TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/2 W272 2181844-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.04.2020
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Entscheidungsdatum

02.04.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W272 2181844-1/37E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Braunstein als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den RA Dr.Dr. Rainer Lukits, LLM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Salzburg, vom 24.11.2017, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und dem Beschwerdeführer wird gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gem. § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung in der Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 06.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (in der Folge AsylG).

2. Am 07.12.2015 wurde der BF einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei er zunächst zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt angab, am XXXX geboren und ledig zu sein. Er bekenne sich zur Glaubensrichtung des Islam und gehöre der Volksgruppe der Hazara an. Seine Muttersprache sei Farsi, er habe 7 Jahre die Grundschule besucht. Seine Mutter lebe im Iran, sein Vater sei unbekannten Aufenthaltes, er habe noch eine Schwester. In Afghanistan habe er in der Provinz Ghazni in XXXX gelebt, seit 2003 habe er in Teheran im Iran gewohnt. Als Fluchtgrund gab er an, dass er im Iran nicht lernen könne, da er Afghane sei und keinen Ausweis habe. Er sei außerdem von zu Hause hinausgeworfen worden, da er nicht gefastet und gebetet habe. Bei einer Rückkehr habe er dort keine Zukunft, weil er hinausgeworfen worden sei und nicht zur Schule gehen könne. Über Afghanistan könne er nichts sagen, da er noch klein gewesen sei, als sie Afghanistan verlassen hätten.

3. Am 13.11.2017 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Dabei gab er an, dass er mit etwa zwei oder drei Jahren in den Iran gekommen sei. Seine verheiratete Schwester sowie seine Mutter würden nach wie vor dort leben. Über das Telefon halte er Kontakt zu ihnen. In Österreich habe eine Lehre als Koch begonnen. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab er an, dass sein Vater verschwunden sei und seine Schwester daher einen Mann namens XXXX heiraten habe müssen, der ihren Lebensunterhalt finanziert habe. Anfänglich habe er noch die Schule und die Unterhaltskosten bezahlt, irgendwann habe er aber erklärt, dass er sich das nicht mehr leisten könne und der BF zu arbeiten beginnen müsse. Er sei aber zu jung gewesen, um eine Arbeit zu finden. Eines Tages habe sein Schwager ihn dann mit einer kleinen Tasche vor die Türe gesetzt. Er habe fünf oder sechs Tage auf der Straße schlafen müssen, bevor er für einige Tage bei einem Freund untergekommen sei. Seine Schwester habe dann jemanden arrangiert, der ihn nach Europa gebracht habe. Befragt, warum er nicht zurück nach Afghanistan gegangen sei, gab er an, dass es Stammeskämpfe gebe und alle gegen Hazara seien. Er sei auf seiner Flucht auch einmal von einer Gruppe Paschtunen verfolgt worden. In Afghanistan habe er weder Sicherheit noch eine Unterkunft. Er würde als Flüchtling verfolgt und umgebracht werden.

Vorgelegt wurden:

* Kopie der Schulnachricht der Neuen Mittelschule Strobl

* Kopie des Jahreszeugnisses der neuen Mittelschule Strobl

* Kopie des ÖSD A1 Zertifikates

* Teilnahmebestätigung Deutschkurs A1

* Stellungnahme von Pier 47

* zwei Empfehlungsschreiben

* Bestätigung der Teilnahme an der Stabilisierungsgruppe des Trauma Hilfe-Zentrums Salzburg

* Teilnahmebestätigung eines Workshops

* Kopie eines Lehrvertrags

* Kopie einer Bescheidausfertigung des AMS

4. Mit Bescheid vom 24.11.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und dem BF der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zusammengefasst aus, dass der BF keine ihn betreffende aktuelle, individuelle Bedrohungs- bzw. Gefährdungslage in Afghanistan vorgerbacht habe. Er habe nur in vager Weise angeführt, dass seine Eltern eventuell Probleme mit deren Familien gehabt haben hätten können. Die vom BF geltend gemachten, schwierigen Lebensumstände im Iran seien zwar glaubhaft, aber kein Grund zur Erlangung eines Titels auf internationalen Schutz. Das auch vor allem deswegen, da sich der Verdacht aufdränge, den Iran lediglich aus rein wirtschaftlichen Gründen verlassen zu haben. Da Ghazni zu den volatilen Provinzen Afghanistans gehöre, sei eine Rückkehr dorthin jedenfalls nicht zumutbar. Dem BF stehe jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul offen. Der BF sei dort keiner Gefährdung über dem Maße der Normalität ausgesetzt. Er verfüge über eine siebenjährige Schulbildung und habe bereits Arbeitserfahrung als Kochlehrling sammeln können, darüber hinaus spreche er die Landessprache, sei männlich, jung und gesund.

5. Mit Schriftsatz vom 27.12.2017 erhob der BF fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Der BF brachte vor, dass sich die Behörde keineswegs mit seinem Vorbringen auseinandergesetzt habe. Der Bescheid bestehe lediglich aus Textbausteinen, ohne auf die individuelle Situation des BF einzugehen. Der BF habe seine Heimat Afghanistan bereits mit 2 oder 3 Jahren verlassen, verfüge über keine familiären Anknüpfungspunkte und habe im Alter von 14 Jahren seine Flucht nach Europa antreten müssen. Die Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt sowie unrichtige und unvollständige Feststellungen getroffen. Der Bescheid setze sich nicht mit den Lebensumständen von minderjährigen Waisen in Afghanistan auseinander. Auch der Umstand, dass es sich beim BF um einen unmündigen Minderjährigen handelt, sei in keiner Weise gewürdigt worden. Die Berücksichtigung des Kindeswohls sei eine vorrangige Erwägung. Angesichts des Alters und der Tatsache, dass er nicht in Afghanistan sozialisiert sei, sei der BF einer Vielzahl von Gefahren, wie etwa der Entführung zum Zweck der Sklavenarbeit oder Organentnahme, Zwangsrekrutierung oder einem Dasein als Straßenkind, ausgesetzt. Eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul sei aufgrund der dort vorherrschenden Umstände nicht gegeben.

6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 26.03.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der BF gab zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt an, dass er Schiit gewesen sei, jetzt sei er aber Protestant. Er gehe jeden Sonntag in die Kirche und bete. Er habe seine Religion geändert und müsse in die Kirche gehen. Nach erneuter Befragung gab er an, dass es sich manchmal nicht ausgehe und er nur einmal im Monat, manchmal auch nur alle zwei Monate in die Kirche gehe. Er sei kein strenggläubiger Moslem gewesen. Gewechselt habe er die Religion, weil es in seiner Religion keine Gleichberechtigung von Mann und Frau gegeben habe und überall wo Krieg war, von Allah und dem Islam gesprochen worden sei. Er wolle keiner Religion angehören, aufgrund derer sich Menschen gegenseitig töten. Im Islam dürfe man mit 18 nicht selbst über seine Religion entscheiden, bei Protestanten und Katholiken glaublich schon. Er habe sich mit etwa 17 Jahren taufen lassen. Davor habe er an vier oder fünf Sitzungen der Gemeinde Christi teilgenommen. Um weitere Fragen beantwortet zu bekommen, habe er sich taufen lassen müssen. Er habe außerdem von Freunden gehört, dass es eine Religion sei, von der man sich seelisch leichter fühlen würde, er habe einen Film angesehen und Musik darüber gehört. In die Kirchen gegangen sei er, weil seine Freunde das gemacht hätten und ihm gesagt hätten, dass er mitgehen solle. Davor habe er kein Eigeninteresse gehabt, seine Religion zu ändern. Er wisse noch nicht sehr viel über seine neue Religion und müsse noch viel lernen. Bis dato habe er keine richtige Kirche gesehen. In Afghanistan würde er versuchen, andere Leute für das Christentum zu gewinnen, er würde aber nur Personen, denen er wirklich vertraut sagen, dass er Christ sei. Aufgrund der schlechten körperlichen Verfassung des BF wurde die Verhandlung vertagt.

Vorgelegt wurden:

* Taufzertifikat vom 02.06.2018 von der Gemeinde Christi

* Empfehlung vom Verein für Mission und Asylkommunikation der Gemeinde Christi

* Deutsch A2-Zertifikat

* Entwicklungsbericht

* Stellungnahme von Pier 47 vom 18.03.2019

* Empfehlungsschreiben der Wirtin XXXX

7. Am 01.04.2019 langte ein Schreiben mit Anmerkungen zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.03.2019 ein, dass aufgrund der körperlichen Verfassung des BF nicht rückübersetzt werden konnte. Es wurden mehrere Anmerkungen zum Protokoll vorgebracht.

