Entscheidungsdatum
29.04.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W241 2153354-2/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. HAFNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.02.2020, Zl. 1092223103/200057510, zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I., III., IV., V., VI. und VII. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
II. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 05.02.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 13.03.2022 erteilt wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 23.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) vom 10.03.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG) abgewiesen. Dem BF wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 13.03.2018 eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Begründend wurde ausgeführt, dass die Behörde aufgrund der Länderfeststellungen zur Heimatregion des BF, Ghazni, davon ausgehe, dass er im Fall der Rückkehr in eine ausweglose Situation geraten würde. Der BF sei in Pakistan aufgewachsen und verfüge über keine Ortskenntnisse in Afghanistan. Für den BF als Zivilperson könne eine reale Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens nicht ausgeschlossen werden.
3. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF wurde mit Bescheid vom 06.03.2018 bis zum 13.03.2020 verlängert.
4. Die Beschwerde des BF gegen Spruchpunkt I. des unter Punkt 2. genannten Bescheides (Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 01.07.2019, W252 2153354-1, als unbegründet abgewiesen.
5. Der BF beantragte am 05.02.2020 die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.
6. In einer Einvernahme am 13.02.2020 gab der BF an, dass er in Österreich bei einer Sicherheitsfirma arbeite. Seine Schwester, seine Ehefrau und beide Töchter lebten in Pakistan. Onkel und Tanten lebten in Afghanistan in Ghazni, zu diesen habe er aber keinen Kontakt.
7. In der Folge wurde dem BF mit gegenständlichem Bescheid vom 14.02.2020 der mit Bescheid des BFA vom 10.03.2017 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 07.12.2018 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.), die mit Bescheid vom 06.03.2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt III.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt VI.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Ferner wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde im angefochtenen Bescheid unter Darlegung näherer Erwägungen zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht vorliegend seien und im gegenständlichen Fall gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG abzuerkennen sei. Die subjektive Lage des BF habe sich dahingehend geändert, dass er uneingeschränkt arbeitsfähig sei, eine weitere Sprache gelernt habe und lesen und schreiben könne. Es sei ihm nunmehr, entsprechend der Rechtsprechung der obersten Gerichte, eine Rückkehr nach Kabul, Mazar-e-Sharif oder Herat zumutbar. Er könne über seine Schwester Kontakt zu den Verwandten in Pakistan herstellen. Im Falle einer Rückkehr könne er auf seine Bildung, den Rückhalt der Familie und seine Berufserfahrung zurückgreifen. Es entspreche der Rechtsprechung des VwGH, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden könne. Nunmehr könnten weiters diverse Rückkehrhilfeprogramme in Anspruch genommen werden. Es stehe daher eine IFA in Mazar-e Sharif und Herat offen.
8. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Im Bescheid vom 10.03.2017 wurde ausdrücklich festgestellt, dass Gründe für die Annahme bestehen, dass der BF aufgrund seiner eigenen persönlichen Situation im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Gefahr liefe, einer Gefahrensituation im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG ausgesetzt zu sein. Die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative wurde ohne konkrete Argumentation offenkundig ausgeschlossen und der Entscheidung zu Grunde gelegt.
Eine Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das BFA erfolgte am 06.03.2018 (für zwei Jahre). Dabei wurde in einem vierseitigen Bescheid ausgeführt, dass "aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in Ihrem Herkunftsstaat in Verbindung mit Ihrem Vorbringen bzw. Ihrem Antrag" die Voraussetzungen für Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten weiterhin bestehen würden. Weiters begründete das Bundesamt die Verlängerung mit der Ausführung, dem Antrag sei "vollinhaltlich stattgegeben" worden, weshalb eine nähere Begründung entfallen habe können.
Die gegenständliche Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das Bundesamt wurde auf die nunmehr bestehende innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e-Sharif und Herat, die bessere Bildung und Berufserfahrung des BF sowie familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan gestützt.
Es kann nicht festgestellt werden, dass sich die subjektive Situation des BF im Hinblick auf Ausbildung, Berufserfahrung und familiäres Netzwerk seit Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten deutlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert hätte.
Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich - in einer Gesamtbetrachtung des Landes - seit 2017 weder substanziell noch nachhaltig verbessert. Insbesondere hat sich die Sicherheitslage in Mazar-e-Sharif und Herat gegenüber 2017 nicht nachhaltig verbessert. Die Herkunftsprovinz des BF ist weiterhin - unverändert seit 2017 - nicht hinreichend sicher für eine Rückkehr.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten am 10.03.2017 und zur Verlängerung am 06.03.2018 stützen sich auf die Aktenlage.
