TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/28 W241 2124308-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.04.2020
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Entscheidungsdatum

28.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W241 2124308-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. HAFNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.04.2019, Zl. 14-1049104702/190333478-BMI-BFA_TIROL_RD, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I., II., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

II. Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 22.01.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 11.03.2021 erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 24.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) vom 11.03.2016 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) abgewiesen. Dem BF wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 11.03.2017 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Begründend wurde ausgeführt, dass die Behörde aufgrund der Länderfeststellungen zur Heimatregion des BF, Ghazni, davon ausgehe, dass er im Fall der Rückkehr in eine ausweglose Situation geraten würde. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten sei dem BF zuzuerkennen, da für ihn als Zivilperson eine reale Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens bestehe und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan derzeit nicht zulässig sei.

3. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF wurde mit Bescheid vom 23.02.2017 bis zum 11.03.2019 verlängert.

4. Die Beschwerde des BF gegen Spruchpunkt I. des unter Punkt 2. genannten Bescheides (Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.04.2018, W178 2124308-1, als unbegründet abgewiesen.

5. Der BF beantragte am 22.01.2019 die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

6. In einer Einvernahme am 06.03.2019 gab der BF an, dass er keine Verwandten in Afghanistan habe, da seine Eltern verstorben und seine Geschwister verschollen seien.

7. In der Folge wurde dem BF mit gegenständlichem Bescheid vom 02.04.2019 der mit Bescheid des BFA vom 11.03.2016 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die mit Bescheid vom 23.02.2017 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Ferner wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Abschließend wurde der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 22.01.2019 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt VII.)

Begründend wurde im angefochtenen Bescheid unter Darlegung näherer Erwägungen zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht vorliegend seien und im gegenständlichen Fall gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG abzuerkennen sei. Die Sicherheitslage in Ghazni habe sich zwar seit 2016 nicht verbessert, gebessert habe sich jedoch die Sicherheitslage in Mazar-e-Sharif und Herat, weshalb den BF nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Die Sicherung existenzieller Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit sei in Afghanistan mittlerweile ohne Einschränkungen möglich. Es sei davon auszugehen, dass es einem arbeitsfähigen jungen Mann, der über Berufserfahrung verfüge, möglich sei, sich in Herat oder Mazar-e-Sharif ein ausreichendes Auskommen zu sichern.

I.8. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Im Bescheid vom 11.03.2016 wurde ausdrücklich festgestellt, dass Gründe für die Annahme bestehen, dass der BF aufgrund seiner eigenen persönlichen Situation im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Gefahr liefe, einer Gefahrensituation im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG ausgesetzt zu sein. Die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative wurde ohne konkrete Argumentation offenkundig ausgeschlossen und der Entscheidung zu Grunde gelegt.

Eine Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das BFA erfolgte am 23.02.2017 (für zwei Jahre). Dabei wurde in einem vierseitigen Bescheid ausgeführt, dass "aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in Ihrem Herkunftsstaat in Verbindung mit Ihrem Vorbringen bzw. Ihrem Antrag" die Voraussetzungen für Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten weiterhin bestehen würden. Weiters begründete das Bundesamt die Verlängerung mit der Ausführung, dem Antrag sei "vollinhaltlich stattgegeben" worden, weshalb eine nähere Begründung entfallen habe können.

Die gegenständliche Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das Bundesamt wurde auf die zwischenzeitlich verbesserte Sicherheitslage in Mazar-e-Sharif und Herat gestützt.

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich - in einer Gesamtbetrachtung des Landes - seit 2016 weder substanziell noch nachhaltig verbessert. Insbesondere hat sich die Sicherheitslage in Mazar-e-Sharif und Herat gegenüber 2016 nicht nachhaltig verbessert. Die Herkunftsprovinz des BF ist weiterhin - unverändert seit 2016 - nicht hinreichend sicher für eine Rückkehr.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten am 11.03.2016 und zur Verlängerung der befristetet Aufenthaltsberechtigung am 23.02.2017 stützen sich auf die Aktenlage.

Die Feststellung, dass sich die Sicherheitslage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif nicht wesentlich und nachhaltig verbessert hat, ergibt sich aus einem Vergleich der vom BFA im Bescheid vom 11.03.2016 (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 21.01.2016, im Folgenden: LIB 2016) und dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderinformationen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation vom 26.03.2019, im Folgenden: LIB 2018):

Hinsichtlich der Sicherheitslage in Afghanistan ist dem LIB 2016 zu entnehmen, dass die Sicherheitslage aufgrund intensiver Talibanoperationen weiterhin volatil war; im Berichtszeitraum 01.08.2015 bis 31.10.2015 wurden 6 601 sicherheitsrelevante Vorfälle verzeichnet. Regierungsfeindliche Elemente waren für 70% der zivilen Opfer im ersten Halbjahr verantwortlich (1 213 Tote und 2 223 Verletzte). Demgegenüber ist dem am 26.03.2019 aktualisierten LIB 2018 zu entnehmen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor volatil ist, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten. Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 01.01.2018 bis 31.12.2018 10.993 zivile Opfer, wobei regierungsfeindliche Elemente weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer waren. Im Lauf des Jahres 2018 kam es zu einer Steigerung der sicherheitsrelevanten Vorfälle. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmland, Ghazni und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen. Für das Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern berichtet.

