TE Vwgh Erkenntnis 1997/12/11 96/20/0226

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Veröffentlicht am 11.12.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/04 Sprengmittel Waffen Munition;

Norm

AVG §52;
WaffG 1986 §6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Rose, über die Beschwerde des P in Wien, vertreten durch Dr. Robert Briem, Dr. Kurt Dullinger, Dr. Thomas Kustor, Rechtsanwälte in Wien I, Rotenturmstraße 17, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 29. Jänner 1996, Zl. SD 1127/95, betreffend Entziehung einer Waffenbesitzkarte, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.920,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien, Administrationsbüro vom 19. Juli 1995 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid, mit dem dem Beschwerdeführer gemäß § 20 Abs. 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Z. 1 Waffengesetz 1986 in der Fassung BGBl. Nr. 1107/1994, die von ihm von der Bundespolizeidirektion Wien am 24. März 1992 ausgestellte Waffenbesitzkarte entzogen worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG bestätigt.

In der Begründung verwies die belangte Behörde darauf, daß der Beschwerdeführer am 23. Februar 1995 auf Grund der Anzeige einer Bekannten wegen Verdachtes der gefährlichen Drohung festgenommen worden sei. Nach den Aussagen dieser Bekannten, die ihn besucht habe, habe der Beschwerdeführer, dessen Verhalten ihr "schon vorher seltsam vorgekommen" gewesen sei, diese in den Morgenstunden des 22. Februar 1995 im alkoholisierten Zustand damit bedroht, daß er sie, wenn sie ihn verlasse, töte, und daß er auch sich selber erschießen werde. Dabei habe er seinen Revolver aus einer Lade und aus dem Holster genommen und ihn zu laden begonnen, woraufhin sie aus der Wohnung gelaufen und mit einem Taxi zu einem Wachzimmer gefahren sei. Der Beschwerdeführer habe diese Drohungen zwar bestritten, aber zu Protokoll gegeben, daß er sich nicht daran erinnern könne, die Waffe in der Hand gehabt zu haben. Er sei nur leicht betrunken gewesen. In der Folge sei der Beschwerdeführer vom Verdacht der gefährlichen Drohung und der Nötigung gemäß § 259 Z. 3 StPO freigesprochen worden. Der im Gerichtsverfahren (gemeint: im gerichtlichen Strafverfahren) beigezogene ärztliche Sachverständige sei in seinem Gutachten von folgendem Sachverhalt ausgegangen:

