TE Lvwg Erkenntnis 2020/8/20 VGW-031/005/9291/2020

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Veröffentlicht am 20.08.2020
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Entscheidungsdatum

20.08.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren
90/01 Straßenverkehrsordnung

Norm

VStG §45 Abs1 Z1
StVO 1960 §76 Abs1

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Verwaltungsgericht Wien hat durch die Richterin Dr. Hason über die Beschwerde des Herrn A. B. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien, Polizeikommissariat …, vom 22.06.2020, GZ: VStV/..., betreffend eine Verwaltungsübertretung nach der StVO 1960,

zu Recht e r k a n n t:

I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG eingestellt.

II. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof durch die vor dem Verwaltungsgericht Wien belangte Behörde unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Verfahrensgang

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der belangten Behörde wurde dem Beschwerdeführer Folgendes zur Last gelegt:

„1.

Datum/Zeit:                  11.06.2020, 09:55 Uhr

Ort:             Wien, C.-gasse

Sie haben als Fußgänger den vorhandenen Gehsteig nicht benützt.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

1. § 76 Abs. 1 StVO

Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:

Geldstrafe von      falls diese uneinbringlich ist,  Freiheitsstrafe von    Gemäß Ersatzfreiheitsstrafe von

1. € 70,00   1 Tag 8 Stunden      § 99 Abs. 3 lit.a StVO

Weitere Verfügungen (zB Verfallsausspruch, Anrechnung von Vorhaft):

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen:

€ 10,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, jedoch mindestens € 10,00 für jedes Delikt (je ein Tag Freiheitsstrafe wird gleich € 100,00 angerechnet).

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher

€ 80,00.“

Begründend führte die belangte Behörde dazu aus, die Verwaltungsübertretung ergebe sich aus den eigenen Angaben des nunmehrigen Beschwerdeführers. Es sei zwar korrekt, dass ein Radfahrer den Gehsteig nicht benützen dürfe, in der Anzeige habe der Beschwerdeführer aber überdies angegeben, dass er sein Fahrrad vor dem PKW des Gegenbeteiligten abgestellt habe und anschließend zu Fuß – und somit als Fußgänger – zu dessen Fenster gegangen sei, um ihn zur Rede zu stellen. Da der Beschwerdeführer in diesem Zeitpunkt nicht mehr als Radfahrer, sondern als Fußgänger zu qualifizieren gewesen sei, habe er den Tatbestand des § 76 Abs. 1 StVO erfüllt.

In der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde schilderte der Beschwerdeführer den Vorfall mit dem PKW-Lenker und führte insbesondere Folgendes zum Abstellen seines Fahrrades aus:

„An der roten Ampel C.-gasse/D.-straße bleibe ich neben dem Fahrzeuglenker, der nach links abbiegen möchte, stehen (ich will auch nach links abbiegen), und mache mich durch Klopfen an der Beifahrerseite bemerkbar, um ihm klarzumachen, dass er mich als Radfahrer kurz davor beim Einbiegen verkehrswidrig ignoriert hat. Der Autofahrer ignoriert mich aber auch dabei und schaut demonstrativ weg. Die Ampel schaltet auf grün, die Linksabbieger haben noch Wartepflicht, deshalb können die Autolenker nur etwa eine Wagenlänge vorfahren. Ich fahre vor sein Auto. Jetzt bemerkt mich der Lenker natürlich. Ich muss mich aber immer wieder zur Ampel wenden und in einem solchen Augenblick fährt der Autolenker über die rechte Abbiegespur viel zu knapp am Fahrrad vorbei, mit einem engen Einschlag wieder nach links und reißt dadurch mein Rücklicht ab. Ich war perplex glücklicherweise konnte ich mir sein Kennzeichen merken und bin zur Polizei am E. gegangen.“

Die belangte Behörde verzichtete auf die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung und legte dem Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde gemeinsam mit dem erstinstanzlichen Verwaltungsstrafakt zur Entscheidung vor.

II. Sachverhalt

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens wird der im angefochtenen Straferkenntnis vom 22.06.2020, zur GZ: VStV/... umschriebene Sachverhalt, insofern als erwiesen festgestellt, als bestätigt wird, dass der Beschwerdeführer am 11.06.2020 um 09:55 Uhr im Bereich der Kreuzung im Bereich der Adresse „ Wien, C.-gasse“ sein Fahrrad nach einer Auseinandersetzung mit einem Fahrzeuglenker, unmittelbar vor dessen Fahrzeug abstellte und daraufhin zum Fenster des Fahrzeuges ging, um den Fahrzeuglenker zur Rede zu stellen.

III. Beweiswürdigung

Durch das Verwaltungsgericht Wien wurde in den erstinstanzlichen Verwaltungsstrafakt sowie in das Beschwerdevorbringen Einsicht genommen.

Die hg. getroffenen Feststellungen decken sich inhaltlich mit den Feststellungen der belangten Behörden im angefochtenen Straferkenntnis. Der im angefochtenen Straferkenntnis festgestellte Sachverhalt gründet wiederum auf den eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Zuge der Anzeigelegung bei der belangten Behörde am 11.06.2020. Diese Angaben stehen im Einklang mit den ausführlichen Erläuterungen zum Vorfall in der Beschwerde. Anhaltspunkte für gegenteilige Annahmen konnte dem Akteninhalt hingegen nicht entnommen werden, weshalb sich die Feststellungen der belangten Behörde als zutreffend erwiesen.

IV. Rechtsgrundlagen

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl. Nr. 159/1960 idF BGBl. I Nr. 24/2020 lauten auszugsweise:

„§ 76. Verhalten der Fußgänger.

