TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/15 W146 2231493-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.06.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

15.06.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs2 Z1

Spruch

W146 2231493-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Stefan HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2020, Zl. 639802302-180468015, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. wird gemäß § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass dieser zu lauten hat: "Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung."

III. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV. und V. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und diese Spruchpunkte ersatzlos behoben.

IV. Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wird als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen § 12, 3. Fall; § 15, §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Am 11.12.2018 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wegen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm Einreiseverbot einvernommen. Dabei gab er an, dass er seit 2012 in Österreich lebe. Er verfüge über zwei Ausbildungen in der Russischen Föderation, Arzt und Ingenieur für Wasserleitungsanlagen. In Russland habe er als Orthopäde gearbeitet. Ein Nostrifizierungverfahren sei in Österreich anhängig. Der Beschwerdeführer sei seit 2016 geschieden und seine Exfrau lebe in Österreich. Er habe keine Familienangehörigen in Österreich. Zu seiner Verurteilung befragt, gab der Beschwerdeführer an, er habe nur Pech mit dem Rechtsanwalt gehabt. Er sei auf der Suche nach einer Arbeit gewesen und sei auf Betrüger geraten. Es sei alles nicht geplant gewesen, er habe keinen Vorsatz gehabt. Er sei seit 15.10.2018 technischer Leiter bei einer näher genannten Firma. Sein Dienstvertrag sei unbefristet. Er verdiene ca. ? 2500 netto. Seine Heimatadresse in Moskau sei noch aktuell und könne er dort wohnen. Seine Mutter lebe in XXXX . Wenn er zurück müsse, dann gehe er zurück. Die Frage, ob der Beschwerdeführer freiwillig ausreisen würde, bejahte er.

Mit Bescheid des Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2020 wurde gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.)

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die Identität des Beschwerdeführers feststehe. Er sei Staatsbürger der Russischen Föderation, somit Drittstaatsangehöriger. Der Beschwerdeführer sei volljährig, besitze einen gültigen Reisepass und spreche die russische Sprache. Der Beschwerdeführer würde laut eigenen Angaben seit 2012 in XXXX leben und sei ihm erstmals am 23.10.2013 ein Aufenthaltstitel erteilt worden. Zuletzt sei dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gültig bis 25.09.2018 erteilt worden. Am 24.09.2018 habe der Beschwerdeführer einen Verlängerungsantrag bei der MA 35 eingebracht. Am XXXX sei der Beschwerdeführer vom LG XXXX für Strafsachen wegen § 12, 3. Fall StGB, § 15 StGB, §§ 146, 147 Abs. 2 StGB rechtskräftig verurteilt worden. Der Beschwerdeführer sei geschieden und habe keine Sorgenpflichten. Der Beschwerdeführer gehe derzeit keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. In Österreich würde die Exfrau und in Russland die Mutter des Beschwerdeführer leben.

Der Beschwerdeführer habe das Vergehen des schweren Betruges nach § 12, 3. Fall; § 15, §§ 146, 147 Abs. 2 StGB begangen und sei gemäß § 147 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, gemäß § 43 Abs. 1 StGB bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren verurteilt worden. Im Zuge der Strafbemessung habe das Gericht als mildernd die Unbescholtenheit erkannt. Der Beschwerdeführer gefährde mit seinem Verhalten die öffentliche Ordnung und Sicherheit und sei offensichtlich nicht gewillt sich an die österreichischen Rechtsvorschriften zu halten. Er habe sein Aufenthaltsrecht zur Ausübung gerichtlich strafbarer Handlungen missbraucht, somit sei die Erlassung eines Einreiseverbots zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe oder Sicherheit dringend geboten, da das Verhalten des Beschwerdeführers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle.

Im gegenständlichen Fall liege § 52 Abs. 4 Z 4 FPG vor. Das Verhalten des Beschwerdeführers begründe eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Aufgrund der Aktualität der Verurteilung (Rechtskraft am XXXX ) sei jedenfalls von einer Gegenwärtigkeit zu sprechen. Aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung stehe der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG entgegen. Gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 NAG widerstreite der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers öffentlichen Interessen.