Der Beschwerdeführer habe nach dem Tod seiner Frau (Anmerkung: im November 1994), einer chronischen Alkoholikerin, zunehmend zu trinken begonnen (harte Getränke und Bier) und Nachtlokale besucht. Er habe auch damals eine großkalibrige Faustfeuerwaffe erworben. In diesem Milieu habe er die Anzeigerin kennengelernt und ihr auch einen Heiratsantrag gemacht, obwohl sie verheiratet gewesen sei und Kinder habe. Da ihr sein Verhalten exaltiert und sonderbar erschienen sei, habe sie die Beziehung beenden wollen. Ihre diesbezügliche Erklärung habe ihn wie ein Donnerschlag getroffen. Er habe, nachdem er noch ein Glas Wodka getrunken habe, flehentlich versucht, sie umzustimmen. Als ihm dies nicht gelungen sei, habe er den schweren Revolver hervorgeholt und gesagt, er werde sich damit erschießen. Wie und was er genau gesagt habe, könne er sich nicht erinnern, jedenfalls habe er sie damit nicht bedroht und den Revolver auch nicht vor ihren Augen geladen. Er habe ihr damit nur imponieren und angeben wollen. So habe sich nach Darstellung des Beschwerdeführers die Sache abgespielt. Der Gutachter sei zum Ergebnis gekommen, daß der Beschwerdeführer nicht zurechnungsunfähig gewesen sei und daß er, durch das zumindest ungeschickte Verhalten seiner ebenfalls alkoholisierten Partnerin geschockt, in einen durch Alkoholgenuß und neurotische Charakterstruktur verstärkten Ausnahmezustand, in dem er kurzfristig für die Folgen seiner Handlung vermindert zurechnungsfähig bzw. sich der strafrechtlichen Relevanz nicht bewußt gewesen sei, geraten sei. Diesem Gutachten sei auch ein EEG-Laborbefund zugrundegelegen, wonach sich geringe, unspezifische Zeichen einer Allgemeinveränderung, jedoch keine Herdhinweise und auch keine Zeichen einer erhöhten zerebralen Erregungsbereitschaft gefunden hätten, sowie ein klinisch-psychologischer Befund von Professor Dr. A, wonach persönlichkeitsmäßig sensitive Züge bei neurotischer Struktur bestünden. Auf Grund dieser Befunde und dieses Gutachtens habe der Chefarzt der belangten Behörde, OMR Dr. S., festgestellt, (Anmerkung: ohne persönliche Untersuchung des Beschwerdeführers), daß es sich bei diesem um eine neurotische Persönlichkeit mit depressiven Zügen handle und daß demnach - losgelöst vom Ausgang des Strafverfahrens - die waffenpolizeiliche Verläßlichkeit nicht gegeben sei. Auf diese medizinischen Gutachten und Feststellungen stütze sich der erstinstanzliche Bescheid. Das chefärztliche Gutachten sei zwar nicht - wie die Behörde erster Instanz gemeint habe und in der Berufung daher zutreffend gerügt worden sei - bindend, den in der Berufung vorgetragenen Argumenten des Beschwerdeführers hielt die belangte Behörde jedoch entgegen, daß die mangelnde Verläßlichkeit von der Erstbehörde nicht auf die Annahme einer Geisteskrankheit oder Geistesschwäche, sondern auf die Bestimmung des § 6 Abs. 1 Z. 1 Waffengesetz - auch eine Voraussetzung für die Verläßlichkeit - gestützt worden sei, und daß daher zu prüfen sei, ob die Annahme gerechtfertigt sei, daß der Beschwerdeführer Waffen nicht mißbräuchlich oder leichtfertig verwenden werde. Der vorgelegte klinisch-psychologische Befund Dris. A vom 27. November 1995, der dem Beschwerdeführer attestiere, daß persönlichkeitsmäßig neurotische Mechanismen, die aus der damaligen Situation durch äußere Ursachen bedingt erklärbar gewesen seien, nicht mehr aufschienen, vermöge daran nichts zu ändern. Im vorliegenden Fall sei nämlich primär vom damaligen Sachverhalt auszugehen. Selbst wenn man der Zeugin nicht glauben wolle, sei zumindest erwiesen, daß der Beschwerdeführer im alkoholisierten Zustand in einer Streßsituation unter bedenklichen Umständen zu einer Faustfeuerwaffe gegriffen und erklärt habe, daß er sich damit erschießen werde, um seiner Bekannten, wie er es erklärt habe, "zu imponieren". Schon allein dieser feststehende Sachverhalt zeige einen mißbräuchlichen und leichtfertigen Umgang mit der Faustfeuerwaffe, der die Verläßlichkeit des Beschwerdeführers im Sinn der zitierten Gesetzesstelle nicht mehr als gegeben erscheinen lasse, wobei noch hinzukomme, daß nach Überzeugung der belangten Behörde der Beschwerdeführer damit seiner Bekannten nicht nur habe imponieren wollen, sondern daß er sie mit dieser Waffe und der zugegebenen Erklärung zumindest, ohne daß dies bereits als gefährliche Drohung qualifiziert werden müsse, habe veranlassen wollen, ihren Entschluß zu ändern. Noch schlimmer wäre es für ihn, wenn ihm - wie er zu Protokoll gegeben habe - überhaupt nicht bewußt gewesen sei, daß er die Waffe in die Hand genommen habe, weil damit feststünde, daß er überhaupt die Kontrolle über die Waffe verloren habe. Die Annahme, daß der Beschwerdeführer in ähnlichen Belastungssituationen auf ähnliche Weise reagiere, erscheine der belangten Behörde gerechtfertigt. Durch die Sachverständigenbeweise werde diese Annahme nur noch zusätzlich unterstützt. Die Verläßlichkeit sei jedenfalls nicht mehr gegeben gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde meinte, das Ergebnis des vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren vorgelegten klinisch-psychologischen Befundes Dris. A vom 27. November 1995, demzufolge die im Befund vom 23. März 1995 aufgeschienenen neurotischen Mechanismen aus äußerer Ursache einfühlbar und verstehbar seien, Psychosezeichen oder Hinweise auf eine Verstimmung nicht aufschienen und keine Einschränkungen oder Bedenken gegen die Verläßlichkeit des Beschwerdeführers aus neurologisch-medizinischer Sicht bestünden, inhaltlich nicht mehr berücksichtigen zu müssen, da es nicht auf die Frage der - neurotischen oder klinisch-psychologisch unauffälligen - Charakterstruktur des Beschwerdeführers, sondern alleine auf den "damaligen Sachverhalt" bei Beurteilung der Verläßlichkeit im Sinne des § 6 Abs. 1 Z. 1 Waffengesetz 1986 ankomme. Dem kann nicht gefolgt werden.

