TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/12 W132 2169851-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.05.2020
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Entscheidungsdatum

12.05.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W132 2169851-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula GREBENICEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie - ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerden wird stattgegeben und es wird XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 des Status der Asylberechtigten zuerkannt.

II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der zum damaligen Zeitpunkt unbegleitete minderjährige Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzvorschriften in das Bundesgebiet ein und stellte am 20.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am 21.11.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen Folgendes an: "Ich war einmal in Afghanistan zum Sport machen. Damals wurde ich von der Taliban entführt und in einem Haus festgehalten. Ich konnte mich aber befreien. Weil in Afghanistan Krieg herrscht, habe ich den Iran verlassen. Im Iran hatte ich keine Dokumente, dass ich dort bleiben hätte können."

Befragt zur Rückkehr gab er an: "In Afghanistan sucht die Taliban nach mir. Deshalb habe ich Angst um mein Leben. Im Iran habe ich keine Dokumente, deshalb werde ich nach Afghanistan zurückgeschickt."

Gedolmetscht wurde in der Sprache Farsi.

2. Am 21.03.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des mittlerweile volljährigen Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge ?belangte Behörde' bzw. BFA genannt) im Beisein einer Vertrauensperson. Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zusammengefasst vor, im Iran geboren und aufgewachsen zu sein. Die Familie habe Afghanistan wegen des Krieges verlassen. Er habe im Jahr 2015 einen Freund besuchen wollen, weshalb er versucht habe, mit dem iranischen Ausweis eines Iraners zu seinem Freund zu fliegen. Bei der Kontrolle sei festgestellt worden, dass er Afghane sei. In der Folge sei ihm die Aufenthaltsberechtigung entzogen und er nach Afghanistan abgeschoben worden. Er habe in Afghanistan bleiben wollen, wo es bei einer Busreise jedoch zu einem Vorfall gekommen sei, wo ihm von den (glaublich) Taliban, welche seinen Bus angehalten hätten, unterstellt worden sei, dem Militär anzugehören. Er sei geschlagen worden. Ein Mann habe sich für ihn eingesetzt, wonach die Taliban von ihm abgelassen hätten. Er sei dann schlepperunterstützt zurück in den Iran gereist. Seine Familie habe ihm vorgeworfen, aus eigenem Verschulden den Aufenthaltstitel verloren zu haben. Die Eltern, insbesondere seine Mutter, hätte darauf gedrungen, dass sich der Beschwerdeführer den Kämpfern in Syrien anschließe, um mehr Geld zu verdienen. Seinem Bruder sei es jedoch gelungen, die Eltern zu überzeugen, den Beschwerdeführer, welcher Angst gehabt habe, als im Iran illegal Aufhältiger, wieder nach Afghanistan abgeschoben zu werden, nach Europa ausreisen zu lassen. Die Familie sei sehr religiös. Nach nur einem Telefonat mit einem Mädchen sei ihm eine Beziehung unterstellt, und er dafür bestraft, worden.

Gedolmetscht wurde in der Sprache Farsi.

Im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens wurden medizinische Unterlagen zum psychischen Leidenszustand des Beschwerdeführers, Unterlagen zu Deutsch- bzw. sonstigen Kursen sowie integrationsbescheinigende Beweismittel vorgelegt.

Dem Beschwerdeführer wurde eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme eingeräumt.

3. In der Folge hat die bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers eine Stellungnahme eingebracht. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer als "Iran-Rückkehrer" in Afghanistan Verfolgung drohe, und er aufgrund des Zerwürfnisses mit der Familie, auch nicht mehr mit Unterstützung rechnen könne. Ihm stehe aufgrund seiner persönlichen Umstände und der prekären Sicherheits- und Versorgungslage, auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.

4. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde wurde über den Antrag des Beschwerdeführers wie folgt abgesprochen:

"I. Ihr Antrag auf internationalen Schutz vom 20.11.2015 wird hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, abgewiesen.

II. Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wird Ihr Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Ihren Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen.

III. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt.

Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wird gegen Sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen.

Es wird gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass Ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist.

IV. Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können, bzw. dem, den Iran betreffenden Vorbringen, keine Asylrelevanz zukomme. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Zuerkennung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstünde.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege der bevollmächtigten Vertretung fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang.

Zu den Fluchtgründen wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich vor seiner Flucht illegal im Iran aufgehalten, und sei bereits einmal nach Afghanistan abgeschoben worden, wo er, obwohl er nur drei Tage aufhältig gewesen sei, von Mitgliedern der Taliban, im Rahmen einer Buskontrolle, drangsaliert und geschlagen worden sei. Der Beschwerdeführer habe den Iran wegen der Befürchtung, neuerlich nach Afghanistan abgeschoben zu werden, und dort als Hazara in eine lebensgefährliche Situation zu geraten, verlassen müssen. Zur Untermauerung des Vorbringens wurde aus Berichten zur Lage in Afghanistan zitiert. Im Übrigen sei die Beweiswürdigung mangelhaft erfolgt und nimmt der Beschwerdeführer in der Folge zu den vermeintlichen Widersprüchen Stellung.

6. In der Folge wurden weitere integrationsbescheinigende Unterlagen, insbesondere der Vertrag über den Beginn der Lehre des Beschwerdeführers als Koch, am 11.04.2018, und Belege über die sportlichen Erfolge des Beschwerdeführers vorgelegt.

Am 08.02.2019 wurde von der bevollmächtigten Vertretung des Beschwerdeführers das Taufzertifikat des Vereins für Mission und Asylantenintegration der Gemeinde Christi vom 01.07.2018, und am 15.05.2019 eine Bestätigung seiner Glaubensgemeinschaft, dass der Beschwerdeführer seit Juni 2018 an den Bibelstunden und am Gottesdienst teilnehme, vorgelegt. Es wurde die Einvernahme des Taufzeugen, des Pastors, und des Dienstgebers des Beschwerdeführers beantragt.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.06.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde im Beisein seiner bevollmächtigten Vertretung und eines Dolmetschers für die Sprache Farsi eingehend zu seiner Person, den Lebensumständen in Afghanistan und im Iran, den Fluchtgründen sowie zum Privat- und Familienleben in Österreich befragt.

Als Zeugen wurden der Taufzeuge, der Pastor, und der Dienstgeber des Beschwerdeführers einvernommen.

Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.

Zur Untermauerung des Vorbringens wurden integrationsbescheinigende Unterlagen sowie ein Foto der Taufe des Beschwerdeführers vorgelegt.

Bereits in der Ladung wurden die Verfahrensparteien darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Afghanistan vom 29.06.2018 (letzte Information eingefügt am 26.03.2019) heranzuziehen.

Das Bundesverwaltungsgericht brachte ergänzend den Bericht von EASO (Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen), Arbeitsübersetzung der Staatendokumentation des BFA Stand 15.02.2018, zu afghanischen Netzwerken, Migration und Urbanisierung, Kontakt mit den Netzwerken nach der Migration und Möglichkeit der Ansiedlung in städtischen Zentren ohne Netzwerk, die Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Asylsuchender, 30.08.2018, sowie die EASO-Guidance Note zu Afghanistan von Juni 2018, in das Verfahren ein.

Der bevollmächtigten Vertretung des Beschwerdeführers wurde eine Frist von vier Wochen zur Stellungnahme eingeräumt.

Die Verhandlungsschrift wurde dem Beschwerdeführer und seiner bevollmächtigten Vertretung persönlich ausgefolgt.

8. Im Anschluss wurde die Verhandlungsschrift der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht.

Die belangte Behörde hat sich dazu nicht geäußert.

9. Mit dem Schriftsatz vom 02.07.2019 hat die bevollmächtigte Vertretung des Beschwerdeführers eine ergänzende Stellungnahme eingebracht. Im Wesentlichen wurden Berichte zur Situation von Konvertiten in Afghanistan und zur dortigen Sicherheits- und Versorgungslage zitiert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person und den Lebensumständen in Afghanistan bzw. im Iran

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, und gehört der Volksgruppe der Hazara an.

Als Geburtsdatum wird der XXXX angenommen.

Er beherrscht die Sprache Farsi in Wort und Schrift.

Der Beschwerdeführer ist im Iran geboren und hat bis zu seiner Ausreise nach Europa 2015 im Iran gelebt. Die Eltern des Beschwerdeführers stammen aus XXXX . Sie haben Afghanistan vor ca. 37 Jahren wegen des Krieges verlassen. Der Beschwerdeführer hat im Iran neun Jahre lang die Schule besucht, jedoch keine Ausbildung absolviert.

Er war bis auf einen kurzen Aufenthalt 2015 nie in Afghanistan.

Der Beschwerdeführer gibt an, keinen Kontakt mehr zur Familie zu haben, in Afghanistan habe er keine sozialen Anknüpfungspunkte.

