Entscheidungsdatum
08.06.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W226 2111883-2/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , staatenlos, vertreten durch AINEDTER & AINEDTER Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.03.2017, Zl.: 171715109-150272666, zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und das Aufenthaltsverbot der BPD Wien vom XXXX , Zl. XXXX gemäß § 69 Abs. 2 FPG aufgehoben.
B)
Die Revision ist gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid der XXXX vom XXXX , Zl. XXXX , wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 18 Abs. 1 und Abs.2 Z.1 des Fremdengesetzes 1992 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Diesem Bescheid lag eine rechtskräftige Verurteilung durch das LG für Strafsachen XXXX vom XXXX wegen §§ 75, 15, 12, 178 a Abs. 1 StGB, § 36 Waffengesetz zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe sowie eine festgestellte Scheinehe zu Grunde.
2. Am 12.03.2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots und begründete dies damit, dass er am XXXX aus der Haft entlassen worden sei. Das Bundesgebiet dürfe er nicht verlassen, weil er staatenlos sei, wobei durch eine Bescheinigung der Botschaft der Russischen Föderation belegt sei, dass er seit XXXX keine Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation mehr besitze. Seit dem XXXX sei er zudem mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, bei dieser sei er auch gemeldet. Ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, zu dem alle Voraussetzungen erfüllt seien, dürfe wegen des bestehenden Aufenthaltsverbotes nicht erteilt werden. Der Beschwerdeführer sei in jeder Hinsicht in der österreichischen Gesellschaft integriert, er habe eine Hochschulausbildung und sei arbeitswillig, eine Arbeitsstelle bei der Israelitischen Kultusgemeinde XXXX sei ihm bereits zugesagt worden, auch diesen Posten dürfe er ohne Aufenthaltserlaubnis jedoch nicht annehmen. Bei der Kultusgemeinde sei er aktives Mitglied, sein Beitrag werde von der Führung der Kultusgemeinde sehr geschätzt.
3. Ein Bescheid der belangten Behörde vom 09.07.2015, mit dem der Antrag vom 12.03.2015 auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes abgewiesen worden war, wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.09.2016, Zl. W226 2111883-1/2E behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
4. Im fortgesetzten Verfahren schaffte die belangte Behörde die bisher gegen den Beschwerdeführer ergangen strafrechtlichen Urteile bei und führte mit diesem am 25.01.2017 eine niederschriftliche Einvernahme durch. Verkürzt wiedergegeben verwies der Beschwerdeführer bei dieser Gelegenheit auf seine familiäre Situation, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet vor und nach der langjährigen Freiheitstrafe und seine Unmöglichkeit, das Bundesgebiet zu verlassen, da er ja inzwischen staatenlos geworden sei. Während der Haft sei ihm ein hohes Verantwortungsbewusstsein bescheinigt worden, er habe begleitete Freigänge erlaubt bekommen, später unbegleitete Freigänge und sei er letztlich nach Erstellung eines psychologischen Gutachtens vorzeitig enthaftet worden.
5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 23.03.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 12.03.2015 erneut gemäß § 69 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 abgewiesen. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges verwies die belangte Behörde darauf, dass der Beschwerdeführer bereits mit Urteil vom XXXX vom Landesgericht für Strafsachen XXXX wegen §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten und mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX wegen §§ 75, 12, 278 a Abs. 1 StGB, § 36 Abs. 4 Waffengesetz zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Er habe seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes den Großteil seines Lebens in Strafhaft verbracht, sei seit XXXX mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet und würde ein im Jahr 2012 erstelltes psychologisches Gutachten ein Rückfallrisiko für ein Gewaltdelikt als gering einschätzen.
Der Beschwerdeführer sei nach legaler Einreise in den Jahren 1989 bis 1993 mit einem unbefristeten Sichtvermerk aufhältig gewesen, dieser sei aufgrund einer Scheinehe für ungültig erklärt worden. Seit diesem Zeitpunkt - 20.07.1993 - halte er sich unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.