Gemäß § 58 Abs. 2 und § 60 in Verbindung mit § 67 AVG haben Berufungsbescheide eine Begründung zu enthalten, in der die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind. In der Bescheidbegründung ist daher in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zugänglichen Weise darzutun, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zur Ansicht gelangte, daß gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens5 zu § 60 AVG wiedergegebene Rechtsprechung). Sind die einen tragenden Teil der Begründung darstellenden Ausführungen für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar und somit nicht überprüfbar, so liegt ein wesentlicher Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung des Bescheides führt.

Im vorliegenden Fall stützte sich die belangte Behörde "primär" auf den "damaligen Sachverhalt", der sich lediglich aus dem Inhalt der Befundaufnahme jenes Sachverständigengutachtens ergibt, das in dem mit Freispruch des Beschwerdeführers endenden Strafverfahren eingeholt worden war. Inwieweit auch die Darstellung der Anzeigerin und der Inhalt der polizeilichen Anzeige zur Grundlage der angefochtenen Entscheidung gemacht wurde, ergibt sich aus dem angefochtenen Bescheid nicht. Am 14. Juni 1995 gab über Ersuchen der Behörde erster Instanz der Chefarzt der Bundespolizeidirektion Wien folgende Stellungnahme zum Fall des Beschwerdeführers ab:

"Nach dem fachärztlichen Befundbericht Dris. Z handelt es sich bei dem Genannten um eine neurotische Persönlichkeit mit depressiven Zügen.

Aus diesem Grunde ist, unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens, die Verläßlichkeit im Sinn des § 6 Waffengesetz mit Sicherheit nicht gegeben."

Mit Schreiben vom 29. Juni 1995 wurde der Beschwerdeführer vom Ergebnis dieser "Beweisaufnahme" in Kenntnis gesetzt und zur Stellungnahme aufgefordert. In der daraufhin vom Beschwerdeführer erstatteten Eingabe rügte er - kurz und zusammengefaßt wiedergegeben - die mangelnde Unmittelbarkeit der chefärztlichen "Begutachtung" einerseits sowie Inhalt und Grundlage des Gutachtens Dris. Z. Auch in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid bemängelte der Beschwerdeführer das Fehlen jeglicher Tatsachenfeststellungen, die den Mangel der "Verläßlichkeit" im Sinne des Waffengesetzes hätten begründen können. Dennoch hat auch die belangte Behörde weder selbständig Tatsachenfeststellungen getroffen, noch irgendwelche nachvollziehbare Erwägungen dargelegt, die auf eine von ihr vorgenommene Beweiswürdigung von Ermittlungsergebnissen schließen ließen, zumal die Richtigkeit und Vollständigkeit des dem Gutachten Dris. Z zugrundeliegenden, als Darstellung des Beschwerdeführers wiedergegebenen Sachverhaltes bereits in der Berufung bestritten worden waren. Abgesehen davon, daß die von der belangten Behörde angeordnete "chefärztliche Stellungnahme" den Kriterien eines Sachverständigengutachtens in keiner Weise entspricht, ist darauf zu verweisen, daß die Frage der waffenrechtlichen Verläßlichkeit eine von der Behörde zu lösende Rechtsfrage ist, deren Beantwortung dem medizinischen Sachverständigen nicht zukommt.

Die Beschwerde ist daher insoweit berechtigt, als sie geltend macht, daß die belangte Behörde bei Durchführung eines entsprechenden Ermittlungsverfahrens unter Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, nach Vornahme einer ordnungsgemäßen Beweiswürdigung und detailliertenSachverhaltsfeststellung (unter Zugrundelegung des gesamten Ergebnisses des gerichtlichen Strafverfahrens und nicht nur eingeschränkt auf das in diesem Zusammenhang erstattete medizinische Gutachten), zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte gelangen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Gutachten rechtliche Beurteilung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996200226.X00

Im RIS seit

25.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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