TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/12 W137 2229811-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.05.2020
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Entscheidungsdatum

12.05.2020

Norm

AsylG 2005 §3
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W137 2229811-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.02.2020, Zl. 1239158906/190742017, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige, stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 22.07.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am Tag der Antragstellung fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführerin nach dem AsylG 2005 statt, wobei sie zu ihren persönlichen Daten befragt angab, verheiratet zu sein, fünf Kinder zu haben und aus Paghman zu stammen. Sie gehöre der Volksgruppe der Tadschiken und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an. Zu ihrem Fluchtgrund befragt führte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen aus, dass sie gemeinsam mit ihrer Familie aufgrund einer privaten Feindschaft mit der Familie eines Ex-Schwiegersohnes Afghanistan verlassen habe müssen. Die Familie sei mit dem Tod bedroht worden und bestehe die Gefahr, dass ein Sohn entführt werde. Darüber hinaus sei die Sicherheitslage in Afghanistan schlecht.

Ihr Mann und ihr minderjähriger Sohn würden in Griechenland leben, weitere erwachsene Kinder in Indien, Kanada und Österreich.

3. Am 16.08.2019 stellte der minderjährige Sohn der Beschwerdeführerin (Verfahren W137 2229808-1) in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am selben Tag gab er an, Afghanistan gemeinsam mit seinen Eltern verlassen zu haben. Zu den Gründen könne er keine Angaben machen; die Eltern hätten alles organisiert.

4. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 14.10.2019 gab die Beschwerdeführerin zunächst an, nach einer Herzoperation in ärztlicher Behandlung zu sein und Medikamente zu nehmen. Zum Fluchtgrund befragt gab sie zusammengefasst an, von der Familie eines Ex-Schwiegersohnes belästigt worden zu sein. Ihr Ehemann sei von Mitgliedern dieser Familie geschlagen worden und ihr Sohn habe entführt werden sollen. Sie selbst sei in Afghanistan persönlich weder unmittelbaren Verfolgungshandlungen noch unmittelbaren Bedrohungen ausgesetzt gewesen.

Der ebenfalls anwesende Sohn brachte keine darüberhinausgehenden individuellen Fluchtgründe vor.

5. Am 21.10.2019 stellte der Ehemann der Beschwerdeführerin (Verfahren W137 2229810-1) einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Diesen begründete er bei seiner niederschriftlichen Erstbefragung am selben Tag mit Übergriffen der Familie des Ex-Gatten seiner nunmehr in Kanada lebenden Tochter gegen ihn. Diese Familie sei in der Hezb-e-Islami aktiv. Diese hätte zudem versucht, seinen minderjährigen Sohn zu entführen. Aus diesem Grunde habe er gemeinsam mit diesem und seiner Frau Afghanistan verlassen.

Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.02.2020 gab er zunächst an, Herzprobleme und Probleme mit der Prostata zu haben. Er sei in ärztlicher Behandlung.

Zur Begründung der Antragstellung brachte der Beschwerdeführer vor, keine eigenen Fluchtgründe zu haben, sondern dass er einen Antrag auf ein Familienverfahren stelle, welcher sich auf das Asylverfahren seiner Ehefrau beziehen solle. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, von der Familie des Ex-Schwiegersohnes umgebracht zu werden.

6. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.02.2020, 1239158906/190742017, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde der Beschwerdeführerin eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs 4 AsylG bis zum 19.02.2021 erteilt.

Begründend brachte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen vor, dass die von der Beschwerdeführerin zur Begründung ihres Asylantrages vorgebrachten Fluchtgründe weder glaubhaft noch asylrelevant gewesen seien. Die vorgebrachten Bedrohungen - etwa die drohende Entführung ihres Sohnes - seien ihr nur mittelbar bekannt geworden. Zudem habe sie mit ihrem Mann noch einige Monate in Kabul gelebt und es sei dabei lediglich zu einem tätlichen Übergriff gegen den Ehemann gekommen. Zudem habe sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn nach dem Verlassen Kabuls noch einige Monate in Herat gelebt, wo es zu keinen Übergriffen gekommen sei und die Familie ihre Existenz habe sichern können. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei ihr aufgrund der volatilen Sicherheitslage und ihres Gesundheitszustandes derzeit nicht zumutbar.

Hinsichtlich des Ehegatten und des minderjährigen Sohnes wurden im Ergebnis gleiche Entscheidungen getroffen.

