TE Vfgh Erkenntnis 2020/6/8 V28/2019 (V28/2019-9)

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Veröffentlicht am 08.06.2020
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Index

90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z1
StVO 1960 §25 Abs2, §43, §44 Abs1, §52
KurzparkzonenV der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12.12.2014
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit einer Verordnungsbestimmung der Bürgermeisterin einer Oberösterreichischen Gemeinde betreffend die Einrichtung einer Kurzparkzone; mangelnde Übereinstimmung der aufgestellten Verkehrszeichen mit der Verordnung

Spruch

I. §1 litb der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12. Dezember 2014, Z 612-2014-Rei/Kain, war gesetzwidrig.

II. Die Oberösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

III. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich, der Verfassungsgerichtshof möge

"die Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12.12.2014, AZ: 612-2014-Rei/Kain, betreffend die Einrichtung von Kurzparkzonen und Parkverboten innerhalb des Gemeindegebietes von Gallneukirchen, in eventu,

§1 litb), §2 und §3 der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12.12.2014, AZ: 612-2014-Rei/Kain, betreffend die Einrichtung von Kurzparkzonen und Parkverboten innerhalb des Gemeindegebietes von Gallneukirchen sowie die den örtlichen Geltungsbereich der unter §1 angeführten Verkehrsmaßnahmen darstellenden Lagepläne, welche einen wesentlichen Bestandteil dieser Verordnung bilden, in eventu,

§1 litb), §2 und §3 der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12.12.2014, AZ: 612-2014-Rei/Kain, betreffend die Einrichtung von Kurzparkzonen und Parkverboten innerhalb des Gemeindegebietes von Gallneukirchen, in eventu,

§1 litb) und §2 der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12.12.2014, AZ: 612-2014-Rei/Kain, betreffend die Einrichtung von Kurzparkzonen und Parkverboten innerhalb des Gemeindegebietes von Gallneukirchen, in eventu,

§1 litb) der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12.12.2014, AZ: 612-2014-Rei/Kain, betreffend die Einrichtung von Kurzparkzonen und Parkverboten innerhalb des Gemeindegebietes von Gallneukirchen als gesetzwidrig"

aufheben.

II. Rechtslage

1. Die Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12. Dezember 2014, Z 612-2014-Rei/Kain, lautet (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):

"VERORDNUNG

der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen, vom 12.12.2014, betreffend die Einrichtung von Kurzparkzonen und Parkverboten innerhalb des Gemeindegebietes von Gallneukirchen.

Aufgrund der Verordnung des Gemeinderates vom 6.10.1994, mit der einzelne in die Zuständigkeit des Gemeinderates fallende Angelegenheiten der örtlichen Straßenpolizei auf den Bürgermeister übertragen wurden, erlässt die Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen gem. §§40 Abs2 Z4, 43 Abs2 OÖ. GemO 1990 in Verbindung mit §§43, 94d Z1b StVO 1960 folgende Verkehrsmaßnahmen:

§1

a) In der Dienergasse vor dem Haus Dienergasse 12 wird eine Kurzparkzone für die Zeit – an Werktagen, von Montag bis Freitag 7.00 Uhr bis 18.00 Uhr,

Samstag von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr – eingerichtet. Die Kurzparkdauer wird mit 90 Minuten festgelegt.

b) Am Marktplatz wird an den gekennzeichneten Stellen eine Kurzparkzone für die Zeit – an Werktagen, von Montag bis Freitag 7.00 Uhr bis 18.00 Uhr,

Samstag von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr – eingerichtet. Die Kurzparkdauer wird mit 60 Minuten festgelegt.

c) Am Marktplatz ist vor der Liegenschaft Parz. Nr 54 das Parken verboten

('Parken verboten' gemäß §24 Abs3 lita in Verbindung mit §55 Abs8 StVO 1960).

d) Am Marktplatz ist an der nordöstlichen Ecke der Liegenschaft Parz. Nr 76 das Halten und Parken verboten. Dieses Verbot gilt nicht für Fahrzeuge, die nach der Bestimmung des §29b Abs4 gekennzeichnet sind ('Halten und Parken verboten' gemäß §52 lita Z13b StVO 1960 mit der Zusatztafel gemäß §54 Abs5 lith StVO 1960 und mit einer Zusatztafel mit einem nach rechts weisenden Pfeil mit der Aufschrift 6 m).

