TE Vfgh Erkenntnis 2020/6/8 E3068/2019

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Veröffentlicht am 08.06.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz betreffend einen Staatsangehörigen des Irans; mangelhafte Begründung der – von der inneren Überzeugung nicht getragenen – Konvertierung vom Islam zum Christentum

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist iranischer Staatsangehöriger und stellte am 19. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte unter anderem vor, er sei vom Islam zum Christentum konvertiert.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25. Oktober 2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberichtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Iran abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung in den Iran zulässig sei (Spruchpunkt III.) sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.)

Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 28. Juni 2019 keine Folge.

Begründend führt das Bundesverwaltungsgericht unter anderem Folgendes aus (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"Folgender Sachverhalt steht fest:

[…]

Etwa Ende September 2014 ließ sich der BF von einer christlichen Wander-Kirche mit Verbindung zu Schweden in Alanya im Mittelmeer taufen. Die Taufe fand in einer Gruppe statt. Nicht festgestellt werden konnte die konkrete Motivation dieser Form der Taufe zu diesem Zeitpunkt. Eine Taufurkunde wurde nicht ausgestellt. Der BF weiß nicht, wie diese Kirche heißt.

Der […] BF reiste um bzw vor dem 09.11.2015 nach einer Reise über die Balkanroute in Österreich ein. Er versuchte am 09.11.2015 in Freilassing nach Deutschland zu gelangen, was ihm nicht gelang (AS 3).

Der BF erlangte am 18.12.2015 eine (weitere) Taufe der 'Perzische Kerk Kores' (AS 43f). Nicht festgestellt werden konnten die näheren Umstände dieser Taufe. Eine nennenswerte Taufvorbereitung fand diesbezüglich nicht statt. Es wurden damals ca. 50 Personen getauft (BF BVwG, Seite 13).

Der BF fand in weiterer Folge Kontakt zunächst zur Loretto Gemeinschaft Salzburg, wo er etwa ab September 2016 an Sonntagsgottesdiensten und Gebetskreisen teilnahm. Ab April 2018 besuchte er eine Taufvorbereitung der Pfarre St. Blasius (Bestätigung [Dr. L] Salzburg vom 18.11.2018 in OZ13). Nicht festgestellt werden konnte, dass der BF bereits ab Ende 2015 Kontakt zur katholischen Pfarre St. Blasius bzw der Loretto Gemeinde in Salzburg fand und bereits seit Juli 2016 bei Schwester [R] einen 'Glaubensunterricht' besuchte. Der BF fand zur Gemeinde St. Blasius über andere Iraner. Im Glaubenskurs, der auf Farsi stattfand, waren 10 bis 15 Iraner und weitere 10 Farsi Sprecher. Er beteiligte sich auch in der Pfarre St. Blasius musikalisch (AS 297). Der BF beteiligte sich im Juni 2018 an der Community-Oper 'Was bleibt …['] (OZ14). Der BF besuchte
Sonntagsmessen, ab und zu auch Messen unter der Woche. Er erlangte am 07.10.2018 einen Konversionsschein der Erzdiözese Salzburg, nachdem er an diesem Tag in St. Blasius gefirmt wurde.

Nicht festgestellt werden konnte, welche 'nicht katholische Taufe' der BF am 22.05.2016 erhielt (Konversionsschein in OZ13) und, dass er zwischen der Taufe durch die Kores Kerk und seiner Aufnahme in St. Blasius noch bei den Baptisten in Salzburg war und dort getauft wurde.

Nicht festgestellt werden konnte, dass der BF zu irgendeinem Zeitpunkt innerlich vom Christentum derart überzeugt wurde und diesen Glauben innerlich derartig angenommen hat, dass er im Falle geänderter Verhältnisse, wie einer Rückkehr in ein nicht christliches Umfeld, das Bedürfnis hätte, diesen Glauben innerlich und äußerlich auszuleben.

[…]

Nicht festgestellt werden konnte, dass im Iran 'alle' wissen, dass der BF zum Christentum konvertiert ist, ebensowenig, dass die Ex-Frau des BF sowie dessen Mutter von drei Personen des Geheimdienstes aufgesucht, für zwei Tage festgehalten und einvernommen wurden. […]

Der BF zeigte [am] 10.11.2017 gegenüber der Stadt Salzburg den Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft an (AS 290).

[…]

Beweiswürdigung:

[…]

Zur Konversion:

Evident erweist sich der Umstand, dass sich der BF jedenfalls seit 2016 in und um die charismatische katholische Lorettogemeinschaft und die katholische Gemeinde St. Blasius, die beide speziell Flüchtlingsarbeit betreiben, bewegt, dort Glaubenskurse und Messen besucht hat und besucht, sowie als Musiker aktiv ist. Zu hinterfragen ist die Ernsthaftigkeit seiner christlichen Einstellung, auch hinsichtlich seines Bedürfnisses, diese unter geänderten Umständen aufrechtzuerhalten. Wenig gibt diesbezüglich das geschilderte Erweckungserlebnis aufgrund eines Anrufes eines Freundes her, zumal es sich einerseits um eine kontextlose Geschichte handelt, andererseits gerade in diesem Zusammenhang der BF selbst angab, auch nach dieser Geschichte Atheist gewesen zu sein (AS 100: '[A] wusste auch, dass ich Atheist bin und er wusste auch, dass Atheisten nicht so leicht zu einer Religion kommen'). Die ansonsten sehr detailreichen Schilderungen um die Begebenheiten mit [A] sowie seiner Zeit in der Türkei enthalten keine näheren Angaben, die auf eine christliche Sozialisation schließen lassen. Nirgendwo gab der BF an, zum Beispiel in der Türkei Kontakt mit christlichen Gemeinschaften gesucht zu haben etc. Glaubwürdig ist aber, dass er – allerdings plötzlich – von einem schwedischen Wanderprediger auf welche Weise immer dazu gekommen – im Meer getauft wurde, ohne dass hiefür Unterlagen ausgestellt wurden. Umstände, weshalb dem BF gerade zu diesem Zeitpunkt diese Art der Taufe ein Bedürfnis gewesen sein sollte, liefern die Vernehmungsergebnisse nicht. Ebenso auf einen leichtfertigen Umgang mit Glaubensfragen lässt der Umstand schildern, dass der BF am 18.12.2015 neuerlich, nunmehr durch die persisch-holländische 'Wanderkirche' Kerk Kores, in Wien die Taufe empfing, dies obwohl er laut Bestätigung des stellvertretenden Pfarrgemeinderatsobmanns der Pfarre St. Blasius bereits seit Dezember 2015 dort die heiligen Messen besucht haben soll, am wöchentlichen Loretto Gebetskreis teilgenommen haben soll und von Dezember 2015 bis 10.12.2016 wöchentlich an der Katechumenatsgruppe von Schwester [R] teilgenommen haben soll (AS 297). Den zahlreichen vorgelegten Bescheinigungen sowie der Zeugenaussage von [T] kommt im Hinblick auf das Glaubenszeugnis des BF sowie dessen Zugehörigkeit zur katholischen Kirche St. Blasius[…] und Loretto Gemeinschaft Salzburg insofern nur eingeschränkte Glaubwürdigkeit zu, als die Angaben teilweise in wesentlichen Punkten widersprüchlich sind und darauf schließen lassen, dass keine so große Nahebeziehung zum BF besteht, dass die wesentlichen Umstände des BF den die Bestätigungen ausstellenden Personen geläufig waren: Auffällig ist, dass die Kathechistin Schwester [R], die den BF bereits seit Dezember 2015 in der Katechumenatsgruppe betreut haben will (AS 297) im März 2019 bestätigt, der BF sei am 05.10.2018 von Pfarrer [V] getauft worden, während dem Konversionsschein vom 07.10.2018 zu entnehmen ist, dass mit diesem Tag die Konversion aufgrund einer nicht katholischen Taufe am 22.05.2016 bestätigt wurde und mit 07.10.2018 die Firmung stattfand (OZ14). Nach dem Schreiben der Leiterin des Katechumenats St. Blasius und auf Papier der Loretto Gemeinschaft vom 18.11.2018 wird – entgegen dem Schreiben von [Schwester R] – lediglich eine Taufvorbereitung seit April 2014 und Gottesdienstbesuche seit September 2016 beschrieben. Nach diesem Schreiben, ebenso wie nach der Aussage der Zeugin [T], kam der BF von der Baptistengemeinde ('auf den Übertritt von der Baptisten-Gemeinde in die katholische Kirche vorbereitet'). Im Zusammenhalt mit der sich aus dem Konversionsschein ergebenden 3. Taufe am 22.5.2016 spricht vieles dafür, dass der BF zwischen Kores Kerk und katholischer Kirche, allenfalls auch parallel, auch bei der in Salzburg in der Flüchtlingsarbeit sehr aktiven Baptistengemeinde aktiv war und dort getauft wurde. Der BF bestritt dies ausdrücklich (BVwG S 23). Aus den genannten Widersprüchen der Bescheinigungen aus dem Bereich St. Blasius folgt für das Gericht eine mangelnde Vertrautheit der agierenden Personen mit dem BF und dadurch eine Schwächung des damit bezweckten Glaubenszeugnisses. Die Zeugin [T] bezeichnete die diesbezüglichen Angaben über die erfolgte Taufe in St. Blasius als 'leider falsch' (BVwG, Seite 23). Große Zweifel bestehen an der Angabe des BF, er sei zwischen der Cyrus-Kirche und der katholischen Kirche bei keiner anderen Kirche gewesen (wie oben, Seite 23): Der Konversionsschein enthält die urkundliche Angabe einer – weiteren – nicht katholischen Taufe am 22.05.2016. Es handelt sich dabei jedenfalls um ein lang nach jenem liegende[s] Datum, das auf dem Taufschein der Cyrus-Kirche aufscheint. Sollte eine weitere Taufe, wie aus der Aussage der Zeugin [T] und dem Schreiben der Loretto Gemeinschaft vom 18.11.2018 hervorgehend, des BF damals bei der Baptistengemeinde erfolgt sein, dann beeinträchtigt dies aufgrund der Bestreitung durch den BF dessen Glaubwürdigkeit massiv. Sollte der BF tatsächlich nicht bei der Baptistengemeinde gewesen sein, so zeigt sich, dass die diesbezüglichen Angaben der Zeugin [T] bzw aus dem Bereich der Loretto Gemeinschaft nicht individuell auf den BF zugeschnitten waren: ('Vielleicht habe ich das auch verwechselt. Bei uns gibt es sehr viele, die von den Baptisten
kommen', Zeugin [T], BVwG, Seite 23).