7. Mit Schriftsatz vom 16.03.2020 (einheitlich für die gesamte Familie) erhob die Beschwerdeführerin, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des oben angeführten Bescheides. In dieser wurde zunächst das Fluchtvorbringen wiederholt und ausgeführt, die Familie des Ex-Schwiegersohnes sei "sehr einflussreich" und habe "Beziehungen zu der islamischen Partei". Berichte betreffend Blutfehden in Afghanistan würden die Gefährdung der Beschwerdeführerin darlegen. Überdies sei bei der Beschwerdeführerin nunmehr auch der Nachfluchtgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der selbständig lebenden Frauen feststellbar. Schließlich habe das Bundesamt in den gegenständlichen Verfahren - vorrangig bei jenem des Ehegatten - mangelhaft ermittelt. Tatsächlich sei eine drohende asylrelevante Verfolgung jedenfalls glaubhaft dargelegt worden.

8. Am 20.03.2020 langte eine Beschwerdevorlage des Bundesamtes ein. Es wurde beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:

Die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrer Identität werden der Entscheidung zugrunde gelegt. Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Tadschiken und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft des Islam an. Sie ist verheiratet und hat fünf Kinder.

Die Beschwerdeführerin stammt aus der Provinz Kabul. Sie ist in Afghanistan geboren und dort aufgewachsen. Die Muttersprache der Beschwerdeführerin ist Dari. Sie besuchte in Afghanistan elf Jahre die Schule und war danach Hausfrau. Die Beschwerdeführerin hat drei Brüder und drei Schwestern, welche teils in Großbritannien, teils in den USA und teils in Afghanistan leben. Erwachsene Kinder leben in Kanada, Indien und Österreich.

Die Beschwerdeführerin ist in ihrem Herkunftsstaat Afghanistan weder vorbestraft, noch wurde sie dort jemals inhaftiert und hatte auch mit den Behörden des Herkunftsstaates weder auf Grund ihres Religionsbekenntnisses oder ihrer Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwelche Probleme. Die Beschwerdeführerin war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Eine der Beschwerdeführerin mit maßgeblicher Gefahr drohende Verfolgung aus politischen, ethnischen oder religiösen Gründen in Afghanistan liegt nicht vor. Eine staatliche Verfolgung ist auszuschließen.

Die Beschwerdeführerin war vor ihrer Ausreise aus Afghanistan weder unmittelbaren persönlichen Drohungen noch unmittelbaren Verfolgungshandlungen ausgesetzt. Den Antrag auf internationalen Schutz begründete die Beschwerdeführerin mit einer drohenden Verfolgung durch die Familie des Ex-Schwiegersohns. Dieses Vorbringen erweist sich als nicht glaubhaft.

Die Beschwerdeführerin hat im erstinstanzlichen Verfahren nie geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe dargelegt. Sie hat in Afghanistan stets im Einklang mit den dortigen gesellschaftlichen Konventionen gelebt. Einen (inneren) Bruch mit diesen hat sie im gesamten erstinstanzlichen Verfahren nie vorgebracht. Die diesbezügliche (erstmalige) Ausführung in der gegenständlichen Beschwerde erweist sich als gänzlich substanzlose Behauptung.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

Tadschiken

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.b; vgl. RFERL 9.8.2019) und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land (MRG o.D.b). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (GIZ 4.2019).

Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.b). Aus historischer Perspektive identifizierten sich dari-persisch sprechende Personen in Afghanistan nach sehr unterschiedlichen Kriterien, etwa durch das Siedlungsgebiet oder der Herkunftsregion. Dementsprechend nannten sie sich zum Beispiel kaboli (aus Kabul), herati (aus Herat), mazari (aus Mazar-e Scharif), panjsheri (aus Panjsher) oder badakhshi (aus Badakhshan). Sie konnten auch nach ihrer Lebensweise benannt werden. Der Name tajik (Tadschike) bezeichnete ursprünglich traditionell sesshafte persischsprachige Bauern oder Stadtbewohner sunnitischer Konfession (BFA 7.2016; vgl. GIZ 4.2019, MRG o.D.b). Heute werden unter dem Terminus tajik "Tadschike" fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (BFA 7.2016).