8. Am 29.05.2019 wurde die am 26.03.2019 unterbrochene mündliche Verhandlung fortgesetzt. Nach einem Gespräch am Vortag der Verhandlung mit dem Rechtsvertreter des BF wollte dieser ein neues Vorbringen erstatten. Er sei, etwa 9 oder 10 Monate, nachdem sein Vater verschwunden sei, in einem Park von iranischen Männern mit Messern bedroht und mitgenommen worden. Diese hätten ihn komplett ausgezogen und vergewaltigt. Nach diesem Vorfall habe er beschlossen, das Land zu verlassen. Seit diesem Vorfall leide er an starken Kopfschmerzen. Zu seinen persönlichen Lebensumständen befragt gab der BF an, dass er seit ca. einem Jahr dem protestantischen Christentum angehöre. Er habe im Iran schon mit einem christlichen Freund über diese Religion gesprochen und sich dafür interessiert. Soweit er es zeitlich schaffe, gehe er jeden Sonntag in die Kirche. Allein sei er bis jetzt noch in keiner Kirche gewesen, weil er Angst habe, dass er nicht hineingehen dürfe. Plätze seien für Familien reserviert, er habe nicht gewusst, wo er platznehmen dürfe. Das letzte Mal habe er vor etwa zwei Monaten eine Veranstaltung seiner Gemeinde besucht. Sie hätten in der Bibel gelesen. Seit seinem Eintritt in die Kirche fühle er sich angenehmer und leichter. Er habe Ruhe in sich gefunden. Bei den Veranstaltungen habe er ein schöneres und besseres Gefühl, als wenn er zu Hause allein bete. Die Eigentümer des Gasthauses, in dem er seine Lehre mache, würden ihm sonntags nicht freigeben, daher könne er an den Veranstaltungen nicht immer teilnehmen. Manchmal schaue er sich aber Filme über Jesus an und lese das heilige Buch. Der Glaube gebe ihm die Ruhe, die er zuvor nicht hatte. Es gebe auch Regeln in seiner Religion, aber er kenne nicht alle Regeln, da er nicht so oft an den Treffen teilgenommen habe. Er kenne ein paar Verbote. Er kenne auch das Fest Pfingsten, warum Ostern gefeiert werde, wisse er nicht. Auch Weihnachten kenne er nicht, da er es noch nicht gelernt habe. Gebete habe er noch keine gelernt, auch die Beichte kenne er nicht.

Vorgelegt wurden drei Verwarnungen des Arbeitgebers aufgrund des wiederholten Zuspätkommens des BF.

9. Am 30.08.2019 langte die angeforderte psychotherapeutische Stellungnahme vom Psychotherapeuten XXXX ein. Die bisherigen Umstände des Lebens des BF im Iran würden der Stellungnahme zufolge eine Symptomatik von Schlafstörungen, Albträumen, Flashbacks und depressiven Episoden bedingen. Die Unsicherheit der Lebenssituation würde eine zusätzliche psychische Belastung darstellen. Der BF sei dringend auf psychotherapeutische Unterstützung bei der Aufarbeitung seiner traumatisierenden Erlebnisse angewiesen, da ansonsten eine Verschlechterung seiner Symptomatik und eine Chronifizierung der Symptome zu erwarten sei. Die Stellungnahme wurde dem BF und der Behörde zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt. Der BF verzichtete auf die Abgabe einer Stellungnahme und die Behörde gab keine Stellungnahme ab.

10. Am 28.11.2019 stellte der Rechtsvertreter des BF einen Vertagungsantrag für eine am 20.12.2019 anberaumte, mündliche Verhandlung. Darüber hinaus gab er bekannt, dass der BF zwischenzeitlich von der Gemeinde Christi zur römische-katholischen Kirche gewechselt sei, weil der frühere Glaubenslehrer der Gemeinde Christi, Herr XXXX , nicht mehr bzw. nur noch selten nach Salzburg kommen würde. Es werde daher die Einvernahme von Herrn Dipl.-Ing. XXXX als Zeuge beantragt. Des Weiteren wurde bekannt gegeben, dass das Lehrverhältnis des BF in der Zwischenzeit aufgelöst worden sei und dieser nun im Rahmen einer Saisonbeschäftigung als Hilfskoch in einem Lokal in Salzburg tätig sei. Der BF brachte auch eine Stellungnahme zum Länderinformationsblatt der Staatendokumentation ein, in der er vorbrachte, dass seine Heimatprovinz Ghazni zu den gefährlichsten Provinzen Afghanistans gehöre. Bezüglich einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei anzumerken, dass der BF Afghanistan mit zwei oder drei Jahren verlassen habe und daher den größten Teil seines Lebens außerhalb von Afghanistan verbracht habe, daher verfüge er über keine Ortskenntnisse und habe auch keine sozialen wie familiären Anknüpfungspunkte in seinem Heimatstaat. Der BF gehöre außerdem der diskriminierten Volksgruppe der Hazara an. Als Rückkehrer aus einem christlich geprägten Land wäre der BF von Vornherein vom Verdacht geprägt, vom Islam abgefallen zu sein. Aufgrund seines tatsächlichen Glaubensabfalles und der Konversion zum Christentum wäre der BF auch außerhalb seiner Herkunftsregion von Verfolgung bedroht. Der BF sei aufgrund der Vergewaltigung auch erheblich traumatisiert und benötige psychotherapeutische Unterstützung.