§2

Der örtliche Geltungsbereich der unter §1 angeführten Verkehrsmaßnahmen wird in Lageplänen dargestellt, welche einen wesentlichen Bestandteil dieser Verordnung bilden.

§3

Die Kundmachung der Verordnung erfolgt gem. §44 StVO 1960 durch die Aufstellung der oben angeführten Straßenverkehrszeichen sowie Anbringung der Bodenmarkierungen und tritt mit deren Aufstellung/Anbringung in Kraft.

§4

Die Verordnung vom 21.1.2002 ZI. Verk-1/7-3-2002-Rei/Kain wird hinsichtlich der

Punkte §1 b), §1 e) und §1 h) aufgehoben.

Die Bürgermeisterin:

[…]"

2. §2 Abs1 der Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über die Überwachung der Einhaltung der Parkdauer in Kurzparkzonen (Kurzparkzonen-Überwachungsverordnung), BGBl 857/1994, idF BGBl II 145/2008 lautet:

"Pflichten des Lenkers

§2. (1) Wird ein mehrspuriges Fahrzeug in einer Kurparkzone angestellt, so hat der Lenker

1. das Fahrzeug für die Dauer des Abstellens mit dem für die jeweilige Kurzparkzone entsprechenden Kurzparknachweis zu kennzeichnen und

2. dafür zu sorgen, daß das Fahrzeug spätestens mit Ablauf der höchst zulässigen Parkzeit entfernt wird."

3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl 159, idF BGBl I 69/2017 lauten wie folgt:

"§25. Kurzparkzonen

(1) Wenn und insoweit es zu bestimmten Zeiten aus ortsbedingten Gründen (auch im Interesse der Wohnbevölkerung) oder zur Erleichterung der Verkehrslage erforderlich ist, kann die Behörde durch Verordnung für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes das Parken zeitlich beschränken (Kurzparkzone). Die Kurzparkdauer darf nicht weniger als 30 Minuten und nicht mehr als 3 Stunden betragen.

(2) Verordnungen nach Abs1 sind durch die Zeichen nach §52 Z13d und 13e kundzumachen; §44 Abs1 gilt hiefür sinngemäß. Zusätzlich können Kurzparkzonen mit Bodenmarkierungen in blauer Farbe auf der Fahrbahn oder auf dem Randstein sowie mit blauen Markierungsstreifen an den im Bereich einer Kurzparkzone vorhandenen Anbringungsvorrichtungen für Straßenverkehrszeichen, Beleuchtungsmasten oder dergleichen gekennzeichnet werden.

(3) Beim Abstellen eines mehrspurigen Fahrzeuges in einer Kurzparkzone hat der Lenker das zur Überwachung der Kurzparkdauer bestimmte Hilfsmittel bestimmungsgemäß zu handhaben.

(4) Der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie hat durch Verordnung die Art der Überwachung der Kurzparkdauer und das hiefür notwendige Hilfsmittel zu bestimmen; er hat dabei auf den Zweck einer zeitlichen Parkbeschränkung sowie auf eine kostengünstige und einfache Handhabung des Hilfsmittels Bedacht zu nehmen.

(4a) Für Kurzparkzonen, in denen für das Abstellen eines mehrspurigen Fahrzeuges auf Grund abgabenrechtlicher Vorschriften eine Gebühr zu entrichten und für die Überwachung der Gebührenentrichtung die Verwendung eines technischen oder sonstigen Hilfsmittels vorgesehen ist, kann der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie mit Verordnung festlegen, unter welchen Voraussetzungen dieses Hilfsmittel zugleich auch als Hilfsmittel für die Überwachung der Kurzparkdauer gilt. Wenn für die Überwachung der Gebührenentrichtung die Anbringung des Hilfsmittels am Fahrzeug vorgesehen ist, kann der Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie weiters aus Gründen der Einheitlichkeit mit Verordnung auch die Art, das Aussehen und die Handhabung des Hilfsmittels bestimmen.

(5) Die Behörde hat unter Bedachtnahme auf den Zweck einer nach §43 Abs2a verordneten Regelung durch Verordnung das zur Kontrolle notwendige Hilfsmittel zu bestimmen.