In rechtlicher Hinsicht verwies die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Schwere seiner Verurteilungen eine besondere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstelle. Er sei zwar am XXXX vorzeitig aus der Strafhaft entlassen worden, habe seine jetzige Ehegattin am XXXX geehelicht und befinde sich nunmehr seit vier Jahren auf freiem Fuß, jedoch sei eine Bewährungshilfe unter Bestimmung einer Probezeit von zehn Jahren angeordnet worden. Die Zeit seit seiner Enthaftung sei als sehr kurz anzusehen, der Aufenthalt in Österreich sei nach wie vor unrechtmäßig. Der Beschwerdeführer halte sich seit nunmehr 28 Jahren in Österreich auf, es sei jedoch anzumerken, dass lediglich vier Jahre des Aufenthaltes rechtmäßig gewesen seien. Die belangte Behörde erkenne zwar die Bedeutung des über den Beschwerdeführer während der Haft angefertigten positiv ausfallenden Gutachtens an, dieser befinde sich jedoch seit der Entlassung nach wie vor unter staatlicher Kontrolle und habe die Bewährungsauflagen zu erfüllen. In der Abwägung zwischen öffentlichen Interessen und dem Privat- und Familienleben könne die vom Beschwerdeführer gezeigte Integrationswilligkeit während und nach der Haftstrafe nicht höher gewertet werden als die Wahrung der öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung. Die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände hätten sich somit nicht in entscheidungsrelevanter Weise geändert, sodass der Antrag abzuweisen sei.
6. In der fristgerecht eingebrachten Beschwerde wurde erneut auf den bisherigen Verfahrensgang und die aus Sicht des Beschwerdeführers umfangreichen Integrationsbemühungen, weiters auf die Unmöglichkeit, das Bundesgebiet wegen der Staatenlosigkeit überhaupt zu verlassen, verwiesen. In einem während der Haft erstellten Gutachten im Zuge der Entlassungsvorbereitungen sei festgestellt worden, dass etwaige Persönlichkeitsdefizite abgebaut worden seien und ein künftiges gewaltfreies Leben mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne. Darüber hinaus würden wichtige private Gründe für die Aufhebung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes vorliegen, sei der Beschwerdeführer doch seit XXXX mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, welche er bereits seit 1989 kenne. Diese unterstütze er bei der Bewältigung ihrer schweren Erkrankung und sei nicht begründet worden, warum der Beschwerdeführer weiterhin eine gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen sollte.
7. Am 26.05.2020 wurde der Beschwerdeführer durch das erkennende Gericht im Zuge einer Beschwerdeverhandlung nochmals zu seiner familiären Situation, seinem Vorleben vor der Inhaftierung und seiner gesundheitlichen Verfassung einvernommen.
II. Feststellungen:
Das Verhalten des Beschwerdeführers bis zur Erlassung des Bescheides vom XXXX , mit welchem auf Grundlage des Fremdengesetzes 1992 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde, lässt sich im Wesentlichen wie folgt wiedergeben: Der Beschwerdeführer reiste - damals noch mit Familiennamen XXXX - als Staatsbürger der Sowjetunion im Jahre 1989 in das Bundesgebiet ein, wobei der Erteilung eines Sichtvermerks ursprünglich eine Verpflichtungserklärung seiner Schwester, einer österreichischen Staatsbürgerin mit Beruf XXXX , zugrunde lag. Auch die Mutter des Beschwerdeführers war vorangehend für einen dauerhaften Aufenthalt auf Einladung der Schwester des Beschwerdeführers nach Österreich gekommen.