Mitvorgelegt wurden:

* Schreiben von Herrn Dipl.-Ing. XXXX vom 24.11.2019

* Belege Beschäftigung

* EASO Country Guidance, Juni 2018

* Die Presse, 02.06.2019, S. 36-37

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 13.02.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari erneut eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Dabei gab der BF an, etwa 11 Einheiten Psychotherapie bei Frau Mag. XXXX gehabt zu haben, davon habe er etwa 4 bis 5 wahrgenommen. Das letzte Mal sei er im November 2019 dort gewesen, weil er derzeit 6 Tage die Woche 10 Stunden pro Tag arbeite. Zu seinem Glaubensbekenntnis befragt gab der BF an, anfangs der protestantischen Kirche angehört zu haben, jetzt aber zur katholischen Kirchen gewechselt zu haben, weil es die Kirche, der er ursprünglich angehört habe, in Salzburg nicht mehr gebe und er nicht nach Wien fahren könne. Durch Freunde habe er seine neue Kirche gefunden. Er habe den Religionszweig gewechselt, weil er der Meinung sei, dass alle Zweige des Christentums fast die gleichen seien. Da er in Salzburg keine protestantische Kirche kenne, habe er zu einer römisch-katholischen gewechselt. Dort habe er Herrn XXXX kennengelernt. Diesem habe er erzählt, dass er bereits getauft worden sei. Er könne aber noch nicht Wein und Brot mit seiner neuen Gemeinde essen, da er noch so viele offene Fragen habe und noch vieles lernen müsse. Er wisse vieles über das Christentum noch nicht, wolle aber wie ein Christ leben. Er kenne die 10 Gebote und lebe nach diesen, er sei ein guter Mensch. Die Messe besuche er wöchentlich mit Familie XXXX , diese kenne er seit etwa einem Monat. Davor habe er keine Messe besucht. Am meisten störe ihn am Islam die Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Er könne nie wieder nach dem muslimischen Glauben bzw. unter einem muslimischen Staat leben. Vernommen wurden außerdem die Zeugen XXXX und Dipl.-Ing. XXXX . Herr XXXX gab an, dass der BF in den letzten 6 Wochen einmal die Messe bei ihm besucht habe. Ein enges Verhältnis habe er zum BF aber nicht. Seine Gemeinschaft in Salzburg könne der BF nach wie vor besuchen. Herr XXXX sei ehrenamtlich im Bildungszentrum XXXX tätig und habe den BF nach einigen Treffen darin bestärkt, den Job im Gastgewerbe anzunehmen, wodurch der BF jedoch nicht mehr regelmäßig zu den Treffen habe kommen können. Daher habe er ihm im Rahmen einiger 4-Augen-Gespräche auf Deutsch erklärt, wie man im Alltag als Christ lebe. Sein Eindruck sei, dass seine Herzenserkenntnis sei, Christ zu sein, aber seine Bildung noch große Mängel aufweise.