Das BFA führt im angefochtenen Bescheid aus, dass sich die Situation des BF nachhaltig verbessert habe, da er über Schulbildung und Berufsausbildung verfüge, Deutsch gelernt habe und in Österreich einer Erwerbstätigkeit nachgehe. Er habe Bildungsmaßnahmen in Anspruch genommen und Berufserfahrung gesammelt. Die Schulbildung und Berufserfahrung des BF in Afghanistan lagen jedoch bereits zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Jahr 2017 vor. Es ist vielmehr zu prüfen, ob sich die Situation des BF im Vergleich zum Jahr 2017 maßgeblich verändert hat. Das BFA hat nicht dargelegt, inwiefern die Deutschkenntnisse des BF diesem im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan den Einstieg in die Erwerbstätigkeit erleichtern würden. Darüber hinaus stellte das BFA im angefochtenen Bescheid selbst fest, dass der BF nur schlecht Deutsch spricht. Die Einvernahme am 13.02.2020 musste auch mit Hilfe eines Dolmetschers durchgeführt werden. Aus dem Akt geht nicht hervor, dass der BF mit Ausnahme der Teilnahme an Deutschkursen in Österreich Bildungsmaßnahmen in Anspruch genommen hätte. Das BFA stützt sich zwar auf die in Österreich erworbene zusätzliche Bildung des BF, unterließ es aber anzuführen, um welche Bildungsmaßnahmen es sich konkret handeln soll. Auch der BF selbst gab an, bisher nur Deutschkurse absolviert zu haben. Ebensowenig wurde ausgeführt, inwiefern die Berufserfahrung im Sicherheitsbereich dem BF in Afghanistan von Nutzen sein könnte, zumal der BF für diese Tätigkeit keine Berufsausbildung absolvierte. Der BF verfügte auch zum Zeitpunkt der Gewährung subsidiären Schutzes über praktische Berufserfahrung als Schweißer und Hilfsarbeiter auf Baustellen. Dem Bescheid lässt sich nicht entnehmen, weshalb die Berufserfahrung als Wachmann in Österreich die persönliche Situation des BF signifikant verbessern sollte, zumal die private Sicherheitsbranche mit jener in Afghanistan nur schwer vergleichbar ist. Das Bundesamt hat versäumt darzulegen, welche konkreten Kenntnisse und Fähigkeiten des BF seit Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erlangt hat.
Die familiären Verhältnisse des BF haben sich seit 2017 nicht verändert. Er gab in seiner Einvernahme am 09.12.2016 an, dass seine Mutter, seine Schwester, seine Ehefrau und zwei Kinder in Pakistan leben würden. Zu den Onkeln in Afghanistan habe er keinen Kontakt. Das BFA erachtete schon 2017 das Fluchtvorbringen, nämlich eine Familienfehde mit einem der Onkel des BF, für nicht glaubhaft. Dennoch ging es davon aus, dass der BF über keine sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan verfüge. Hinsichtlich verwandtschaftlicher Beziehungen in Afghanistan haben sich jedoch für den BF seit 10.03.2017, mit Ausnahme des Todes seiner Mutter, keine Änderungen ergeben. Das Bundesamt hat es verabsäumt darzulegen, weshalb es nunmehr von familiären Verbindungen in Afghanistan ausgeht, obwohl dies 2017 nicht der Fall war.
Die Feststellung, dass sich die Sicherheitslage in Herat-Stadt und Mazar-e Sharif nicht wesentlich und nachhaltig verbessert hat, ergibt sich aus einem Vergleich der vom BFA im Bescheid vom 10.03.2017 (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017, im Folgenden: LIB 2017) und dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderinformationen (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, im Folgenden: LIB 2019):
Hinsichtlich der Sicherheitslage in Afghanistan ist dem LIB 2017 zu entnehmen, dass die Sicherheitslage aufgrund intensiver Talibanoperationen weiterhin volatil war; im Berichtszeitraum 01.01.2016 bis 31.12.2016 wurden 11 418 zivile Opfer verzeichnet. Regierungsfeindliche Elemente waren für 61% der zivilen Opfer verantwortlich. Demgegenüber ist dem LIB 2019 vom 13.11.2019 zu entnehmen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor volatil ist, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten. Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 01.01.2019 bis 30.09.2019 8.239 zivile Opfer, wobei regierungsfeindliche Elemente weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer waren. Im Lauf des Jahres 2018 kam es zu einer Steigerung der sicherheitsrelevanten Vorfälle. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmland, Ghazni und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen. Für das Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern berichtet.