§44. Kundmachung der Verordnungen

(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. Parteien im Sinne des §8 AVG ist die Einsicht in einen solchen Aktenvermerk und die Abschriftnahme zu gestatten. Als Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen die Vorschriftszeichen sowie die Hinweiszeichen 'Autobahn', 'Ende der Autobahn', 'Autostraße', 'Ende der Autostraße', 'Einbahnstraße', 'Ortstafel', 'Ortsende', 'Internationaler Hauptverkehrsweg', 'Straße mit Vorrang', 'Straße ohne Vorrang', 'Straße für Omnibusse' und 'Fahrstreifen für Omnibusse' in Betracht. Als Bodenmarkierungen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen Markierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten, wie etwa Sperrlinien, Haltelinien vor Kreuzungen, Richtungspfeile, Sperrflächen, Zickzacklinien, Schutzwegmarkierungen oder Radfahrerüberfahrtmarkierungen in Betracht.

[…]

§52. Die Vorschriftszeichen

Die Vorschriftszeichen sind

a) Verbots- oder Beschränkungszeichen,

b) Gebotszeichen oder

c) Vorrangzeichen.

a) Verbots- oder Beschränkungszeichen

[…]

13d. 'KURZPARKZONE'

[…]

Dieses Zeichen zeigt den Beginn einer Kurzparkzone an. Wird dieses Zeichen auf der linken Straßenseite angebracht, so bezieht sich die Kurzparkzonenregelung nur auf diese Straßenseite. Im unteren Teil des Zeichens oder auf einer Zusatztafel ist die Zeit, während der die Kurzparkzonenregelung gilt, und die zulässige Kurzparkdauer anzugeben. Falls für das Abstellen eines Fahrzeuges in einer Kurzparkzone auf Grund abgabenrechtlicher Vorschriften eine Gebühr zu entrichten ist, so ist auf diesen Umstand durch das Wort 'gebührenpflichtig', das im unteren Teil des Zeichens oder auf einer Zusatztafel anzubringen ist, hinzuweisen.

[…]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich ist ein Verfahren über eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 8. März 2018 anhängig, mit dem der Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Gericht wegen einer Übertretung gemäß §2 Abs1 Z2 Kurzparkzonen-Überwachungsverordnung iVm §99 Abs3 lita StVO 1960 bestraft worden ist. Ihm wird vorgeworfen, er habe ein dem Kennzeichen nach näher bestimmbares, mehrspuriges Kraftfahrzeug am 16. November 2017, um 9 Uhr 33, in der Kurzparkzone am Marktplatz, H 7, der Gemeinde Gallneukirchen abgestellt, ohne dafür zu sorgen, dass das Fahrzeug am Ende der höchst zulässigen Parkzeit vom Ort der Abstellung entfernt werde.

2. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich gemäß Art139 Abs1 Z1 B-VG den vorliegenden Antrag und begründet ihn – auszugsweise wiedergegeben – wie folgt (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):

"[…]

Zulässigkeit des Antrages/Präjudizialität:

[…]

IV.2.Die Bestimmung des §1 litb) der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12.12.2014, AZ: 612-2014-Rei/Kain, betreffend die Einrichtung von Kurzparkzonen und Parkverboten innerhalb des Gemeindegebietes von Gallneukirchen wurde durch Anbringung des nachfolgenden Verkehrszeichens gemäß §25 Abs1 iVm §44 Abs1 StVO 1960 kundgemacht, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen und verbindlich ist (vgl VfGH 14.3.2018, V114/2017):

[…]

IV.3.Weitere Voraussetzung eines auf Antrag eines Gerichts eingeleiteten Normprüfungsverfahrens ist die Präjudizialität der zu prüfenden Bestimmung(en). Die Norm ist dann präjudiziell, wenn das Gericht die fragliche Norm anzuwenden hätte. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf ein Normenprüfungsantrag nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die angefochtene generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichts im Anlassfall bildet (vgl etwa VfGH 14.3.2012, V113/11 mwN).

In dem diesem Antrag zugrundeliegenden Beschwerdeverfahren gelangen die oben genannten Bestimmungen (vgl Punkt III.) der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12.12.2014, AZ: 612- 2014-Rei-Kain, betreffend die Einrichtung von Kurzparkzonen und Parkverboten innerhalb des Gemeindegebietes von Gallneukirchen zur Anwendung:

Der Tatvorwurf des in Beschwerde gezogenen Straferkenntnisses umfasst die Verletzung des §2 Abs1 Z2 Kurzparkzonen-Überwachungsverordnung (BGBl Nr 857/1994 zuletzt geändert durch BGBl II Nr 145/2008). Nach dieser Bestimmung hat der Lenker dafür zu sorgen, dass ein in einer Kurzparkzone abgestelltes mehrspuriges Fahrzeug spätestens mit Ablauf der höchsten zulässigen Parkzeit entfernt wird. In concreto wird dem Beschwerdeführer als Lenker die nicht rechtzeitige Entfernung seines Personenkraftwagens vor dem Ende der höchsten zulässigen Parkzeit vom Ort der Abstellung in der Kurzparkzone am Marktplatz der Stadtgemeinde Gallneukirchen vorgeworfen.