Tadschiken dominierten die "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominierendste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten (MRG o.D.b). Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

Berufstätigkeit von Frauen

Das Gesetz sieht die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, sagt jedoch nichts zu gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit. Das Gesetz untersagt Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 13.3.2019). Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 2.9.2019; vgl. BBW 28.8.2019). Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und viele Frauen gehen aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA 4.2018). In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten außerhalb des Hauses gesehen oder gehört werden sollten (BBC 6.9.2019).

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich auf 27% erhöht (UNGA 3.4.2019). Für das Jahr2018 wurde der Anteil der Frauen an der Erwerbsbevölkerung von der Weltbank mit 35,7% angegeben (WB 4.2019). Bemühungen der afghanischen Regierung, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen und damit deren Präsenz zu erhöhen, halten weiter an (KP 24.3.2019). So ist die afghanische Regierung seit dem Jahr 2014 bemüht, den Anteil von Frauen in der Regierung von 22% auf 30% zu erhöhen (USAID 24.7.2019). Frauen besetzen innerhalb der afghanischen Regierung und Spitzenverwaltung beispielsweise folgende Positionen: 11 stellvertretende Ministerinnen, 3 Ministerinnen und 5 Botschafterinnen. Nicht alle erachten diese Veränderungen als positiv - manche suggerieren, Präsident Ghanis Ernennungen seien symbolisch und die Kandidatinnen unerfahren oder dass ihnen die notwendigen Kompetenzen fehlen würden (RFE/RL 6.12.2018). Im Rahmen einer Ausbildung für Beamte des öffentlichen Dienstes sollen Frauen mit den notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten ausgestattet werden, um ihren Dienst in der afghanischen Verwaltung erfolgreich antreten zu können. Ab dem Jahr 2015 und bis 2020 sollen mehr als 3.000 Frauen in einem einjährigen Programm für ihren Posten in der Verwaltung ausgebildet werden. Mit Stand Juli 2019 haben 2.800 Frauen das Programm absolviert. 900 neue Mitarbeiterinnen sind in Kabul, Balkh, Kandahar, Herat und Nangarhar in den Dienst aufgenommen worden (USAID 24.7.2019). Viele Frauen werden von der Familie unter Druck gesetzt, nicht arbeiten zu gehen (USDOS 13.3.2019); traditionell wird der Mann als Ernährer der Familie betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Dies bedeutet für die Frauen eine gewisse Sicherheit, macht sie allerdings auch wirtschaftlich abhängig - was insbesondere bei einem Partnerverlust zum Problem wird (Najimi 2018). Auch werden bei der Anstellung Männer bevorzugt. Es ist schwieriger für ältere und verheiratete Frauen, Arbeit zu finden, als für junge alleinstehende. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch wird von Diskriminierung beim Gehalt berichtet (USDOS 13.3.2019).

Die First MicroFinance Bank (FMFB-A), eine Tochter der Aga Khan Agency for Microfinance, bietet Finanzdienstleistungen und Mikrokredite primär für Frauen (BFA 4.2018; vgl. FMFB o.D.a) und hat 39 Niederlassungen in 14 Provinzen (FMFB o.D.b).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die Teilnahme von Frauen am politischen Prozess ist gesetzlich nicht eingeschränkt (USDOS 13.3.2019). Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50% für Frauen bestimmt. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019).

Bei den Wahlen zum Unterhaus (Wolesi Jirga) im Oktober 2018 traten landesweit 417 Kandidatinnen an (MBZ 7.3.2019); insgesamt vertreten 79 Frauen 33 Provinzen (AAN 17.5.2019). Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von mindestens 25% in den Provinz- (AA 2.9.2019), Distrikt- und Dorfräten vor. Bis zum Ende des Jahres 2018 war dies in keinem Distrikt- oder Dorfrat der Fall (USDOS 13.3.2019). Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der Unabhängigen Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2 % für das Jahr 2019 (AA 2.9.2019).

Traditionelle gesellschaftliche Prktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein; wie z.B. die Notwendigkeit eines männlichen Begleiters oder einer Erlaubnis um zu arbeiten. Frauen, die politisch aktiv sind, sind auch weiterhin mit Gewalt konfrontiert und Angriffsziele der Taliban und anderer Aufständischengruppen. Dies, gemeinsam mit einem Rückstand an Bildung und Erfahrung, führt dazu, dass die Zentralregierung männlich dominiert ist (USDOS 13.3.2019).