Der Bescheid vom 10.03.2017 enthielt Feststellungen zur allgemeinen Sicherheitslage und zur Situation in Ghazni, nicht aber zu den übrigen Landesteilen. Im LIB 2017 wurde jedoch festgehalten, dass Balkh die sicherste Provinz Afghanistans und die Hauptstadt Mazar-e-Sharif eine Art "Vorzeigeprojekt" sei (Seite 32 des LIB). Zu Herat wurde angeführt, dass diese zu den relativ friedlichen, aber auch volatilen Provinzen zähle (Seite 51 des LIB).
Sowohl hinsichtlich der Sicherheitslage in Herat als auch der Sicherheitslage in Mazar-e Sharif beschränkte sich das BFA im gegenständlichen Bescheid auf die Behauptung, dass für den BF eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e-Sharif oder Herat bestehen würde, er dort den Lebensunterhalt bestreiten und Arbeitsmöglichkeiten vorfinden würde. Auf die Begründung für die seinerzeitliche Zuerkennung des subsidiären Schutzes wurde nicht eingegangen. Nunmehr sei eine Rückkehr nach Herat oder Mazar-e-Sharif ohne familiäre Anknüpfungspunkte zumutbar. Die Behörde unterließ es jedoch, wesentliche Änderungen im Vergleich zum Zeitpunkt des Bescheides vom 10.03.2017 oder dem Bescheid über die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 06.03.2018 aufzuzeigen. Überdies lässt sich eine Feststellung über die Möglichkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative in Afghanistan allgemein und im speziellen in den Städten Herat und Mazar-e-Sharif dem Bescheid über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vom 10.03.2017 an keiner Stelle entnehmen. Eine wesentliche und nachhaltige Verbesserung der Sicherheitslage ist anhand dieser Länderberichte sohin nicht zu erkennen.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass sich nach Gegenüberstellung und Vergleich des Inhalts der genannten Länderberichte keine maßgebliche Veränderung im Sinne einer Verbesserung der Sicherheits- oder Versorgungslage in Herat und Mazar-e Sharif ableiten lässt. Dass sich die Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des BF geändert hätte, wurde nicht einmal vom BFA behauptet.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
3.1.1. Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG) nicht oder nicht mehr vorliegen.
Bei richtlinienkonformer Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG kommt eine Aberkennung des Status des subsidiären Schutzes im Lichte des Art. 19 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (in der Folge: Statusrichtlinie) nur bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der "falschen Darstellung", des "Verschweigens von Tatsachen" oder der "Verwendung gefälschter Dokumente, die für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausschlaggebend" waren, in Betracht (Böckmann-Winkler/Lipphart-Kirchmeir in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht § 9 AsylG 2005, E5). Im gegenständlichen Fall ergeben sich jedoch aus dem angefochtenen Bescheid keinerlei Anhaltspunkte dahingehend, dass eines dieser Tatbestandsmerkmale vorliegt. Das BFA konnte in seinen begründenden Ausführungen nicht dartun, dass die Aberkennung im Sinne des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG zu Recht erfolgt wäre.
Nach dem mit "Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung des subsidiären Schutzstatus" übertitelten Art. 19 Abs. 1 Statusrichtlinie erkennen die Mitgliedstaaten den zuerkannten subsidiären Schutz ab, bzw. beenden diesen oder lehnen seine Verlängerung ab, wenn die betreffende Person gemäß Art. 16 Statusrichtlinie nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann.
Art. 16 Abs. 1 Statusrichtlinie sieht vor, dass ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr hat, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Nach Abs. 2 leg. cit. berück-sichtigen die Mitgliedstaaten bei Anwendung des oben zitierten Abs. 1, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
Damit stellt § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG in richtlinienkonformer Interpretation auf eine Änderung der Umstände ab, die so wesentlich und nicht nur vorrübergehend ist, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hatte, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
Diese maßgeblichen Sachverhaltsänderungen können nicht immer (allein) in Änderungen im Herkunftsland, sondern auch entscheidungswesentlich in der persönlichen Situation des Schutzberechtigten gelegen sein. Dabei sind nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).
Nach ständiger Judikatur verlangt der "Wegfall der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status" im Sinne der zweiten Variante ("nicht mehr" vorliegen) eine substanzielle und nachhaltige Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts, der zu eben dieser Zuerkennung geführt hat. Ob man denselben Sachverhalt (allenfalls) bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Statusgewährung rechtlich anders hätte beurteilen können, ist hingegen ebenso ohne Relevanz wie der Verweis auf eine Änderung (höchst-)gerichtlicher Entscheidungstendenzen. Die Beweislast für den Wegfall der Voraussetzungen sowie die Darlegung des substanziell und nachhaltig geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalts trifft aufgrund der Amtswegigkeit des Verfahrens zur Gänze das Bundesamt.