Der Beschwerdeführer ist im erwerbsfähigen Alter, leidet an keiner wesentlichen Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes, und ist in der Lage einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Er gelangte unter Umgehung der Einreisevorschriften nach Österreich und stellte am 20.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er verfügt über kein Reisedokument und hat auch nie eines besessen. Er befindet sich auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

1.2. Zum Leben in Österreich

Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich bereits gut integriert. Er hat in Österreich soziale Kontakte geknüpft, ist in Österreich jedoch nicht verheiratet, führt keine Lebensgemeinschaft, hat in Österreich keine Kinder und auch sonst keine nahen Verwandten oder Verwandte, die vom Beschwerdeführer finanziell abhängig sind oder Verwandte, von denen der Beschwerdeführer finanziell abhängig ist.

Dokumentiert sind Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 sowie der Besuch von Deutschkursen. Er kann sich in gutem Deutsch verständigen.

Der Beschwerdeführer hat den Vorbereitungslehrgang für den Pflichtschulabschluss besucht, ein Praktikum im Lehrberuf Metalltechniker absolviert, und ist Mitglied in einem Boxsportverein, wo er erfolgreich an Wettkämpfen teilnimmt.

Er hat bei der Caritas, im Rahmen von Sozialberatungsterminen der Grundversorgung, unentgeltlich gedolmetscht.

Er hat am 11.04.2018 eine Lehre (Koch) begonnen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zum Fluchtvorbringen

Der Beschwerdeführer ist im Iran, in einer streng religiösen Familie, aufgewachsen, welche ihn gezwungen hat zu beten, und in die Moschee zu gehen.

In Österreich hat der Beschwerdeführer begonnen, die Gebote des Islam in Frage zu stellen. Durch einen Freund wurde sein Interesse am Christentum geweckt, und hat sich der Beschwerdeführer in der Folge auf die Taufe vorbereitet, welche am 01.07.2018 vom Verein für Mission und Asylantenintegration der Gemeinde Christi gespendet wurde.

Der Beschwerdeführer ist während seines Aufenthalts in Österreich aus freier persönlicher Überzeugung zum Christentum konvertiert, und würde seinen neuen Glauben auch im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat praktizieren (wollen).

Es kann daher nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Konversion zum Christentum, bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat, Verfolgung aus religiösen und/oder politischen Gründen, in Form physischer und/oder psychischer Gewalt, droht.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative kommt nicht in Betracht, da der Beschwerdeführer im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan im Wesentlichen der gleichen Situation ausgesetzt wäre.

1.5. Zur Lage im Herkunftsstaat

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019:

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019; vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Bamyan

Die Provinz Bamyan grenzt im Norden an Samangan, im Osten an Baghlan, Parwan und (Maidan) Wardak, im Süden an Ghazni und Daykundi und im Westen an Sar-e Pul und Ghor (UNOCHA 4.2014). Sie ist in sieben Distrikte unterteilt: Bamyan, Kahmard, Panjab, Saighan, Shebar, Waras und Yakawlang. Darüber hinaus existiert noch der "temporäre" Distrikt Yakawlang zwei (CSO 2019; vgl. IEC 2018). Temporäre Distrikte sind Distrikte, die nach Inkrafttreten der Verfassung im Jahr 2004 vom Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, jedoch (noch) nicht vom Parlament bestätigt wurden (AAN 16.8.2018). Die Provinzhauptstadt ist Bamyan-Stadt (CSO 2019).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistans (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 486.928 Personen in Bamyan (CSO 2019). Bamyan gilt als die "inoffizielle Hazara-Hauptstadt" Afghanistans (AJ 27.6.2016) und ist Teil des sogenannten Hazarajat (DFAT 18.9.2017). Nach den Hazara sind Tadschiken und Paschtunen die zweit- und drittgrößte ethnische Gruppe in Bamyan (PAJ o.D.). Etwa 90% der Bewohner von Bamyan sind Schiiten (PAJ o.D.).

Der Linienverkehr zum und vom Flughafen Bamyan wurde im Januar 2018 eingestellt, nachdem die einzige Fluggesellschaft, die diese Strecke anfliegt, bei einem Angriff auf ein Hotel in Kabul mehrere Mitarbeiter verloren hat (PAJ 19.3.2018). Mit Stand Februar 2019 war der Betrieb wieder aufrecht (Lifos 7.2.2019). Bamyan kann von Kabul aus entweder über die Autobahn Kabul-Bamyan, über die Provinz (Maidan) Wardak oder über Parwan erreicht werden (PAJ 26.4.2015). Bamyan soll 2022 über die sogenannte Baghlan-Bamyan (B2B)-Straße mit dem benachbarten Baghlan verbunden werden (WB o.D.). Ein chinesisches Unternehmen hat 2017 einen Vertrag über den Bau einer Straße unterzeichnet, die den Distrikt Yakawlang mit dem Distrikt Dare-e-Sof in Samangan verbinden soll. Dies ist Teil des National North-South Corridor Projekts, das Mazar-e Sharif in Balkh mit Kandahar im Süden verbinden soll (XI 9.1.2017).

