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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
EMRK Art8Leitsatz
Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens betreffend ein Verfahren um den Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" einer mit einem Österreicher verheirateten analphabetischen Staatsangehörigen von Afghanistan; keine Auseinandersetzung mit einer allfälligen Nachsicht vom sonst zu erbringenden Nachweis von Deutschkenntnissen trotz schützenswerten Familienlebens verletzt gebotene EinzelfallabwägungRechtssatz
Gemäß §21a Abs5 Z2 NAG kann vom Nachweis von Deutschkenntnissen als Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels abgesehen werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art8 EMRK geboten ist. Aus Art8 EMRK ist keine generelle Verpflichtung abzuleiten, dem Wunsch eines Fremden, sich in einem bestimmten Mitgliedstaat aufzuhalten, nachzukommen. Unter besonderen Umständen kann sich aus Art8 EMRK aber eine Verpflichtung des Staates ergeben, den Aufenthalt eines Fremden zu ermöglichen mit der Folge, dass die Verweigerung der Einreise oder Niederlassung einen Eingriff in Art8 EMRK bildet.
Es ist im Verfahren unbestritten, dass die Beschwerdeführerin den Nachweis von Deutschkenntnissen gemäß §21a Abs1 NAG nicht erbracht hat. Nach Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark (LVwG) kann von diesem Nachweis schon deswegen gemäß §21a Abs5 Z2 NAG nicht zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art8 EMRK abgesehen werden, weil ein solches zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehegatten nicht bestehe, da die Beschwerdeführerin weder in Afghanistan noch in Österreich mit ihrem Ehegatten zusammengelebt habe. Ein Recht auf Begründung eines Familienlebens lasse sich aber aus Art8 EMRK nicht ableiten.
Das LVwG bezweifelt an keiner Stelle, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem zusammenführenden Ehegatten, einem österreichischen Staatsbürger, rechtmäßig verheiratet ist. Es stellt darüber hinaus fest, dass die seit mehr als zehn Jahren verheirateten Ehegatten regelmäßig und häufig, wenn auch im Wesentlichen nur telefonisch, Kontakt haben und die Beschwerdeführerin regelmäßig finanzielle Zuwendungen von ihrem Ehegatten erhält, die sie für ihren Unterhalt benötigt. Bedenken, dass es sich bei der Beziehung zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehegatten um eine Scheinehe handelt, hegt das LVwG auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes nachvollziehbar nicht. Damit ist aber gemäß der Rsp des EGMR davon auszugehen, dass zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehegatten ein durch Art8 Abs1 EMRK geschütztes Familienleben besteht.
Indem das LVwG demgegenüber den Anwendungsbereich des Art8 EMRK von vorneherein verneint und demzufolge die nach §21a Abs5 Z2 NAG im Lichte des Konventionsrechtes gebotene Abwägung unterlässt, hat es dieser Bestimmung einen mit Art8 Abs1 EMRK nicht zu vereinbarenden Inhalt unterstellt. Denn das LVwG hat es damit auch unterlassen, anhand der vom EGMR entwickelten Kriterien zu prüfen, ob Art8 EMRK im konkreten Fall die Erteilung eines Aufenthaltstitels gebietet.
Schlagworte
Fremdenrecht, Privat- und Familienleben, EntscheidungsbegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E817.2020Zuletzt aktualisiert am
27.05.2021