Im Bundesgebiet versuchte der Beschwerdeführer ursprünglich, ein Einkommen durch Erwerbstätigkeit als LKW-Fahrer bzw. durch Gründung einer Gesellschaft zu erzielen, bereits nach einiger Zeit gelangte er - erkennbar in der Hoffnung auf ein höheres Einkommen - in Personenkreise, die dem Rotlicht-Milieu in XXXX zuzuordnen waren. Gegen den Beschwerdeführer liefen bereits im Jahr 1993 fremdenpolizeiliche Erhebungen, da die - damalige - Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin den Verdacht einer Scheinehe nahelegte, worauf diesbezüglich Ermittlungen geführt und zuletzt die Ehe durch Urteil des BG XXXX vom XXXX für nichtig erklärt wurde.
Bereits mit Bescheid vom 20.07.1993 war der zuletzt erteilte unbefristete Sichtvermerk im Hinblick auf die eindeutigen Angaben der damaligen österreichischen Ehegattin in Bezug auf eine Scheinehe für ungültig erklärt worden.
Noch im selben Jahr, im Juli 1994, wurde in der Konsularabteilung der Botschaft Russlands in Österreich registriert, dass der Beschwerdeführer infolge seines Ausscheidens aus der Staatsbürgerschaft die Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation verloren hat. Dies wurde durch die Leitung der Konsularabteilung der Botschaft der Russischen Föderation in Österreich mit Schreiben vom XXXX bestätigt.
Während der Einleitung eines fremdenpolizeilichen Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes langten nunmehr die bereits dargestellten Urteile des Landesgerichts für Strafsachen XXXX bei der belangten Behörde ein.
Nach dem Urteil des LG für Strafsachen XXXX vom XXXX , GZ XXXX - die Nichtigkeitsbeschwerde wurde durch den Obersten Gerichtshof mit Urteil vom XXXX , Zl. XXXX verworfen - wurde der Beschwerdeführer wegen der Verbrechen des Mordes nach § 75, als Beteiligter nach § 12 2. Fall StGB, der versuchten Bestimmung zum Mord nach §§ 15 Abs. 1, 12. 2. Fall, 75 StGB und der kriminellen Organisation nach § 278 a Abs. 1 StGB sowie des Vergehens nach § 36 Abs. 1 Z 4 Waffengesetz für schuldig erkannt. Im Wesentlichen wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer den Täter zur Ausführung eines Mordes durch die an den Täter gerichtete Aufforderung, das spätere Opfer müsse umgebracht werden, sowie später durch die Bezahlung der Flugkosten für den Täter von XXXX nach XXXX und zurück und letztlich durch Aushändigung eines Postschlüssels zum Wohnhaus des Opfers, durch Übergabe einer Maschinenpistole und eines Schalldämpfers und der Munition und die eingehaltene Zusage einer Auszahlung einer zugesagten Belohnung bestimmt habe. Hinzu kam, dass der Beschwerdeführer auch schuldig erkannt wurde, versucht zu haben, eine andere Person dazu zu bestimmen, auch die Freundin des Mordopfers zu töten, was nur wegen der zufälligen Abwesenheit der Genannten unterblieben sei.
Das dargestellte Verhalten bis zur Inhaftierung des Beschwerdeführers und dessen Verurteilung stellte somit unzweifelhaft ein Verhalten dar, welches die Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes zum damaligen Zeitpunkt rechtfertigte.
Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX wurde die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Vollzug einer Freiheitsstrafe mit XXXX verfügt. In der diesbezüglichen Begründung wird ausgeführt, dass sich die Staatsanwaltschaft XXXX im zweiten Rechtsgang zustimmend zur bedingten Entlassung geäußert habe. Der Leiter der Justizanstalt XXXX habe bekannt gegeben, dass der Strafgefangene sich als ruhiger und disziplinierter Insasse, der den Zwecken des Vollzugs gegenüber völlig aufgeschlossen gewesen sei, gezeigt habe. Er werde seit 2012 im Entlassungsvollzug als Kochgehilfe mit sehr guter Arbeitsleistung beschäftigt, seit April 2012 würden regelmäßig unbewachte Aufenthalte außerhalb der Anstalt gewährt werden und sei es zu keinen Beanstandungen gekommen. Der Beschwerdeführer könne nach der Haftentlassung auf eine Wohnmöglichkeit und eine Beschäftigungszusage bauen, es scheine ein "günstiger sozialer Empfangsraum" gegeben. Die Entlassungsvorbereitungen seien aus psychologischer Sicht und im zweiten Rechtsgang gutachterlich überprüft abgeschlossen, sodass insgesamt davon auszugehen sei, dass der Strafgefangene in Freiheit keine weiteren strafbaren Handlungen mehr begehen werde.
Das Landesgericht XXXX nimmt dabei Bezug auf ein psychologisches SV-Gutachten, erstellt für den Beschwerdeführer am XXXX durch einen Sachverständigen aus dem Bereich der Klinischen Psychologie, Gesundheits- und Neuropsychologie. Auf das Wesentliche zusammengefasst kommt der Sachverständige dabei zum Ergebnis, dass sich der Beschwerdeführer in Einzelgesprächen beim psychologischen Dienst mit seinem Delikt auseinandergesetzt habe, es hätten keine Empathie-Defizite verifiziert werden können, die annehmen lassen würden, der Untersuchte würde seine Reue nicht aufrichtig bekunden. Es sei daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer seine Taten aufgearbeitet habe und seine Beteuerungen aufrichtig sind. Aus näher dargestellten Gründen sei weiters davon auszugehen, dass etwaige Persönlichkeitsdefizite insoweit abgebaut worden seien, dass ein künftiges gewaltfreies Leben mit einer hohen Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne.
Seit Haftentlassung liegen für den Beschwerdeführer keinerlei strafrechtliche und auch keine verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen vor, einem Schreiben des Bewährungshelfers vom 16.07.2015 lässt sich entnehmen, dass der Beschwerdeführer verlässlich ist, Termine und Vereinbarungen pünktlich einhält und bemüht ist, ein rechtskonformes und straffreies Leben zu führen.
Der Beschwerdeführer ist seit Haftentlassung darüber hinaus erkennbar auch wieder in der Israelitischen Kultusgemeinde XXXX als Mitglied tätig, in mehreren Schreiben des - ehemaligen - Oberrabbiners - wird diesem eine gute Integration bescheinigt. Darüber hinaus wird von der Israelitischen Kultusgemeinde dem Beschwerdeführer in Aussicht gestellt, eine Anstellung für die "Betreuung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion" erlangen zu können. Dem Beschwerdeführer wird in mehreren Eingaben ausdrücklich - auch unter Verweis auf seine Entlassung aus der Haft - die Fähigkeit zugesprochen, in diesem Gebiet im Rabbinat eine geeignete Person zu sein und sei geplant, den Beschwerdeführer anzustellen, sofern diesem eine Arbeitsgenehmigung erteilt würde.
Seit XXXX ist der Beschwerdeführer darüber hinaus mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, die er durch seine verstorbene Schwester bereits im Jahr 1989 kennengelernt hat und die ihn auch während seiner langen Anhaltung in Justizhaft regelmäßig besucht hat.
Der Beschwerdeführer befindet sich somit nunmehr seit mehr als sieben Jahren wieder in Freiheit. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX wurde zwischenzeitig auch die angeordnete Bewährungshilfe aufgehoben, wobei laut der Begründung dieses Beschlusses die Betreuung positiv verlaufen sei, stabile Lebensumstände sowie eine hohe Selbständigkeit vorliegen, weshalb die weitere Betreuung im Rahmen der Bewährungshilfe für nicht mehr notwendig erachtet worden sei.
Der Beschwerdeführer lebt seit der Haftentlassung durchgehend bei seiner nunmehrigen Ehegattin, welche aufgrund verschiedener Krankheiten derzeit bereits in Invaliditätspension befindlich ist, sodass im Ergebnis eine Wohnmöglichkeit und ein gesichertes Einkommen vorliegen.
Das erkennende Gericht gelangte im Zuge der Beschwerdeverhandlung zum Eindruck, dass die im Zusammenhang mit der bedingten Haftentlassung von Sachverständigenseite festgestellte günstige Prognose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegt, da der Beschwerdeführer sich im Zuge der Beschwerdeverhandlung als einsichtige und reumütige Person darstellte, welche die Gründe für die fremdenrechtlichen und strafrechtlichen Verfehlungen zum Beginn des Aufenthaltes im Bundesgebiet sehr genau im damaligen falschen Umfeld, dem "persönlichen Unglück im Kaffee XXXX im zweiten Bezirk" zuordnen kann.
III. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum maßgeblichen Sachverhalt ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, den eigenen Angaben des Beschwerdeführers im Laufe des Verfahrens vor der belangten Behörde, den vorgelegten gerichtlichen Beschlüssen und Gutachten, einem Strafregisterauszug und der Beschwerde. Der Sachverhalt ist aktenkundig, unstrittig und konnte das erkennende Gericht sich im Rahmen der Beschwerdeverhandlung einen persönlichen Eindruck verschaffen.
IV. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
Gemäß § 125 Abs. 16 FPG bleiben vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Aufenthaltsverbote gemäß § 60 oder Rückkehrverbote gemäß § 62 bis zum festgesetzten Zeitpunkt weiterhin gültig.
Gemäß § 125 Abs. 25 FPG bleiben vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 87/2012 erlassene Aufenthaltsverbote bis zum festgesetzten Zeitpunkt weiterhin gültig und können nach Ablauf des 31. Dezember 2013 gemäß § 69 Abs. 2 und 3 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012 aufgehoben werden oder außer Kraft treten.
Das diesem Verfahren zugrunde liegende unbefristete Aufenthaltsverbot wurde mit Bescheid der XXXX vom XXXX erlassen. Dieses Aufenthaltsverbot ist somit weiterhin gültig und kann gemäß § 69 Abs. 2 FPG aufgehoben werden.
Gemäß § 69 Abs. 2 FPG ist ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind.
Nach der aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - vgl. zuletzt VwGH vom 20.12.2018, Ra 2018/21/0156 - kann ein Antrag nach § 69 Abs. 2 FPG auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung der Maßnahme eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Bei der Entscheidung über die Aufhebung einer solchen Maßnahme kann die Rechtmäßigkeit jenes Bescheides (Erkenntnisses), mit dem diese Maßnahme erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden. Bei der Entscheidung nach § 69 Abs. 2 FPG kommt es demnach auf Veränderungen der maßgebenden Umstände (zu Gunsten oder zu Lasten des Fremden) - einschließlich der Rechtslage - an. Stellt sich die Situation im Entscheidungszeitpunkt so dar, dass nunmehr in Anbetracht der aktuellen Verhältnisse keine - dem seinerzeitigen Aufenthaltsverbot entsprechende - aufenthaltsbeendende Maßnahme mehr erlassen werden dürfte, liegen also gegenwärtig die Voraussetzungen für die Verhängung einer entsprechenden aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht mehr vor, so wäre einem Aufhebungsantrag nach § 69 Abs. 2 FPG stattzugeben. Erbrächte die aktuelle Beurteilung dagegen das Ergebnis, es hätte auch aus derzeitiger Sicht eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu ergehen, müsste das Aufhebungsbegehren abgewiesen werden. Vor diesem Hintergrund ist also in einem Fall wie dem vorliegenden zu fragen, ob gegen einen von einem "alten" Aufenthaltsverbot betroffenen Drittstaatsangehörigen ungeachtet aller seit Erlassung dieses Aufenthaltsverbotes eingetretenen Veränderungen aktuell eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot ergehen dürfte (siehe auch dazu VwGH 30.6.2016, Ra 2016/21/0050, Rn. 13 bis 15, mwN).
