der Entlassung vorgesehenen Ausgang neu. Einem Strafgefangenen sind seither auf sein Ansuchen - unter bestimmten weiteren Voraussetzungen - "während des Entlassungsvollzuges ... zur Vorbereitung auf das Leben in Freiheit und zur Ordnung seiner Angelegenheiten ein oder mehrere" Ausgänge zu gestatten (§ 147 Abs. 1 StVG in der geltenden Fassung). In der Regierungsvorlage (946 BlgNR 18. GP, 37 f) wurde diese Neuregelung wie folgt erläutert:
"Das Institut des Ausganges nach § 147 soll dem Verurteilten den Übergang in das Leben außerhalb der Anstalt erleichtern. Diese Zielsetzung und die Voraussetzungen, daß ein Ausgang nur gewährt werden darf, wenn kein Mißbrauch zu besorgen ist und Unterkunft sowie Unterhalt gesichert sind, sollen auch nach der vorgeschlagenen Gesetzesänderung erhalten bleiben. Der Anwendungsbereich des Instituts soll jedoch im Interesse einer besseren Vorbereitung auf das Leben in Freiheit und eines "gleitenden Übergangs" zur Entlassung, der in der Regel zur Gewährleistung der Wiedereingliederung in die Gesellschaft und zur Vermeidung von Rückfallsrisken notwendig oder zweckmäßig ist (und daher insofern auch ungeachtet der neu vorgeschlagenen §§ 99a und 126 Abs. 2 Z. 5), erweitert werden:
Es soll zunächst die Zweckbestimmung des Ausgangs dahin neu formuliert werden, daß dieses Institut "zur Vorbereitung auf das Leben in Freiheit und zur Ordnung seiner (des Strafgefangenen) Angelegenheiten" dient. Ferner wird der derzeitige Gesetzeswortlaut "im Hinblick auf die bevorstehende Entlassung" vielfach dahin ausgelegt, daß ein Ausgang frühestens etwa sechs Wochen vor der Entlassung zu gewähren sei (vgl. Kunst, aaO, Anm. 1 zu § 147). Der Gesetzesvorschlag hält dies für zu eng und stellt daher auf den Entlassungsvollzug ab, der nach § 145 Abs. 1 je nach dem Ausmaß der zu vollziehenden Freiheitsstrafe drei bis zwölf Monate vor der voraussichtlichen Entlassung beginnt. Schließlich soll im Hinblick auf die erweiterte Zweckbestimmung der Einrichtung auch die Möglichkeit geschaffen werden, während dieser abschließenden Phase des Strafvollzuges mehr als zweimal einen Ausgang zu gewähren. Auf diese Weise soll schon vor dem Entlassungszeitpunkt vor allem die Möglichkeit geschaffen werden, Probleme wie die Arbeits- und Wohnungssuche anzugehen, aber auch die Wiederaufnahme wichtiger sozialer Kontakte vorzubereiten. Damit soll die unter dem Gesichtspunkt der Rückfallsgefahr besonders kritische Zeit unmittelbar nach der Entlassung möglichst entlastet werden."
Bei Berücksichtigung dieser Rechtsentwicklung und der mit den einzelnen Änderungen verfolgten Absichten des Gesetzgebers kann der belangten Behörde nicht Recht gegeben werden, wenn sie meint, bei einem in den Entlassungsvollzug überstellten Strafgefangenen brauche auf ein Ansuchen im Sinne des § 147 Abs. 1 StVG nicht weiter eingegangen zu werden, wenn eine bedingte Entlassung in den nächsten zwölf Monaten - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den beantragten Ausgang - wegen der Spruchpraxis der Vollzugsgerichte nicht zu erwarten sei:
Ob eine bedingte Entlassung zu erwarten ist, hat der Anstaltsleiter zu beurteilen, wenn er die Überstellung in den Entlassungsvollzug verfügt. Hat er dies - wie im vorliegenden Fall, wobei er nach der Gesetzeslage davon ausgehen mußte, der Beschwerdeführer werde voraussichtlich gemäß § 46 Abs. 1 StGB bedingt entlassen werden - getan und entsprechend der von ihm diesfalls zu beachtenden Anordnung des § 144 Abs. 2 StVG unter den dort vorgesehenen Voraussetzungen eine oder mehrere der im § 126 StVG erwähnten Lockerungen gewährt, so dürfen diese nach der ausdrücklichen Anordnung des § 145 Abs. 3 StVG dem Strafgefangenen nicht bloß deshalb, weil seine bedingte Entlassung (gemeint: in der Folge) abgelehnt worden ist, wieder entzogen werden. Diese Regelung schließt es auch aus, daß gewährte Lockerungen schon vor dem Vorliegen einer ablehnenden Entscheidung über die bedingte Entlassung - wie sie im vorliegenden Fall, bezogen auf § 46 Abs. 1 StGB, einige Monate nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides erging - bloß deshalb entzogen werden, weil der Anstaltsleiter oder die belangte Behörde die Aussichten auf eine bedingte Entlassung nun anders einschätzt als im Zeitpunkt der Überstellung des Strafgefangenen in den Entlassungsvollzug. Durch die Regelung des § 145 Abs. 3 StVG hat der Gesetzgeber auch zu erkennen gegeben, daß er im Falle einer falschen Beurteilung der Aussichten auf eine bedingte Entlassung bei der Überstellung in den Entlassungsvollzug einer Überschreitung der für diesen vorgesehenen Höchstdauer gegenüber seinem Abbruch nach Vorliegen einer ablehnenden Entscheidung über die bedingte Entlassung den Vorzug gibt.
