TE Vfgh Erkenntnis 1996/2/26 B3057/95

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Veröffentlicht am 26.02.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung von Anträgen auf Verlängerung von Aufenthaltsbewilligungen mangels gesicherten Lebensunterhalts; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin, zuhanden ihres bevollmächtigten Vertreters, die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine seit 1966 in Österreich lebende 57-jährige Staatsangehörige der Republik Jugoslawien, die bis 1989 berufstätig war und - nach den unwidersprochen gebliebenen Beschwerdebehauptungen - nunmehr aufgrund ihres Alters keine neue Arbeitsstelle findet, beantragte am 12. Jänner 1994 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres unter Berufung auf §5 Abs1 AufG mit der Begründung abgewiesen, daß der Lebensunterhalt der Antragstellerin, deren Antrag auf vorzeitige Alterspension abgewiesen worden sei und die auch keinen anderen Einkommensnachweis habe vorlegen können, nicht gesichert sei, sodaß sie der Unterstützung der Sozialhilfeträger bedürfe; auch mache es gerade die Notwendigkeit, in einem ohnedies sensiblen Bereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern erforderlich, strengere Maßstäbe an die Beurteilung der gesicherten Unterhaltsmittel von Zuwanderern anzulegen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

3. Der belangte Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid greift in das den Beschwerdeführer gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - und unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihm verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen zu schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfGH 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung (weil etwa eine Familienzusammenführung verhindert wird), in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

2. Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall einer seit 29 Jahren in Österreich lebenden Fremden (die in der Pensionsversicherung der Arbeiter bereits 289 Versicherungsmonate erworben hat) - ohne jede Bezugnahme auf die private Interessenlage der Beschwerdeführerin - das Vorliegen des Versagungstatbestandes des §5 Abs1 AufG ausschließlich mit dem Hinweis auf ihre nunmehrige Sozialhilfebedürftigkeit sowie die Notwendigkeit der sorgfältigen Steuerung der weiteren Zuwanderung von Fremden begründet. Sie hat damit die im Sinne des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

IV.                                 Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B3057.1995

Dokumentnummer

JFT_10039774_95B03057_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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