Fallbezogen käme die (fiktive) Erlassung eines Einreiseverbotes gegen den Revisionswerber nach § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 5 FPG in Betracht. Diese Bestimmung lautet auszugsweise:
"§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
(2) ...
(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn
1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;
5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
..."
Die Entscheidung über die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes kann nur nach Einzelfallbeurteilung erfolgen, weshalb insoweit die abstrakte allgemeine Festlegung eines Wohlverhaltenszeitraumes nicht in Betracht kommt. Dass es aber grundsätzlich eines Zeitraums des Wohlverhaltens - regelmäßig in Freiheit - bedarf, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Fremden ausgehenden Gefährlichkeit ausgehen zu können, was grundsätzlich Voraussetzung für die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes ist, kann nicht mit Erfolg in Zweifel gezogen werden (Hinweis auf VwGH 22.01.2013, 2012/18/0185; 22.05.2013, 2013/18/0041); ebenso wenig, dass dieser Zeitraum üblicherweise umso länger anzusetzen sein wird, je nachdrücklicher sich die für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Gefährlichkeit manifestiert hat (vgl. VwGH 22.01.2015, Ra 2014/21/0009).
Im Ergebnis ist für das Bundesverwaltungsgericht entscheidend, dass das strafrechtliche Wohlverhalten des Beschwerdeführers seit der unbestreitbar schwerwiegenden strafrechtlichen Verfehlung im Jahr 1994 (Zeitpunkt der Tatbegehung), somit über einen Zeitraum von mehr als 25 Jahren, nicht in Abrede gestellt werden kann. Der belangten Behörde ist Recht zu geben, dass die bedingte Entlassung erst im Jahr 2013 erfolgte, doch sind auch seit diesem Zeitpunkt sieben Jahre vergangen, in denen der Beschwerdeführer laut vorliegender Aktenlage sich in nicht zu beanstandender Weise wohlverhalten hat. Der Beschwerdeführer hat bereits in den erfolgten psychologischen Begutachtungen im Jahr 2012 den Eindruck hinterlassen, dass dieser seine Taten aufgearbeitet hat und seine Beteuerungen aufrichtig sind und somit davon auszugehen ist, dass etwaige Persönlichkeitsdefizite abgebaut werden konnten. Für das erkennende Gericht ergibt sich nunmehr, mehr als sieben Jahre später, überhaupt kein Hinweis darauf, dass mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem letzten strafrechtlichen Delikt ein künftiges gewaltfreies Leben nicht mit höchster Wahrscheinlichkeit angenommen werden könnte.
Im Übrigen ist zudem festzuhalten, dass es zu keinem Zeitpunkt ernsthafte Bemühungen gegeben hat - und im Hinblick auf die Zurücklegung der Russischen Staatsbürgerschaft bereits im Jahre 1994 auch keine Möglichkeit gegeben hätte - irgendeine Form von fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu ergreifen, um das seit beinahe einem Viertel- jahrhundert bestehende Aufenthaltsverbot auch durchzusetzen.
Der Beschwerdeführer wird somit das Bundesgebiet weder zwangsweise noch freiwillig verlassen können und bleibt zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer seit Haftentlassung unzweifelhaft in einem sozialen und familiären Umfeld bewegt, welches mit dem Umfeld, welches zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt hat, keinerlei Bezug mehr hat und sich von diesem - auch belegt durch die Vertretung seiner Religionsgemeinschaft -gravierend unterscheidet.
Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die seit Jahren bestehende positive Prognose war auf das Wohlverhalten des Beschwerdeführers seit nunmehr sieben Jahren in Freiheit Bedacht zu nehmen, der Beschwerde stattzugeben und das Aufenthaltsverbot spruchgemäß aufzuheben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung mit der zitierten aktuellen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes übereinstimmt. Auch liegen keine Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Voraussetzungen Wegfall der GründeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W226.2111883.2.00Im RIS seit
11.09.2020Zuletzt aktualisiert am
11.09.2020