Bei der Beurteilung einer Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist hinsichtlich der Beurteilung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts und des Wegfalls der Voraussetzungen aber nicht nur der ursprüngliche (Zuerkennungs-)Bescheid oder eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zu berücksichtigen, sondern auch die Begründung allfälliger bereits erfolgter Verlängerungen des Status. Das Bundesamt ist in diesem Zusammenhang aber nicht bei jeder neuerlichen Verlängerungsprüfung gänzlich frei in seiner Beurteilung des Sachverhalts, sondern an seine bisherigen rechtskräftigen Entscheidungen (und allenfalls solche des Gerichts) gebunden. Insbesondere kann eine Aberkennung von subsidiärem Schutz ohne zusätzliche entscheidungsrelevante Faktoren nicht auf Veränderungen des entscheidungsrelevanten Sachverhalts (gegenüber jenem bei erstmaliger Zuerkennung) gestützt werden, die - obwohl dem Bundesamt bereits bekannt - bisherigen Verlängerungen des Status nicht entgegengestanden sind.
3.1.2. Im vorliegenden Fall stellte das BFA hinsichtlich der Sachverhaltsänderung im Wesentlichen darauf ab, dass dem BF nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e-Sharif zur Verfügung stehe und dieser in Österreich mittlerweile Bildung und Berufserfahrung erworben habe (siehe Seiten 186ff des angefochtenen Bescheides).
Maßstab für die Frage einer wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Änderung der Umstände ist der rechtskräftige Bescheid des BFA vom 10.03.2017, mit welchem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Das BFA begründete die Gewährung von subsidiärem Schutz an den BF im Wesentlichen mit der schlechten Sicherheitslage in der Provinz Ghazni. Im gegenständlichen Verfahren erweist sich schon die Begründung der ursprünglichen Status-Zuerkennung als insofern problematisch, als das Bundesamt im allein aufgrund der allgemeinen Lage in Afghanistan und insbesondere der Situation in Ghazni (im Rahmen der Feststellungen zur Situation im Falle einer Rückkehr) eine Gefährdung im Sinne des § 50 FPG - mithin von Art. 2 und 3 EMRK - festgestellt hat (siehe Seite 66f dieses Bescheides). Diese Tendenz wird dadurch verstärkt, dass eine auch nur ansatzweise nachvollziehbare inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative (IFA) diesem Bescheid an keiner Stelle zu entnehmen ist. Es ist damit offensichtlich, dass das Bundesamt eine solche zum damaligen Zeitpunkt vollständig ausgeschlossen hat.
Wie bereits dargelegt, ist eine wesentliche und nachhaltige Veränderung im Sinne einer Verbesserung der Sicherheitslage in Herat oder Mazar-e-Sharif nicht erkennbar. Zur Argumentation des BFA, dass dem BF nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e-Sharif zur Verfügung stehe, ist darauf zu verweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof jüngst im Zusammenhang mit der Refoulement-Beurteilung nach § 52 Abs. 9 FPG ausgesprochen hat, dass eine maßgebliche Sachverhaltsänderung nicht schon per se in der neueren Judikatur zu vergleichbaren Fällen erblickt werden kann (vgl. VwGH 24.01.2019, Ro 2018/21/0011).
Im Übrigen hat sich die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes seit dem Jahr 2016 zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz von gesunden, alleinstehenden, erwachsenen, männlichen afghanischen Staatsangehörigen geändert. Dies kann jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht dazu führen, dass ohne tatsächlich veränderter (iSv verbesserter) Länderberichtslage bzw. ohne maßgebliche Änderung der persönlichen Umstände des BF von nicht mehr vorliegenden Vorrausetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz iSd § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG gesprochen werden kann.
Insofern seitens der Verwaltungsbehörde auf die nunmehr bestehenden Rückkehrprogramme verwiesen wird, lässt sich auch daraus keine wesentliche Sachverhaltsänderung ableiten, zumal derartige Programme auch schon im Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Jahr 2017 bestanden. Zudem geht aus den Feststellungen des Bescheides des BFA vom 10.03.2017 hervor, dass die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht auf unzureichende Rückkehrunterstützungsprogramme, sondern vorrangig auf die Sicherheitslage in Ghazni gestützt wurde.