(1) Fußgänger haben, auch wenn sie Kinderwagen oder Rollstühle schieben oder ziehen, auf Gehsteigen oder Gehwegen zu gehen; sie dürfen nicht überraschend die Fahrbahn betreten. Sind Gehsteige oder Gehwege nicht vorhanden, so haben Fußgänger das Straßenbankett und, wenn auch dieses fehlt, den äußersten Fahrbahnrand zu benützen; hiebei haben sie auf Freilandstraßen, außer im Falle der Unzumutbarkeit, auf dem linken Straßenbankett (auf dem linken Fahrbahnrand) zu gehen. Benützer von selbstfahrenden Rollstühlen dürfen Gehsteige, Gehwege und Fußgängerzonen in Schrittgeschwindigkeit befahren. (…)“

StVO BGBl. Nr. 159/1960 idF BGBl. I Nr. 39/2013:

§ 99. Strafbestimmungen.

(1) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe von 1600 Euro bis 5900 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von zwei bis sechs Wochen, zu bestrafen,

a) wer ein Fahrzeug lenkt oder in Betrieb nimmt, obwohl der Alkoholgehalt seines Blutes 1,6 g/l (1,6 Promille) oder mehr oder der Alkoholgehalt seiner Atemluft 0,8 mg/l oder mehr beträgt,

b) wer sich bei Vorliegen der in § 5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen oder sich vorführen zu lassen, oder sich bei Vorliegen der bezeichneten Voraussetzungen nicht der ärztlichen Untersuchung unterzieht

[…]

3) Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen,

         a)       wer als Lenker eines Fahrzeuges, als Fußgänger, als Reiter oder als Treiber oder Führer von Vieh gegen die Vorschriften dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs. 1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b, 2c, 2d, 2e oder 4 zu bestrafen ist.“

V. Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 76 Abs. 1 StVO haben Fußgänger, auch wenn sie Kinderwagen oder Rollstühle schieben oder ziehen, auf Gehsteigen oder Gehwegen zu gehen und dürfen nicht überraschend die Fahrbahn betreten. Aus § 76 Abs 1 erster Teilsatz StVO ergibt sich somit für Fußgänger das grundsätzliche Gebot des Gehens auf Gehsteigen oder Gehwegen (VwGH 29.05.1998, 95/02/0438). Wesentliches Tatbestandsmerkmal der Verwaltungsübertretung nach § 76 Abs 1 StVO ist dabei, dass der Beschuldigte die Fahrbahn im konkreten Fall als Fußgänger benützt hat, "obwohl ein Gehsteig vorhanden war" (VwGH 22.03.1989, 85/18/0084).

Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Beschwerdeführer vorgeworfen, dass er als Fußgänger nicht den vorhandenen Gehsteig benutzt und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 76 Abs. 1 StVO begangen habe. Die belangte Behörde sah den Tatbestand des § 76 Abs. 1 StVO als erfüllt an, da der Beschwerdeführer sein Fahrrad vor dem Fahrzeug des gegenbeteiligten Fahrzeuglenkers abstellte und danach zu dessen Fenster ging, um ihn zur Rede zu stellen. Durch das Abstellen des Fahrrades habe der Beschwerdeführer seine Eigenschaft als zur Benützung der Fahrbahn berechtigter Radfahrer verloren und sei fortan als Fußgänger zur Benützung des dort befindlichen Gehsteiges verpflichtet gewesen.

Der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde steht jedoch die einschlägige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entgegen. Demnach ist Fußgänger im Sinne des § 76 Abs. 1 StVO, wer losgelöst von einem Verkehrsmittel den Weg zu Fuß zurücklegt (VwGH 29.05.1998, 95/02/0438). In diesem Zusammenhang hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass ein Lenker, der seinen Kraftwagen anhält, diesen verlässt, sich aber unmittelbar - ohne den Weg zu Fuß fortzusetzen - bei diesem aufhält, in der Regel Lenker im weiteren Sinn des Wortes bleibt und daher auch noch nicht den für den Fußgängerverkehr geltenden Bestimmungen der StVO unterliegt (VwGH 29.05.1998, 95/02/0438).

Diese, für Lenker von Kraftfahrzeugen entwickelte, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes auch auf den gegenständlichen Fall anwendbar. Nachdem der Beschwerdeführer sein Fahrrad vor dem Fahrzeug des Gegenbeteiligten abstellte, setzte er seinen (eigentlichen) Weg nicht fort. Vielmehr begab er sich lediglich zum Fahrerfenster des Fahrzeuges, um den Gegenbeteiligten zur Rede zu stellen. Dabei hielt er sich durchwegs in unmittelbarer Nähe seines Fahrrades auf. Aufgrund dessen behielt der Beschwerdeführer im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seine Eigenschaft als Radfahrer, weshalb er während des verfahrensgegenständlichen Vorfalls, nicht den für den Fußgängerverkehr geltenden Bestimmungen der StVO unterlag. Das Verhalten des Beschwerdeführers war daher im Ergebnis nicht geeignet, den objektiven Tatbestand der lediglich für Fußgänger geltenden Bestimmung des § 76 Abs. 1 StVO zu erfüllen.

Da das Verhalten des Beschwerdeführers keine Verwaltungsübertretung bildet, war das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren nach der Bestimmung des § 45 Abs. 1 Z 1 VStG, die gemäß § 38 VwGVG auch in Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten zur Anwendung kommt, einzustellen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Spruch zitierte Gesetzesstelle.

Da im gegenständlichen Fall somit bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass das mit Beschwerde angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG entfallen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Fußgänger; Gehsteig; Fahrbahn; Betreten; Fahrzeug

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGWI:2020:VGW.031.005.9291.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Wien LVwg Wien, http://www.verwaltungsgericht.wien.gv.at
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