TE Vwgh Erkenntnis 1997/12/11 97/20/0142

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.12.1997
beobachten
merken

Index

24/01 Strafgesetzbuch;
24/02 Jugendgerichtsbarkeit;
25/02 Strafvollzug;

Norm

JGG §17;
StGB §46 Abs1;
StVG §145 Abs1;
StVG §145 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Baur, Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Fegerl, über die Beschwerde des F in Graz, vertreten durch Mag. Ulrike Czerny, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Steyrergasse 40, gegen den Bescheid des Bundesministers für Justiz vom 25. Oktober 1996, Zl. 430.659/6-V6/1996, betreffend Überstellung eines Strafgefangenen in den Entlassungsvollzug, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1972 geborene Beschwerdeführer verbüßt zur Zeit in der Justizanstalt Graz-Karlau eine wegen des Verbrechens des Mordes und anderer Delikte über ihn verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Jahren. Er war im Zeitpunkt der Urteilstat jugendlich und unbescholten. Das urteilsmäßige Strafende ist der 30. Jänner 2003.

Am 9. (nach seinen eigenen Angaben am 11.) Juni 1996 beantragte der Beschwerdeführer seine Überstellung in den Entlassungsvollzug. Gegen die mündliche Ablehnung dieses Antrages durch den Anstaltsleiter erhob er am 22. Juni 1996 gemäß § 120 StVG Beschwerde an die belangte Behörde. In dieser Beschwerde hob er u.a. hervor, er sei zur Tatzeit erst 18 Jahre alt gewesen und "im Sinne des JGG verurteilt" worden. Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Beschwerde nicht Folge.

Begründend führte die belangte Behörde nach einer Darstellung des Verfahrensganges (einschließlich der Erwähnung, der Beschwerdeführer sei zur Tatzeit jugendlich und unbescholten gewesen) folgendes aus:

"Festzuhalten ist, daß die zeitlichen Voraussetzungen einer bedingten Entlassung gemäß § 46 Abs. 1 StGB am 30.1.1997 vorliegen werden.

Gemäß § 46 Abs. 1 StGB ist einem Rechtsbrecher, wenn er die Hälfte der im Urteil verhängten oder im Gnadenweg festgesetzten zeitlichen Freiheitsstrafe, mindestens aber drei Monate verbüßt hat, der Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachzusehen, wenn anzunehmen ist, daß es nicht der Vollstreckung des Strafrestes bedarf, um den Rechtsbrecher von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.

Gemäß § 46 Abs. 3 StGB sind bei jeder Entscheidung über eine bedingte Entlassung die Person des Rechtsbrechers, sein Vorleben, seine Aussichten auf ein redliches Fortkommen und seine Aufführung während der Vollstreckung sowie der Umstand zu berücksichtigen, ob es aus besonderen Gründen der Vollstreckung des Strafrestes bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken.

Gemäß § 145 Abs. 1 StVG beginnt der Entlassungsvollzug je nach dem Ausmaß der zu vollziehenden Freiheitsstrafe drei bis zwölf Monate vor dem Zeitpunkt der voraussichtlichen Entlassung.

Absatz zwei dieser Gesetzesbestimmung sieht vor, daß dann, wenn der Anstaltsleiter zur Auffassung gelangt, daß der Strafgefangene voraussichtlich bedingt entlassen wird, im Sinne des Absatzes 1 der Zeitpunkt der voraussichtlichen bedingten Entlassung maßgebend ist.

In Anbetracht des Umstandes, daß der OGH in seiner Rechtsmittelentscheidung vom 19.11.1991 das schwere Verschulden des F betonte, sowie eine annähernde Ausschöpfung des Strafrahmens als geradezu unerläßlich erachtete, sowie unter Berücksichtigung der strengen Spruchpraxis der Vollzugsgerichte hinsichtlich bedingter Entlassungen gemäß § 46 Abs. 1 StGB bei schweren Gewaltdelikten, ist auch nach Ansicht des Bundesministeriums für Justiz mit einer bedingten Entlassung des Beschwerdeführers gemäß § 46 Abs. 1 StGB auch nicht innerhalb von 10 Monaten ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt zu rechnen. Daran vermag auch das vom Beschwerdeführer gezeigte Wohlverhalten nichts zu ändern.

Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage hat der Leiter der Justizanstalt Graz-Karlau zu Recht entschieden, den Beschwerdeführer nicht in den Entlassungsvollzug zu überstellen."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die belangte Behörde ist bei ihrer Entscheidung von einer Rechtslage ausgegangen, nach der eine bedingte Entlassung des Beschwerdeführers gemäß § 46 Abs. 1 StGB - deren Voraussehbarkeit sein Antrag gemäß § 145 Abs. 1 und 2 StVG vorausgesetzt hätte - u.a. davon abhängig gewesen wäre, daß es nicht "aus besonderen Gründen der Vollstreckung des Strafrestes bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken" (§ 46 Abs. 3 StGB).

Nach § 17 Jugendgerichtsgesetz gilt für die bedingte Entlassung aus einer wegen einer Jugendstraftat verhängten Freiheitsstrafe § 46 Abs. 1 bis 4 StGB "mit der Maßgabe, daß ... außer Betracht bleibt, ob es der Vollstreckung der Strafe bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken".

Die belangte Behörde hat diese Vorschrift - nicht anders als im übrigen auch das Vollzugsgericht bei der erstmaligen, nach der Erlassung des angefochtenen Bescheides erfolgten Beschlußfassung über die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers - übersehen und der Prüfung der Frage, ob im Sinne des § 145 Abs. 2 StVG mit einer bedingten Entlassung des Beschwerdeführers (hier: gemäß § 46 Abs. 1 StGB) zu rechnen sei, daher auch den gemäß § 17 Jugendgerichtsgesetz im vorliegenden Fall nicht anzuwendenden Teil des § 46 Abs. 3 StGB zugrunde gelegt. Der Entscheidung ist auch nicht entnehmbar, daß dies nur ein Versehen bei der Darstellung der anzuwendenden Gesetzesbestimmungen gewesen sei und generalpräventive Überlegungen bei der Beurteilung der Frage, ob und wann der Beschwerdeführer voraussichtlich gemäß § 46 Abs. 1 StGB bedingt entlassen werden würde, außer Betracht geblieben seien. Die - auch unter dem Gesichtspunkt der erforderlichen Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt nicht ausreichenden - Ausführungen der belangten Behörde zur Begründung ihrer Annahme, mit einer bedingten Entlassung des Beschwerdeführers sei "auch nicht innerhalb von zehn Monaten ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt zu rechnen", erschöpfen sich nämlich in Hinweisen erstens auf das vom Obersten Gerichtshof 1991 hervorgehobene schwere Verschulden, das eine annähernde Ausschöpfung des Strafrahmens (bei der Strafbemessung) als geradezu unerläßlich erscheinen lasse, und zweitens auf die nicht näher beschriebene "strenge Spruchpraxis der Vollzugsgerichte hinsichtlich bedingter Entlassungen gemäß § 46 Abs. 1 StGB bei schweren Gewaltdelikten". Ersteres vermag die fünf Jahre später vorzunehmende Beurteilung der Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 StGB von vornherein nicht zu ersetzen, während letzteres nicht erkennen läßt, daß mit der "strengen Spruchpraxis" bei schweren Gewaltdelikten nicht gerade solche Entscheidungen gemeint sind, in denen - wie auch im vorliegenden Fall bei der ersten Beschlußfassung über die bedingte Entlassung - zur Begründung der Ablehnung einer bedingten Entlassung auf generalpräventive Gesichtspunkte abgestellt wird. Die fehlerhafte Wiedergabe der maßgeblichen Rechtslage belastet den Bescheid der belangten Behörde daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Bei dieser Sachlage ist für die belangte Behörde daraus, daß das Vollzugsgericht - nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens und unter Abstandnahme von generalpräventiven Erwägungen - die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers gemäß § 46 Abs.1 StGB inzwischen erneut abgelehnt hat und diese Entscheidung vom Oberlandesgericht Graz auch bestätigt wurde, nichts zu gewinnen. Dieser Umstand wird bei der Erlassung des Ersatzbescheides im Zuge der Beurteilung des dann vorliegenden Sachverhalts zu berücksichtigen sein, kann das Ergebnis der nachprüfenden Kontrolle des angefochtenen Bescheides der belangten Behörde durch den Verwaltungsgerichtshof aber nicht beeinflussen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1997200142.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten