TE Vfgh Erkenntnis 2020/6/9 E4561/2019 ua

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Veröffentlicht am 09.06.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
VwGVG §29
AsylG 2005 §3, §8, §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander mangels Begründung der - mündlich verkündeten - Entscheidung betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz von Staatsangehörigen des Irak

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Den gemäß §63 Abs1 ZPO, §35 VfGG gestellten Anträgen auf Bewilligung der Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO wird stattgegeben.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreterin die mit € 3.270,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige und sunnitische Muslime. Sie stellten am 9. Juli 2015 (Erstbeschwerdeführer), am 30. Dezember 2015 (Zweit- bis Viertbeschwerdeführer) und am 13. Juni 2018 (Fünftbeschwerdeführerin) Anträge auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheiden vom 17. Februar 2017 (Erst- bis Viertbeschwerdeführer) und vom 13. August 2018 (Fünftbeschwerdeführerin) wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurden die Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen. Weiters wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen nach §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in den Irak nach §46 FPG zulässig sei. Schließlich wurde eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen gesetzt.

3. Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem hier angefochtenen, am 7. Februar 2019 mündlich verkündeten Erkenntnis ab und stellte die schriftliche Ausfertigung dieser Entscheidung "zu einem späteren Zeitpunkt" in Aussicht. Mit Eingabe vom 12. Februar 2019 beantragten die Beschwerdeführer zudem die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung.

4. Mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2019 erhoben die Beschwerdeführer die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde gegen das am 7. Februar 2019 mündlich verkündete Erkenntnis, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird im Wesentlichen vorgebracht, dass eine schriftliche Ausfertigung der angefochtenen Entscheidung über einen Zeitraum von mehr als zehn Monaten nicht eingelangt sei, während der vorliegenden Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 7. Februar 2019 keine den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen entsprechende Entscheidungsbegründung zu entnehmen sei.

5. Kurz zuvor, am 12. Dezember 2019, den Beschwerdeführern zugestellt am 19. Dezember 2019, erging die schriftliche Ausfertigung der angefochtenen Entscheidung, die eine Begründung hinsichtlich der Nichtzuerkennung von Asyl, von subsidiärem Schutz, der Nichterteilung von Aufenthaltstiteln und der erlassenen Rückkehrentscheidungen sowie der Aussprüche der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise enthält.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber unter Verweis auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung Abstand genommen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Gemäß §29 Abs1 VwGVG sind Erkenntnisse im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen und zu begründen. Nach Abs2 leg.cit hat das Verwaltungsgericht in der Regel, sofern eine Verhandlung in Anwesenheit von Parteien stattgefunden hat, das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen sogleich zu verkünden. Gemäß Abs4 leg.cit ist den Parteien eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen.

3.2. Daraus ergibt sich, dass ein mündlich verkündetes Erkenntnis die tragenden Elemente der Begründung zu enthalten hat. Im Rahmen der Begründung der angefochtenen, am 7. Februar 2019 mündlich verkündeten Entscheidung hat sich das Bundesverwaltungsgericht aber weder mit den vorgebrachten Fluchtmotiven der Beschwerdeführer auseinandergesetzt noch die wesentlichen Entscheidungsgründe zur Abweisung der Beschwerden hinsichtlich der weiteren Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide, insbesondere der Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz, der erlassenen Rückkehrentscheidungen sowie der Aussprüche der Zulässigkeit der Abschiebung verkündet. So lässt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes insbesondere auch jegliche Begründung in Hinblick auf die vorgebrachte Verletzung in Rechten nach Art3 und 8 EMRK ebenso wie eine Auseinandersetzung mit aktuellen Länderberichten zur Situation im Herkunftsstaat vermissen und ist daher mit Willkür belastet.

3.3. Die schriftliche Ausfertigung der Entscheidung erfolgte – nach mehr als zehn Monaten – kurz vor Beschwerdeerhebung beim Verfassungsgerichtshof und enthält Begründungselemente zu den angesprochenen Punkten; dies kann aber den Mangel des Fehlens der wesentlichen Entscheidungsgründe in der mündlichen Verkündung nicht beseitigen (vgl VfGH 13.12.2019, E2855/2019 ua). Insgesamt widerspricht eine derartige Vorgangsweise den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen (vgl VfSlg 20.267/2018).

3.4. Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesverwaltungsgericht neben den Fluchtmotiven der Beschwerdeführer insbesondere die durch ihre Minderjährigkeit indizierte Vulnerabilität der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer, die gesundheitliche Situation der Zweitbeschwerdeführerin und allgemein die (Rückkehr-) Situation der Beschwerdeführer als Familie mit drei minderjährigen Kindern besonders zu berücksichtigen haben (vgl zuletzt zB VfGH 28.11.2019, E2526/2019 ua; 23.9.2019, E512/2019 ua; 26.6.2019, E2838/2018 ua).

III. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis in dem durch ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 545,– und Umsatzsteuer in Höhe von € 545,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil die Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießen.

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Entscheidungsverkündung, Rückkehrentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E4561.2019

Zuletzt aktualisiert am

11.09.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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