Gemäß §25 Abs1 StVO 1960 kann die Behörde (eigener Wirkungsbereich der Gemeinde, vgl §94d Z1b StVO 1960) durch Verordnung für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes – wenn und insoweit es zu bestimmten Zeiten aus ortsbedingten Gründen (auch im Interesse der Wohnbevölkerung) oder zur Erleichterung der Verkehrslage erforderlich ist – das Parken zeitlich beschränken (Kurzparkzone).

Mit Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12.12.2014, AZ: 612-2014-Rei-Kain, wurden Kurzparkzonen und Parkverbote innerhalb des Gemeindesgebietes von Gallneukirchen verfügt, unter anderem gemäß §1 litb) leg. cit. eine Kurzparkzone an den gekennzeichneten Stellen am Marktplatz eingerichtet. Diese Verordnung ist für die Beurteilung der Strafbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers vom antragstellenden Landesverwaltungsgericht Oberösterreich anzuwenden und somit präjudiziell.

V. Begründung (Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich):

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hegt aus nachfolgenden Überlegungen Bedenken an der Gesetzmäßigkeit der unter Punkt III. bezeichneten Bestimmungen der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12.12.2014, AZ: 612-2014-Rei/Kain, betreffend die Einrichtung von Kurzparkzonen und Parkverboten innerhalb des Gemeindegebietes von Gallneukirchen (Hervorhebungen nicht im Original):

V.1. Nach §1 litb) der gegenständlichen Verordnung wurde am Marktplatz (an den gekennzeichneten Stellen) eine Kurzparkzone für die Zeit 'an Werktagen, von Montag bis Freitag 7.00 Uhr bis 18.00 Uhr, Samstag von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr' eingerichtet.

Der örtliche Geltungsbereich der unter §1 angeführten Verkehrsmaßnahmen wird in Lageplänen dargestellt, welche einen wesentlichen Bestandteil dieser Verordnung bilden (vgl §2 leg. cit.).

Die Kundmachung der Verordnung hat ua durch die Aufstellung von Straßenverkehrszeichen zu erfolgen und tritt mit deren Aufstellung in Kraft (vgl §3 leg. cit.).

Gemäß §25 Abs2 StVO 1960 sind Verordnungen betreffend die Einrichtung einer Kurzparkzone durch Zeichen nach §52 Z13d und 13e leg. cit. kundzumachen und treten gemäß §44 Abs1 leg. cit. mit deren Anbringung in Kraft.

Das Vorschriftszeichen gemäß §52 Z13d StVO 1960 zeigt den Beginn einer Kurzparkzone an. Im unteren Teil des Zeichens oder auf einer Zusatztafel ist die Zeit, während der die Kurzparkzonenregelung gilt, und die zulässige Kurzparkdauer anzugeben.

V.2. Wie sich aus den Lichtbildern im Verfahrensakt der belangten Behörde (siehe Abbildung in Punkt IV.2.) ergibt, erfolgte die Kundmachung der Kurzparkzone nach §1 litb) der gegenständlichen Verordnung durch Aufstellung des Vorschriftszeichens gemäß §52 Z13d StVO 1960. Auf diesem Zeichen wurden folgende Zeiten der Kurzparkzone angeführt (Hervorhebungen nicht im Original): 'Mo-Fr 800 - 1800 Sa 800- 1200'.

Somit entspricht der kundgemachte zeitliche Beginn der Kurzparkzone (werktags um 08:00 Uhr) nicht dem in der Verordnung beschlossenen zeitlichen Beginn der Kurzparkzone (werktags um 07:00 Uhr).