Frauen sind nur selten in laufende Friedensverhandlungen integriert. Die Verhandlungen in Moskau im Februar 2019 waren eine Ausnahme, als zwei Frauen als Mitglieder der inoffiziellen Regierungsdelegation mit den Taliban verhandelten (TD 27.5.2019). Bei der Loya Jirga im Mai 2019 waren 30% der Delegierten Frauen. Einige von ihnen gaben jedoch an, dass sie ignoriert, marginalisiert und bevormundet wurden (NYT 3.5.2019).

Beispiele für Frauen außerhalb der Politik, die in der Öffentlichkeit stehen, sind die folgenden: In der Provinz Kunduz existiert ein Radiosender - Radio Roshani - nur für Frauen. In der Vergangenheit wurde sowohl die Produzentin bzw. Gründerin mehrmals von den Taliban bedroht, als auch der Radiosender selbst angegriffen. Durch das Radio werden Frauen über ihre Rechte informiert; Frauen können während der Sendung Fragen zu Frauenrechten stellen. Eines der häufigsten Probleme von Frauen in Kunduz sind gemäß einem Bericht Probleme in polygamen Ehen (BBC 6.9.2019). Zan TV, der einizige afghanische Sender nur für Frauen, wurde im Jahr 2017 gegründet. Bei Zan-TV werden Frauen ausgebildet, um alle Jobs im Journalismusbereich auszuüben. Der Gründer des TV-Senders sagt, dass sein Ziel eine zu 80-85% weibliche Belegschaft ist; denn Männer werden auch benötigt, um zu zeigen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen möglich ist. Wie andere Journalistinnen und Journalisten, werden auch die Damen von Zan-TV bedroht und beleidigt (BBC 19.4.2019).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin ergeben sich aus ihren dahingehend übereinstimmenden Angaben im Verfahren, die auch vom Bundesamt nicht in Zweifel gezogen worden sind. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zur Volksgruppen- und Glaubenszugehörigkeit der Beschwerdeführerin gründen sich auf ihre diesbezüglich glaubhaften Angaben.

Gleiches gilt bezüglich der Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrem Geburtsort, ihrem schulischen Werdegang, ihrem Familienstand sowie ihren Lebensumständen in Afghanistan.

Hinsichtlich der Schreibweise des Namens der Beschwerdeführerin wird dieser unverändert aus dem angefochtenen Bescheid und der Beschwerde übernommen. In der Beschwerde finden sich keine Ausführungen hinsichtlich einer gewünschten einheitlichen Schreibweise des Familiennamens oder allfälliger anderer Anpassungen.

2.2. Die Beschwerdeführerin hat nie behauptet, dass sie als Tadschikin, Sunnitin oder aus politischen Gründen Verfolgungshandlungen in Afghanistan ausgesetzt sein könnte. Eine staatliche Verfolgung wurde stets verneint.

Das Vorbringen, sie habe mit ihrer Familie Afghanistan aufgrund einer Verfolgung seitens der Familie ihres Ex-Schwiegersohns verlassen, erweist sich - wie bereits im angefochtenen Bescheid schlüssig und nachvollziehbar dargelegt - als nicht glaubhaft. Die Beschwerdeführerin wurde unmittelbar weder bedroht, noch war sie unmittelbaren Verfolgungshandlungen oder Übergriffen ausgesetzt. Die Beschwerdeführerin führte lediglich die Vorgeschichte - also die Scheidung ihrer Tochter samt deren Ausreise nach Kanada - ausführlich aus. Zu etwaigen Vorfällen in den folgenden Monaten machte sie hingegen keine konkreten Angaben. Bei dem angeblichen tätlichen Übergriff gegen den Ehegatten war sie persönlich nicht anwesend.

