TE Vfgh Erkenntnis 1996/2/26 B3174/95

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Veröffentlicht am 26.02.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung von Anträgen auf Verlängerung von Aufenthaltsbewilligungen mangels gesicherten Lebensunterhalts; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin, zuhanden ihres bevollmächtigten Vertreters, die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine jugoslawische Staatsangehörige, lebt seit ihrer Geburt (1966) in Österreich, uzw. im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern im Alter von 4 und 9 Jahren; nach den unwidersprochen gebliebenen Beschwerdebehauptungen erkrankte sie 1994 an Schilddrüsenkrebs. Am 28.6.1994 beantragte sie die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres unter Berufung auf §5 Abs1 AufG mit der Begründung abgewiesen, daß der Lebensunterhalt der vierköpfigen Familie durch den Anspruch der Beschwerdeführerin auf Kranken- bzw. Arbeitslosengeld allein - ein Einkommensnachweis des Ehemannes sei nicht vorgelegt worden - nicht gesichert sei und die von insgesamt sechs Personen bewohnte, aus Kabinett und Küche bestehende Dienstwohnung eines Dritten keine für Inländer ortsübliche Unterkunft darstelle; mangels Nachweis der Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhaltes wögen die öffentlichen Interessen unverhältnismäßig schwerer als die privaten Interessen der Beschwerdeführerin.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

3. Der belangte Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid greift in das der Beschwerdeführerin gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - und unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihm verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen zu schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung (weil etwa eine Familienzusammenführung verhindert wird), in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

2. Die belangte Behörde hat sich im vorliegenden Fall einer in Österreich geborenen, mit Ehemann und Kindern in Österreich lebenden Fremden, die infolge einer schweren Erkrankung derzeit keiner Berufstätigkeit nachgeht, - ohne auf die persönliche und familiäre Situation der Beschwerdeführerin näher einzugehen - darauf beschränkt, die Verlängerung der Bewilligung lediglich unter Hinweis auf die aktuelle finanzielle Lage der Beschwerdeführerin, nämlich den Bezug von Kranken- bzw. Arbeitslosengeld, sowie die - allerdings nicht im einzelnen ermittelte - Wohnsituation zu versagen. Damit hat sie die iS des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

IV.                                 Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B3174.1995

Dokumentnummer

JFT_10039774_95B03174_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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