Der Beschwerdeführer habe versucht sich auf Kosten Dritter unrechtmäßig zu bereichern und bestehe die Gefahr, dass er aufgrund einer fehlenden aktuellen Erwerbstätigkeit erneut versuchen werde, sich unrechtmäßig zu bereichern, zumal er in der Vergangenheit auch nie sehr lange durchgehend einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. In Österreich lebe die Exfrau des Beschwerdeführers. In Russland lebe seine Mutter. Ein schützenswertes Familienleben habe gemäß Art. 8 EMRK nicht festgestellt werden können.

Der Beschwerdeführer würde keiner legalen Erwerbstätigkeit mehr nachgehen und habe auch keine Mitgliedschaft in einem Verein oder einer Organisation geltend gemacht. Ein schützenswertes Privatleben habe nicht festgestellt werden können. Es seien natürlich Integrationsmerkmale zu bestätigen, in Form seiner Deutschkenntnisse, jedoch im Hinblick auf sein Fehlverhalten müssen diese einer untergeordneten Stellung beigemessen werden. Das bisheriges Verhalten zeige, dass der Beschwerdeführer sich bisher nicht ausreichend in Österreich integrieren habe können. Der Beschwerdeführer habe offenkundig noch nicht die österreichischen Wert- und Rechtsvorstellungen verinnerlicht und stehe dem Rechtsstaat Österreich ablehnend gegenüber. Der Beschwerdeführer habe einen Großteil seines Lebens in der Heimat verbracht und sei mit den Gepflogenheiten seiner Heimat vertraut.

Der Beschwerdeführer habe keine Gründe vorgebracht, welche eine Abschiebung in sein Herkunftsland unzulässig erscheinen lassen würden. Es sei auch nichts bekannt, welches ihn an der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat hindern würde. Es könne dem Beschwerdeführer zugemutet werden in sein Heimatland zurückzukehren. Der Beschwerdeführer habe keinerlei Angaben gemacht, dass er in seiner Heimat strafrechtlich oder politisch verfolgt werde.

Es sei im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Interesse eines geordneten Fremdenwesen geboten sei. § 18 Abs. 2 BFA-VG sehe bei Vorliegen des oben genannten Tatbestandes zwingend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung vor. Der Verbleib des Beschwerdeführers in Österreich stelle eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar. Die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers sei daher erforderlich.

Dass vom Beschwerdeführer gesetzte Verhalten sei erst kürzlich gesetzt worden und habe sich seine persönliche Lage seither nicht wesentlich verändert. Daher sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nicht mehr gegenwärtig, sondern auch zukünftig eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung sei und müsse daher mit dem gegenständlichen Einreiseverbot von drei Jahren gegen ihn vorgegangen werden. Die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verletze im gegenständlichen Fall Art. 8 EMRK nicht. Die Gesamtbeurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers, seiner Lebensumstände sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte habe daher im Zuge der von der Behörde vorgenommen Abwägungsentscheidung ergeben, dass die Erlassung des Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer gerechtfertigt und notwendig sei, die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu verhindern.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und eine Vollmacht des Beschwerdeführers vorgelegt, unterfertigt mit " XXXX , 20.3.2020" und ausgeführt, dass der Beschwerdeführers aus Österreich ausgereist sei und er derzeit mit seiner jetzigen Ehefrau und einem gemeinsamen Kind in der Ukraine lebe.

Das Datum der letzten Tat, wegen der der Beschwerdeführer verurteilt worden sei, sei der 25.02.2014 gewesen. Die dreijährige Probezeit sei zwischenzeitlich vergangen. Der Beschwerdeführer habe sich in dieser Zeit ordnungsgemäß wohlverhalten. Von einer weiteren Anklage wurde der Beschwerdeführer am XXXX rechtskräftig freigesprochen.