Diese in der Frage des Entzuges gemäß § 144 Abs. 2 StVG gewährter Lockerungen völlig eindeutige Präferenz des Gesetzgebers muß - entgegen dem in dieser Hinsicht differenzierenden Rechtsstandpunkt der belangten Behörde in der Gegenschrift - in Anbetracht der Änderungen durch die Strafvollzugsnovelle 1993 auch bei der Entscheidung über Ausgänge gemäß § 147 Abs. 1 StVG Beachtung finden. In bezug auf derartige Ausgänge hat der Gesetzgeber nämlich nun eine Regelung getroffen, die sowohl ihrem Wortlaut als auch den damit verfolgten Zielen nach in zeitlicher Hinsicht - bezogen auf die Entlassung - nur darauf abstellt, ob sich der Strafgefangene im Entlassungsvollzug befindet, und in bezug auf die Zwecke des Ausganges bewußt davon abgerückt ist, diesen auf die Ordnung der Angelegenheiten des Strafgefangenen im Hinblick auf die "bevorstehende" Entlassung zu beschränken. Wenn zugleich konsequenterweise und mit dem ausdrücklichen Hinweis, daß dies "im Hinblick auf die erweiterte Zweckbestimmung" geschehe, die Beschränkung der Zahl der Ausgänge auf höchstens zwei beseitigt wurde, so kann nicht daran gezweifelt werden, daß dem Strafgefangenen das Recht auf Ausgänge gemäß § 147 Abs. 1 StVG für die gesamte Phase des Entlassungsvollzuges und nicht nur für die Zeit kurz vor der Entlassung eingeräumt werden sollte. Der Wortlaut der neuen Regelung ("während des Entlassungsvollzuges") läßt auch keinen Spielraum für die in der Gegenschrift geäußerte Ansicht der belangten Behörde, im Falle eines Irrtums des Anstaltsleiters bei der Überstellung eines Strafgefangenen in den Entlassungsvollzug sei der Strafgefangene zwar gemäß § 145 Abs. 3 StVG "nicht aus dem Entlassungsvollzug zu nehmen", doch stehe ihm ein Ausgang im Sinne des § 147 Abs. 1 StVG "erst dann" zu, wenn der Anstaltsleiter - gemeint: im Zeitpunkt der Entscheidung über den Ausgang noch immer - der Ansicht sei, die bedingte Entlassung stehe in drei bis zwölf Monaten - bezogen auf den Zeitpunkt der Überstellung in den Entlassungsvollzug - bevor, oder wenn er zumindest meine, diese Voraussetzung sei in bezug auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Ausgang erfüllt. Eine solche Betrachtungsweise käme hinsichtlich des Ausganges gemäß § 147 Abs. 1 StVG einem Widerruf der Überstellung in den Entlassungsvollzug gleich und würde nicht nur angesichts des Gesetzeswortlautes den Ausspruch dieses Widerrufes voraussetzen, sondern in bezug auf die dazu erforderliche Annahme der Zulässigkeit eines solchen Widerrufes (aus den im vorliegenden Fall relevierten Gründen) auch den der Regelung des § 145 Abs. 3 StVG zugrunde liegenden Wertungen des Gesetzgebers klar zuwiderlaufen.
Die Prüfung von Ansuchen gemäß § 147 Abs. 1 StVG hat in einem Fall wie dem vorliegenden daher nicht unmittelbar bei der Frage einzusetzen, ob die Überstellung in den Entlassungsvollzug noch als richtig erachtet wird, sondern sich unter Beachtung der Tatsache, daß dem Strafgefangenen "während des Entlassungsvollzuges" Ausgänge im Sinne der genannten Gesetzesbestimmung zustehen, an den übrigen in ihr normierten Voraussetzungen zu orientieren. Hiezu bedarf es einer Beurteilung des angegebenen Zwecks des beantragten Ausganges, der Gefahr eines Mißbrauches und der Sicherung von Unterkunft und Unterhalt für die Zeit des Ausganges. Entspricht das Ansuchen unter diesen Gesichtspunkten den Voraussetzungen des § 147 Abs. 1 StVG, so schadet es nicht, wenn seit der Überstellung in den Entlassungsvollzug aufgrund einer entsprechenden Entscheidung des Vollzugsgerichtes oder auch ohne eine solche erkannt wurde, daß etwa mit einer bedingten Entlassung nicht gemäß § 46 Abs. 1, sondern nur gemäß § 46 Abs. 2 StGB zu rechnen sei. Ein solcher Umstand kann nicht unter dem Gesichtspunkt der zeitlichen Ferne der Entlassung als solcher, sondern nur unter dem der - durch die Strafvollzugsnovelle 1993 erweiterten - Zwecke, für die Ausgänge nach § 147 Abs. 1 StVG zu gestatten sind, allenfalls berücksichtigt werden. Dies setzt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Begründung des Ansuchens voraus.
Da die belangte Behörde dies nicht erkannt und sich mit dem Ansuchen des Beschwerdeführers daher nicht weiter befaßt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Zuspruch des Aufwandersatzes in der beantragten Höhe gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Auslegung Allgemein authentische Interpretation VwRallg3/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996200630.X00Im RIS seit
11.07.2001