Wesentlich sind in diesem Zusammenhang auch die Angaben des BF, die er vor dem BFA zu seinem persönlichen Glauben machte: Er gab am 06.10.2017, knapp zwei Jahre nach Beginn der Kontakte zu Schwester [R] an, er habe nicht extrem viele Informationen über den Katholizismus. Er habe keinen Kontakt zu anderen Kirchenmitgliedern. Gefragt, ob er sich neben den Messbesuchen für den
Glauben engagiere, antwortete er, eigentlich nicht. Gefragt nach den zehn Geboten antwortete er, dass wisse er nicht. Ihn interessiere auch das Alte
Testament nicht, lediglich der Lebenslauf (Jesu). Nachdem er seine Lieblingsstelle vom 'Steine werfen' wiedergibt, gibt er an, er könne sich nicht erinnern, wo dieser Text zu finden sei. Er sei evangelisch. Er könne weder das Mariengebet, noch das Vater Unser aufsagen. Auf die Frage, wer das Vater Unser gelehrt habe, gab er an: 'Das weiß ich gar nicht, weil ich nicht glaube. Es interessiert mich nicht. Ich möchte auch nicht wissen. Ich glaube nur an Jesus. Alles andere interessiert mich nicht'. Mögen darin auch Unschärfen der Übersetzung zum Ausdruck kommen, so zeigt sich nach einem beachtlichen Zeitraum der äußeren Zugehörigkeit zu St. Blasius und Loret[t]o ein auffallend beliebiges Verhältnis zu 'seinem neuen Glauben'. Den Ablauf eines Gottesdienstes konnte der BF im Oktober [2]017 auch nicht rudimentär schildern (AS 120). Eine Einordnung, welcher Religion Jesu angehörte, gelang dem BF nicht. Vor Gericht gab der BF zwar an, dass für ihn Jesus Christus die Liebe sei und sich in ihm Gott den
Menschen zeigen wollte. Er konnte auch zwei Geschichten der Bibel darstellen, die Bezug zu seinem Leben haben und ihm wichtig seien ('Wer ohne Sünde [sei], werfe den ersten Stein'; 'Der verlorene Sohn'). In einer Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse betreffend Konversion kamen zahlreiche Inkonsistenzen hervor: Trotz zweier Taufen in der Türkei bzw gleich nach der Ankunft in Österreich, ließ der BF im Mai 2016 durch eine nicht bekannte Gemeinde neuerlich eine Taufe vollziehen (Konversionsschein), die er vor Gericht bestritt bzw nicht erwähnte. Die Bescheinigungen aus dem Bereich St. Blasius bzw Loretto zeigen in ihrer Gesamtheit, dass erhebliche Ungenauigkeiten der Datenerfassung bzw teilweise offenbar Verwechslungen mit anderen Asylwerbern vorlagen und als Grundlage in die Bescheinigungen einflossen. Der BF zeigte im Rahmen seiner Befragung zur Konversion im Zusammenhang mit Wissensfragen neben für seinen Bildungsstand auffälligen Wissenslücken zu diesem Zeitpunkt einen nicht gerechtfertigten Unwillen, diese Fragen zu beantworten. Insgesamt war es nicht glaubhaft, dass der BF über sein soziales und musikalisches Engagement in den genannten Gemeinden in Österreich hinaus derartig innerlich vom Christentum überzeugt ist, dass er dieses ungeachtet der jeweiligen Lebensverhältnisse als wesentliche religiöse Quelle für sich angenommen hat.

[…]

Rechtlich folgt:

Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

[…]

Nach den alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union bindenden normativen Vorgaben des Artikel 10 Absatz 1 b, RL 2011/95/EG, kann einem Flüchtling nicht zugesonnen werden, sich bei der Religionsausübung auf das 'Forum Internum' zu beschränken, somit seinen Glauben heimlich auszuüben. Diesem muss die öffentliche Ausübung des christlichen Glaubens in Lehre, Gottesdienst und Sakramentsverwaltung möglich sein ('Forum Externum').

Der VwGH hat sich mehrfach mit drohender Verfolgung von zum christlichen Glauben konvertierten Muslimen im Iran befasst (zB. Erkenntnis vom 19.12.2001, 2000/20/0369; [23.6.2015,] Ra 2014/01/0117). Danach kommt es darauf an, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung des inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden. Feststellungen zu[r] behaupteten aktuell bestehenden Glaubensüberzeugung sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von – allfälligen – Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln (Erkenntnis des VwGH vom 23.6.2015, Ra 2014/01/0117 mwN).

Ebensowenig war, wie festgestellt, glaubhaft, dass der BF – über sein [ä]ußeres Engagement in der katholischen Kirche hinaus – innerlich derartig konvertiert ist, dass er unter geänderten Umständen, wie einer Rückkehr in den Iran, das Bedürfnis hätte, die christliche Religion innerlich und äußerlich auszuleben. Wie festgestellt, war es auch nicht glaubwürdig, dass im Zusammenhang mit der Konversion der BF im Iran gesucht wird und in diesem Zusammenhang Besuche der Mutter und der Ex-Frau durch den Geheimdienst stattfanden und stattfinden, die ihn zu einer Rückkehr bewegen sollen.

Auch eine gegründete Furcht wegen Verfolgung aus religiösen Gründen war daher zu verneinen.

[…]"

2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Religionsfreiheit und auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander behauptet sowie die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Das Bundesverwaltungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht widerlegt, dass der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung seine Religion gewechselt habe. Die Beweiswürdigung sei aktenwidrig und willkürlich. Insbesondere habe das Bundesverwaltungsgericht im Zuge der mündlichen Verhandlung keine Wissensfragen über das Christentum gestellt, sondern die Beantwortung der diesbezüglichen Fragen in der zwei Jahre zuvor durchgeführten niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für
Fremdenwesen und Asyl beurteilt, wobei sich das Bundesverwaltungsgericht einzig auf das fehlende Wissen des Beschwerdeführers konzentriert habe,
während die erfolgreichen Antworten "unter den Tisch" gefallen seien. Dass Bundesverwaltungsgericht lasse unerwähnt, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zahlreiche Detailfragen beantworten habe können (etwa, dass Jesus zwischen einem Dieb und Mörder gekreuzigt worden sei, dass Jesus von Johannes dem Täufer getauft worden sei, dass ein Soldat bei der Festnahme von Jesus ein Ohr verloren habe und Jesus zuvor auch als Tischler gearbeitet habe). Auch sei nicht gewürdigt worden, dass der Beschwerdeführer frei über die drei für ihn wichtigsten Bibelstellen berichten habe können.

Das Bundesverwaltungsgericht habe eine offenbare Voreingenommenheit an den Tag gelegt und sämtlich Beweisergebnisse "notfalls" absichtlich missverstanden.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Gemäß Art14 StGG ist jedermann die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleistet. Gemäß Art9 Abs1 EMRK hat jedermann das Recht auf Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit des Einzelnen, seine Religion einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und unter Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. Art9 Abs2 EMRK normiert einen materiellen Gesetzesvorbehalt: Demnach darf die Religionsfreiheit "nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind". Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit ist ein höchstpersönliches Recht, welches Inländern und Ausländern gleichermaßen zukommt (vgl Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12, 2019, Rz 935, unter Hinweis auf VfSlg 13.513/1993).

3. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

4. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

4.1. Maßgeblich für die Gewährung von Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention sind – wie auch in §3 Abs2 AsylG 2005 zum Ausdruck kommt – nicht nur jene Gründe, die den Antragsteller zum Verlassen des Herkunftsstaates bewogen haben, sondern auch jene, die zum Entscheidungszeitpunkt eine asylrelevante Verfolgung begründen können (vgl zB VfGH 27.2.2018, E2958/2017 mwN).

4.2. Nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofes erfordert die Beachtung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Glaubens- und Gewissensfreiheit im Asylverfahren im konkreten Fall die Widerlegung, dass ein Religionswechsel aus innerer Überzeugung erfolgt ist. Sobald auf Grund äußerer Tatsachen ein Wechsel der Religion aus innerer Überzeugung nicht unwahrscheinlich ist, muss sich auf Grund der Persönlichkeit, aller Umstände der persönlichen Glaubwürdigkeit sowie darauf aufbauend einer ins Einzelne gehenden Beweiswürdigung und allenfalls der Einvernahme von Personen, die Auskunft über den Glaubenswechsel und die diesem zugrunde liegenden Überzeugungen geben können, ein detaillierter Eindruck darüber verschafft werden, inwieweit der Religionswechsel auf einer persönlichen Glaubensentscheidung beruht (vgl VfSlg 19.837/2013; VfGH 22.9.2014, U2193/2013; 27.2.2018, E2958/2017).

4.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat zwar am 11. März 2019 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, aus der Niederschrift der Verhandlung ergibt sich jedoch, dass dem Beschwerdeführer – abgesehen von der Aufforderung, drei für den Beschwerdeführer bedeutende Bibelstellen kurz vorzustellen, woraufhin der Beschwerdeführer die Geschichten "Wer ohne Sünde [sei], werfe den ersten Stein" und "Der verlorene Sohn" erzählte – keine Wissensfragen betreffend das Christentum gestellt wurden. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich diesbezüglich im Rahmen der Beweiswürdigung nur auf die niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 6. Oktober 2017. Dabei gibt das Bundesverwaltungsgericht nur jene Fragen wieder, die der Beschwerdeführer nicht beantworten konnte, während darauf, dass Fragen auch richtig beantwortet wurden, nicht eingegangen wird.

4.4. Darüber hinaus führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Beschwerdeführer "nirgendwo [angegeben habe], zum Beispiel in der Türkei
Kontakt mit christlichen Gemeinschaften gesucht zu haben". Dies steht im Widerspruch zu der in der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11. März 2019 protokollierten Aussage des Beschwerdeführers auf die Frage, wie es dazu gekommen sei, dass er in der Türkei getauft worden sei: "Jesus Christus hat mich gerufen. Erst habe ich nicht selber glauben wollen, aber mit der Zeit habe ich es erkannt, dass ich jemanden neben mir habe, der mich schütz[t]. Ich habe mich sodann mit Christen in Verbindung gesetzt und habe ihnen viele Fragen gestellt. Nachdem diese mein Interesse am Christentum realisiert haben, haben sie für mich eine der schönsten Überraschungen vorbereitet und mich in einer schönen Gruppe getauft. Das war eine neue Geburt für mich und wir haben getanzt und getrunken."

4.5. Zudem hat der Beschwerdeführer weder vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgebracht, dass er in Österreich, im Speziellen in der Cyrus-Kirche, erneut getauft worden sei. Vielmehr brachte er in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vor: "[I]ch hatte schon eine Taufe, aber sie haben sie nochmals beglaubigt, dass ich an Jesus glaube. Ich sollte nochmal nur schwören." Laut Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht antwortete er auf die Frage, warum er sich noch einmal taufen ließ: "Ich bin zum zweiten Mal nicht getauft worden. Ich habe lediglich eine Konversion vorgenommen. […]". Sofern das Bundesverwaltungsgericht auf Grund des – dem Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vorgehaltenen – weiteren Inhaltes des "Taufscheines" davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer erneut getauft worden sei und nicht, wie vom Beschwerdeführer vorgebracht, seinen Glauben zum Erhalt einer schriftlichen Bestätigung seines christlichen Glaubens lediglich nochmals bestätigt habe, so ist der Entscheidung eine nachvollziehbare Begründung für die Annahme des Bundesverwaltungsgerichtes nicht zu entnehmen. Auch ist der Beweiswürdigung eine Auseinandersetzung mit den zitierten Aussagen des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen.

4.6. Das Bundesverwaltungsgericht hat daher in willkürlicher Weise in der angefochtenen Entscheidung den vom Beschwerdeführer erfolgten Religionswechsel vom Islam zum Christentum als nicht von einer inneren Überzeugung getragen gewertet.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Religionsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E3068.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.09.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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