Den diesbezüglichen beweiswürdigenden Ausführungen des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid wurde auch in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten. Die Beschwerde beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf bloße Worthülsen - etwa die Behauptung "sehr einflussreicher" Verfolger, ohne diesen Einfluss näher darzustellen als mit der Behauptung, diese hätten "Beziehungen zu der islamischen Partei". Allerdings gibt es in Afghanistan keine einzelne "Islamische Partei", sondern es definieren sich faktisch alle Parteien in Afghanistan als "islamisch" (zumal dies eine Voraussetzung für ihre Zulassung nach dem Parteiengesetz ist). Zudem verfügt die Beschwerdeführerin über einen Bildungshintergrund und Lebenserfahrung, die es ihr zweifelsfrei ermöglichen würden, eine bedeutende Partei Afghanistans zumindest nachvollziehbar - etwa über einen führenden Proponenten - zu definieren. Dies umso mehr, als die Beziehung zu dieser Familie seit mehr als 12 Jahren (damals erfolgte die Eheschließung der Tochter mit dem nunmehrigen Ex-Schwiegersohn) besteht. Dass der Ehemann bei seiner Erstbefragung eine Mitgliedschaft der Verfolger bei der Hezb-e-Islami behauptete wird in der Beschwerde im Übrigen nicht aufgegriffen. Es ist allerdings auch nicht plausibel, dass der Ehemann diese Information nie mit der Beschwerdeführerin geteilt hat. Darüber hinaus wird in der Beschwerde zwar allgemein das Ermittlungsverfahren als mangelhaft gerügt - hinsichtlich der Beschwerdeführerin aber nicht dargelegt, wo konkrete Mängel liegen sollten.

2.3. Dass die Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren weder eine drohende geschlechtsspezifische Verfolgung noch einen Bruch oder Konflikt mit den gesellschaftlichen Konventionen in Afghanistan behauptet hat, ergibt sich aus ihren Angaben in den Einvernahmen durch das Bundesamt.

Hinsichtlich der in der Beschwerde thematisierten Situation von Frauen in Afghanistan ist auszuführen, dass für die Glaubhaftmachung einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr es nicht ausreicht, sich bloß unter Hinweis auf die allgemeine Lage von Frauen in Afghanistan auch auf eine potenzielle individuelle Gefährdung im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat zu berufen, sondern es müssen über die zu berücksichtigenden allgemeinen Verhältnisse im Herkunftsstaat hinaus jedenfalls konkrete, die Person der Beschwerdeführerin betreffende, Umstände dargelegt werden. Die Beschwerdeführerin hat im erstinstanzlichen Verfahren jedoch nie eine geschlechtsspezifische Verfolgung behauptet.

Dies wird auch aus der entsprechenden Passage der Beschwerde bestätigt. Diese besteht aus lediglich vier Zeilen mit folgendem Wortlaut: "Die BF2 wünscht sich, in einer modernen Gesellschaft zu leben und nicht die in Afghanistan herrschenden moralischen Vorstellungen befolgen zu müssen. Seitdem sie in Österreich ist, hat sie erfahren, dass Frauen auch in Freiheit leben können. Es liegt somit der Nachfluchtgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe der selbständig lebenden Frauen vor." Es fehlt somit nicht nur an jeder nachvollziehbaren Darlegung, wie sich dieser Wertewandel im tatsächlichen Leben der Beschwerdeführerin Bahn bricht; es mangelt auch an einer nachvollziehbaren Darstellung, wie sich die behauptete Unfreiheit in Afghanistan individuell dargestellt haben soll. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass sie immerhin elf Jahre die Schule besuchen konnte und sich ab dem zwanzigsten Lebensjahr vier erfolgreiche Schwangerschaften im Abstand weniger Monate aneinanderreihten.

2.4. Die Feststellungen zur (im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen) Situation im Herkunftsstaat sind dem angefochtenen Bescheid entnommen und hinreichend aktuell. Der Beschwerdeführerin wurde einerseits im erstinstanzlichen Verfahren Gelegenheit gegeben, zu diesen Länderberichten Stellung zu nehmen. Von dieser Möglichkeit machte die Beschwerdeführerin jedoch keinen Gebrauch. Andererseits wurden sie auch in der gegenständlichen Beschwerde weder als unvollständig noch als veraltet gerügt. Vielmehr wird stellenweise sogar zur Begründung der Beschwerde ausdrücklich auf sie verwiesen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 leg. cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A)

Zur Frage der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten:

3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrunde liegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

3.2. Eine (drohende) Verfolgung aus generellen Motiven oder eine staatliche Verfolgung wurden von der Beschwerdeführerin gegenüber dem Bundesamt im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet. Dies gilt insbesondere auch für eine Verfolgung aufgrund des Geschlechts. Das Bundesamt hat dem Individualvorbringen der Beschwerdeführerin mit einer schlüssigen, widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Begründung die Glaubhaftigkeit abgesprochen. Diesen Ausführungen wurde in der gegenständlichen Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten. Darüber hinaus konnten in der Beschwerde auch keine Ermittlungsmängel des Bundesamtes aufgezeigt werden.