Der Bescheid vom 11.03.2016 enthielt Feststellungen zur allgemeinen Sicherheitslage und zur Situation in Ghazni, nicht aber zu den übrigen Landesteilen. Im LIB 2016 wurde jedoch festgehalten, dass Balkh die sicherste Provinz Afghanistans und die Hauptstadt Mazar-e-Sharif eine Art "Vorzeigeprojekt" sei (Seite 78 des LIB). Zu Herat wurde angeführt, dass diese zu den relativ friedlichen, aber auch volatilen Provinzen zähle (Seite 101 des LIB).

Sowohl hinsichtlich der Sicherheitslage in Herat als auch der Sicherheitslage in Mazar-e Sharif beschränkte sich das BFA im gegenständlichen Bescheid auf die Behauptung, dass für den BF eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e-Sharif oder Herat bestehen würde, er dort den Lebensunterhalt bestreiten und Arbeitsmöglichkeiten vorfinden würde. Auf die Begründung für die seinerzeitliche Zuerkennung des subsidiären Schutzes wurde nicht eingegangen. Nunmehr sei eine Rückkehr nach Herat oder Mazar-e-Sharif ohne familiäre Anknüpfungspunkte zumutbar. Die Behörde unterließ es jedoch, wesentliche Änderungen im Vergleich zum Zeitpunkt des Bescheides vom 11.03.2016 oder dem Bescheid über die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 23.02.2017 aufzuzeigen. Nur bezüglich Mazar-e-Sharif wurde ein Vergleich zwischen der Sicherheitslage im Jahr 2012 und im Jahr 2018, nicht jedoch zwischen 2016 und 2018 getroffen. Überdies lässt sich eine Feststellung über die Möglichkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar-e-Sharif dem Bescheid über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vom 11.03.2016 an keiner Stelle entnehmen. Eine wesentliche und nachhaltige Verbesserung der Sicherheitslage ist anhand dieser Länderberichte sohin nicht zu erkennen.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass sich nach Gegenüberstellung und Vergleich des Inhalts der genannten Länderberichte keine maßgebliche Veränderung im Sinne einer Verbesserung der Sicherheitslage in Herat und Mazar-e Sharif ableiten lässt. Dass sich die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des BF geändert hätte, wurde nicht einmal vom BFA behauptet.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

3.1.1. Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG) nicht oder nicht mehr vorliegen.

Bei richtlinienkonformer Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG kommt eine Aberkennung des Status des subsidiären Schutzes im Lichte des Art. 19 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (in der Folge: Statusrichtlinie) nur bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der "falschen Darstellung", des "Verschweigens von Tatsachen" oder der "Verwendung gefälschter Dokumente, die für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausschlaggebend" waren, in Betracht (Böckmann-Winkler/Lipphart-Kirchmeir in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht § 9 AsylG 2005, E5). Im gegenständlichen Fall ergeben sich jedoch aus dem angefochtenen Bescheid keinerlei Anhaltspunkte dahingehend, dass eines dieser Tatbestandsmerkmale vorliegt. Das BFA konnte in seinen begründenden Ausführungen nicht dartun, dass die Aberkennung im Sinne des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG zu Recht erfolgt wäre.

Nach dem mit "Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung des subsidiären Schutzstatus" übertitelten Art. 19 Abs. 1 Statusrichtlinie erkennen die Mitgliedstaaten den zuerkannten subsidiären Schutz ab, bzw. beenden diesen oder lehnen seine Verlängerung ab, wenn die betreffende Person gemäß Art. 16 Statusrichtlinie nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann.

Art. 16 Abs. 1 Statusrichtlinie sieht vor, dass ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr hat, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Nach Abs. 2 leg. cit. berück-sichtigen die Mitgliedstaaten bei Anwendung des oben zitierten Abs. 1, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

Damit stellt § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG in richtlinienkonformer Interpretation auf eine Änderung der Umstände ab, die so wesentlich und nicht nur vorrübergehend ist, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hatte, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

Diese maßgeblichen Sachverhaltsänderungen können nicht immer (allein) in Änderungen im Herkunftsland, sondern auch entscheidungswesentlich in der persönlichen Situation des Schutzberechtigten gelegen sein. Dabei sind nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).