V.3.Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf ein Verordnungsbeschluss im Zuge der Kundmachung weder ergänzt noch sonst verändert werden. Jede Änderung des Inhalts des Verordnungsbeschlusses obliegt allein der zur Willensbildung zuständigen Behörde (vgl VfSlg 13.910/1994 mwN). Eine Verordnung ist gesetzwidrig, wenn die vom Verordnungsgeber beschlossene normative Festlegung nicht mit dem kundgemachten Text übereinstimmt (vgl VfSlg 15.192/1998, 19.980/2015). Legt die Verordnung selbst die Textierung der sie kundmachenden Hinweiszeichen fest, so ist dem Straßenerhalter bei der Gestaltung der Hinweiszeichen kein Spielraum überlassen. Die tatsächlich aufgestellten Hinweisschilder müssen die in der Verordnung festgelegte Textierung wiedergeben (vgl VfGH 11.6.2018, V3/2018 mwN).

Da somit der zeitliche Beginn der Kurzparkzone auf dem Vorschriftszeichen um 08:00 Uhr nicht den normierten Zeitangaben der gegenständlichen Verordnungsbestimmung gemäß §1 litb) (ab 07:00 Uhr) entspricht, hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich Bedenken, dass die Kundmachung der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12.12.2014, AZ: 612-2014-Rei-Kain, betreffend die Einrichtung von Kurzparkzonen und Parkverboten innerhalb des Gemeindegebietes von Gallneukirchen mangelhaft und damit rechtswidrig erfolgte (vgl VwGH 28.7.1995, 93/02/0263).

V.4. In von Amts wegen eingeleiteten Normenprüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof den Umfang der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt. Darüber hinaus sind auch in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren die Grenzen der Aufhebung so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen vollständig veränderten Inhalt bekommt, und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle in untrennbarem Zusammenhang stehenden Bestimmungen auch erfasst werden (vgl VfSlg 19.020/2010 mwN). Was nach einer allfälligen Aufhebung übrig bleibt, soll kein sprachlicher Torso bzw unverständlich sein (vgl VfSlg 19.663/2012).

Gemäß §2 der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12.12.2014, AZ: 612-2014-Rei-Kain, betreffend die Einrichtung von Kurzparkzonen und Parkverboten wird die Kurzparkzone nach §1 litb) in einem Lageplan dargestellt. Die Bestimmung des §1 litb) und der gemäß §2 leg. cit. einen wesentlichen Bestandteil dieser Verordnung darstellende Lageplan stehen nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich in untrennbarem Zusammenhang. Gleiches gilt für die Festlegungen über die Art der Kundmachung der Verordnung nach §3 leg. cit., mit welcher diese in Kraft tritt. Vor diesem Hintergrund wird – neben der Aufhebung der gesamten Verordnung – auch die Aufhebung dieser Verordnungsbestandteile aus prozessualer Vorsicht in eventu als gesetzwidrig beantragt.

[…]"

3. Die verordnungserlassende Bürgermeisterin teilt in ihrer Äußerung – auszugsweise – mit:

"[…]

Die Stadtgemeinde Gallneukirchen teilt mit, dass bei der Kundmachung der Verordnung vom 12.12.2014, AZ: 612-2014-Rei-Kain offensichtlich ein Fehler passiert ist. Die tägliche Beginnzeit der Kurzparkzone war in der Verordnung mit 7.00 Uhr angegeben und wurde mit 8.00 Uhr kundgemacht.

Da auch die übrigen Kurzparkzonen in Gallneukirchen um 8.00 Uhr beginnen, wurde die bestehende Verordnung durch eine neu erlassene Verordnung (Beginn der Kurzparkzone 8.00 Uhr) aufgehoben.

Die neu erlassene Verordnung (Aktenzeichen: D120526/06072019 vom 7.6.2019) wird in der Anlage übermittelt.

[…]"

4. Die belangte Behörde und der Beschwerdeführer vor dem Verwaltungsgericht Oberösterreich sowie die Oberösterreichische Landesregierung haben von der Erstattung einer Äußerung Abstand genommen.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt seit VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (vgl zB VfSlg 12.382/1990, 16.875/2003, 19.058/2010, 19.072/2010, 19.230/2010 uva.; vgl auch VfGH 18.9.2015, V96/2015, sowie die Rechtsprechung zu nicht ordnungsgemäß kundgemachten Gesetzen VfSlg 16.152/2001, 16.848/2003 und die darin zitierte Vorjudikatur). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B-VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungs-gerichtshof sind sie für jedermann verbindlich.