Gemäß dem UNODC Opium Survey des Jahres 2018 war Bamyan auch in diesem Jahr die einzige schlafmohnfreie Provinz in der Nordregion Afghanistans (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die Provinz Bamyan zählt zu den relativ friedlichen Provinzen in Zentralafghanistan (KP 30.6.2018; vgl. TN 28.6.2017). Jedoch wurde im Juli 2018 von einem Angriff der Taliban-Aufständische auf mehrere Polizeikontrollstellen im Distrikt Kahmard berichtet (TN 30.7.2018). Nichtsdestotrotz, hatten die Taliban mit Stand November 2018 keinen Einfluss in Bamyan (RFE/RL 13.11.2018).

Aufseiten der Regierungstruppen liegt Bamyan im Verantwortungsbereich des 203. ANA Tandar Corps, das der Task Force Southeast untersteht, welche von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Im November 2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani die Bildung einer neuen militärischen Einheit mit mindestens 443 Sicherheitskräften in der Provinz an (KP 10.11.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA in Bamyan sieben zivile Opfer (ein Todesopfer, sechs Verletzte). Dies entspricht einer Steigerung von 75% gegenüber 2017. Hauptursache waren nicht explodierte Kampfmittel (unexploded ordnances, UXOs) bzw. Landminen, gefolgt von Kämpfen und Drohungen bzw. Einschüchterungen und Belästigungen (UNAMA 24.2.2019).

IDPs - Binnenvertriebe

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 acht in der Provinz Bamyan vertriebene Personen, die aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA keine durch gewaltsamen Konflikt vertriebene Personen aus oder in die Provinz Bamyan (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 3.091 Vertriebene in die Provinz Bamyan, die hauptsächlich aus anderen Provinzen stammten (UNOCHA 28.1.2019).

Religionsfreiheit

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 30.4.2019; vgl. AA 2.9.2019). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (AA 2.9.2019; vgl. CIA 30.4.2019, USDOS 21.6.2019); in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019, MPI 2004). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USODS 21.6.2019; vgl. AA 9.11.2016). Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie (USDOS 21.6.2019). Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (USDOS 29.5.2018).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 21.6.2019). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 21.6.2019; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 21.6.2019).

Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Gerechtigkeit zu erlangen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime (USDOS 21.6.2019).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 21.6.2019; vgl. FH 4.2.2019). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 21.6.2019).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 21.6.2019). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 21.6.2019).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 21.6.2019).

Christentum und Konversion zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 21.6.2019). USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen (USDOS 26.10.2009). Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion (RA KBL 1.6.2017).

Tausende ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 1.6.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 2.9.2019). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken (USDOS 21.6.2019).

Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. Zur Zahl der Konvertiten gibt es keine Statistik. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden (RA KBL 1.6.2019).

Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 2.9.2019; vgl. USCIRF 4.2018, USDOS 21.6.2019), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 21.6.2019; vgl. AA 2.9.2019). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (WA 11.12.2018; vgl. AA 2.9.2019). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017).

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie (USDOS 21.6.2019).

Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und missionieren (USDOS 21.6.2019). Ein christliches Krankenhaus ist seit 2005 in Kabul aktiv (CURE 8.2018); bei einem Angriff durch einen Mitarbeiter des eigenen Wachdienstes wurden im Jahr 2014 drei ausländische Ärzte dieses Krankenhauses getötet (NYP 24.4.2014). Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht. Dieser betreibt eine Schule für Kinder mit Behinderung (PBdK o.D.; vgl. AF 4.1.2019).

Apostasie, Blasphemie, Konversion

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (AA 2.9.2019).

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 21.6.2019) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie (AA 2.9.2019); auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017; vgl. USDOS 21.6.2019) und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 21.6.2019).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld (AA 2.9.2019). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.2.2019). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.2.2019).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 1.6.2017).