Die belangte Behörde stütze die Erlassung der Rückkehrentscheidung ausschließlich auf die Verurteilung des Beschwerdeführers. Eine nachvollziehbare Gefährdungsprognose könne dem Bescheid jedoch nicht entnommen werden. So sei es zwar unbestreitbar, dass der Beschwerdeführer verurteilt worden sei, doch würden dieser Verurteilung Tathandlungen zugrundeliegen, seit denen nunmehr über sechs Jahre vergangen seien. Ferner seien seit der Verurteilung mehr als drei Jahre vergangen. Das Gericht habe die bedingte Verhängung einer Freiheitsstrafe unter Festsetzung einer Probezeit von drei Jahren für ausreichend erachtet und prognostiziert, dass die bloße Androhung der Freiheitsstrafe ausreichen würde, um den Beschwerdeführer von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (§ 43 Abs. 1 StGB). Diese Prognoseentscheidung des Strafgerichts halte auch einer ex-post Beurteilung stand, denn der Beschwerdeführer habe sich seit der Verurteilung in Freiheit wohlverhalten. Unter Berücksichtigung dieser Umstände, die dem Amtswissen der belangten Behörde zugänglich seien, sei es nicht verständlich, aus welchen Gründen aktuell eine vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit anzunehmen sei. Bei richtiger Würdigung dieser Umstände hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass vom Beschwerdeführer keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgehe und daher auch keine Rückkehrentscheidung erlassen werden dürfen. Aus ebendiesen Gründen könne auch die Verhängung eines dreijährigen Einreiseverbotes nicht nachvollzogen werden und werde dieses ersatzlos zu beheben sein. Darüber hinaus hätte bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung die lange Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich aufgrund von Aufenthaltsberechtigungen, seine Beschäftigungszeiten und seine erheblichen Deutschkenntnisse berücksichtigt werden müssen. Das Privatleben des Beschwerdeführers sei nicht zu einem Zeitpunkt entstanden, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe.

Die belangte Behörde begründe die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung damit, dass der Beschwerdeführer nicht vor fremden Eigentum zurückschrecke und aufgrund der Aktualität der drei Jahre zurückliegenden Verurteilung. Darin seien keine Überlegungen zu sehen, die über diejenigen zur Begründung der Rückkehrentscheidung bzw. des Einreiseverbots hinausgingen und könne daraus auch nicht abgeleitet werden, weshalb aufgrund der vor über sechs Jahren begangenen Taten, seit denen sich der Beschwerdeführer wohlverhalten habe, nun eine sofortige Ausreise erforderlich sein sollte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch genannten Namen, ist geboren am XXXX und Staatsbürger der Russischen Föderation. Der Beschwerdeführer lebte laut eigenen Angaben seit 2012 in XXXX . Ihm wurde erstmals am 23.10.2013 ein Aufenthaltstitel erteilt. Zuletzt wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gültig bis 25.09.2018 erteilt. Am 24.09.2018 stellte der Beschwerdeführer einen Verlängerungsantrag bei der MA 35.

Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vom LG XXXX für Strafsachen wegen § 12, 3. Fall StGB, § 15 StGB, §§ 146, 147 Abs. 2 StGB rechtskräftig verurteilt. Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Frühjahr 2012 und später einem unbekannten Täter seine Privatkonten zur Verfügung stellte bzw. weitere Personen für die zur Verfügungstellung von Konten anwarb, wobei er billigend in Kauf nahm und sich damit abfand, dadurch zu Beitragshandlungen beizutragen und dem unbekannten Täter zusagte, die darauf eingehenden Beträge bar zu beheben und ihm zukommen zu lassen. Weiters hat der Beschwerdeführer versucht einer Person durch Verwendung eines Computervirus (Trojaner) zur Überweisung von Beträgen über 5000 ? an Wert am Vermögen zu schädigen.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX wurde der Beschwerdeführer gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich geschieden und hat im Bundesgebiet keine Sorgenpflichten. In Österreich gibt es keine Familienangehörigen. In XXXX lebt die Mutter des Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer hat am 27.10.2018 die Integrationsprüfung bestanden. Der Beschwerdeführer war während seines mehrjährigen Aufenthalts in Österreich insgesamt 14 Monate lang bei 5 verschiedenen Arbeitgebern als Arbeiter bzw. Angestellter tätig.

Der Beschwerdeführer ist mittlerweile in die Ukraine ausgereist, wo er mit Ehefrau und gemeinsamen Kind lebt.

Der Beschwerdeführer wurde am 11.12.2018 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wegen der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes einvernommen.

14 Monate danach erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den angefochtenen Bescheid vom 26.02.2020, mit welchem gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde (Spruchpunkt I.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gemäß § 55 Abs. 4 FPG wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von 3 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.)

Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers werden die folgenden Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 29.7.2019, vgl. GIZ 8.2019c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 8.2019a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 8.2019a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Sieben-Prozent-Klausel.

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 8.2019a, vgl. AA 14.2.2019b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 8.2019a).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (14.2.2019b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik, https:// www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/ russischefoederation/201534, Zugriff 6.8.2019

- CIA - Central Intelligence Agency (29.7.2019): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/ publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 6.8.2019

- EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 6.8.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff

6.8.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff

5.9.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 5.9.2019

- Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-beiKundgebung-in-Moskau, Zugriff 24.9.2019

- ORF - Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-201955603/, Zugriff 30.9.2019

- OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577? download=true, Zugriff 6.8.2019

- Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volkschliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 6.8.2019

- Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 6.8.2019

- Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 6.8.2019

- Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 24.9.2019

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 3.9.2019a, vgl. BMeiA 3.9.2019, GIZ 8.2019d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 3.9.2019).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (3.9.2019a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 3.9.2019

- BmeiA (3.9.2019): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reiseaufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 3.9.2019

- Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russischemethoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

- EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (3.9.2019): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-undreisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 3.9.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 3.9.2019

- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus,

https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 3.9.2019

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2018). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 4.2.2019).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen Ende 2018 rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2018). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019). So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2018). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung in Einklang stehen (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AA 13.2.2019, US DOS 13.3.2019). Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22.2.2017 überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Es gibt jedoch Hinweise auf selektive Strafverfolgung, die auch sachfremd, etwa aus politischen Gründen oder wirtschaftlichen Interessen, motiviert sein kann (AA 13.2.2019).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 13.2.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 6.8.2019

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,

https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 6.8.2019

- EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-stateactors-of-protection.pdf, Zugriff 6.8.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff

6.8.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 6.8.2019

- US DOS - United States Department of State (13.3.2019): Jahresbericht zur

Menschenrechtslage im Jahr 2018 - Russland,

https://www.ecoi.net/de/dokument/2004290.html, Zugriff 6.8.2019

Allgemeine Menschenrechtslage

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten.

Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 8.2019a). Die Verfassung postuliert die Russischen Föderation als Rechtsstaat . Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems. Russland ist an folgende UN-Übereinkommen gebunden:

- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969)

- Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991)

- Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)

- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und

Zusatzprotokoll (2004)

- Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987)

- Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001) - Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.9.2012) (AA 13.2.2019).

Der letzte Universal Periodic Review (UPR) des UN-Menschenrechtsrates zu Russland fand im Rahmen des dritten Überprüfungszirkels 2018 statt. Dabei wurden insgesamt 317 Empfehlungen in allen Bereichen der Menschenrechtsarbeit ausgesprochen. Russland hat dabei fast alle Empfehlungen akzeptiert und nur wenige nicht berücksichtigt. Russland ist zudem Mitglied des Europarates und der EMRK. Russland setzt einige, aber nicht alle Urteile des EGMR um; insbesondere werden EGMR-Entscheidungen zu Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte im Nordkaukasus nur selektiv implementiert [Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 13.2.2019).

Die allgemeine Menschenrechtslage in Russland ist weiterhin durch nachhaltige Einschränkungen der Grundrechte sowie der unabhängigen Zivilgesellschaft gekennzeichnet. Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden, aber gleichzeitig steigt der öffentliche Aktivismus deutlich. Hinzu kommt, dass sich mehr und mehr Leute für wohltätige Projekte engagieren und freiwillige Arbeit leisten. Regionale zivile Kammern wurden zu einer wichtigen Plattform im Dialog zwischen der Zivilbevölkerung und dem Staat in Russlands Regionen (ÖB Moskau 12.2018). Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Die Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2018, vgl. AI 22.2.2018, FH 4.2.2019). Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 13.2.2019). Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur führen zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Folter und andere Misshandlungen sind nach wie vor verbreitet. Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wird weiter erschwert. Im Nordkaukasus kommt es immer wieder zu schweren Menschenrechtsverletzungen (AI 22.2.2018). Derzeit stehen insbesondere die LGBTI-Community in Tschetschenien sowie die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Russland unter Druck (ÖB Moskau 12.2018).

Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Wenngleich der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten ausgesetzt bleibt, werden konkrete Projekte zum Menschenrechtsschutz weiterhin im Kontext des Europäischen Instruments für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR) gefördert. Anfang November 2018 wurde im Rahmen der OSZE der sog. Moskauer Mechanismus zur Überprüfung behaupteter Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien aktiviert (ÖB Moskau 12.2018).

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien und Inguschetien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. Die Opfer der Gewalt sind ganz überwiegend "Aufständische" und Sicherheitskräfte (AA 13.2.2019). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet (ÖB Moskau 12.2018), und es werden von dort schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen (AI 22.2.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 22.8.2019

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,

https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 22.2.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 22.8.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (5.2019a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 22.8.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff

22.8.2019

Bewegungsfreiheit

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 13.3.2019). In einigen Fällen schränkten die Behörden diese jedoch ein. Die meisten Russen können jederzeit ins Ausland reisen, aber vier bis fünf Millionen Mitarbeiter, die mit dem Militär- und Sicherheitsdienst verbunden sind, wurden nach den im Jahr 2014 erlassenen Regeln vom Auslandsreiseverkehr ausgeschlossen (US DOS 13.3.2019, vgl. FH 4.2.2019).

Tschetschenen steht, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.], das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (AA 13.2.2019). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung von vor allem ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 4.2.2019) [bez. Registrierung vgl. Kapitel 19.1 Meldewesen].

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses, Inlandspasses (wie Personalausweis) oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 13.2.2019).

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen kaufen wollen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 20.4.2018, vgl. FH 4.2.2019, AA13.2.2019). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018, vgl. FH 4.2.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 27.8.2019

- ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH (International Federation for Human Rights) (2017): Racism, Discrimination and Fight Against "Extremism" in Contemporary Russia and its Controlled Territories. Alternative Report on the Implementation of the UN Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination by the Russian Federation, https://www.fidh.org/IMG/pdf/cerdengen.pdf, Zugriff 27.8.2019

- FH - Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 27.8.2019

- US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 27.8.2019

- US DOS - United States Department of State (13.3.2019): Jahresbericht zur

Menschenrechtslage im Jahr 2018 - Russland,

https://www.ecoi.net/de/dokument/2004290.html, Zugriff 27.8.2019

Grundversorgung

2018 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 73,6 Millionen, somit ungefähr 62% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 55%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 4,7% (WKO 7.2019), diese ist jedoch abhängig von der jeweiligen Region. Russische StaatsbürgerInnen haben überall im Land Zugang zum Arbeitsmarkt (IOM 2018). Das BIP lag 2018 bei ca. 1.630 Milliarden US-Dollar (WKO 7.2019, vgl. GIZ 8.2019b).

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt jedoch zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund zehn Prozent des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2019 den 98. Platz [2018 Platz 107] unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen. 2018 ist die russische Wirtschaft um 2,3% gestiegen. Langfristig befürchten Ökonomen und Behörden ein Erlahmen der Konjunktur, wenn strukturelle Reformen ausbleiben. Diese seien wegen des Rückgangs der erwerbstätigen Bevölkerung und der starken Abhängigkeit Russlands vom Öl- und Gasexport erforderlich (GIZ 8.2019b).