Nur der Vollständigkeit halber sei angeführt, dass selbst bei hypothetischer Zugrundelegung des Vorbringens, die behauptete Verfolgung auf einer kriminellen Motivation beruhen und keinen Zusammenhang mit den Verfolgungsgründen der Flüchtlingskonvention aufweisen würde. Von der in der Beschwerde behaupteten "Blutfehde" (nach dem Paschtunwali) kann nicht einmal ansatzweise gesprochen werden, weil der potenziell auslösende Sachverhalt - eine (nachweislich) staatlich durchgeführte Scheidung - darin keine Deckung findet.

3.3. Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar. Diese haben im Übrigen bereits zur Zuerkennung des Status der subsidiär schutzberechtigten geführt.

3.4. Zu dem in der Beschwerde betreffend die Lage der Frauen in Afghanistan erstatteten Vorbringen ist auszuführen, dass es für die Annahme einer grundsätzlichen asylrelevanten Verfolgung von Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts ("Gruppenverfolgung") keinen Anhaltspunkt gibt.

In seinem Erkenntnis vom 23.01.2018, 2017/18/0301, sprach der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf afghanische Frauen, die "westliches" Verhalten oder "westliche" Lebensführung annahmen, im Wesentlichen Folgendes aus:

"[...]

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten ?westlich' orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden. Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese Verfolgung vom Heimatstaat ausgeht. Auch eine private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, als der Heimatstaat nicht gewillt oder in der Lage ist, Schutz vor solcher Verfolgung zu gewähren (vgl. VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388, mit weiteren Nachweisen). Nicht entscheidend ist, ob die Asylwerberin schon vor ihrer Ausreise aus dem Herkunftsstaat eine derartige Lebensweise gelebt hatte bzw. deshalb bereits verfolgt worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass sie diese Lebensweise im Zuge ihres Aufenthalts in Österreich angenommen hat und bei Fortsetzung dieses Lebensstils im Falle der Rückkehr mit Verfolgung rechnen müsste (vgl. etwa VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994-1000). [...]

Nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, führt dazu, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss. Aus diesem Grund ist etwa das Revisionsvorbringen, die Erstrevisionswerberin könne im Falle einer Rückkehr nach Kabul - ohne männliche Begleitung - nicht mehr den Freizeitsport Nordic Walking ausüben, für sich betrachtet jedenfalls kein Grund, ihr asylrechtlichen Schutz zu gewähren. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. idS VwGH 22.3.2017, Ra 2016/18/0388). In diesem Sinne ist auch die rechtliche Argumentation des BVwG zu verstehen, der Bruch mit den gesellschaftlichen Normen des Heimatlandes muss ?deutlich und nachhaltig' erfolgt sein.

[...]"

Eine solche Änderung der Lebensführung der Beschwerdeführerin wurde im gegenständlichen Verfahren erstmalig in der Beschwerde behauptet. Dabei beschränkte sich die Beschwerdeführerin jedoch auf eine Aneinanderreihung weitgehend substanzloser Worthülsen in gerade einmal drei Sätzen. Von einer schlüssigen, tragfähigen Begründung dieses neuen Vorbringens kann daher nicht gesprochen werden.

Aus diesen Gründen ist die gegenständliche Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

4. Da überdies auch weder ihrem Ehegatten noch dem gemeinsamen minderjährigen Sohn der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, war für die Beschwerdeführerin auch im Rahmen des Familienverfahrens nichts zu gewinnen.

5. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Diese Voraussetzung ist im gegenständlichen Fall erfüllt, da den Ausführungen des Bundesamtes in den entscheidungswesentlichen Punkten in der Beschwerde nicht ausreichend substantiiert entgegengetreten ist (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0149; 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018).

Davon abgesehen erweist sich auch der erstmalig in der Beschwerde vorgebrachte Nachfluchtgrund als nicht nachvollziehbar begründet. Vielmehr wird er lediglich als bloße Behauptung in den Raum gestellt. Auch derart unsubstantiierte Behauptungen lösen nach ständiger Judikatur keine Verhandlungspflicht aus.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

geschlechtsspezifische Verfolgung Glaubwürdigkeit Gruppenverfolgung mangelnde Asylrelevanz private Verfolgung Verfolgungsgefahr westliche Orientierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W137.2229811.1.00

Im RIS seit

11.09.2020

Zuletzt aktualisiert am

11.09.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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