Zur Feststellung, dass eine maßgebliche Veränderung der persönlichen Umstände des BF nicht vorliegt, wird auf die oben angeführten beweiswürdigenden Überlegungen verwiesen.
Hinsichtlich der familiären bzw. verwandtschaftlichen Bindungen im Herkunftsstaat wurde seitens des BFA ebenfalls keine wesentliche Änderung dargelegt.
Wie bereits dargelegt trifft das Bundesamt im Zusammenhang mit der Anwendung des § 9 AsylG, der ausschließliche Amtswegigkeit vorsieht, die alleinige Beweislast und Begründungspflicht. Das Bundesamt hat damit seine Entscheidung schlüssig zu argumentieren und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt entsprechend zu belegen. Anders als in einem Antragsverfahren betreffend internationalen Schutz beantragt der BF nicht die Zuerkennung eines spezifischen Schutzstatus, sondern wehrt sich ausschließlich gegen die Aberkennung eines solchen, der im zuvor seitens der Republik rechtskräftig zuerkannt worden ist. Für einen derart massiven Eingriff in einen rechtskräftigen Schutzstatus trifft die Behörde eine dementsprechend umfassende Ermittlungs- und Begründungspflicht die schon aus Rechtsschutzgründen nicht auf die Beschwerdeinstanz ausgelagert werden darf.
Insbesondere ist es nicht Aufgabe des zur Überprüfung berufenen Verwaltungsgerichts, handwerkliche Fehler einer Behörde und Begründungsmängel eines Bescheides in einem amtswegigen Verfahren zu sanieren. Insbesondere muss die Behörde selbst die Verantwortung dafür tragen, falls ihr die Aberkennung eines Status schon deshalb nicht möglich ist, weil sie es verabsäumt hat, die Gründe für dessen ursprüngliche Zuerkennung nachvollziehbar festzuhalten. Der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG verlangt unmissverständlich den Wegfall entscheidungsrelevanter Sachverhaltselemente, weshalb er nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn diese dem ursprünglichen Status-Bescheid auch zweifelsfrei zu entnehmen sind. Überschießende Formulierungen oder Pauschalbegründungen in diesem Bescheid schränken die Dispositionsfreiheit der Behörde in Bezug auf die Anwendung von § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG dementsprechend ein.
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist "die zu entscheidende Angelegenheit" im Verfahren über die Beschwerde gegen einen Bescheid, mit dem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde, die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus an sich und damit sämtliche in § 9 Abs. 1 und 2 AsylG vorgesehenen Prüfschritte und Aussprüche (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005). Demnach ist das Bundesverwaltungsgericht nicht lediglich auf den Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG beschränkt, sondern hat vielmehr alle Hinweise auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines der Aberkennungstatbestände des § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG aufzugreifen.
Das BFA hat sohin mit seinen Ausführungen entgegen richtlinienkonformer Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG und § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG eine maßgebliche Änderung der Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Bescheid des BFA vom 10.03.2017 bzw. seit dem Bescheid vom 06.03.2018, mit dem die befristete Aufenthaltsberechtigung verlängert wurde, geführt haben, nicht dargetan. Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen sohin gegenständlich nicht vor. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides über die amtswegige Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten war daher ersatzlos zu beheben.
3.2. Zu den Spruchpunkten III. bis VII. des angefochtenen Bescheides:
Nachdem mit gegenständlichem Erkenntnis Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides - mit welchem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde - ersatzlos behoben wurde, waren auch die weiteren, damit verbundenen Aussprüche (Spruchpunkte III. bis VII.) ersatzlos zu beheben, zumal sie schon infolge der Behebung der amtswegigen Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ihre rechtliche Grundlage verlieren.
3.3. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:
Nach § 8 Abs. 4 AsylG ist die gleichzeitig mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden für jeweils zwei weitere Jahre zu verlängern.
Da nicht festgestellt werden konnte, dass sich die Gründe, aufgrund derer dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, nachhaltig und wesentlich geändert hätten, wie oben bereits dargelegt wurde, liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an den BF weiterhin vor. In Stattgabe der Beschwerde hinsichtlich Spruchunkt VII. des angefochtenen Bescheides war sohin die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF auf zwei weitere Jahre zu verlängern.
Vor dem Hintergrund, dass der gegenständlich angefochtene Bescheid bereits auf Grund der Aktenlage aufzuheben war, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 57/2019 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 befristete Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung ersatzlose Teilbehebung familiäre Situation Rückkehrentscheidung behoben Rückkehrsituation Sicherheitslage Verlängerung wesentliche ÄnderungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W241.2153354.2.00Im RIS seit
11.09.2020Zuletzt aktualisiert am
11.09.2020