Die primäre Versorgungsquelle der Russen bleibt ihr Einkommen. Staatliche Hilfe können Menschen mit Behinderungen, Senioren und Kinder unter drei Jahren erwarten. Fast 14% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze, die dem per Verordnung bestimmten monatlichen Existenzminimum von derzeit 10.444 Rubel [ca. 141?] entspricht. Auch der Mindestlohn wurde seit 1.5.2018 an das Existenzminimum angeglichen. Der Warenkorb, der zur Berechnung des Existenzminimums herangezogen wird, ist marktfremd. Die errechnete Summe reicht kaum zum Überleben aus. Diese Entwicklung kann nur teilweise durch die Systeme der sozialen Absicherung aufgefangen werden. In den Regionen, die neben dem föderalen Existenzminimum ein höheres regionales Existenzminimum eingeführt haben, haben die Beschäftigten und die Rentner die Möglichkeit, eine aufstockende Leistung bis zur Höhe des regionalen Existenzminimums zu erhalten. Die Entwicklung hin zur Verarmung ist vorwiegend durch extrem niedrige Löhne verursacht. Diese sind zum einen eine Folge der auf die Schonung der öffentlichen Haushalte zielenden Lohnpolitik. Zwei Drittel aller Einkommen werden von staatlichen Unternehmen oder vom Staat bezahlt, der die Löhne niedrig hält. Zum anderen resultieren die niedrigen Löhne aus der primär auf den Erhalt der Arbeitsplätze fokussierten russischen Beschäftigungspolitik. Ungünstig ist zudem die Arbeitsmarktstruktur. Der größte Teil der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Dienst oder in Unternehmen, die ganz oder teilweise dem Staat gehören (33,4 Mio. von 73,1 Mio. Beschäftigten). Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15-20% für Arbeitnehmer ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen der Arbeitgeber aufgrund fehlender Fortbildungen als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21,6%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Folglich müssen Arbeitnehmer bis zum 44. Lebensjahr jede Chance zum Vermögensaufbau nutzen, um sich vor Altersarmut zu schützen. Auch bei Migranten wird beim Lohn gespart. Sie verdienen oft nur den Mindestlohn (AA 13.2.2019).

Die Lage der Rentner (29,5% der russischen Bevölkerung) ist stabil, aber prekär. Die Durchschnittsrente beträgt 13.348 Rubel [ca. 180?]. Die Durchschnittsaltersrente ist ein wenig höher und beträgt 14.075 Rubel [ca. 190?]. Sie soll ab 2019 als Ausgleich zu der zugleich eingeführten Anhebung des Rentenalters um fünf Jahre (jährlich um ein Jahr bis auf 60 Jahre bei Frauen und 65 Jahre bei Männern) jährlich um durchschnittlich 1000 Rubel [ca. 14?] erhöht werden. Gemessen am Existenzminimum ist das durchschnittliche Rentenniveau zwischen 2012 und Ende 2018 um 18% gesunken. Damit führen die Rentner ein Leben an der Grenze des Existenzminimums und sind stark von den Lebensmittelpreisen abhängig. Dennoch gehören die Rentner nicht zu den Verlierern der Politik. Weil die Rente die verlässlichste staatliche Transferleistung ist, sind die Rentner vielmehr ein Stabilisierungsfaktor in vielen Haushalten geworden. Statistisch ist das Armutsrisiko von Haushalten ohne Rentner dreimal höher als das von Haushalten mit Rentnern. Verlierer der aktuellen Politik sind v.a. ältere Arbeitnehmer, Familien mit Kindern und Arbeitsmigranten. An der Höhe des Existenzminimums gemessen sank das Lohnniveau zwischen 2012 und 2018 um 49%. Seit 1.2.2018 sind die Löhne für alle Mitarbeiter im öffentlichen Dienst um 4% pauschal angehoben worden. Weitere Lohnerhöhungen sind im Bildungssystem und Gesundheitswesen geplant, wo die Löhne 23% respektive 19% unter dem landesweiten Durchschnittslohn liegen (AA 13.2.2019).

Die EU hat die Verlängerung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland bis Juni 2020 beschlossen (Standard.at 20.6.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 29.8.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (8.2019b): Russland, Wirtschaft und Entwicklung, https://www.liportal.de/russland/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff

29.8.2019

- IOM - International Organisation of Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation

- Standard.at (20.6.2019): EU verlängert Sanktionen gegen Russland, https://www.derstandard.at/story/2000105172803/eu-verlaengert-sanktionen-gegen-russland, Zugriff 29.8.2019

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (7.2019): Länderprofil Russland, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-russland.pdf, Zugriff 29.8.2019

Rückkehr

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation mussten sich bislang alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. 2016 wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Die Zusammenarbeit zwischen föderalen und regionalen Behörden bei der innerstaatlichen Migration scheint verbesserungsfähig. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und diese Person kann, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 12.2018).

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands großen wirtschaftlichen Probleme sowie die damit einhergehende Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können. Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus informierten Kreisen mit direktem Praxisbezug war zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich nicht mit Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2018).