Relevante ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen (CIA 30.4.2019; vgl. CSO 2019). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA 7.2016 ; vgl. CIA 30.4.2019). Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 2.9.2019).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ?Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet" (BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 2.9.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.3.2019).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 2.9.2019). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.3.2019).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA 7.2016). Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen sowie in Kabul (USDOS 21.6.2019).

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischen sie ist, da viele von ihnen - zumindest anfangs - regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht "man kenne seine Nachbarn nicht mehr" (AAN 19.3.2019). Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri, Afshar und Kart-e Mamurin (AAN 19.3.2019).

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild (BFA 7.2016). Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten (BFA 7.2016; vgl. MRG o.D.c), auch bekannt als Jafari Schiiten (USDOS 21.6.2019). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch (BFA 7.2016). Ismailische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind (GS 21.8.2012), leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (USDOS 21.6.2019).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert (AA 2.9.2019; vgl. FH 4.2.2019) und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert (AA 2.9.2019). Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung (USDOS 13.3.2019). Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (FH 4.2.2019; vgl. WP 21.3.2018).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan (BFA 7.2016; vgl. MRG o.D.c). Sollte der haushaltsvorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist (MRG o.D.c). Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (BFA 7.2016).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht (WP 21.3.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen (USDOS 13.3.2019). Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - an (USDOS 21.6.2019).

Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara, forderten im Zeitraum 1.1.2018 bis 30.9.2018 211 Todesopfer (USDOS 13.3.2019). Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart (USDOS 21.6.2019). Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (MEI 10.2018; vgl. WP 21.3.2018).

In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (AREU 1.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (BI 29.9.2017). NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (USDOS 13.3.2019).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person und den Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu seiner Abstammung aus der Herkunftsprovinz seiner Eltern, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des Beschwerdeführers, beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens sowie auf seiner Kenntnis und Verwendung der Sprache Farsi. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, diese in Zweifel zu ziehen.

Die Identität konnte - mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente oder anderer relevanter Bescheinigungsmittel - nicht abschließend geklärt werden.

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers getroffen wurden, gelten diese ausschließlich für die Identifizierung der Person im Asylverfahren.

Auf seine Angaben stützt sich auch die Feststellung über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers.

Hinsichtlich der Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers beruhen die Feststellungen auf der eigenen Wahrnehmung der erkennenden Richterin im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Verbindung mit dem vorgelegten Zertifikat A2.

Betreffend das Privatleben und insbesondere die Integration des Beschwerdeführers in Österreich wurden dessen Angaben in der Beschwerdeverhandlung sowie die vorgelegten unbedenklichen Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer unbescholten ist, ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Die vorgebrachten Verfolgungsgründe sind weder bewiesen noch geeignet belegt worden. Daher ist zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen sind, auf die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und das Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen.

Der Beschwerdeführer hinterließ in der öffentlich-mündlichen Beschwerdeverhandlung einen persönlich glaubwürdigen Eindruck. Er hat die erkennende Richterin überzeugt, indem er die Fragen spontan und konkret beantwortete. Der Beschwerdeführer ist den Fragen nicht ausgewichen, und hat auch nicht den Anschein erweckt, dass er die gestellten Fragen "asyltaktisch" beantwortet hat. Der Beschwerdeführer machte nicht den Eindruck, auswendig Gelerntes wiederzugeben, sondern schilderte sehr überlegt, und war sichtlich bemüht, über seinen Glauben Auskunft zu geben.

Es liegen keine objektiven Anhaltspunkte vor, das maßgebende Vorbringen in Zweifel zu ziehen. Die Aussagen sind umfangreich und nachvollziehbar, sie stellen sich - auch vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen - als plausibel dar (siehe dazu auch die rechtlichen Erwägungen).

Die Feststellungen zur Konversion des Beschwerdeführers ergeben sich insbesondere aus dem vorgelegten Taufzertifikat des Vereins für Mission und Asylantenintegration der Gemeinde Christi vom 01.07.2018, der Bestätigung seiner Glaubensgemeinschaft, dass der Beschwerdeführer seit Juni 2018 an den Bibelstunden und am Gottesdienst teilnehme, sowie den Angaben des Beschwerdeführers, und der im Rahmen der Beschwerdeverhandlung einvernommenen Zeugen H.N. und G.K.. Der Beschwerdeführer konnte seine Konversion zum christlichen Glauben überzeugend darlegen - gestützt durch das vorgelegte Taufzertifikat, die vorgelegten Unterlagen, und die Zeugenaussagen - und glaubhaft machen, dass der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht, und er seinen neuen Glauben auch im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat praktizieren würde. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, die an der Ernsthaftigkeit der Konversion und der inneren Überzeugung des Beschwerdeführers zweifeln lassen würden.

Die Hinwendung zum Christentum hat der Beschwerdeführer glaubhaft gemacht. Im Iran fühlte sich der Beschwerdeführer von seiner Familie unterdrückt, weil ihn diese gezwungen habe zu beten, und in die Moschee zu gehen. Er hätte auch keine Freundin haben dürfen. Er habe keinen Kontakt mehr zur Familie, weil er über das Christentum habe sprechen wollen, worauf er als Ungläubiger bezeichnet, und der Kontakt abgebrochen worden sei.

Das Christentum habe er in Österreich durch einen Freund, kenngelernt, nachdem er die Gebote des Islam betreffend Religionsausübung, und die Stellung der Frau im Islam, sowie den "heiligen Krieg", in Frage gestellt habe. Dieser Freund habe den Beschwerdeführer an das Christentum herangeführt, woraufhin der Beschwerdeführer begonnen habe, die Kirche zu besuchen, und in der Bibel zu lesen.

Auslösend für die Hinwendung zum christlichen Glauben, war die Lehre von den Wundern und dem Opfertod von Jesus, dessen Auferstehung, sowie die Lehre von Liebe statt Hass. Er habe im Christentum Antworten auf seine Fragen bekommen. Seit der Konversion werde er nicht mehr wütend, und übe sich in Nächstenliebe. Der Beschwerdeführer kennt wesentliche Inhalte der neuen Religion, insbesondere die Glaubensrichtungen des Christentums, die christlichen Feiertage und deren Bedeutung, und die Dreifaltigkeit. Er gibt offen zu, dass ihm die Einhaltung des Gebotes, die Eltern zu ehren, schwerfällt, weil er für sie ein Ungläubiger sei. Er fühlt sich durch die Taufe wiedergeboren, und empfindet Glück, dass er ein Christ ist, und Hoffnung gefunden hat. Er engagiert sich in seiner Glaubensgemeinde, indem er an den Bibelstunden sowie den Gottesdiensten teilnimmt, und andere beim Studium der Bibel unterstützt. Der Beschwerdeführer zitiert aus der Bibel, dass er den Auftrag habe, zu missionieren.

Der Zeuge H.N., nach seinen Angaben Asylwerber, und selbst konvertierter Christ, bestätigte nachvollziehbar die Ausführungen des Beschwerdeführers, dass dieser regelmäßig die Bibelstunden und den Gottesdienst besuche. Er habe dessen Hinwendung zum Christentum begleitet, und die Ernsthaftigkeit dadurch festgestellt, dass der Beschwerdeführer viele Fragen gestellt, und sich sehr für die Inhalte der Bibel interessiert habe. Der Zeuge bekräftigte das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass dieser am Gemeindeleben teilnehme und missioniere.

Der Zeuge G.K., Pastor der Glaubensgemeinde und Taufspender des Beschwerdeführers, beschreibt überzeugend und im Einklang mit den Ausführungen des Beschwerdeführers, wie dieser in Kontakt mit der Glaubensgemeinde gekommen ist, sich auf die Taufe vorbereitet hat, sich in der Gemeinde engagiert, und wie er seinen Glauben ausübt.

Die Feststellungen zur fehlenden innerstaatlichen Fluchtalternative ergeben sich insbesondere aus den Länderfeststellungen in Verbindung mit den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers wird daher in freier Beweiswürdigung als glaubhaft erachtet und der Entscheidung zugrunde gelegt.

Angesichts der getroffenen Feststellungen kann dahin gestellt bleiben, ob dem Beschwerdeführer auch Verfolgung aus anderen in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Gründen droht.

2.3. Zu den Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

Die Parteien des Verfahrens haben alle genannten Länderinformationen mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme übermittelt bekommen und haben von diesem Recht auch teilweise Gebrauch gemacht.

Seit der Durchführung der mündlichen Verhandlung hat sich im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers allgemein und insbesondere für den Beschwerdefall keine entscheidende Lageveränderung ergeben. Die Lage in Afghanistan stellt sich im Hinblick auf die aktuellsten Länderberichte diesbezüglich im Wesentlichen unverändert dar, wie sich das Bundesverwaltungsgericht durch ständige Beachtung der aktuellen Quellenlage versichert hat.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu A)

3.1. Zuerkennung des Status des Asylberechtigten

Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. (§ 3 Abs. 1 AsylG)

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet.

Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es hande

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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