Mitvorgelegt wurden:

* Bestätigung der Psychotherapie-Termine

* Lohnbestätigung November 2019, Dezember 2019 und Jänner 2020

* Kursbesuchsbestätigung B1

* Stellungnahmen zu Apostasie/Konversion, subsidiären Schutz und privaten Familienleben

12. Mit Schreiben vom 17.02.2020 wurde der BF aufgefordert den Arbeitsvertrag, sowie eine Bestätigung des Arbeitgebers über die vom BF angegebenen Arbeitszeiten und aufrechter Beschäftigung vorzulegen, zumal der BF in der mündlichen Verhandlung angegeben hatte: "Ich arbeite 6 Tage die Woche, jeweils 10 Stunden pro Tag von 09:00 bis 19:00 Uhr. Ich habe nur den Sonntag frei" Weiters wurde diese Bestätigung verlangt, zumal die vom BF vorgelegten Lohnbestätigungen in den Monaten November 2019 bis Jänner 2020 eklatant hohe Unterschiede in der Höhe des Monatslohns aufwiesen.

13. Am 12.03.2020 brachte der BF einen Lohnzettel von Februar 2020 sowie eine Stellungnahme ein. Vorgebracht wurde, dass sich der BF durch diverse Fragen während der Einvernahmen vor Gericht unwohl und gekränkt gefühlt habe. Der Richter habe sich auch in der letzten Verhandlung mehrfach abschätzig und zynisch verhalten und psychisch strapazierende Fragen gestellt. Es sei das Recht des BF, seinen Glauben und damit auch die religiöse Gemeinschaft zu wechseln. Der Verkehr zwischen dem Gericht und den Parteien werde nicht streng sachlich geführt. Das Gericht erfülle nicht die in § 7 AVG normierte Unvoreingenommenheit und objektive Einstellung. Es sei auch der psychisch sehr angeschlagene Gesundheitszustand des BF zu berücksichtigen. Weiters gab er an, dass er zwar üblicherweise 6 Tage die Woche von 09-19 Uhr für den Arbeitgeber zu Verfügung stehe, aber die Zeiten seines Einsatzes flexibel sind und er auch längere Pausen habe, von 30 Minuten bis zu mehreren Stunden. Auch komme es vor, dass wenn nachmittags nichts mehr los ist, er gehen könne. Eine Bestätigung durch den Arbeitgeber legte der BF nicht vor.

14. Am 13.03.2020 reichte der BF seinen Arbeitsvertrag nach.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person des BF:

Der volljährige und ledige BF führt den Namen XXXX , ist am XXXX geboren, Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara.

Der BF wurde in der Provinz Ghazni, Distrikt Naur geboren und ist mit seiner Familie mit etwa zwei oder drei Jahren in den Iran übersiedelt, wo er in Teheran gelebt hat. Dort verbrachte er sein Leben bis zur Ausreise nach Österreich. Die Mutter sowie die Schwester und der Schwager des BF leben nach wie vor im Iran. Der Vater des BF ist unbekannten Aufenthaltes. Für den Lebensunterhalt des BF kam nach dem Verschwinden des Vaters der Schwager auf. Zu seiner Schwester und seiner Mutter hat der BF regelmäßig Kontakt. Der BF hat keine Angehörigen in Afghanistan. Die Eltern des BF kamen aus einer Stadt in Ghazni. Der BF hat kein Naheverhältnis zum Geburtsort.

Der BF besuchte 6 Jahre lang eine afghanische Schule im Iran. Seine Muttersprache ist Dari.

Er reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 06.12.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF leidet an starken Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Albträumen, Flashbacks und depressiven Episoden. Der BF ist auf psychotherapeutische Unterstützung bei der Aufarbeitung seiner traumatisierenden Erlebnisse angewiesen, da ansonsten eine Verschlechterung seiner Symptomatik und eine Chronifizierung der Symptome zu erwarten ist. Er nimmt aus diesem Grund an psychotherapeutischen Sitzungen teil.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

Er hat in Österreich mehrere Deutschkurse bis Niveau B1 besucht und die Prüfungen für Niveau A1 und A2 abgelegt. Er hat außerdem die Neuen Mittelschule Strobl besucht eine Lehre als Koch begonnen. Derzeit arbeitet der BF als Küchenaushilfe.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Das vom BF ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen konnte nicht festgestellt werden. Nicht als Sachverhalt zugrunde gelegt werden sämtliche Angaben des BF zur behaupteten Bedrohungssituation in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan. Es wird festgestellt, dass der BF keiner konkreten Verfolgung bzw. Bedrohung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder als Rückkehrer von Seiten der Taliban oder durch den afghanischen Staat ausgesetzt ist oder eine solche im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht zu befürchten hätte.

Es wird festgestellt, dass der BF in Österreich nicht zum Christentum konvertiert ist und ihm deshalb keine Verfolgung in Afghanistan droht. Der BF hat sich nicht in einer für die Außenwelt erkennbaren Weise vom islamischen Glauben losgelöst. Ein Religionswechsel aus innerer Überzeugung liegt daher nicht vor. Das Christentum ist nicht wesentlicher Bestandteil der Identität des BF geworden. Der Beschwerdeführer nimmt keine religiösen Praktiken i.S.d Islam vor, insbesondere fastet er nicht (im Monat Ramadan) und besucht keine Moschee. Ein innerer Entschluss, nach Rückkehr nach Afghanistan nach außen wahrnehmbar konkret kundzutun, er sei nicht mehr gläubig (bzw. sich allenfalls als "Atheist" zu bezeichnen) ist nicht festzustellen. Ebenso besteht beim Beschwerdeführer kein innerer Entschluss, nach außen hin Handlungen oder Maßnahmen gegen den Islam zu setzen, insbesondere sich gegen die Religion des Islam zu äußern.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF seinem derzeitigen Interesse für das Christentum im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen würde. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF sein derzeitiges Interesse für das Christentum im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nach außen zur Schau tragen würde.

Eine konkrete Bedrohung oder Verfolgung gegen den BF aus anderen Gründen ist nicht hervorgekommen und zwar weder aufgrund des Vorbringens noch aus amtswegiger Wahrnehmung.

Der BF wurde nicht wegen Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht oder verfolgt.

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF in sein Herkunftsland:

Es wird festgestellt, dass der BF im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seine Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter keiner Gefährdung ausgesetzt ist.

Weiters wird festgestellt, dass der BF auf Grund der Tatsache, dass er vorwiegend sein Leben im Iran verbrachte und sich in der Folge in Europa aufgehalten hat, in Afghanistan keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt ist. Die kulturellen Gepflogenheiten von afghanischen Staatsangehörigen sind dem BF bekannt.

Der BF kennt sich nicht mit den örtlichen kulturellen Gegebenheiten in Afghanistan aus.

Der BF hat keine konkrete Herkunftsprovinz, zu welchem er ein Naheverhältnis hat, sodass eine Erstansiedelung in allen Teilen Afghanistan für ihn möglich ist. So ist eine Erstansiedelung in Mazar-e Sharif oder Herat möglich. Bei Annahme der Herkunftsprovinz Ghazni in einer Stadt würde er bei einer Rückkehr, aufgrund der dort herrschenden volatilen Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen und wäre dort infolge willkürlicher Gewalt einer Bedrohung bzw. einer Gefährdung seines Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt.

Dem BF steht grundsätzlich aufgrund der Sicherheitslage dann eine innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative und eine Rückkehr in die Städte Mazar-e-Sharif oder Herat zur Verfügung, obwohl in diesen beiden Städten eine angespannte Situation vorherrscht. Es ist ihm jedoch nicht möglich ohne Gefahr grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befrieden zu können bzw. ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem BF würde bei seiner Rückkehr in eine dieser Städte ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Der BF ist im Iran aufgewachsen und hat keine Kontakte in Afghanistan und keine soziale oder familiäre Unterstützung in den genannten Städten. Die finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe und - integration ist derzeit nur minimal und würden ihn nur minimal und anfänglich ein Ersatz für die fehlende soziale und familiäre Unterstützung sein. Der BF ist psychisch labil, weshalb nicht gewährt werden kann, dass er selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen wird können, auch wenn er zumindest vorrübergehend verschiedene Hilfsprogramme in Anspruch nehmen könnte, die ihn bei der Ansiedlung in Mazar- e Sharif oder Herat unterstützen würden. Afghanistan befindet sich am Anfang der Ausbreitung der Corona-Pandemie und tausende Menschen flüchten aus dem Iran nach Afghanistan.

Es ist dem BF nicht möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Der Richter stellt fest, dass er nicht befangen ist.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019:

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

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Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

Jahr

Tote

Verletzte

Insgesamt

2009

2.412

3.557

5.969

2010

2.794

4.368

7.162

2011

3.133

4.709

7.842

2012

2.769

4.821

7.590

2013

2.969

5.669

8.638

2014

3.701

6.834

10.535

2015

3.565

7.470

11.035

2016

3.527

7.925

11.452

2017

3.440

7.019

10.459

2018

3.804

7.189

10.993

2019*

2.563*

5.676*

8.239*

Insgesamt

32114

59561

91675

* 2019: Erste drei Quartale 2019 (1.1.-30.9.2019)

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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