Nach ständiger Judikatur verlangt der "Wegfall der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status" im Sinne der zweiten Variante ("nicht mehr" vorliegen) eine substanzielle und nachhaltige Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts, der zu eben dieser Zuerkennung geführt hat. Ob man denselben Sachverhalt (allenfalls) bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Statusgewährung rechtlich anders hätte beurteilen können, ist hingegen ebenso ohne Relevanz wie der Verweis auf eine Änderung (höchst-)gerichtlicher Entscheidungstendenzen. Die Beweislast für den Wegfall der Voraussetzungen sowie die Darlegung des substanziell und nachhaltig geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalts trifft aufgrund der Amtswegigkeit des Verfahrens zur Gänze das Bundesamt.

Bei der Beurteilung einer Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist hinsichtlich der Beurteilung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts und des Wegfalls der Voraussetzungen aber nicht nur der ursprüngliche (Zuerkennungs-)Bescheid oder eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zu berücksichtigen, sondern auch die Begründung allfälliger bereits erfolgter Verlängerungen des Status. Das Bundesamt ist in diesem Zusammenhang aber nicht bei jeder neuerlichen Verlängerungsprüfung gänzlich frei in seiner Beurteilung des Sachverhalts, sondern an seine bisherigen rechtskräftigen Entscheidungen (und allenfalls solche des Gerichts) gebunden. Insbesondere kann eine Aberkennung von subsidiärem Schutz ohne zusätzliche entscheidungsrelevante Faktoren nicht auf Veränderungen des entscheidungsrelevanten Sachverhalts (gegenüber jenem bei erstmaliger Zuerkennung) gestützt werden, die - obwohl dem Bundesamt bereits bekannt - bisherigen Verlängerungen des Status nicht entgegengestanden sind.

3.1.2. Im vorliegenden Fall stellte das BFA hinsichtlich der Sachverhaltsänderung im Wesentlichen darauf ab, dass dem BF nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e-Sharif angesichts der Änderung der Sicherheitslage zur Verfügung stehe (siehe Seiten 192ff des angefochtenen Bescheides).

Maßstab für die Frage einer wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Änderung der Umstände ist der rechtskräftige Bescheid des BFA vom 11.03.2016, mit welchem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Das BFA begründete die Gewährung von subsidiärem Schutz an den BF im Wesentlichen mit der schlechten Sicherheitslage in der Provinz Ghazni. Im gegenständlichen Verfahren erweist sich schon die Begründung der ursprünglichen Status-Zuerkennung als insofern problematisch, als das Bundesamt im allein aufgrund der allgemeinen Lage in Afghanistan und insbesondere der Situation in Ghazni (im Rahmen der Feststellungen zur Situation im Falle einer Rückkehr) eine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG - mithin von Art. 2 und 3 EMRK - festgestellt hat (siehe Seite 81 dieses Bescheides). Diese Tendenz wird dadurch verstärkt, dass eine auch nur ansatzweise nachvollziehbare inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative (IFA) diesem Bescheid an keiner Stelle zu entnehmen ist. Es ist damit offensichtlich, dass das Bundesamt eine solche zum damaligen Zeitpunkt vollständig ausgeschlossen hat.

Wie bereits dargelegt, ist eine wesentliche und nachhaltige Veränderung im Sinne einer Verbesserung der Sicherheitslage in Herat oder Mazar-e-Sharif nicht erkennbar. Zur Argumentation des BFA, dass dem BF nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e-Sharif zur Verfügung stehe, ist darauf zu verweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof jüngst im Zusammenhang mit der Refoulement-Beurteilung nach § 52 Abs. 9 FPG ausgesprochen hat, dass eine maßgebliche Sachverhaltsänderung nicht schon per se in der neueren Judikatur zu vergleichbaren Fällen erblickt werden kann (vgl. VwGH 24.01.2019, Ro 2018/21/0011).

Im Übrigen hat sich die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes seit dem Jahr 2016 zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz von gesunden, alleinstehenden, erwachsenen, männlichen afghanischen Staatsangehörigen geändert. Dies kann jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht dazu führen, dass ohne tatsächlich veränderter (iSv verbesserter) Länderberichtslage bzw. ohne maßgebliche Änderung der persönlichen Umstände des BF von nicht mehr vorliegenden Vorrausetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz iSd § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG gesprochen werden kann.

Insofern seitens der Verwaltungsbehörde auf die nunmehr bestehenden Rückkehrprogramme verwiesen wird, lässt sich auch daraus keine wesentliche Sachverhaltsänderung ableiten, zumal derartige Programme auch schon im Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Jahr 2016 bestanden. Zudem geht aus den Feststellungen des Bescheides des BFA vom 11.03.2016 hervor, dass die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht auf unzureichende Rückkehrunterstützungsprogramme, sondern vorrangig auf die Sicherheitslage in Ghazni gestützt wurde.

Hinsichtlich der familiären bzw. verwandtschaftlichen Bindungen im Herkunftsstaat wurde seitens des BFA keine wesentliche Änderung dargelegt.

Wie bereits dargelegt trifft das Bundesamt im Zusammenhang mit der Anwendung des § 9 AsylG, der ausschließliche Amtswegigkeit vorsieht, die alleinige Beweislast und Begründungspflicht. Das Bundesamt hat damit seine Entscheidung schlüssig zu argumentieren und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt entsprechend zu belegen. Anders als in einem Antragsverfahren betreffend internationalen Schutz beantragt der BF nicht die Zuerkennung eines spezifischen Schutzstatus, sondern wehrt sich ausschließlich gegen die Aberkennung eines solchen, der im zuvor seitens der Republik rechtskräftig zuerkannt worden ist. Für einen derart massiven Eingriff in einen rechtskräftigen Schutzstatus trifft die Behörde eine dementsprechend umfassende Ermittlungs- und Begründungspflicht die schon aus Rechtsschutzgründen nicht auf die Beschwerdeinstanz ausgelagert werden darf.

Insbesondere ist es nicht Aufgabe des zur Überprüfung berufenen Verwaltungsgerichts, handwerkliche Fehler einer Behörde und Begründungsmängel eines Bescheides in einem amtswegigen Verfahren zu sanieren. Insbesondere muss die Behörde selbst die Verantwortung dafür tragen, falls ihr die Aberkennung eines Status schon deshalb nicht möglich ist, weil sie es verabsäumt hat, die Gründe für dessen ursprüngliche Zuerkennung nachvollziehbar festzuhalten. Der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG verlangt unmissverständlich den Wegfall entscheidungsrelevanter Sachverhaltselemente, weshalb er nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn diese dem ursprünglichen Status-Bescheid auch zweifelsfrei zu entnehmen sind. Überschießende Formulierungen oder Pauschalbegründungen in diesem Bescheid schränken die Dispositionsfreiheit der Behörde in Bezug auf die Anwendung von § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG dementsprechend ein.

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist "die zu entscheidende Angelegenheit" im Verfahren über die Beschwerde gegen einen Bescheid, mit dem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde, die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus an sich und damit sämtliche in § 9 Abs. 1 und 2 AsylG vorgesehenen Prüfschritte und Aussprüche (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005). Demnach ist das Bundesverwaltungsgericht nicht lediglich auf den Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG beschränkt, sondern hat vielmehr alle Hinweise auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines der Aberkennungstatbestände des § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG aufzugreifen.

Das BFA hat sohin mit seinen Ausführungen entgegen richtlinienkonformer Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG und § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG eine maßgebliche Änderung der Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Bescheid des BFA vom 11.03.2016 bzw. seit dem Bescheid vom 23.02.2017, mit dem die befristete Aufenthaltsberechtigung verlängert wurde, geführt haben, nicht dargetan. Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen sohin gegenständlich nicht vor. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides über die amtswegige Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten war daher ersatzlos zu beheben.

3.2. Zu den Spruchpunkten II. bis VI. des angefochtenen Bescheides:

Nachdem mit gegenständlichem Erkenntnis Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides - mit welchem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde - ersatzlos behoben wurde, waren auch die weiteren, damit verbundenen Aussprüche (Spruchpunkte II. bis VI.) ersatzlos zu beheben, zumal sie schon infolge der Behebung der amtswegigen Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ihre rechtliche Grundlage verlieren.

3.3. Zu Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides:

Nach § 8 Abs. 4 AsylG ist die gleichzeitig mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden für jeweils zwei weitere Jahre zu verlängern.

Da nicht festgestellt werden konnte, dass sich die Gründe, aufgrund derer dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, nachhaltig und wesentlich geändert hätten, wie oben bereits dargelegt wurde, liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an den BF weiterhin vor. In Stattgabe der Beschwerde hinsichtlich Spruchunkt VII. des angefochtenen Bescheides war sohin die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF auf zwei weitere Jahre zu verlängern.

Vor dem Hintergrund, dass der gegenständlich angefochtene Bescheid bereits auf Grund der Aktenlage aufzuheben war, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 57/2019 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 befristete Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung ersatzlose Teilbehebung familiäre Situation Rückkehrentscheidung behoben Rückkehrsituation Sicherheitslage Verlängerung wesentliche Änderung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W241.2124308.2.00

Im RIS seit

11.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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