Die Aufstellung der Verkehrszeichen ist ausweislich des von der verordnungserlassenden Behörde vorgelegten Bildmaterials am 17. Dezember 2014 erfolgt. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 ist die angefochtene Verordnung damit jedenfalls kundgemacht worden, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist und in Geltung stand.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B-VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellen-den Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.3. Dem Beschwerdeführer vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich wird zur Last gelegt, er habe am 16. November 2017, in der Kurzparkzone am Marktplatz, H 7, der Gemeinde Gallneukirchen ein näher bestimmbares, mehrspuriges Kraftfahrzeug abgestellt, ohne dafür zu sorgen, dass es am Ende der höchst zulässigen Parkzeit vom Ort der Abstellung entfernt wurde. Der Hauptantrag umfasst allerdings, soweit er über die Aufhebung des – präjudiziellen – §1 litb (Verordnung einer Kurzparkzone für den Marktplatz) hinausgeht, Bestimmungen, die in anderen näher bezeichneten Bereichen von Gallneukirchen eine Kurzparkzone, ein 'Halten und Parken verboten' bzw ein 'Parken verboten' verordnen und im Anlassfall offenkundig nicht präjudiziell und offenkundig trennbar sind (vgl VfSlg 17.572/2005, 19.939/2014; VfGH 24.11.2016, V18-19/2016; VfSlg 20.199/2017).

1.4. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist der Hauptantrag, soweit er sich auf §1 litb der angefochtenen Verordnung bezieht, zulässig, sodass auf die Eventualanträge nicht mehr einzugehen ist. Im Übrigen ist der Hauptantrag jedoch als unzulässig zurückzuweisen.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof ist in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken beschränkt (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.3. Gemäß §44 Abs1 StVO sind die in §43 StVO bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft (vgl VfSlg 18.710/2009, 19.409/2011, 19.410/2011).

2.4. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf ein Verordnungsbeschluss im Zuge der Kundmachung weder ergänzt noch sonst verändert werden. Jede Änderung des Inhaltes des Verordnungsbeschlusses obliegt allein der zur Willensbildung zuständigen Behörde (vgl VfSlg 13.910/1994 mwN; vgl auch VfSlg 7451/1974). Eine Verordnung ist gesetzwidrig, wenn die vom Verordnungsgeber beschlossene normative Festlegung nicht mit dem kundgemachten Text übereinstimmt (VfSlg 15.192/1998, 19.980/2015).

2.4.1. Die Verordnung bestimmt in ihrem §1 litb, dass am Marktplatz, an den in den Lageplänen bestimmten Stellen, eine Kurzparkzone an Werktagen, von Montag bis Freitag von 7.00 Uhr bis 18.00 Uhr, Samstag von 7.00 Uhr bis 12.00 Uhr, bestehen soll. Wie das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich aber unwidersprochen vorbringt, scheint auf den Verkehrszeichen aber der Text "Mo-Fr 800 - 1800 Sa 800 - 1200" auf.

2.4.2. Die Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen hat – ausweislich ihrer Äußerung – (ua) die Kurzparkzone am Marktplatz mit der Verordnung vom 7. Juni 2019, Z D120526/06072019, inzwischen neu erlassen. Mit Inkrafttreten der Verordnung Z D120526/06072019 durch die Kundmachung am 7. Juni 2019 ist die angefochtene Verordnung außer Kraft getreten. Daher hat der Verfassungsgerichtshof gemäß §139 Abs4 B-VG festzustellen, dass §1 litb der angefochtenen Verordnung rechtswidrig war (vgl VfSlg 12.160/1989 sowie VfGH 11.6.2018, V3/2019, und 26.11.2018, V53-54/2018).

V. Ergebnis

1. §1 litb der Verordnung der Bürgermeisterin der Stadtgemeinde Gallneukirchen vom 12. Dezember 2014, Z 612-2014-Rei/Kain, war gesetzwidrig, weil die Kundmachung nicht mit der Verordnung übereinstimmte.

2. Im Übrigen wird der Antrag als unzulässig zurückgewiesen.

3. Die Verpflichtung der Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung des Ausspruches des Verfassungsgerichtshofes erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und und §59 Abs2 VfGG iVm §4 Abs1 Z2 Oberösterreichisches Verlautbarungsgesetz, LGBl 91/2014.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Straßenpolizei, Straßenverkehrszeichen, Kurzparkzone, Verordnung Kundmachung, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:V28.2019

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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