Rückkehrende werden grundsätzlich nicht als eigene Kategorie oder schutzbedürftige Gruppe aufgefasst. Folglich gibt es keine individuelle Unterstützung durch den russischen Staat. Rückkehrende haben aber wie alle anderen russischen StaatsbürgerInnen Anspruch auf Teilhabe am Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem, solange sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen. Es gibt auch finanzielle und administrative Unterstützung bei Existenzgründungen. Beispielsweise können Mikrokredite für Kleinunternehmen bei Banken beantragt werden. Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründungen an (IOM 2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueberdie-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-201813-02-2019.pdf, Zugriff 7.8.2019

- IOM - International Organisation of Migration (2018): Länderinformationsblatt Russische Föderation,

https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698619/18364377/

Russland_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101366&vernum=-2, Zugriff 7.8.2019

- ÖB Moskau (12.2018): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001768/RUSS_%C3%96B_Bericht_2018_12.pdf, Zugriff 7.8.2019

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.

Die Feststellungen zur Identität und zum legalen Aufenthalt des Beschwerdeführers aufgrund von Aufenthaltstiteln im Bundesgebiet ergeben sich aus seinen Angaben und den Verwaltungsakten des BFA zu den beantragten Aufenthaltstiteln.

Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung ergeben sich aus der im Verwaltungsakt befindlichen Kopie des Strafurteils. Ebenso die Feststellung zum Freispruch des Beschwerdeführers.

Die Feststellungen zu seinen Arbeitsverhältnissen und zur Absolvierung der Integrationsprüfung ergeben sich aus einer im Akt befindlichen AJ-Web Auskunft und einer Kopie des Prüfungszeugnisses.

Die Feststellungen zu den fehlenden familiären Verhältnissen des Beschwerdeführers in Österreich und zur in der Russischen Föderation lebenden Mutter ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben.

Die Feststellungen zum nunmehrigen Aufenthalt des Beschwerdeführers in der Ukraine und zu seinen dortigen Familienverhältnissen ergeben sich aus den Angaben in der Beschwerde und der in XXXX am 20.03.2020 unterfertigten Vollmacht.

Die Feststellungen zur Einvernahme vor dem BFA und dem nach 14 Monaten danach erlassenen Bescheid ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Ein Grund für diese nicht übliche Verfahrensverzögerung ist daraus nicht zu ersehen.

Die Feststellungen zur aktuellen Lage im Herkunftsland des Beschwerdeführers beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, welches auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, weshalb im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass besteht, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

I. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 24 Abs. 1 zweiter Satz NAG ist der Antragsteller, unbeschadet der Bestimmungen nach dem FPG, nach Stellung eines Verlängerungsantrages bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Gemäß § 25 Abs. 1 NAG hat die Behörde wenn in einem Verfahren zur Verlängerung des Aufenthaltstitels Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 1 und 2 NAG fehlen, - gegebenenfalls nach Einholung einer Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - den Antragsteller davon in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass eine Aufenthaltsbeendigung gemäß §§ 52 ff. FPG beabsichtigt ist und ihm darzulegen, warum dies unter Bedachtnahme auf den Schutz seines Privat- oder Familienlebens (§ 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012) zulässig scheint.

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation - somit ein Drittstaatsangehöriger - stellte am 24.09.2018 bei der zur Vollziehung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes zuständigen Behörde einen Antrag auf Verlängerung seiner bis 25.09.2018 gültigen "Rot-Weiß-Rot-Karte plus". Daher befand er sich ab Stellung seines Verlängerungsantrages bis zur rechtskräftigen Entscheidung über seinen Antrag gemäß § 24 Abs. 1 zweiter Satz NAG bzw. seiner Ausreise weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet. Das Verlängerungsverfahren wurde gemäß § 25 Abs. 2 NAG unterbrochen, weil ein Aufenthaltsbeendigungsverfahren gemäß § 52 FPG eingeleitet wurde.

Gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, zu erlassen, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet.

Gemäß § 11 Abs. 4 Z 1 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Bei der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffs "sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde" im § 11 Abs 4 Z 1 NAG 2005 ist eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten (Hinweis E 28. Februar 2008, 2006/21/0218). Dabei hat die Behörde im Fall von strafgerichtlichen Verurteilungen gestützt auf das diesen zu Grunde liegende Fehlverhalten eine Gefährdungsprognose zu treffen. Die damit erforderliche, auf den konkreten Fall abstellende individue

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten